BVerfG 1. Senat 3. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 02.07.2019, 1 BvR 385/16

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 1 BvR 385/16 (BVerfG)

vom 2. Juli 2019 (Dienstag)


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Nichtannahmebeschluss: Vereinsverbot wegen völkerverständigungswidriger Aktivitäten (hier: Unterstützung der Hisbollah) begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken - Verfassungsbeschwerde bereits teilweise unzulässig, iÜ unbegründet - Eingriff in Vereinigungsfreiheit (Art 9 GG) gerechtfertigt

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

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Der Beschwerdeführer wendet sich gegen sein Verbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz vom 5. August 1964, BGBl I S. 593, zuletzt geändert durch Art. 1 des zweiten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 10. März 2017, BGBl I S. 419; nachfolgend: VereinsG) und die dieses Verbot bestätigende Gerichtsentscheidung.

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1. Der Verein unterstützte nach seiner Satzung Familien und Kinder von Kriegsgefallenen, Verstorbenen und Körperbehinderten, vor allem im Libanon. Das Bundesministerium des Innern stellte im April 2014 durch Verfügung fest, dass sich der Verein nach Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Der Verein habe über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang die im Libanon ansässige Shahid Stiftung finanziell unterstützt. Diese sei integraler Bestandteil der Hisbollah und flankiere durch ihre Rolle als Hinterbliebenenversorgung die gegen Israel gerichteten gewaltsamen Aktivitäten der Hisbollah. Dem Vorstand sei die Verbindung zwischen Shahid Stiftung und Hisbollah bekannt; er identifiziere sich mit der Hisbollah und den von ihr ausgehenden Gewalttaten. Der Beschwerdeführer wurde verboten und aufgelöst.

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2. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen Klage. Die Verbotsverfügung sei rechtswidrig. Zwar habe der Verein die Shahid Stiftung unterstützt. Seine Tätigkeit richte sich aber nicht gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Er könne sich als religiös motivierter Verein zudem auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen.

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3. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage als unbegründet ab. Ein Verein erfülle den Verbotstatbestand objektiv auch durch mittelbares Handeln, wenn und weil er hier durch finanzielle Zuwendungen über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang eine Gruppierung unterstütze, die - wie die Hisbollah - Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineintrage. Es genüge, dass diese Förderung geeignet sei, das Schutzgut nachhaltig zu beeinträchtigen. Das sei auch anzunehmen, wenn Akzeptanz- und Entlastungsvorteile einträten, weil die mit Hilfe von Spenden geförderte Stiftung untrennbar mit dem politischen und militärischen Bereich der Organisation verbunden sei. Der Verbotsgrund sei hier nicht einzuschränken, weil sich der Verein auf die religiöse Vereinigungsfreiheit (Art. 4 GG) berufe. Es sei schon zweifelhaft, ob deren Voraussetzungen erfüllt seien, weil dies der Satzung nicht entnommen werden könne und weitere substantiierte Darlegungen dazu fehlten. Selbst wenn der Verein eine Religionsgemeinschaft wäre, schlösse dies ein Verbot nach Art. 9 Abs. 2 GG nicht aus, wenn der schwerwiegende Eingriff eines Vereinigungsverbotes unerlässlich wäre. Subjektiv habe der Verein die Verbotsvoraussetzungen erfüllt, da ihm die Umstände bekannt gewesen seien, die seine finanzielle Förderung einer Stiftung zur Unterstützung einer völkerrechtsfeindlichen Organisation werden ließen, und er sich mit den Zielen und Gewalttaten der Organisation identifiziert habe.

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4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Verletzung von Art. 9 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Insbesondere habe das Verbot den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet, denn es wäre ausreichend gewesen, Hilfeleistungen des Vereins an die Stiftung zu verbieten. Zudem lege das Bundesverwaltungsgericht das Merkmal der "Völkerverständigungswidrigkeit" zu weit aus. Die Annahme, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers zu Akzeptanzsteigerungen und finanziellen Entlastungen der Hisbollah führe, sei spekulativ und allenfalls theoretisch. Auch verstoße das Urteil gegen Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, weil die Tätigkeit des Beschwerdeführers auch Ausdruck seiner religiösen Überzeugungen sei; er sei als Religionsgemeinschaft anzusehen.

II.

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Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit die Rügen zulässig erhoben sind, nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihr kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie ist in Teilen unzulässig und im Übrigen unbegründet.

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1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig.

