BVerwG 3. Senat, Urteil vom 08.11.2018, 3 A 19/15

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 3 A 19/15 (BVerwG)

vom 8. November 2018 (Donnerstag)


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Die Klägerin - die Bundesrepublik Deutschland - begehrt vom beklagten Freistaat Sachsen Schadenersatz wegen nicht ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns bei der Verwendung von Finanzhilfen des Bundes.

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Gemäß Art. 52 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014, 2797) gewährte der Bund den Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in den Jahren 1995 bis 2002 Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 6,4 Milliarden Deutsche Mark zur Förderung von Investitionen in Pflegeeinrichtungen. Der Anteil des Bundes an der öffentlichen Finanzierung der einzelnen Investitionsmaßnahmen betrug bis zu 80 vom Hundert; wenigstens 20 vom Hundert der öffentlichen Investitionsmittel waren aus Mitteln des Landes oder der Gemeinden (Gemeindeverbände) aufzubringen. Die Bewilligung der Fördermittel gegenüber den Trägern der Pflegeeinrichtungen erfolgte durch Zuwendungsbescheide der Länder. Die Zuwendungsbescheide des Beklagten enthielten durch Bezugnahme auf die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P; Anlage 2 zur Verwaltungsvorschrift zu § 44 der Sächsischen Haushaltsordnung) jeweils die Regelung, dass die Zuwendung nur insoweit und nicht eher angefordert werden dürfe, als sie für längstens innerhalb von zwei Monaten nach der Auszahlung fällige Zahlungen benötigt werde. Für den Fall der Fristüberschreitung war bestimmt, dass der Beklagte für die Zeit von der Auszahlung bis zur zweckentsprechenden Verwendung der Zuwendung Zinsen nach Maßgabe des § 49a Abs. 3 i.V.m. § 49a Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) von dem Zuwendungsempfänger verlangen konnte (so genannte Zwischenzinsen).

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Die Länder hatten die zweckentsprechende Verwendung der Finanzhilfen jährlich nachzuweisen und den Bund nach Abschluss ihrer Prüfung der Verwendungsnachweise in Form eines zusammenfassenden Berichts zu unterrichten. Im Zuge dieses Abrechnungsverfahrens bat die Klägerin den Beklagten im Januar 2013 um Information darüber, ob bzw. in wie vielen Fällen es bei den in Sachsen geförderten Investitionsvorhaben zu einer Verjährung von Zinsansprüchen gekommen sei. Der Beklagte benannte der Klägerin daraufhin insgesamt 13 Fördervorhaben, darunter die noch streitigen 12 Projekte Nr. 17, 32, 38, 82, 83, 88, 181, 201, 203, 213, 293 und 324. Bei diesen Vorhaben hatten die Verwendungsnachweisprüfungen des Beklagten ergeben, dass die Zuwendungsempfänger die ausgezahlten Fördermittel nicht fristgerecht verwendet hatten. Die daraufhin erlassenen Bescheide über die Erhebung von Zwischenzinsen waren von den Zuwendungsempfängern angefochten worden. Für die Projekte Nr. 83 und Nr. 88 entschied das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit rechtskräftigen Urteilen vom 26. April 2012 - 1 A 963/10 - (NVwZ-RR 2013, 82) und - 1 A 964/10 -, dass die Erhebung der Zwischenzinsen rechtswidrig und deshalb aufzuheben sei, weil der Zinsanspruch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits verjährt gewesen sei. Dem Beklagten hätten im Mai 2002 die erforderlichen Unterlagen zum Verwendungsnachweis und damit auch zur Prüfung des Zinsanspruchs vorgelegen. Unter Zugrundelegung der dreijährigen Regelverjährungsfrist nach § 195 BGB sei mit Ablauf des Jahres 2005 Verjährung eingetreten. Dass der Zinsanspruch erst mit der Durchführung des Verwendungsnachweisverfahrens im Jahr 2006 geprüft worden sei, habe nicht der gebotenen behördlichen Sorgfalt entsprochen. Hinsichtlich der Projekte Nr. 17 und Nr. 293 hob das Verwaltungsgericht Chemnitz die Festsetzung der Zwischenzinsen ebenfalls wegen Verjährung auf (VG Chemnitz, Urteile vom 1. August 2011 - 5 K 895/08 - und vom 26. September 2012 - 5 K 601/10 -). Daraufhin erließ der Beklagte in den übrigen acht Fällen entsprechende Aufhebungsbescheide.

