BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 13.08.2018, 1 WDS-AV 8/17

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 1 WDS-AV 8/17 (BVerwG)

vom 13. August 2018 (Montag)


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Mit Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung - Referat R II 2 - (Az.: …) vom 15. November 2017 wurde folgende Kostengrundentscheidung getroffen:

" …

2. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen werden Ihnen erstattet.

3. Die Hinzuziehung Ihres Bevollmächtigten war notwendig."

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Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schriftsatz vom 17. November 2017 die dem Antragsteller erwachsenen notwendigen Aufwendungen für das vorgerichtliche Verfahren auf insgesamt 815,08 € festzusetzen. Dabei hat er die Geschäftsgebühr mit 500 € in Ansatz gebracht. Begründung dafür sei eine umfangreiche Sachverhaltsprüfung zur Klärung der streitigen Referenzgruppe. Ferner beantragte er die Erstattung von Reisekosten für eine Besprechung mit seinem Mandanten in B.

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Dem Bundeswehrdisziplinaranwalt wurde als Vertreter gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 WBO Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er teilte mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 mit, dass dem Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der Höhe der geforderten Geschäftsgebühr sowie der Reisekosten widersprochen wird. In dem Verfahren ging es um eine Beschwerde bzgl. der Zusammensetzung einer für den Beschwerdeführer gebildeten Referenzgruppe. Die Beschwerde wurde vom Beschwerdeführer selbst eingelegt und dann vom Bevollmächtigten mit einem sechsseitigen Schriftsatz begründet nachdem er Akteneinsicht genommen habe. Danach wurde lediglich gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung die Erledigung der Hauptsache erklärt. Eine Überschreitung der Geschäftsgebühr über den "Schwellenwert" von 300 € aufgrund der umfangreichen Sachverhaltsprüfung werde durchaus gesehen, allerdings in einem moderaten Bereich. Eine Gebühr von 400 € wäre noch als billig anzusehen.

Die Erstattung der Reisekosten wäre aufgrund der nicht erkennbaren Notwendigkeit - zumal diese lange nach der Akteneinsicht und Begründung der Beschwerde erfolgt sei - zurückzuweisen.

Letztlich könnte lediglich ein Betrag von 499,80 € festgesetzt werden.

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Nach Übersendung der Stellungnahme des Bundeswehrdisziplinaranwaltes erklärte der Bevollmächtigte, dass sich seine anwaltliche Tätigkeit nicht auf eine Akteneinsicht und einen sechsseitigen Begründungsschriftsatz einschließlich nachfolgender Erledigungserklärung reduzieren lasse.

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Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit sei vielmehr die Identifizierung und Beiziehung der für die Erstellung der Beschwerdebegründung notwendigen Sachverhalte, Tatsachen und Dokumente in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer. Der durchaus komplexe Sachverhalt, resultierend aus der Bewertung einer fiktiven Laufbahnnachzeichnung vor dem Hintergrund mehrfacher Versuche des Dienstherrn, den Soldaten gegen seinen Willen in den Ruhestand zu versetzen, die auch bereits jeweils rechtlich abgewehrt werden mussten, waren sowohl rechtlich als auch in der Sachverhaltsermittlung schwierig wie auch zeitaufwändig. Der Zeitaufwand für das Mandat ging um ein Mehrfaches über den angesetzten Betrag von 500 € - angemessener vergüteter Arbeitsaufwand von allenfalls zwei bis drei Anwaltsarbeitsstunden - hinaus.

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Ebenso verhalte es sich mit den angesetzten Kosten für eine Besprechung beim Mandanten in B. Entscheidend war, dass anhand der Komplexität des Sachverhaltes eine rein fernmündliche Besprechung nicht ausreichte, sondern ein persönliches Gespräch anhand der beigezogenen Unterlagen notwendig war.

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Der Bundeswehrdisziplinaranwalt teilte daraufhin in seiner Stellungnahme vom 23. Februar 2018 mit, dass ihm die angesetzte Höhe der Geschäftsgebühr trotz der weiteren vorgetragenen Begründung als zu hoch erscheine, aber vielleicht noch billigem Ermessen entsprechen könne. Dies möge aber der zuständige Urkundsbeamte entscheiden.