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a) Soweit die Ausführungen so zu verstehen sind, dass auch die Ermächtigungsgrundlage für Vereinsverbote in § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG angegriffen würde, wäre die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehlte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vereinbarkeit dieser Norm mit dem Grundgesetz jüngst im Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, festgestellt (Rn. 118 ff.). Für eine auf denselben Gegenstand zielende verfassungsgerichtliche Entscheidung über die im Wesentlichen inhaltsgleichen Grundrechtsrügen besteht daher kein Bedürfnis mehr. Es werden auch keine verfassungsrechtlichen Fragen aufgeworfen, die über die bereits geprüften Einwände gegen das Vereinsgesetz hinausgehen.

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b) Soweit eine Verletzung des Grundrechts auf das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG gerügt wird, ist die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung weder vorgetragen noch erkennbar. Zwar kann sich ein Verein darauf berufen (vgl. BVerfGE 106, 28 <43>). Doch fehlt hier eine substantiierte Beschwerde. Allein die Bezugnahme auf das fachgerichtliche Verfahren durch Beifügung von Anlagen genügt nicht, um die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung zu begründen, denn das Bundesverfassungsgericht ist nicht gehalten, aufgrund eines undifferenzierten Hinweises auf frühere Schriftsätze den dortigen Vortrag auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte hin zu untersuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>).

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c) Die Verfassungsbeschwerde genügt auch mit der Rüge einer Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht den Anforderungen an die Darlegung aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9> m.w.N.). Aus der Tatsache, dass ein Verein erkennbar in einem religiösen Kontext handelt, folgt nicht zwingend, dass die Vereinstätigkeit und der Verein als solcher religiös ausgerichtet sind (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 90).

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2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Im Ausgangspunkt entscheidet - anders als über Parteiverbote - nicht das Bundesverfassungsgericht über Vereinsverbote. Es gehört insbesondere nicht zu seinen Aufgaben, Tatsachen festzustellen, sondern ist in seiner Kontrolle grundsätzlich auf die Überprüfung der Plausibilität der behördlichen und gerichtlichen Feststellungen beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 122). Danach sind hier die Entscheidungen der Verbotsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der durch das Verbot bewirkte Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG ist gerechtfertigt.

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a) Art. 9 Abs. 2 GG statuiert ein Vereinigungsverbot als Schranke der Vereinigungsfreiheit, wenn sich die Vereinigung gegen bestimmte Rechtsgüter von hervorgehobener Bedeutung richtet oder diesen zuwiderläuft, nämlich gegen die der Strafgesetze, die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Nur diese ausdrücklich normierten Gründe rechtfertigen das Verbot als weitestgehenden Eingriff in die Grundrechte einer Vereinigung; sie sind in der Auslegung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit insbesondere durch Beschränkung auf die Erforderlichkeit eines Verbots eng zu verstehen (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 104).

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So ist ein Vereinigungsverbot nach der dritten Tatbestandsvariante des Art. 9 Abs. 2 GG gerechtfertigt, wenn sich die Vereinigung gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Das ist der Fall, wenn sie in den internationalen Beziehungen Gewalt oder vergleichbar schwerwiegende völkerrechtswidrige Handlungen aktiv propagiert und fördert. Das kann die Vereinigung selbst unmittelbar tun; der Verbotstatbestand kann aber auch erfüllt sein, wenn sie sich durch die Förderung Dritter gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Dazu gehört die finanzielle Unterstützung terroristischer Handlungen und Organisationen, wenn diese objektiv geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen, und die Vereinigung dies weiß und zumindest billigt. Auch hier gilt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, dass ein Verbot nur zu rechtfertigen ist, wenn die Ausrichtung entsprechend schwer wiegt und die Vereinigung prägt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 112, m.w.N.).

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b) Die Verbotsverfügung und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts genügen diesen Anforderungen.

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aa) Das Bundesverwaltungsgericht legt nachvollziehbar dar, dass die tatbestandlichen Anforderungen an ein Vereinigungsverbot erfüllt sind. Es folgert aus einer Gesamtschau von Indizien, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer geförderten Stiftung um einen untrennbaren Teil der Hisbollah handelt, die als völkerverständigungswidrige Organisation anzusehen ist. Das Gericht bezieht sich auf Verfassungsschutzberichte, auf in den Prozess eingeführte Dokumente der Bundesregierung sowie auf Äußerungen des Generalsekretärs der Hisbollah. Die Schlussfolgerung, dass die Organisation das Existenzrecht Israels offen in Frage stellt und zu dessen gewaltsamer Beseitigung aufruft, unterstrichen durch die Verantwortung der Hisbollah für Anschläge gegen die israelische Armee, erscheint danach plausibel. Das Gericht begründet zudem, dass die Hisbollah durch die finanzielle und militärische Zusammenarbeit mit der Hamas, die ihrerseits als völkerverständigungswidrige Organisation anzusehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 125), Gewalt in das Verhältnis zwischen den Völkern trägt.

