BVerfG 2. Senat 2. Kammer, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.07.2019, 2 BvR 1327/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1327/18 (BVerfG)

vom 17. Juli 2019 (Mittwoch)


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Stattgebender Kammerbeschluss: Verlust der Staatsangehörigkeit eines Kindes infolge Vaterschaftsanfechtung gem § 1600 Abs 1 Nr 1 BGB vor der Neuregelung des § 17 RuStAG im Jahr 2009 verletzt Gesetzesvorbehalt des Art 16 Abs 1 S 2 GG

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2018 - BVerwG 1 C 1.17 -, das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 - 13 LC 21/15 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 11. Februar 2015 - 11 A 2497/14 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben und die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen haben der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu gleichen Teilen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob eine Vaterschaftsanfechtung durch den rechtlichen Vater zugleich die anfangs durch den rechtlichen Vater vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit beseitigt.

I.

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1. Die Beschwerdeführerin wurde im Jahr 2004 in Deutschland geboren. Ihre Mutter, eine serbische Staatsangehörige, hielt sich seit 1994 auf der Grundlage ausländerrechtlicher Duldungen im Bundesgebiet auf. Im Mai 2014 wurde der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt.

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2. Bereits vor der Geburt der Beschwerdeführerin hatte ein deutscher Staatsangehöriger mit Zustimmung der Kindesmutter die Vaterschaft anerkannt. Nachdem beim Landkreis Wittmund Zweifel an der (biologischen) Vaterschaft aufgekommen waren, erklärte der Vater im Juni 2004 gegenüber der Ausländerbehörde, dass er nicht der leibliche Vater der Beschwerdeführerin sei. Auf eine von ihm erhobene Vaterschaftsanfechtungsklage entschied das Amtsgericht Wittmund nach Einholung eines Abstammungsgutachtens mit rechtskräftigem Urteil vom 3. November 2005, dass die Beschwerdeführerin nicht seine Tochter sei. Bereits im März 2005 hatte ein serbisch-montenegrinischer (heute serbischer) Staatsangehöriger die Vaterschaft hinsichtlich der Beschwerdeführerin anerkannt.

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3. Im März 2014 beantragte die Beschwerdeführerin beim Landkreis Wittmund, gemäß § 30 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) festzustellen, dass sie deutsche Staatsangehörige sei (unter Verweis auf BVerfGE 135, 48 ff.).

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4. Mit Bescheid vom 12. Juni 2014 stellte der Landkreis nach Anhörung der Beschwerdeführerin fest, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitze. Die zunächst durch Abstammung von einem deutschen Vater im Rechtssinne erworbene deutsche Staatsangehörigkeit sei mit der Vaterschaftsanfechtung rückwirkend wieder entfallen. Der zitierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts betreffe nur die Behördenanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, nicht die vorliegende Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

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5. Die hiergegen gerichtete Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit wies das Verwaltungsgericht Oldenburg mit angegriffenem Urteil vom 11. Februar 2015 ab.

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6. Die dagegen eingelegte Berufung wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht durch angegriffenes Urteil vom 7. Juli 2016 zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die durch Geburt zunächst erworbene deutsche Staatsangehörigkeit sei mit der rechtskräftigen negativen Vaterschaftsfeststellung gemäß § 1599 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt wieder entfallen. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verstoße nicht gegen Art. 16 Abs. 1 GG. Es handele sich nicht um eine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG), denn der Verlust habe weder Diskriminierungswirkung, noch habe die zu diesem Zeitpunkt erst ein Jahr und neun Monate alte Beschwerdeführerin die Staatsangehörigkeit in einem Alter verloren, in dem Kinder normalerweise bereits ein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und ein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt hätten. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen zulässigen Verlust der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG seien erfüllt. Er finde seine Grundlage in § 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 Abs. 1 BGB in der 2005 geltenden Fassung. Diese Regelungen seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" eine hinreichend bestimmte Schranke im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (unter Verweis auf BVerfGK 9, 381 ff.). § 4 Abs. 1 StAG enthalte insoweit nicht nur eine Rechtsgrundlage für den Erwerb der Staatsangehörigkeit, sondern zugleich auch eine Verlustgrundlage. Abweichende Ausführungen in dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Behördenanfechtung (BVerfGE 135, 48 ff.) bezögen sich auf einen anderen Anwendungsfall des § 4 Abs. 1 StAG und seien daher nicht übertragbar. Trotz gewisser Einwirkungen der Ausländerbehörde auf den "Scheinvater" handele es sich hier auch nicht um eine "verkappte" Behördenanfechtung. Vielmehr habe die durch den "Scheinvater" erklärte Anfechtung auf dessen freiem Willensentschluss beruht. Die Beschwerdeführerin sei auch nicht staatenlos geworden, weil sie durch Geburt von ihrer Mutter die serbische Staatsangehörigkeit erworben habe. Ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG liege nicht vor, weil dieses auf die nachkonstitutionelle Regelung, die eine im vorkonstitutionellen Recht enthaltene Grundrechtseinschränkung wiederhole, bereits nicht anwendbar sei. Auch Unionsrecht sei hier nicht deshalb verletzt, weil die Beschwerdeführerin mit der deutschen Staatsangehörigkeit zugleich die Unionsbürgerschaft verloren habe. Der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt, denn die Beschwerdeführerin habe die Unionsbürgerschaft nicht einmal zwei Jahre lang besessen und in diesem jungen Alter noch kein Vertrauen auf deren Bestand bilden können. Da die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts nicht zweifelhaft sei, bedürfe es keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

