BVerfG 2. Senat, Beschluss vom 15.01.2019, 2 BvL 1/09

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 2 BvL 1/09 (BVerfG)

vom 15. Januar 2019 (Dienstag)


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Zur Bindung des Vermittlungsausschusses an den Vermittlungsauftrag - Nichtigkeit des § 54 Abs 9 S 1 KStG (juris : KStG 1977) idF vom 22.12.1999 wegen Überschreitung des Anrufungsauftrags durch den Vermittlungsausschuss im Gesetzgebungsverfahren

§ 54 Absatz 9 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 in der Fassung des Artikels 4 Nummer 10 Buchstabe h des Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften vom 22. Dezember 1999 (Bundesgesetzblatt I Seite 2601) ist mit Artikel 20 Absatz 2, Artikel 38 Absatz 1 Satz 2, Artikel 42 Absatz 1 Satz 1 und Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

A.

1

Die Vorlage des Bundesfinanzhofs betrifft die Frage, ob die Vorschrift des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999 - StBereinG 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2601) in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist. Nach dieser erst im Vermittlungsverfahren eingefügten Regelung ist § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999, der die Besteuerung bestimmter umwandlungssteuerrechtlicher Übernahmegewinne zum Gegenstand hat, bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden und nicht erst für den Veranlagungszeitraum 2000, wie dies noch nach der vom Bundestag verabschiedeten Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 der Fall war.

I.

2

1. Der Körperschaftsteuersatz für thesaurierte Gewinne betrug bis zum 31. Dezember 1998 45 % (§ 23 Abs. 1 KStG 1996). Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1999 wurde der Steuersatz auf 40 % gesenkt (Art. 5 Nr. 9 Buchstabe a und Art. 18 Abs. 1 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999, BGBl I S. 402 <484, 496>).

3

Die Absenkung allein hätte bei Ausschüttung solcher Gewinne an Gesellschafter, die selbst der Körperschaftsteuer unterlagen, wie etwa die Muttergesellschaft in einem Konzernverbund, ein "Herabschleusen" der Körperschaftsteuerbelastung von 45 % auf 40 % ermöglicht. Die Gesellschafter hätten nach dem damals geltenden Anrechnungsverfahren (vgl. dazu BVerfGE 125, 1 <2 ff.>) die höhere, von der Tochtergesellschaft bereits abgeführte Körperschaftsteuer auf die eigene Steuerschuld anrechnen können, den eigenen, durch die Ausschüttung erzielten Gewinn aber nur mit dem aktuellen niedrigeren Steuersatz von 40 % versteuern müssen.

4

Zur Verhinderung dieser aus Sicht des Gesetzgebers unerwünschten Gestaltung ergänzte das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 die Vorschrift des § 23 KStG gleichzeitig um einen neuen Absatz 2. Danach waren Gewinnausschüttungen (einschließlich der anrechenbaren Körperschaftsteuer), die anrechnungsberechtigte Körperschaften von Tochtergesellschaften erhalten, statt mit 40 % mit dem bisherigen Steuersatz von 45 % zu besteuern, wenn für diese Ausschüttungen Einkommensteile verwendet wurden, die bisher einer Körperschaftsteuer von 45 % unterlagen (im Folgenden auch als EK 45 bezeichnet). Damit sollte, so die Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 14/23, S. 192 f.), insbesondere bei Konzernen verhindert werden, dass bis Ende 1998 entstandene Gewinne zum Zwecke der Steuerreduktion auf 40 % im Konzern ausgeschüttet werden. Die Erfahrungen mit einer früheren Steuersatzsenkung hätten gezeigt, dass Unternehmen diese Gestaltungsmöglichkeit zur Absenkung der Steuerbelastung bisher versteuerter Gewinne nutzten.

5

Nicht ausgeschlossen war damit die Möglichkeit, dasselbe wirtschaftliche Ergebnis statt mit einer Gewinnausschüttung durch den Formwechsel der Tochterkapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft zu erreichen. Bei einem Formwechsel fällt ein Übernahmegewinn oder -verlust an, der in dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind, und dem Buchwert der Anteile an der übertragenden Körperschaft besteht (§ 14 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 4 UmwStG). Der Übernahmegewinn erhöhte sich unter Geltung des Anrechnungsverfahrens um die von der Kapitalgesellschaft bereits geleistete Körperschaftsteuer (§ 14 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 2 UmwStG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung von Art. 3 Nr. 1 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 [BGBl I S. 2590, 2592]). Er war von den Gesellschaftern der übernehmenden Personengesellschaft als Einkommen nach deren individuellen Verhältnissen zu versteuern. Dabei wurde die Körperschaftsteuer, die auf den Teilbeträgen des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals lastete, auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter der übernehmenden Personengesellschaft angerechnet (vgl. dazu Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG, UmwStG, 4. Aufl. 2006, § 10 UmwStG Rn. 13 ff., § 14 UmwStG Rn. 39). Im Ergebnis konnte die Muttergesellschaft die mit dem Steuersatz von 45 % bereits von der Tochtergesellschaft entrichtete Körperschaftsteuer weiterhin anrechnen, obwohl sie den mit dem Formwechsel erzielten Gewinn nur mit dem niedrigeren aktuellen Steuersatz von 40 % versteuern musste.