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Mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 und 28. April 2014 forderte die Klägerin den Beklagten auf, die ihr infolge der verspäteten Geltendmachung der Zwischenzinsansprüche entgangenen Zinseinnahmen für die 13 benannten Förderprojekte in Höhe von insgesamt rund 225 000 € zu erstatten. Anspruchsgrundlage sei Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG. Das Verjährenlassen der Zinsforderungen stelle eine schwerwiegende Verletzung der Pflicht des sparsamen und wirtschaftlichen Umgangs mit den Finanzmitteln des Bundes dar. Darüber hinaus ergebe sich der Erstattungsanspruch aus § 6 Abs. 4 Satz 1 der Verwaltungsvereinbarung (VV) zu Art. 52 PflegeVG, weil Bundesmittel zweckwidrig verwendet worden seien. Der Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 26. November 2013 und 27. Mai 2014 zurück. Es schloss sich weiterer Schriftwechsel an, in dem die Parteien ihre jeweiligen Rechtspositionen bekräftigten. Der Beklagte erhob hilfsweise die Einrede der Verjährung. Mit Schreiben vom 31. März 2015 ließ die Klägerin die Forderung in Bezug auf das Projekt Nr. 222 fallen und reduzierte den begehrten Gesamtbetrag auf rund 223 000 €.

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Die Klägerin hat am 21. Dezember 2015 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen geltend macht: Gemäß Art. 104a Abs. 5 GG hafte ihr der Beklagte für eine ordnungsgemäße Verwaltung. Diese Verpflichtung beziehe sich auch auf die Verwaltung von Finanzhilfen, die der Bund nach Art. 104a Abs. 4 GG a.F. gewährt habe. Der Beklagte habe die auf der Grundlage von Art. 52 PflegeVG gewährten Finanzhilfen nicht ordnungsgemäß verwaltet, weil er gegen das Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung verstoßen habe. Bei der Verwaltung von Finanzhilfen habe er neben den eigenen Haushaltsinteressen auch die des Bundes wahrzunehmen. Dem habe der Beklagte zuwider gehandelt, indem er Zinsansprüche, die ihm gegenüber den Zuwendungsempfängern wegen nicht rechtzeitiger Verwendung der Fördermittel zugestanden hätten, habe verjähren lassen. Auch § 6 Abs. 4 der VV zu Art. 52 PflegeVG lege nahe, dass die Länder im Verhältnis zum Bund verpflichtet seien, den vorzeitigen Mittelabruf durch die Zuwendungsempfänger nach Maßgabe des Landesrechts zu sanktionieren. Die verspätete Geltendmachung der Zinsansprüche beruhe mindestens auf grober Fahrlässigkeit. Von grober Fahrlässigkeit des Beklagten sei auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 26. April 2012 ausgegangen. Ein vorsätzliches pflichtwidriges Verhalten setze die Haftungsregelung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG nicht voraus. Der ihr entstandene Schaden belaufe sich auf ihren Anteil an den verjährten Zinsforderungen, der ihr bei rechtzeitiger Erhebung der Zinsen nach Art. 9 Abs. 2 der Grundvereinbarung vom 19. September 1986 zu Art. 104a Abs. 4 GG a.F. zugeflossen wäre. Die Verjährungseinrede des Beklagten greife nicht durch.

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Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 223 433,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Dezember 2015 zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er meint, Art. 104a Abs. 5 GG sei wegen der speziellen Erstattungsregelung in der Verwaltungsvereinbarung zu Art. 52 PflegeVG nicht anwendbar. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei der Anspruch aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG nur begründet, wenn ihm - dem Beklagten - ein schwerwiegender Verstoß gegen Vorschriften vorzuwerfen sei, die gerade der Wahrung der Belange des Bundes zu dienen bestimmt seien. Das sei hier nicht der Fall; die Verwaltungsvereinbarung zu Art. 52 PflegeVG gebe den Ländern hinsichtlich der Erhebung von Zwischenzinsen keine speziellen Verhaltenspflichten gegenüber dem Bund vor. Grobe Fahrlässigkeit führe nicht zur Haftung; ein vorsätzliches ordnungswidriges Verwaltungshandeln sei nicht ersichtlich. Im Übrigen werde bestritten, dass die verspätete Geltendmachung der Zinsen grob fahrlässig gewesen sei. Der Klägerin sei auch kein Schaden entstanden. Wenn die Zwischenzinsen vereinnahmt worden wären, hätte sie keinen Anspruch auf anteilige Weiterleitung gehabt. Art. 9 Abs. 2 der Grundvereinbarung zu Art. 104a Abs. 4 GG a.F. sei nicht einschlägig, weil die Grundvereinbarung im Rahmen der Verwaltungsvereinbarung zu Art. 52 PflegeVG nicht anwendbar sei. Die Klägerin könne ihr Zahlungsbegehren auch nicht auf § 6 Abs. 4 der VV zu Art. 52 PflegeVG stützen. Die Erstattungsregelung knüpfe nach ihrem Wortlaut ausschließlich an das Finanzhilfeverhältnis zwischen Bund und Land an und nicht an das Zuwendungsverhältnis zwischen Land und Zuwendungsempfänger. Der Klaganspruch sei außerdem verjährt.