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7. Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügte die Beschwerdeführerin vor allem die Verletzung von Art. 16 Abs. 1 GG. Es liege eine unzulässige Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit vor. Das Oberverwaltungsgericht habe bei der Definition der "Entziehung" Maßstäbe zugrunde gelegt, die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abwichen; insbesondere habe es unzutreffend auf das Erreichen eines bestimmten Alters abgestellt. Entscheidend sei die fehlende beziehungsweise unzumutbare Beeinflussbarkeit des Fortfalls der deutschen Staatsangehörigkeit im familiengerichtlichen Verfahren. Die Annahme eines Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit verstoße auch gegen den Gesetzesvorbehalt (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG) und das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts handele es sich bei dem Staatsangehörigkeitsgesetz, das zahlreichen Änderungen unterworfen gewesen sei, nicht um eine vorkonstitutionelle Regelung. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung strenge Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt gestellt und auch das Zitiergebot für einschlägig gehalten, obwohl im deutschen Recht bereits von 1938 bis 1961 eine behördliche Vaterschaftsanfechtung vorgesehen gewesen sei. Die Revision sei auch mit der Verfahrensrüge begründet, weil das Oberverwaltungsgericht es unterlassen habe, den Rechtsstreit zur Klärung der aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

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8. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision mit angegriffenem Urteil vom 19. April 2018, zugestellt am 4. Juni 2018, zurück. Für den Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes sei auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Eintritts der jeweiligen Voraussetzungen abzustellen. Die durch Geburt zunächst erworbene deutsche Staatsangehörigkeit sei mit der rechtskräftigen negativen Vaterschaftsfeststellung gemäß § 1599 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt wieder entfallen.

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Der rückwirkende Wegfall des Staatsangehörigkeitserwerbs greife zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG ein. Es liege jedoch keine Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG vor, weil die Beschwerdeführerin noch in einem Alter gewesen sei, in dem sie kein eigenes Bewusstsein einer Staatsangehörigkeit gehabt habe. Zudem sei der Staatsangehörigkeitsverlust bei der Vaterschaftsanfechtung diskriminierungsfrei. Soweit das Bundesverfassungsgericht als Kriterium für eine Entziehung darauf abgestellt habe, ob der Betroffene die Verlustzufügung nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann (unter Verweis auf BVerfGE 116, 24 <44>; 135, 48 ff.), könne im Ergebnis offenbleiben, ob hier eine zumutbare Beeinflussungsmöglichkeit bestanden habe. Diese Frage sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entscheidungserheblich (unter Verweis auf BVerfGK 9, 381 ff.).