6

2. Diese Möglichkeit des Herabschleusens der Steuerbelastung von 45 % auf 40 % wurde erst durch Art. 4 Nr. 6 des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 ausgeschlossen, durch den § 23 Abs. 2 KStG 1999 ein neuer Satz 5 angefügt wurde. Dessen zeitlichen Anwendungsbereich regelte die zur Überprüfung gestellte Vorschrift des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999. Die betroffenen Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes lauteten nach der Ergänzung wie folgt:

§ 23 KStG

(1) Vorbehaltlich des Absatzes 2 beträgt die Körperschaftsteuer 40 vom Hundert des zu versteuernden Einkommens.

(2) 1Für unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften und Personenvereinigungen, deren Leistungen bei den Empfängern zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Einkommensteuergesetzes gehören, beträgt die Körperschaftsteuer 45 vom Hundert der Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Einkommensteuergesetzes zuzüglich der darauf entfallenden Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes, für die der Teilbetrag im Sinne des § 54 Abs. 11 Satz 1 als verwendet gilt. … 5Satz 1 ist entsprechend auf den Anteil am Übernahmegewinn im Sinne des Umwandlungssteuergesetzes anzuwenden, soweit dieser auf Gewinnrücklagen der übertragenden Körperschaft (Teilbetrag im Sinne des § 54 Abs. 11 Satz 1) zuzüglich der darauf lastenden Körperschaftsteuer entfällt.

(3) - (6) …

§ 54 KStG (Schlußvorschriften)

(9) 1§ 23 Abs. 2 Satz 5 in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2601) ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. …

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3. Mit der Abschaffung des Anrechnungsverfahrens hat § 54 Abs. 9 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 seine Bedeutung verloren. § 23 Abs. 2 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 ist durch Art. 3 Nr. 8 des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433 [1453]) mit Wirkung vom 1. Januar 2001 entfallen.

II.

8

1. Das Steuerbereinigungsgesetz 1999 geht auf inhaltsgleiche Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen (BTDrucks 14/1514) und der Bundesregierung (BTDrucks 14/1655) zurück, die in insgesamt 25 Artikeln Änderungen diverser steuerlicher Vorschriften, nicht aber die vorgenannten Änderungen von § 23 und § 54 KStG 1999 enthielten (BTDrucks 14/1514, S. 9).

9

2. Der federführende Finanzausschuss des Bundestages empfahl, die Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 einzufügen. Dadurch sollte verhindert werden - so der Bericht des Finanzausschusses vom 11. November 1999 (BTDrucks 14/2070, S. 23 f.) -, dass über den Umweg der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft, an der Kapitalgesellschaften als Gesellschafter beteiligt sind, eine Steuerentlastung eintrete, die bei Gewinnausschüttungen durch § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG versagt werde. Der angefügte Satz 5 schließe eine Lücke, indem er den Übernahmegewinn ebenso wie die Gewinnausschüttung weiterhin einer Belastung von 45 % unterwerfe.

10

Eine besondere Regelung zum zeitlichen Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Ergänzung in § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 empfahl der Finanzausschuss nicht (vgl. BTDrucks 14/2035, S. 30 - Art. 4 Nr. 9 Buchstabe a). Nach der in dem Gesetzentwurf des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vorgesehenen Fassung von § 54 Abs. 1 KStG 1999 sollte die Neufassung erstmals für den Veranlagungszeitraum 2000 gelten (vgl. BTDrucks 14/1514, S. 9). Entsprechendes war nach der allgemeinen Bestimmung in Art. 25 Abs. 1 StBereinG 1999 vorgesehen, nach der das Steuerbereinigungsgesetz 1999 am 1. Januar 2000 in Kraft treten sollte (vgl. BTDrucks 14/1514, S. 23; BTDrucks 14/2035, S. 72). Damit verblieb eine zeitliche Lücke, da der Körperschaftsteuersatz bereits zum 1. Januar 1999 gesenkt worden war, der von dem Finanzausschuss vorgeschlagene § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 aber erst ein Jahr später gelten sollte.

11

Der Bundestag verabschiedete das Steuerbereinigungsgesetz 1999 in der vom Finanzausschuss empfohlenen Fassung (BTDrucks 14/2035), ohne dass die Ergänzung von § 23 Abs. 2 KStG 1999 um einen neuen Satz 5 in den umfangreichen parlamentarischen Debatten (BT-Plenarprotokoll 14/70, S. 6279 D ff.) ausdrücklich angesprochen wurde.

12

3. Der Bundesrat behandelte das Steuerbereinigungsgesetz 1999 im zweiten Durchgang ebenfalls ohne nähere Auseinandersetzung mit den vorgesehenen Änderungen des Körperschaftsteuergesetzes (vgl. BR-Plenarprotokoll 745, S. 412 ff.). Er verlangte gemäß Art. 77 Abs. 2 GG die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel, in Art. 1 StBereinG 1999 die Nr. 6, 10, 15a und 30 Buchstabe f - hierbei handelte es sich um Änderungen des Einkommensteuergesetzes betreffend die Besteuerung der Erträge von Kapitallebensversicherungen - zu streichen. Der Beschluss lautete wie folgt (BRDrucks 636/99 [Beschluss]):

Der Bundesrat hat in seiner 745. Sitzung am 26. November 1999 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 12. November 1999 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes aus folgendem Grund einberufen wird:

Zu Artikel 1 Nr. 6, 10, 15a und 30 Buchst. f

In Artikel 1 sind die Nummern 6, 10, 15a und 30 Buchst. f zu streichen.