Die nunmehr mit einem Mandantengespräch nach B. begründeten Reisekosten mögen erstattungsfähig sein, obwohl die Notwendigkeit eines Gespräches zu diesem Zeitpunkt - mehr als zwei Monate nach der im Juli erfolgten Beschwerdebegründung - sich nach wie vor nicht erschließe.

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Die an einen Rechtsanwalt zu zahlenden Beträge gehören zu den notwendigen Aufwendungen bzw. Auslagen (§ 20 Abs. 4 WBO i.V.m. § 140 Abs. 8 Nr. 2 WDO).

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Der Gebührentatbestand Nr. 2302 VV-RVG ist vorliegend erfüllt, da es sich nach Nr. 2 um ein Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung mit der weiteren gerichtlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts - Wehrdienstsenate - handelt.

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Gemäß § 14 RVG handelt es sich um eine Rahmengebühr. Somit bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ist die Gebühr jedoch von einem Dritten zu ersetzen, wie im vorliegenden Fall vom Bund, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Dass die Bestimmung der Billigkeit entspricht, ist darzulegen. Unbillig ist eine Gebührenbestimmung jedoch nur dann, wenn die Bewertung des Sachverhalts nach den Bemessungskriterien des § 14 RVG unter Berücksichtigung der gebotenen gleichen Behandlung gleichartiger Fälle eine Gebühr ergibt, die von der vom Rechtsanwalt bestimmten Gebühr derartig abweicht, dass die Abweichung im Interesse der Gebührengerechtigkeit wegen Ermessensmissbrauch nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl. 2018, § 14 RVG Rn. 23 ff. m.w.N.).

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In Fällen, die nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich gelagert sind, ist bei der Bestimmung der Geschäftsgebühr im vorgerichtlichen Verfahren grundsätzlich von einer Gebührenhöhe von 300 € (Schwellengebühr) auszugehen. Eine über der sogenannten Schwellengebühr liegende Gebühr ist nur dann erstattungsfähig, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.

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Zur Bewertung der für die Bestimmung der billigen Gebühren zu betrachtenden Kriterien, wird das sogenannte weiterentwickelte "Kieler Kostenkästchen" hilfsweise herangezogen (zur grundsätzlichen Systematik des "Kieler Kostenkästchens" vgl. SG Kiel, Kammerbeschlüsse vom 1. Juni 2012 - S 21 SF 7/12 E, S 21 SF 36/12 E - juris; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 22. Aufl. 2015, § 3 Rn. 10 ff., 22, 69; zur Weiterentwicklung des "Kieler Kostenkästchens" vgl. SG Kiel, Kammerbeschluss vom 4. Januar 2016 - S 21 SF 167/14 E - juris).

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Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit beschreibt den zeitlichen Aufwand, den ein Rechtsanwalt in einer Angelegenheit aufbringen muss. Der durchschnittliche Umfang lässt sich allerdings nicht exakt in Zeitstunden ausdrücken; solche können allenfalls eine Orientierungshilfe bieten (vgl. Braun, in: Festschrift 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut e.V., 2003, S. 369 <379>; "Durchschnittlich wendet damit ein Anwalt pro Fall etwa 4 Stunden an berechnungsfähiger Zeit auf."). Vielmehr hat sich der durchschnittliche Umfang am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens zu orientieren. Wie der Bundeswehrdisziplinaranwalt richtig feststellt, war die anwaltliche Tätigkeit aufgrund der "umfangreichen Sachverhaltsprüfung" zweifellos hinreichend umfangreich, um mit der Geschäftsgebühr den "Schwellenwert" von 300 € zu überschreiten. Der Umfang wird aufgrund der Ausführungen des Bevollmächtigten als überdurchschnittlich (4 Punkte) bewertet.

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Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit beschreibt die Intensität der Arbeit des Rechtsanwalts. Objektiver Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit ist die Sicht des "Allgemeinanwalts" (vgl. Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl. 2014, § 14 Rn. 34). Entscheidend ist dabei, ob es sich allgemein um eine schwierige Materie handelt. Die Schwierigkeit beurteilt sich daher nach dem objektiv-generellen Maßstab. Schwierig sind u.a. Tätigkeiten in Spezialgebieten. Die Verknüpfung von Wehrbeschwerderecht und Beamtenrecht - wie in dem vorliegenden Fall - kann als ein solches Spezialgebiet angesehen werden. Auch dies wird als überdurchschnittlich (4 Punkte) bewertet.