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Es liege ferner kein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG vor. § 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 Nr. 2, § 1592 Nr. 2, § 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB stellten eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den Staatsangehörigkeitsverlust dar. Diese genüge Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG und sei hinreichend bestimmt. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG solle Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen sicherstellen. Dieser Zweck sei durch ein mit § 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 Abs. 1 BGB, ergänzt durch zwei unbestrittene "ungeschriebene Rechtsregeln", verbundenes Abhängigbleiben eines nur über den Vater erfolgten Staatsangehörigkeitserwerbs von einem Fortbestehen der rechtlichen Vatereigenschaft im Regelfall nicht gefährdet. Aufgrund ständiger Rechtsprechung sei vorhersehbar und auch für nicht juristisch Vorgebildete einsichtig, dass ein Staatsangehörigkeitserwerb nach dem Vater im Rechtssinne davon abhänge, dass die Vaterschaft nicht erfolgreich angefochten werde. Es gebe einen in § 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 BGB angelegten "Automatismus", wenngleich dabei zwar ungeschriebene, aber unumstrittene Rechtsregeln - die zivilrechtliche Rückwirkung des Vaterschaftsanfechtungsurteils sowie das rückwirkende Entfallen der staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen (unter Verweis auf BVerfGE 135, 48 <79 Rn. 79>) - mitgedacht werden müssten. Dem stehe nicht entgegen, dass § 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 Abs. 1 BGB nicht ausdrücklich als Verlustvorschrift gefasst sei und in der Aufzählung der Verlustgründe in § 17 Abs. 1 StAG nicht enthalten sei. Bei der impliziten Verlustregelung sei es selbst nach der aktuellen, hier noch nicht maßgeblichen Fassung des § 17 Abs. 2 und 3 StAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 geblieben. Davon, dass "Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten" neben § 17 StAG möglich seien, sei auch das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen (vgl. BVerfGE 116, 24 <51 ff.>) ausgegangen, soweit die die Entscheidung tragenden Richter § 48 VwVfG als hinreichende Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidung angesehen hätten. Bei der Vaterschaftsanfechtung durch den "Scheinvater" entspreche es jahrzehntelanger Rechtspraxis und allgemeiner Rechtsüberzeugung, dass die Rechtskraft eines das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellenden Urteils eine Voraussetzung für den Staatsangehörigkeitserwerb rückwirkend beseitige und somit ein Staatsangehörigkeitserwerb aus der ex-post-Betrachtung nicht stattgefunden habe. Die weitergehenden Bestimmtheitsanforderungen aus dem Urteil zur Behördenanfechtung (BVerfGE 135, 48 ff.) rechtfertigten keine andere Beurteilung. Diese Anforderungen folgten aus der größeren Eingriffsintensität einer behördlichen Anfechtung der Vaterschaft, die in die privaten Familienrechtsverhältnisse staatlicherseits eingreife, um die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes zielgerichtet zu beseitigen. Mangels verfassungsrechtlich vergleichbarer Problemstellung und Schutzbedarfe bestehe keine Bindung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Behördenanfechtung (BVerfGE 135, 48 ff.).

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§ 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 Abs. 1 BGB verfehle auch nicht deshalb die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte und verhältnismäßige gesetzliche Verlustgrundlage im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sie keine Altersgrenze für den Verlust vorsehe. Der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verlustgrundlage (§ 4 Abs. 1 StAG in Verbindung mit § 1599 BGB) stehe zudem nicht entgegen, dass diese keine Ausnahme für den Fall ansonsten eintretender Staatenlosigkeit vorsehe. Im konkreten Fall werde die Beschwerdeführerin nicht staatenlos. In anderen Fällen sei eine verfassungskonforme Auslegung möglich. Das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) sei nicht verletzt, weil dessen Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Es handle sich um ein nachkonstitutionelles Gesetz, das eine vorkonstitutionell begründete Grundrechtsbeschränkung fortschreibe beziehungsweise mit geringen Abweichungen wiederhole. Dem mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit einhergehenden Verlust der Unionsbürgerschaft stünden keine unionsrechtlichen Regelungen entgegen. Die durch den EuGH im Urteil "Rottmann" entwickelten Grenzen für den Verlust des Unionsbürgerstatus ließen sich auf den vorliegenden Fall sinngemäß übertragen, ohne dass es eines weiteren Vorabentscheidungsersuchens bedürfe.

II.

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1. Mit ihrer am 4. Juli 2018 fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde, die sie mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe verbindet, wendet sich die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts, des Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts und rügt eine Verletzung von Art. 16 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