Begründung:

Die Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen führt - entgegen der Gesetzesbegründung - weder zu einer Angleichung der steuerlichen Rahmenbedingungen der privaten Altersvorsorge, noch leistet die Neuregelung einen Beitrag zur Steuervereinfachung.

Die geltende steuerliche Behandlung der privaten Altersvorsorge (z. B. Kapital-Lebensversicherung, Privatrente, AS-Fonds, Sparguthaben) ist von einer Vielzahl spezifischer Besonderheiten und partieller Begünstigungen gekennzeichnet. Punktuelle Korrekturen sind daher nicht geeignet, die steuerliche Gleichbehandlung herzustellen; sie führen allenfalls zu einer steuerlichen Aufwertung der Vorsorgeformen, deren Begünstigungen unangetastet bleiben. Die isolierte Streichung des "Steuerprivilegs" der kapitalbildenden Lebensversicherung lässt keinen systematischen Bezug erkennen und ist deshalb willkürlich.

Die Angleichung der steuerlichen Rahmenbedingungen wie auch mehr Steuergerechtigkeit und Transparenz lassen sich nur im Rahmen einer grundlegenden und systematischen Neuordnung der Altersbesteuerung unter Einbeziehung aller Bereiche der Alterssicherung, d.h. auch der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgungssysteme (Direktzusagen, Pensions- und Unterstützungskassen, Direktversicherungen, Pensionsfonds), verwirklichen. Allerdings sollte für eine grundlegende Reform die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung abgewartet werden.

Die Zurückstellung der geplanten Besteuerung von Kapitallebensversicherungen sollte auch unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Bemühungen zur Haushaltskonsolidierung möglich sein. Steuermehreinnahmen ließen sich wegen der Beschränkung der Neuregelung auf sog. Neuverträge ohnehin nur auf lange Sicht realisieren.

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4. Die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 14/2380) sah zum einen die Streichung der Vorschriften zur Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen vor, wegen derer der Vermittlungsausschuss einberufen worden war (Art. 1 Nr. 6, 10, 15a und 30 Buchstabe f StBereinG 1999). Zum anderen fanden sich darin zahlreiche weitere Änderungen und Ergänzungen des Steuerbereinigungsgesetzes 1999, die unterschiedliche Regelungsbereiche betrafen und keinen sachlichen Bezug zur Besteuerung von Kapitallebensversicherungen aufwiesen. In den Erörterungen des Vermittlungsausschusses waren sie als "technische Änderungen" bezeichnet worden, auf die man sich in nicht protokollierten Gesprächen geeinigt habe (vgl. Stenografisches Protokoll der Fortsetzung der 2. Sitzung des Vermittlungsausschusses am 15. Dezember 1999, S. 30). Hierzu zählte die Einfügung eines neuen Buchstaben f in Art. 4 Nr. 9 StBereinG 1999, der die Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs um die zur Prüfung vorgelegte Vorschrift des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 ergänzte.

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5. Der Bundestag nahm die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses am 16. Dezember 1999 an (BRDrucks 731/99). Der Bundesrat stimmte dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 in der geänderten Fassung am 17. Dezember 1999 zu (BRDrucks 731/99 [Beschluss]). Das Gesetz wurde am 22. Dezember 1999 ausgefertigt und am 29. Dezember 1999 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl I S. 2601).

III.

15

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine GmbH, war im Streitjahr 1999 als geschäftsleitende Holding Alleingesellschafterin unter anderem von fünf Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH, die an verschiedenen Orten jeweils ein Einrichtungshaus betrieben. Die fünf Tochtergesellschaften wandelten sich aufgrund entsprechender Beschlüsse am 14. Dezember 1999 durch Formwechsel gemäß §§ 190 ff. UmwG zum steuerlichen Umwandlungsstichtag 31. Dezember 1999 in Kommanditgesellschaften (GmbH & Co. KG) um, an denen die Klägerin nunmehr die Kommanditbeteiligungen hielt. Die jeweils für die Tochtergesellschaften zuständigen Finanzämter stellten die auf die Klägerin entfallenden umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinne beziehungsweise -verluste und die anzurechnende Körperschaftsteuer gesondert fest. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens - das für die Klägerin zuständige Finanzamt - ermittelte die in den Übernahmegewinnen der Klägerin enthaltenen Einnahmen aus EK 45, also dem Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals, der aus Einkommensbestandteilen entstanden ist, die einem Körperschaftsteuersatz von 45 % unterlagen, auf zuletzt rund 21 Mio. DM und unterwarf diesen Betrag im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer 1999 gemäß § 23 Abs. 2 Satz 5, § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 einem Steuersatz von 45 %. Auf dieser Grundlage erfolgte auch die Feststellung der Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals der Klägerin zum 31. Dezember 1999.

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2. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor dem Finanzgericht Münster Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1999 sowie gegen die Feststellung der Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals und begehrte die Besteuerung des Übernahmegewinns mit dem niedrigeren Steuersatz von 40 %. Sie machte unter anderem geltend, die rückwirkende Anwendung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 verstoße gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Rechtsstaatsprinzip. Zudem sei die nachträgliche Einführung der rückwirkenden Anwendung dieser Vorschrift im Vermittlungsverfahren formell verfassungswidrig.