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Das Bundesverwaltungsgericht durfte auch davon ausgehen, dass die finanzielle Unterstützung der Stiftung durch den Beschwerdeführer objektiv geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen. Das Gericht stützt sich insoweit auf die Selbstdarstellung der Stiftung und Äußerungen von führenden Hisbollah-Mitgliedern sowie auf personelle Verflechtungen zwischen der Stiftung und der Hisbollah. Das trägt die Annahme, dass die vom Beschwerdeführer unstreitig in großem Umfang unterstützte Stiftung ein integraler Bestandteil der Hisbollah ist, deren sozialer, politischer und militärischer Teil ein untrennbares Gesamtgefüge darstellen. Insoweit wird auch der verfassungsrechtlichen Anforderung Genüge getan, den Tatbestand eines Vereinigungsverbotes eng auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 104, 131). Soweit das Bundesverwaltungsgericht auf Entlastungs- und Akzeptanzvorteile abstellt, ist nicht ersichtlich, dass damit nur generelle Vorteile gemeint wären, die ausgelöst werden können, wenn karitative Einrichtungen und Vereine mit sozialer Zwecksetzung in tatsächlich terroristisch kontrollierten Gebieten unterstützt werden, die jedoch nicht genügen, um einen Verein zu verbieten, der Spenden in solche Krisengebiete weiterleitet. Zielen Spenden auf die Linderung von Not und achten sie die allgemeinen Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität und Unparteilichkeit, erfüllt ein so tätiger Spendenverein den Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 GG nicht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 133 ff.). Hier legt das Bundesverwaltungsgericht entsprechend dar, dass die geförderte Stiftung nicht neutral war und der Beschwerdeführer auch subjektiv nicht neutral handeln wollte.

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bb) Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Ergebnis damit auch nicht, dass ein Vereinigungsverbot mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur dann vereinbar ist, wenn die Verbotsgründe die Vereinigung tatsächlich prägen oder ihr prägend zuzurechnen sind. Je weniger der Verbotstatbestand durch Handlungen der Organe der Vereinigung selbst, der Mehrheit ihrer Mitglieder oder von ihr beherrschter Dritter erfüllt wird, desto klarer muss erkennbar sein, dass die Vereinigung diese Handlungen kennt, diese billigt und sich mit ihnen identifiziert (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 103). Wenn sich eine Vereinigung durch die Förderung Dritter gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, muss die finanzielle Unterstützung terroristischer Handlungen und Organisationen objektiv geeignet sein, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen, und die Vereinigung dies wissen und zumindest billigen. Auch hier gilt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, dass ein Verbot als der schärfste Eingriff in die grundrechtlich geschützte Vereinigungsfreiheit nur zu rechtfertigen ist, wenn die Ausrichtung entsprechend schwer wiegt und die Vereinigung prägt (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 112). Hier benennt das Gericht zahlreiche Hinweistatsachen, wonach dem Beschwerdeführer die Umstände bekannt waren, die wegen seiner finanziellen Zuwendungen an die Stiftung den Vorwurf der Unterstützung der Hisbollah begründen, und sich der Beschwerdeführer mit der Hisbollah und den aufgezeigten völkerverständigungswidrigen Aktivitäten auch identifiziert hat.

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cc) Im Ergebnis ist damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 129 ff., 131) gewahrt. Zwar prüft das Bundesverwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung die Verhältnismäßigkeit des Vereinigungsverbotes noch allein im Rahmen des Tatbestands, was zu einem engen Verständnis der Verbotsgründe zwingt und insbesondere eine verbotswidrige Prägung der Vereinigung voraussetzt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 131). Es ist aber auch nicht ersichtlich, warum die Annahme des Gerichts, dass mildere Maßnahmen als Rechtsfolge hier nicht in Betracht kamen, zu beanstanden wäre.

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dd) Soweit sich der Beschwerdeführer auf Vertrauensschutz beruft, weil seine Tätigkeit seit 1997 bekannt und geduldet sei, steht dies einem Verbot nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 u.a. -, Rn. 167).

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.