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Sie trägt zur Begründung unter Wiederholung der Argumentation aus dem Revisionsverfahren vor, die Entscheidungen verstießen zum einen gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/94 -, BVerfGE 116, 24 ff. eine Entziehung der Staatsbürgerschaft definiert; ein "Erreichen eines bestimmten Alters" enthalte diese Definition nicht. Das Bundesverwaltungsgericht problematisiere, dass Ende 2005 Altersgrenzen für die Entziehung der Staatsangehörigkeit durch die private Vaterschaftsanfechtung gefehlt hätten, meine aber, diese Lücke durch Richterrecht füllen zu können. Im Ergebnis würden durch Richterrecht zwei Klassen von Staatsangehörigkeiten von Kindern geschaffen: oberhalb und unterhalb einer gewissen Altersgrenze. Die Konstruktion einer Altersgrenze, unterhalb derer ein Grundrecht de facto inexistent sei, sei für andere Grundrechte zu Recht völlig indiskutabel. Ohne dass dies so benannt werde, werde eine Situation konstruiert, die zur Schließung einer vermeintlichen Regelungslücke - nämlich des Fehlens einer dem heutigen § 17 Abs. 2 und 3 StAG entsprechenden Regelung Ende 2005 - durch Richterrecht ermächtigen solle. Die Voraussetzungen einer solchen nur ausnahmsweise durch Richterrecht zu füllenden Regelungslücke hätten jedoch nicht vorgelegen. Zum anderen liege auch ein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Das Bundesverwaltungsgericht umgehe den Gesetzesvorbehalt. Der zwingend vorgeschriebene Gesetzesvorbehalt werde reduziert auf eine "Melange" aus teils gesetzlicher Regelung und teils "ungeschriebenen Rechtsregeln", "Automatismus" und einer "jahrzehntelangen Rechtspraxis und allgemeiner Rechtsüberzeugung". Schließlich sei das Zitiergebot verletzt. Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil vom 17. Dezember 2013 - 2 BvL 6/10 -, BVerfGE 135, 48 ff. strenge Anforderungen an das Zitiergebot gestellt. Angesichts der zahllosen Änderungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes überzeuge die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts, es handle sich um ein nachkonstitutionelles Gesetz, das eine vorkonstitutionell begründete Grundrechtsbeschränkung fortschreibe, nicht. Gerade das Staatsangehörigkeitsgesetz sollte durch die Regelung des Art. 16 Abs. 1 GG mehr als andere Gesetze nach dem Willen der Verfassungsgeber der Verfassung unterworfen sein. Schließlich sei der Vorlagepflicht an den EuGH nicht genügt, weshalb der gesetzliche Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen sei.

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2. Das Niedersächsische Justizministerium und namens der Bundesregierung das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

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3. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); die für die Entscheidung des Falls maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 16 Abs. 1 GG genügt die fristgerecht eingegangene Verfassungsbeschwerde insbesondere den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Die Beschwerdeführerin legt unter Befassung mit den angegriffenen Urteilen und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar, dass es vor dem Hintergrund des Verbots der Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG und des Gesetzesvorbehalts nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG unzulässig sei, ihr die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen.

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2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

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Es handelt sich bei der Rechtsfolge, die sich aus der erfolgreichen Anfechtung einer Vaterschaft für die Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes ergibt, wenn dieses seine deutsche Staatsangehörigkeit allein vom Anfechtungskläger herleitet, um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der an Art. 16 Abs. 1 GG zu messen ist. Denn die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft, an der der Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes hängt, beseitigt eine zuvor bestehende deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes und nicht etwa nur den Schein einer solchen (vgl. BVerfGK 9, 381 <383>). Aus der verfassungsrechtlich maßgeblichen Perspektive (vgl. BVerfGE 116, 24 <46>) handelt es sich um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der dem Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG unterfällt (vgl. BVerfGE 135, 48 <59 f. Rn. 24 >; BVerfGK 9, 381 <384>).

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Art. 16 Abs. 1 GG unterscheidet zwischen der Entziehung der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) und einem sonstigen Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG) und stellt an beide Verlustformen unterschiedliche verfassungsrechtliche Anforderungen. Die Entziehung ist nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ausnahmslos verboten. Im Gegensatz dazu kann ein sonstiger Verlust der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG unter Umständen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden (BVerfGE 135, 48 <58 f. Rn. 23>).

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Eine Entziehung der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG liegt nicht vor (a), jedoch verletzen die angegriffenen Urteile den Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (b).

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a) aa) Eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist jede Verlustzufügung, die die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zum Staatsvolk beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 116, 24 <44>; 135, 48 <61 Rn. 28>; BVerfGK 9, 381 <386>).

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Der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Rechtsfolge eintritt, wenn ein Gericht auf Anfechtung hin das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, von der ein Kind den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ableitet, stellt eine solche Beeinträchtigung jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben (vgl. BVerfGK 9, 381 <386>).