17

Das Finanzgericht Münster wies die Klage durch Urteil vom 28. Januar 2005 - 9 K 1514/02 K, F - als unbegründet ab. Die rückwirkende Anwendung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 zum 1. Januar 1999 sei verfassungsgemäß. Es handle sich im Streitfall nur um eine unechte Rückwirkung und im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiege das Änderungsinteresse des Gesetzgebers den Vertrauensschutz der Klägerin. § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 sei in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen. Der Vermittlungsausschuss, auf dessen Einigungsvorschlag die Regelung beruhe, habe die seinen Empfehlungen gesetzten Grenzen nicht überschritten und sich kein - ihm nicht zustehendes - Gesetzesinitiativrecht angemaßt. Die Einführung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 habe bereits der Bundestag beschlossen. Der Vermittlungsausschuss habe lediglich auf den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Norm Einfluss genommen. Dies sei in der Regel eine bloße Modifikation. Der Zulässigkeit des Vermittlungsvorschlags stehe auch nicht entgegen, dass sich das Anrufungsbegehren nur auf bestimmte Fragen der Einkommensteuer bezogen habe.

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3. Auf die Revision der Klägerin des Ausgangsverfahrens setzte der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. August 2008 das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt. Die Vorschrift sei nach der Überzeugung des vorlegenden Senats nicht in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen.

19

Auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 Satz 5, § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 wäre die Revision unbegründet; sie wäre daher - die Verfassungsmäßigkeit des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 unterstellt - zurückzuweisen. Die Einfügung dieser Gesetzesbestimmung verstoße indes gegen das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts (Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG), weil sie auf einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat beruhe, welche die diesem von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen überschreite.

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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe der Vermittlungsausschuss eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibe. Er sei somit an den Gegenstand des Anrufungsbegehrens und an den Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen in Bundestag und Bundesrat inhaltlich und formal gezogen sei, und dürfe keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleibe. Diese Beschränkung entspreche der Funktion des Vermittlungsausschusses, der nicht eigenständig Gesetzesvorlagen einbringen dürfe, sondern nur eine Brücke zwischen schon innerhalb der Gesetzgebungsorgane erörterten Alternativen schlagen solle. Überschreite der Vermittlungsausschuss die dergestalt gezogenen Grenzen seiner Befugnisse, so sei ein hierauf beruhendes Gesetz nicht ordnungsgemäß zustande gekommen.

21

b) Hieran gemessen habe der Vermittlungsausschuss mit dem Vorschlag der in § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 getroffenen Regelung die ihm von der Verfassung gesetzten Grenzen überschritten.

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aa) Der Bundesrat habe den Vermittlungsauftrag zum Steuerbereinigungsgesetz 1999 konkret beschrieben und konkretisiert. Dieser habe ausschließlich die Änderungen des Einkommensteuergesetzes betreffend die Einführung einer Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen umfasst, die der Bundesrat abgelehnt und deren Streichung er im Anrufungsbegehren verlangt habe. Die eine Detailfrage des Körperschaftsteuerrechts betreffende Thematik der Besteuerung von umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinnen stehe in keinerlei inhaltlicher Beziehung zu der Problematik der Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen und der damit zusammenhängenden, übergeordneten Materie der steuerlichen Rahmenbedingungen der privaten Altersvorsorge. Es handle sich um zwei thematisch gänzlich verschiedene Bereiche, die keine Wechselwirkungen zeitigten.

23

Das vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagene zeitliche Vorziehen der höheren Besteuerung der Übernahmegewinne habe offenkundig auch nicht auf einem Entgegenkommen des Bundesrates beruht, zu dem dieser gleichsam als Gegenleistung für die durchgesetzte Streichung der Besteuerung von Kapitallebensversicherungen bereit gewesen sei. Aus den Plenarprotokollen und sonstigen Gesetzesmaterialien ergebe sich kein Anhalt dafür, dass die Besteuerung der Übernahmegewinne überhaupt jemals Gegenstand einer politischen Kontroverse innerhalb von Bundestag und Bundesrat beziehungsweise zwischen diesen beiden Gesetzgebungsorganen gewesen sei. Auch habe die Streichung des geplanten Einstiegs in eine Besteuerung der Erträge von Kapitallebensversicherungen nicht zu kurzfristigen Steuerausfällen geführt, die einer anderweitigen fiskalischen Kompensation bedurft hätten. Die vom Bundestag beschlossene Besteuerung habe sich nämlich nur auf neu abgeschlossene Lebensversicherungsverträge bezogen und hätte folglich erst auf lange Sicht zu Mehreinnahmen führen können.