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Die Bedeutung der Angelegenheit ist als subjektives Merkmal aus der Sicht des Auftraggebers zu ermitteln. Dabei ist neben der tatsächlichen und rechtlichen Bedeutung auch auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ideellen Auswirkungen des Ausgangs der Angelegenheit abzustellen. Von besonderer Bedeutung ist eine Angelegenheit insbesondere dann, wenn sie für den Mandanten zu beruflichen Konsequenzen führen kann. In diesem Verfahren geht es um die Bildung einer Referenzgruppe und der Positionierung des Soldaten in dieser um ggf. auf einen A 16 Dienstposten befördert zu werden. Der A 16 Dienstposten stellt für den Soldaten eine Spitzenposition (Endamt) in seiner Laufbahn dar und kann daher mit überdurchschnittlich (4 Punkte) bewertet werden.

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Die Einkommensverhältnisse des Antragstellers sind auch zu berücksichtigen. Dabei ist vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Der monatliche Einkommensdurchschnitt bei Arbeitnehmern lag 2017 laut Statistischem Bundesamt bei 2 863 €. Bei einem monatlichen Bruttoeinkommen des Antragstellers von ca. 6 000 € ist das Einkommen als überdurchschnittlich zu bezeichnen und mit 5 Punkten zu bewerten.

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Nach dem in Anlehnung an das "Kieler Kostenkästchen" ermittelten Quotienten (4,25) und nach den sonstigen vorstehenden Ausführungen ist die Bestimmung einer Geschäftsgebühr bis zu 443 € (4/3 Mittelgebühr) nicht unbillig hoch.

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Die Literatur und ihr folgend die Rechtsprechung gesteht dem Rechtsanwalt jedoch bei einem nicht lediglich durchschnittlich gelagerten Verfahren - wie hier - einen Ermessensspielraum von 20 % (Toleranzgrenze) über der vom Gericht objektiv für angemessen gehaltenen Gebühr zu, der von dem Dritten wie auch von Gerichten zu beachten ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05 - NJW-RR 2007, 420 und BVerwG, Beschluss vom 17. August 2005 - 6 C 13.04 - Buchholz 363 § 14 RVG Nr. 1 Rn. 24 ff.). Erst bei Abweichungen über den Toleranzbereich hinaus liegt ein anwaltlicher Ermessensmissbrauch vor, der durch eine Neufestsetzung des Gerichts ersetzt werden kann (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, § 14 RVG Rn. 23 ff. m.w.N.). Ausgehend von der noch als billig anzusehenden Geschäftsgebühr von maximal 443 €, liegt die noch als angemessen anzusehende Toleranzgrenze bei einem Betrag von 532 € (531,60 € aufgerundet). Die vom Bevollmächtigten des Antragstellers beantragte Gebühr von 500 € liegt damit noch im Toleranzbereich und kann so festgesetzt werden.

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Die Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG ist - wie beantragt - in Höhe von 20,00 € festzusetzen.

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Die Reisekosten für ein Mandantengespräch sind erstattungsfähig gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, wenn es sich bei dem Streitgegenstand um keine ganz einfache Sache aus dem Lebens- und Geschäftsbereich handelt und ein persönliches Gespräch notwendig war. Aufgrund der überdurchschnittlichen Schwierigkeit und des Umfangs wird die Notwendigkeit eines persönlichen Gesprächs gesehen und für erstattungsfähig erachtet. Zum Zeitpunkt der Reise ist hier nur zu sagen, dass sie noch längere Zeit vor Verfahrensende stattgefunden hat und selbst nach Einreichung der Begründung nicht absehbar war, wie es ausgehen wird und daher durchaus die Notwendigkeit einer Reise zum persönlichen Gespräch gesehen werden kann.

Bei Flugreisen sind die Kosten zu denen einer Bahnreise ins Verhältnis zu setzen. Die Bahnreise zweiter Klasse von B. nach B. und zurück betragen ohne Sparpreis und Bahncardbonus mindestens 181,80 €, sodass die Kosten für die Flugreise einschließlich der Parkgebühren und Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel in Höhe von 164,94 € für erstattungsfähig erachtet werden.

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Die Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG berechnet sich mithin aus einem Betrag in Höhe von 684,94 € und beträgt 130,14 €.

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Somit sind die zu erstattenden notwendigen Aufwendungen im vorliegenden Verfahren insgesamt auf einen Betrag in Höhe von 815,08 € festzusetzen.