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(1) Die Bestimmungen über die Anfechtung der Vaterschaft ermöglichen im fa-milienrechtlichen Zusammenhang eine Korrektur der kindschaftsrechtlichen Zuordnung des in einer Ehe geborenen Kindes und der durch Anerkennung begründeten Vaterschaft, wenn sie dem biologischen Abstammungsverhältnis nicht entspricht. Sie sind allgemeiner Natur, frei von einem diskriminierenden Gehalt und betreffen in ihren Auswirkungen die Staatsangehörigkeit - soweit diese überhaupt betroffen ist - nur als eines von vielen an die Elternschaft anknüpfenden Rechtsverhältnissen. Die Verbindung, die das Staatsangehörigkeitsrecht zu diesen Regelungen mittelbar herstellt, indem es, seinerseits diskriminierungsfrei, den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit an die deutsche Staatsangehörigkeit mindestens eines Elternteils knüpft, läuft von daher dem Sinn und Zweck des Entziehungsverbots des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 116, 24 <37 ff., 44>) nicht zuwider. Insbesondere wird die für die Integrationsfunktion der Staatsangehörigkeit zentrale gesicherte Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus aller Staatsangehörigen in keiner Weise in Frage gestellt (vgl. BVerfGK 9, 381 <386>).

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(2) Eine Beeinträchtigung der deutschen Staatsangehörigkeit in ihrer Bedeutung als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zum Staatsvolk kommt nicht in Betracht, wenn Staatsangehörige in einem Alter, in dem sie normalerweise noch kein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt haben, nach Maßgabe der geltenden einfachgesetzlichen Vorschriften von einem durch erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung bedingten Wegfall der Staatsangehörigkeit betroffen werden oder betroffen werden können (vgl. BVerfGK 9, 381 <387>).

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bb) Nach diesen Maßstäben liegt keine Entziehung der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG vor.

28

Eine Beeinflussbarkeit durch den Betroffenen ist vorliegend keine Anforderung für die Entziehung der Staatsangehörigkeit. Zwar liegt eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus insbesondere in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann (vgl. BVerfGE 116, 24 <44>; 135, 48 <61 f. Rn. 28>). Jedoch ist dieser Grundsatz für den Fall einer Anfechtung durch den rechtlichen Vater bei dieser Ausgangslage zwangsläufig nicht anwendbar (vgl. BVerfGK 9, 381 <387>). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil nicht zu beanstanden. Es verneint insoweit zu Recht die Vergleichbarkeit der Anfechtung durch den rechtlichen Vater selbst (wie in BVerfGK 9, 381 ff.) mit der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung (so der Sachverhalt in BVerfGE 116, 24 ff.) und dem Staatsangehörigkeitsverlust aufgrund einer behördlichen Vaterschaftsanfechtung (so der Sachverhalt in BVerfGE 135, 48 ff.). Der Zweck des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, vor willkürlicher Instrumentalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts zu schützen (vgl. BVerfGE 135, 48 <64 Rn. 36>), ist bei einer Anfechtung durch den rechtlichen Vater nicht berührt. Anders als bei der behördlichen Anfechtung wird der kraft Gesetzes eintretende Staatsangehörigkeitsverlust allein durch eine private Entscheidung (des "Scheinvaters") ausgelöst. Die Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus ist hier nicht beeinträchtigt, wenn sich ein Betroffener in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise noch kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt haben.

29

Die Beschwerdeführerin war bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit noch keine zwei Jahre alt, so dass sie noch kein eigenes Vertrauen auf den Bestand der Staatsangehörigkeit entwickelt hatte.

30

Soweit die Beschwerdeführerin rügt, dass zwei Klassen von Staatsangehörigkeiten - je nach Alter des Kindes - geschaffen würden, hat das Bundesverwaltungsgericht sich mit diesem Argument in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auseinandergesetzt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt nicht allein auf das geringe Alter des Kindes ab, sondern kumulativ auch auf die nichtdiskriminierende Natur der Regelungen. Vor willkürlicher Aberkennung/Entziehung der Staatsangehörigkeit sind auch Kleinkinder geschützt (vgl. BVerfGK 9, 381 ff.).

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b) Die angegriffenen Urteile verstoßen jedoch gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach darf ein Verlust der Staatsangehörigkeit nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Im vorliegenden Fall besteht der ausgesprochene Verlust nicht auf einer gesetzlichen Regelung (aa). Offenbleiben kann, ob das Fehlen einer anwendbaren einfachgesetzlichen Regelung, die eine Altersgrenze festsetzt, gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt (bb) und ob die fehlende Vorkehrung der Verlustgrundlage für den Fall drohender Staatenlosigkeit zur Verfassungswidrigkeit führt (cc).