24

Es spreche deshalb alles dafür, dass der Vermittlungsausschuss das Vermittlungsverfahren über das Anrufungsbegehren hinausgehend zum Anlass genommen habe, das gesamte Gesetzesvorhaben auf seine Stimmigkeit und Effizienz zu prüfen, und er dabei festgestellt habe, dass die mit der geplanten Einführung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 beabsichtigte Lückenschließung zur größtmöglichen Effektivität eines zeitlichen Vorziehens auf den laufenden Veranlagungszeitraum bedurft habe. Diese Vorgehensweise des Vermittlungsausschusses zeige sich insbesondere daran, dass seine Beschlussempfehlung außer der streitgegenständlichen Ergänzung des Körperschaftsteuergesetzes noch Vorschläge zur Änderung und Ergänzung einer Anzahl weiterer Gesetze (z.B. Umsatzsteuergesetz, Kraftfahrzeugsteuergesetz) enthalte, die ebenfalls keinen inhaltlichen Bezug zum Gegenstand des Vermittlungsauftrags aufwiesen.

25

bb) Der Vermittlungsausschuss habe sich mit seiner Beschlussempfehlung zur Einfügung von § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 mithin außerhalb der seine Anrufung auslösenden Auffassungsunterschiede zwischen Bundestag und Bundesrat bewegt und damit seine Befugnisse überschritten. Diese sähen es nicht vor, dass der Vermittlungsausschuss seine Anrufung dazu nutze, das geplante Gesetzesvorhaben außerhalb der Materie des hier vorliegenden konkret eingegrenzten Anrufungsbegehrens einer Kontrolle auf Stimmigkeit, Zweckmäßigkeit und Effizienz zu unterziehen. Damit fungiere der Vermittlungsausschuss nicht mehr als Brücke zwischen Bundesrat und Bundestag, sondern als in der Verfassung nicht vorgesehene legislative Qualitätskontrollinstanz. Mangels Grundlage in der Verfassung könne ihm eine solche Funktion auch nicht aus Gründen der Effizienz des Gesetzgebungsverfahrens zugebilligt werden.

26

Dem Finanzgericht könne nicht gefolgt werden, soweit es zwischen bloßen Ergänzungen beziehungsweise Modifikationen bereits beschlossener Regelungen (die dem Vermittlungsausschuss auch außerhalb des Anrufungsgegenstandes erlaubt seien) und der originären Kreation eines eigenständigen Normgefüges (das der Gesetzesinitiative der dazu von Verfassungs wegen berufenen Gremien vorbehalten bleibe) differenziere. Der Veränderung und Modifikation vorhandener Gesetze kämen in gleicher Weise Gesetzesqualität zu wie der erstmaligen Schaffung neuer Gesetze. Die Komplexität der jeweils vorgeschlagenen Normen und die für die Normgebung erforderliche Kreativität des Normgebers seien keine tauglichen Abgrenzungskriterien für die Zuständigkeit zur Gesetzesinitiative. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe der Vermittlungsausschuss Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen des Gesetzesbeschlusses nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibe.

27

c) Das nicht verfassungsgemäße Zustandekommen des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 führe zur Nichtigkeit der Norm. An der erforderlichen Evidenz des Verfassungsverstoßes fehle es nicht. In dem Gesetzgebungsverfahren hätten die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 297) entwickelten und konkretisierten Maßstäbe beachtet werden können. Das Bundesverfassungsgericht habe am gleichen Tag eine ausführliche Pressemitteilung mit entscheidenden Auszügen aus den Urteilsgründen veröffentlicht. Die Maßstäbe des Urteils zu den Grenzen der Initiativbefugnisse des Vermittlungsausschusses hätten demnach bis zum 15. Dezember 1999, als der Vermittlungsausschuss seine Beschlussempfehlung zum Steuerbereinigungsgesetz 1999 abgegeben habe, beziehungsweise bis zu den Folgetagen, als Bundestag und Bundesrat der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zugestimmt hätten, von den an der Gesetzgebung Beteiligten noch berücksichtigt werden können. Dabei komme es nicht darauf an, dass dem Urteil - anders als vorliegend - ein offenes, nicht konkretisiertes Anrufungsbegehren zugrunde gelegen habe. Denn in dem Urteil (und in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts) werde ausdrücklich und unmissverständlich der "Rahmen des Anrufungsbegehrens" als Grenze für die Vermittlungstätigkeit hervorgehoben. Dass diese Grenze im Urteilsfall selbst nicht relevant geworden sei, sei demgegenüber nicht von entscheidender Bedeutung.

28

d) Wegen der dargelegten Unvereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 76 Abs. 1 GG könne offenbleiben, ob und inwieweit § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig sei.

IV.

29

Zu dem Vorlagebeschluss hatten die Bundesregierung, der Bundestag, der Bundesrat, alle Landesregierungen, der Präsident des Bundesfinanzhofs und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme.

30

Geäußert hat sich das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung. Nach seiner Auffassung ist § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 vor dem Hintergrund der damals bekannten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in formell verfassungsgemäßer Weise zustande gekommen. Insbesondere liege keine evidente Überschreitung der Kompetenzen des im Gesetzgebungsverfahren für das Steuerbereinigungsgesetz 1999 angerufenen Vermittlungsausschusses vor, die zu einer Verletzung der Rechte der Abgeordneten oder des Grundsatzes der Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte geführt habe.