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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

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1. a) Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt nicht vor.

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Ob eine Streitigkeit zwischen dem Bund und einem Land verfassungs- oder verwaltungsrechtlicher Natur ist, richtet sich danach, ob der Klaganspruch in dem verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Bund und Ländern oder aber in einem engeren Rechtsverhältnis wurzelt, das durch Normen des einfachen Rechts bestimmt wird (stRspr, BVerwG, Urteile vom 25. August 2011 - 3 A 2.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 25 Rn. 14 und vom 24. Januar 2007 - 3 A 2.05 - BVerwGE 128, 99 Rn. 15 m.w.N.). Die Klägerin berühmt sich eines Schadenersatzanspruchs aus der Haftung für nicht ordnungsgemäße Verwaltungsführung gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG. Der Haftungsanspruch wurzelt in dem Rechtsverhältnis, das Grundlage für die fragliche Verwaltungsführung ist. Dieses Rechtsverhältnis ist hier einfachrechtlich durch Art. 52 PflegeVG und die aufgrund von Art. 52 Abs. 2 Satz 4 PflegeVG geschlossene Verwaltungsvereinbarung geprägt und danach verwaltungsrechtlicher Natur (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 3 A 1.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 24 Rn. 10). Wie das zugrunde liegende Rechtsverhältnis selbst, wurzeln auch alle denkbaren Anspruchsgrundlagen für den geltend gemachten Zahlungsanspruch im einfachen Recht. Das gilt auch für die so genannte Haftungskernrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 104a Abs. 5 GG, auf die sich die Klägerin vorrangig stützt. Sie betrifft - ungeachtet der Grundlegung in einer Bestimmung des Verfassungsrechts - keine Anspruchsgrundlage verfassungsrechtlicher Natur. Es handelt sich um die richterrechtliche Ausfüllung einer Lücke, die im einfachen Gesetzesrecht besteht, weil das in Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG vorgesehene Ausführungsgesetz fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. August 2011 - 3 A 2.10 - a.a.O. Rn. 14 und vom 24. Januar 2007 - 3 A 2.05 - a.a.O. Rn. 16).

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b) Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im ersten Rechtszug zuständig. Soweit die Vorschrift ungeachtet ihres Wortlauts nur auf Streitigkeiten anzuwenden ist, die sich ihrem Gegenstand nach einem Vergleich mit den landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten entziehen (BVerwG, Urteil vom 25. August 2011 - 3 A 2.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 25 Rn. 16 m.w.N.), ist diese Voraussetzung erfüllt. Das Rechtsverhältnis, aus dem die Klägerin den Klaganspruch herleitet, ist durch die besondere Finanzbeziehung zwischen Bund und Ländern gemäß Art. 104a Abs. 4 GG a.F., Art. 52 PflegeVG geprägt. Derartige Streitigkeiten fallen unter § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 3 A 1.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 24 Rn. 10).

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2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch weder als Schadenersatzanspruch aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG (a) noch als Erstattungsanspruch aus § 6 Abs. 4 der VV zu Art. 52 PflegeVG (b) zu. Andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.

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a) Nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG haften der Bund und die Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung. Die Vorschrift ist hier anwendbar (aa). Jedoch liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten nicht vor (bb).

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aa) (1) Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG findet auch Anwendung, wenn der Bund den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) gewährt (Art. 104a Abs. 4 GG i.d.F. vom 12. Mai 1969 <BGBl. I S. 359> - im Folgenden: a.F. -, nunmehr Art. 104b GG <eingefügt durch Gesetz vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034>).