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aa) Der Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG ist verletzt.

33

(1) Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt zur Legitimierung eines unfreiwilligen Verlusts der Staatsangehörigkeit eine gesetzliche Grundlage (vgl. BVerfGE 116, 24 <52 ff.>). Dabei gebietet Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG, den Verlust der Staatsangehörigkeit so bestimmt zu regeln, dass die für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zum Staatsvolk nicht beeinträchtigt wird (vgl. BVerfGE 116, 24 <61>; 135, 48 <78 Rn. 78>). Hierbei sind die strengen Anforderungen zu beachten, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stellt (vgl. BVerfGE 135, 48 <79 Rn. 80>). Zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus gehört auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (vgl. BVerfGE 116, 24 <45>).

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(2) Nach diesen Maßstäben lag zum maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2005 keine ausreichende gesetzliche Grundlage vor, weil der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, nicht gesetzlich geregelt war (vgl. aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11. Mai 2016 - 4 O 12/16 -, juris, Rn. 14). Die familienrechtlichen Vorschriften zur Anfechtung durch den Vater regeln die Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit nicht ausdrücklich. Auch im Staatsangehörigkeitsrecht fand sich im hier maßgeblichen Zeitpunkt keine gesetzliche Regelung, die den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der die Vaterschaft beendenden Anfechtung durch den Vater anordnete. In der Aufzählung der Verlustgründe (§ 17 Abs. 1 StAG a.F.) war diese Verlustform nicht enthalten. Die im Februar 2009 erfolgte Änderung dahingehend, dass der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 und 3 StAG n.F. für den Staatsangehörigkeitsverlust drittbetroffener Kinder eine Altersgrenze festgesetzt hat, war vorliegend noch nicht anwendbar. Der Wegfall der Staatsangehörigkeit ergab sich vielmehr aus der Anwendung zweier ungeschriebener Rechtsregeln, an die § 1599 Abs. 1 BGB unausgesprochen anknüpft. Zugrunde liegen erstens die Annahme der Rückwirkung der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung auf den Zeitpunkt der Geburt und zweitens die Annahme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, sodass die staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen mit der Vaterschaft rückwirkend entfallen. Der Gesetzgeber hat dies vorausgesetzt, jedoch nicht erkennbar geregelt (vgl. BVerfGE 135, 48 <79 Rn. 78 f.>). Zwar ist bei einer Anfechtung durch den Vater der Verlust der Staatsangehörigkeit des Kindes eine Nebenfolge - anders als bei der Behördenanfechtung, die den Verlust der Staatsangehörigkeit des Kindes gerade zielgerichtet bezweckte, um einen aufenthaltsrechtlichen Status der Mutter zu beseitigen (vgl. dazu BVerfGE 135, 48 <79 Rn. 79>). Allerdings ändert dies nichts daran, dass es bei der Anfechtung durch den Vater ebenso wie bei der Behördenanfechtung keine ausdrückliche Regelung gab, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit - eine gravierende Rechtsfolge für das betroffene Kind - anordnete.

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bb) Da es bereits an einer gesetzlichen Regelung für den Verlust der Staatsangehörigkeit fehlte, die den strengen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts entspricht, kommt es hier nicht mehr darauf an, ob das Fehlen einer anwendbaren einfachgesetzlichen Regelung, die eine Altersgrenze festsetzt, zu einem Verfassungsverstoß führt (vgl. BVerfGK 9, 381 <388 f.>).

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cc) Angesichts des festgestellten Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG kann zudem offenbleiben, ob die fehlende Vorkehrung der Verlustgrundlage für den Fall drohender Staatenlosigkeit ebenfalls zur Verfassungswidrigkeit führt. Dafür spräche, dass die zur Behördenanfechtung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfGE 135, 48 <76 ff. Rn. 72 ff.>) wegen des klaren Wortlauts des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG auf den vorliegenden Fall übertragbar sein dürften.

37

3. Ob die angegriffenen Urteile darüber hinaus weitere Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzen, kann ebenfalls dahinstehen, weil bereits die Verletzung von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zur Feststellung eines Verfassungsverstoßes führt (vgl. BVerfGE 128, 226 <268>).

IV.

38

Die Aufhebung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts und die Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht folgt aus § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG.

V.

39

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich dadurch, dass die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen zur Kostenerstattung verpflichtet werden (vgl. zur Prozesskostenhilfe BVerfGE 105, 239 <240>).