31

Die konkreten Rechte des Vermittlungsausschusses seien jedenfalls bis zur Entscheidung vom 7. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 297) verfassungsrechtlich - ausdrücklich - nicht abschließend geklärt gewesen. So sei dem Vermittlungsausschuss um der Effizienz der Gesetzgebung willen unter anderem die Aufgabe zugestanden worden, das Gesetzgebungsziel soweit wie möglich zu verwirklichen, ohne auf der Grundlage einer erneuten Gesetzesinitiative das Gesetzgebungsverfahren nochmals durchlaufen zu müssen. Auch sei es nicht generell als Verstoß gegen das Grundgesetz angesehen worden, dass der Vermittlungsausschuss in seinen Einigungsvorschlag Gesetzentwürfe einbezogen habe, die nicht Gegenstand des Anrufungsbegehrens gewesen seien.

32

Der Gesetzgeber habe vor dem Hintergrund dieser noch nicht abschließenden Rechtsprechung davon ausgehen können, dass es im vorliegenden Fall im Hinblick auf § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999, der den zuvor im Gesetzgebungsverfahren eingeführten § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 im Sinne des Willens des Gesetzgebers lediglich klarstellend habe ergänzen sollen, nicht zu einer Überschreitung der Rechte des Vermittlungsausschusses und einer Verletzung der Rechte der Abgeordneten sowie des Grundsatzes der Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte gekommen sei.

33

1. Der Vermittlungsausschuss habe mit der Regelung des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 nicht eigenständig einen vollständig neuen Regelungsinhalt in ein Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Vielmehr sei der Regelung des § 23 Abs. 2 KStG nach ihrem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers, eine bestehende Gesetzeslücke ohne zeitlichen Verzug zu schließen, inhärent, dass sie erstmalig bereits ab dem Veranlagungszeitraum 1999 zur Anwendung komme.

34

a) Die durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 eingeführte Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 führe nur in Verbindung mit einer zeitlichen Anwendung ab dem Veranlagungszeitraum 1999, wie sie § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 festlege, zu einer folgerichtigen Umsetzung des Gesetzeswillens im Bereich der körperschaftsteuerlichen Behandlung von empfangenen Ausschüttungen. § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 sei insoweit als lediglich formale Regelung der zeitlichen Anwendung zu sehen, die im Regelungsgehalt des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 nach seinem Sinn und Zweck bereits angelegt sei und keinen vollständig neuen Regelungsinhalt einführe.

35

Durch die Absenkung des allgemeinen Steuersatzes für Gewinne einer Körperschaft von 45 % auf 40 % und die gleichzeitige Einführung der Sonderregelung des § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ab dem Veranlagungszeitraum 1999 habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass Gewinne einer Körperschaft, die auf Gewinnausschüttungen anderer Körperschaften beruhten, bei denen diese Beträge einer Körperschaftsteuerbelastung von 45 % unterlegen hätten, nicht in den Genuss des geringeren allgemeinen Steuersatzes gelangen sollten. Damit seien insbesondere Gestaltungen in Konzernen unterbunden worden, die andernfalls durch bloßes konzerninternes Umschichten von thesaurierten Gewinnen beziehungsweise Gewinnrücklagen in den Genuss einer Steuersenkung gekommen wären. Der Gesetzgeber des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 habe seine Intention zum Ausdruck gebracht, dass § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG ab dem Veranlagungszeitraum 1999 anwendbar sein müsse, um eine Steuerentlastung auf 40 % in den genannten Fällen zu verhindern.

36

In Ergänzung zu der bestehenden Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG sei mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 durch § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 eine Regelung eingeführt worden, nach welcher der erhöhte Steuersatz von 45 % auch für den Teil des sogenannten Übernahmegewinns anzuwenden sei, der auf Gewinnrücklagen entfalle, die den in § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 genannten Teilbeträgen entsprächen. Mit dieser ergänzenden Regelung habe der Gesetzgeber in folgerichtiger Ausgestaltung der vorstehenden Grundsätze eine bisher von § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 nicht abgedeckte gesetzliche Lücke geschlossen. Aus Gleichheitsgesichtspunkten wäre kaum begründbar gewesen, eine Herabschleusung der Steuerbelastung von 45 % auf 40 % bezogen auf "Altgewinne" im Falle einer Ausschüttung mittels § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 zu verhindern, dieses Ergebnis aber im Fall einer Umwandlung zuzulassen.

37

Im Steuerbereinigungsgesetz 1999 in der Fassung des ursprünglichen Gesetzesbeschlusses sei zwar keine gesonderte zeitliche Anwendungsregelung vorgesehen gewesen. Allgemein sei der Veranlagungszeitraum 2000 als erstmaliger Anwendungszeitpunkt vorgesehen worden. Zur folgerichtigen Umsetzung des gesetzgeberischen Willens, eine bestehende Gesetzeslücke zu schließen, sei es aber gerade zwingend, dass § 23 Abs. 2 Satz 1 und Satz 5 KStG zeitgleich erstmalig Anwendung fänden. Andernfalls wären tatsächliche Ausschüttungen von "Altgewinnen" und deren "Ausschüttung" im Wege der Umwandlung im Veranlagungszeitraum 1999 unterschiedlich und erst ab dem Veranlagungszeitraum 2000 gleich behandelt worden. Die erstmalige Anwendung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 für den Veranlagungszeitraum 1999 sei damit in dieser Norm nach ihrem Sinn und Zweck bereits angelegt gewesen. § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Vorschlags des Vermittlungsausschusses habe diesen Willen letztendlich rein formal klargestellt, ohne einen vollständig neuen und unabhängigen Regelungsinhalt einzuführen.

38

b) Es sei bereits im Gesetzgebungsverfahren bekannt gewesen, dass mit der Änderung des § 23 Abs. 2 KStG 1999 und der Hinzufügung des Satzes 5 zur effektiven Erfüllung des Willens des Gesetzgebers zwingend die zeitliche Anwendung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 verbunden gewesen sei. Aus der Begründung des Finanzausschusses für die Änderung von § 23 Abs. 2 KStG gehe hervor, dass die Hinzufügung des neuen Satzes 5 als Ergänzung zu § 23 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 KStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 zu sehen sei, um eine bestehende Gesetzeslücke in Bezug auf die körperschaftsteuerliche Behandlung von Ausschüttungen bei der Umwandlung von Personengesellschaften in folgerichtiger Weise zu schließen. Dabei werde - anders als der Bundesfinanzhof es in seiner Vorlagebegründung dargestellt habe - ausdrücklich die zeitliche Komponente der Anwendung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 in Bezug genommen. Das Bundesministerium der Finanzen zitiert dazu aus dem Bericht des Finanzausschusses vom 11. November 1999 (BTDrucks 14/2070, S. 23 f.):

…§ 23 Abs. 2 Satz 1 bis 4 KStG soll im Wesentlichen verhindern, dass die Entlastung von 45 v.H. auf 40 v.H. Körperschaftsteuer für bis zum 31. Dezember 1998 entstandene Gewinne in Konzernfällen durch Ausschüttung an die Muttergesellschaft herbeigeführt wird […]

Die Herabschleusung der Belastung von 45 v.H. auf 40 v.H. kann außer durch Ausschüttung auch durch Umwandlung in eine Personengesellschaft erreicht werden. Soweit an der Personengesellschaft wiederum Kapitalgesellschaften als Gesellschafter beteiligt sind, würden sie den Übernahmegewinn im Sinne des § 4 Abs. 4 und 5 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) nach allgemeinen Regeln mit dem Tarif von 40 v.H. versteuern, die auf Ebene der umgewandelten Kapitalgesellschaft entstandene Körperschaftsteuer von 45 v.H. wäre gemäß § 10 UmwStG anzurechnen. Der angefügte Satz 5 schließt die Lücke, indem er den Übernahmegewinn einer Belastung von 45 v.H. unterwirft. (Hervorhebung durch Bundesministerium der Finanzen)

39

Aus dieser Begründung gehe - unter anderem wegen der Verwendung des Konjunktivs - eindeutig hervor, dass der Gesetzgeber die gesetzliche Lücke nicht mit einem zeitlichen Verzug habe schließen wollen, sondern unmittelbar ab dem Veranlagungszeitraum 1999.

40

Der Regelungsinhalt des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 sei den Abgeordneten daher durch die Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 und deren Begründung bereits vor der letzten Lesung und dem Gesetzesbeschluss im Bundestag bekannt gewesen. Damit sei die zeitliche Anwendungsregelung, wie sie später in § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 formal klargestellt worden sei, Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens gewesen und jedenfalls dem Grunde nach in diesem Verfahren erkennbar geworden.

41

c) Die Aufnahme von § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in das Steuerbereinigungsgesetz 1999 habe den damals bekannten verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprochen.

42

Das Bundesverfassungsgericht habe dem Vermittlungsausschuss in seinem Beschluss vom 13. Mai 1986 (BVerfGE 72, 175 <190>; bestätigt durch BVerfGE 78, 249 <271>) gerade bei heterogenen Artikelgesetzen wie dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 einen weiten Vermittlungsrahmen zugestanden. Nach seiner zu jener Zeit vertretenen Auffassung sei der Spielraum für Alternativ- und Ergänzungsvorschläge im Vermittlungsverfahren umso weiter gewesen, je umfassender die Materie und das Regelungsziel des Gesetzesbeschlusses gewesen seien. Dass in jenem Fall das Anrufungsbegehren zu dem Vermittlungsverfahren inhaltlich nicht begrenzt worden sei, habe das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich zu einer zwingenden Bedingung für die Einbeziehung von Ergänzungsregelungen in das Vermittlungsverfahren gemacht. Vielmehr habe das Gericht es allgemein nicht als Verfassungsverstoß angesehen, dass der Vermittlungsausschuss in seinen Einigungsvorschlag Gesetzentwürfe einbezogen habe, die nicht Gegenstand des Anrufungsbegehrens gewesen seien.

43

Es habe einen inneren Zusammenhang einer vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Regelung zum Gesetzgebungsverfahren genügen lassen, wenn die Regelung zumindest nahegelegen habe. Dabei habe es sich - anders als im vorliegenden Fall - nicht lediglich um eine klarstellende Ergänzungsregelung, sondern um eigenständige Norminhalte gehandelt. Der Gesetzgeber habe daher davon ausgehen können, dass die rein klarstellende Ergänzungsregelung des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999, die dem zuvor ausgedrückten Gesetzeswillen entsprochen habe, erst recht durch den Vermittlungsausschuss mit habe einbezogen werden können.

44

Das Bundesverfassungsgericht habe zudem als Zweck des Vermittlungsverfahrens anerkannt, das Gesetzgebungsziel um der Effizienz der Gesetzgebung willen soweit wie möglich zu verwirklichen, ohne auf der Grundlage einer erneuten Gesetzesinitiative, die den Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat Rechnung trage, das Gesetzgebungsverfahren nochmals durchlaufen zu müssen. Das wäre jedoch bezüglich der zuvor unberücksichtigt gebliebenen Anpassung des § 54 KStG im Hinblick auf die Einfügung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG notwendig gewesen. Eine eigenständige Gesetzesvorlage sowie ein unabhängiges Gesetzgebungsverfahren allein für § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 wäre nicht nur ineffizient gewesen, sondern hätte auch eine Verabschiedung noch im Jahr 1999 unmöglich gemacht. Damit wäre die Norm insbesondere aus Rückwirkungsgesichtspunkten hinfällig gewesen, was dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprochen hätte.

45

2. Zum Zeitpunkt der Anrufung des Vermittlungsausschusses habe für den Gesetzgeber kein Anlass bestanden, von engeren Grenzen in Bezug auf das Vermittlungsverfahren auszugehen. Aber auch nach Veröffentlichung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 297) habe der Gesetzgeber jedenfalls in Bezug auf das laufende Vermittlungsverfahren von nichts anderem ausgehen können.

46

Der Vermittlungsausschuss habe seine Beschlussempfehlung am 15. Dezember 1999 abgegeben, also wenige Tage nach dem Bekanntwerden des Urteils. Das Vermittlungsverfahren sei zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten gewesen. Die Regelung des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999, die nicht weiter strittig beraten worden sei, habe von vornherein dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, so dass auch in Anbetracht des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 keine Veranlassung bestanden habe, hierfür ein erneutes eigenständiges Gesetzgebungsverfahren ins Leben zu rufen. Da dies auch zeitlich kaum durchführbar gewesen wäre, hätte ein solches Vorgehen dem Willen des Gesetzgebers widersprochen.

47

Die im Urteil vom 7. Dezember 1999 aufgestellten Vorgaben für ein formal ordnungsgemäßes Vermittlungsverfahren bezögen sich insgesamt auf Form, Art und Weise der Behandlung einer Materie vor Anrufung des Vermittlungsausschusses. Sie mäßen dem Anrufungsbegehren eine wesentlich entscheidendere, einschränkendere Rolle zu, als sich dies aus der zuvor bekannten Rechtsprechung ergeben habe. Der Vermittlungsausschuss sei aber schon vor Bekanntwerden des Urteils angerufen worden, die neuen Vorgaben hätten bei seiner Anrufung also gar nicht beachtet werden können. Hieraus könne dem Gesetzgeber im Nachhinein kein Vorwurf gemacht werden. Er müsse ein unter Berücksichtigung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Vorgaben begonnenes Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß zu Ende bringen können.

48

Darüber hinaus sei den beteiligten Organen ausreichend Zeit zuzubilligen gewesen, um die Auswirkungen des Urteils vom 7. Dezember 1999 auch in Abstimmung mit den zuständigen Ressorts einzuschätzen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Bundesverfassungsgericht erst im Beschluss vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 56 <80>) sein Urteil vom 7. Dezember 1999 bekräftigt und ausdrücklich als den Maßstab erkannt habe, mit dem die Grundsätze für ein formal ordnungsgemäßes Vermittlungsverfahren abschließend konkretisiert worden seien. Dass insoweit auf Seiten des Gesetzgebers auch nach dem Urteil vom 7. Dezember 1999 noch Unsicherheiten bestanden hätten, belege die neuerliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 8. Dezember 2009 (BVerfGE 125, 104).

B.

49

Die Vorlage ist zulässig.

50

Der Vorlagebeschluss wird den Anforderungen aus Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gerecht. Der Bundesfinanzhof hat den Regelungsinhalt sowie die Entscheidungserheblichkeit der Norm herausgearbeitet und seine Auffassung von der Verfassungswidrigkeit der Norm unter Berücksichtigung des ihr zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens in Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nachvollziehbar begründet (vgl. zu den Anforderungen insgesamt BVerfGE 141, 1 <10 f. Rn. 22 f.> m.w.N.).

51

Auch wenn eine zur Prüfung vorgelegte Norm unter unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Bedenken aufwirft, muss der Vorlagebeschluss die Begründungsanforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur hinsichtlich eines Verfassungsverstoßes erfüllen (vgl. BVerfGE 49, 260 <270 f.>; 66, 214 <222>; 67, 1 <11>; 120, 56 <80 f.>). Das ist in Bezug auf die Überschreitung der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses der Fall. Es ist deshalb unschädlich, dass der Vorlagebeschluss ausdrücklich offenlässt, ob § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist.

C.

52

§ 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 ist unter Überschreitung der durch Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG dem Vermittlungsausschuss eingeräumten Kompetenzen zustande gekommen und deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar.

I.

53

Die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses (Art. 77 Abs. 2 GG) und ihre Grenzen sind in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergeben sich aber aus seiner Funktion und Stellung in dem gemäß dem Grundgedanken des Art. 20 Abs. 2 GG durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 77 ff. GG ausgestalteten Gesetzgebungsverfahren und sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (BVerfGE 101, 297 <306 ff.>; 120, 56 <73 ff.>; 125, 104 &