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Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG sieht eine Haftungsregelung vor, die auf das Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeit zugeschnitten ist. Sie bezieht sich nach der Systematik des Art. 104a GG auf Sonderfälle, in denen abweichend von der allgemeinen Lastenverteilungsregel des Art. 104a Abs. 1 GG Aufgaben- und Ausgabenverantwortung voneinander getrennt sind (BVerfG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 2 BvG 1/04 u.a. - BVerfGE 116, 271 <312, 322>; Beschluss vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - BVerfGE 127, 165 <205> m.w.N.). Dazu gehören nach Art. 104a Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 GG die Bundesauftragsverwaltung der Länder und nach Art. 104a Abs. 3 Satz 1 GG die Ausführung von Geldleistungsgesetzen des Bundes durch die Länder. In beiden Bereichen haben die Länder die Sachzuständigkeit für die jeweiligen Aufgaben, während der Bund die zugehörigen Zweckausgaben trägt. Die Haftungsregelung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG zielt auf eine sachgerechte Zuordnung der Verantwortung für Schäden, die dem einen Rechtsträger durch eine nicht ordnungsgemäße Verwaltungsführung des anderen Rechtsträgers entstanden sind (BVerwG, Urteile vom 24. Januar 2007 - 3 A 2.05 - BVerwGE 128, 99 Rn. 23 und vom 15. Mai 2008 - 5 C 25.07 - BVerwGE 131, 153 Rn. 19; BSG, Urteil vom 15. Dezember 2009 - B 1 AS 1/08 KL - BSGE 105, 100 Rn. 27 ff.).

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Bei der Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die Länder nach Art. 104a Abs. 4 GG a.F., Art. 104b GG fallen Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeit ebenfalls auseinander. Der Bund beteiligt sich an der Finanzierung von Investitionen im Aufgabenbereich der Länder, deren Sachzuständigkeit und -verantwortung für die verwaltungsmäßige Durchführung der Aufgabe unberührt bleiben. Danach stellt sich auch diese Vorschrift als eine Abweichung von der allgemeinen Lastenverteilungsregel des Art. 104a Abs. 1 GG dar (BVerfG, Urteil vom 4. März 1975 - 2 BvF 1/72 - BVerfGE 39, 96 <107 f.>; Beschluss vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - BVerfGE 127, 165 <203, 207>). Die Haftungsregelung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG ist deshalb auch anwendbar, wenn dem Bund infolge nicht ordnungsmäßiger Verwaltung bei der Durchführung von Finanzhilfegesetzen durch die Länder ein finanzieller Schaden entsteht (Siekmann, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 104a Rn. 45; Tappe, in: Kahl/Waldhoff/Walter <Hrsg.>, Bonner Kommentar zum GG, Stand: August 2018, Art. 104a Rn. 302). Von der Anwendbarkeit der Haftungsregelung in Fällen des Art. 104a Abs. 4 GG a.F., Art. 104b GG geht auch das Bundesverfassungsgericht aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - BVerfGE 127, 165 <207 f.>).

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(2) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG auch ohne Erlass des nach Absatz 5 Satz 2 vorgesehenen Ausführungsgesetzes eine Haftung wegen nicht ordnungsgemäßer Verwaltung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern begründen. Die Vorschrift ist dann unmittelbar Grundlage eines Schadenersatzanspruchs (BVerwG, Urteile vom 16. Januar 1997 - 4 A 12.94 - BVerwGE 104, 29 <32>, vom 24. Januar 2007 - 3 A 2.05 - BVerwGE 128, 99 Rn. 20, jeweils m.w.N., und vom 25. August 2011 - 3 A 2.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 25 Rn. 19). Die Klägerin kann sich auf eine unmittelbare Geltung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG berufen; eine Regelung der Haftung auf einfachgesetzlicher Ebene besteht für den Bereich der Finanzhilfen nach Art. 52 PflegeVG nicht.

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Gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG bestimmt das Nähere ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Ein auf dieser Grundlage erlassenes allgemeines Haftungsgesetz existiert nicht. Allerdings braucht das Ausführungsgesetz keine übergreifende Kodifizierung des Verwaltungshaftungsrechts zu sein; möglich sind auch Teilausführungsregelungen im Zusammenhang bereichsspezifischer Sachregelungen (BVerfG, Beschluss vom 7. September 2010 - 2 BvF 1/09 - BVerfGE 127, 165 <205, 207 f.>). Auch hieran fehlt es aber. Art. 52 PflegeVG bestimmt die Voraussetzungen und den Umfang der Finanzhilfen, trifft jedoch keine Regelungen zu den Voraussetzungen eines Haftungsanspruchs wegen nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Bei der Regelung über die Erstattung von Finanzhilfen in § 6 Abs. 4 der VV zu Art. 52 PflegeVG handelt es sich nicht um eine gesetzliche Bestimmung im Sinne des Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG. Die Verwaltungsvereinbarung selbst hat keinen Gesetzesrang. Soweit nach Art. 52 Abs. 2 Satz 4 PflegeVG das Nähere "durch eine Verwaltungsvereinbarung nach Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes geregelt" wird, bringt weder Art. 52 PflegeVG noch Art. 104a Abs. 4 GG a.F. deutlich zum Ausdruck, dass die Haftung durch Verwaltungsvereinbarung geregelt werden darf.

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bb) Eine unmittelbare Geltung kann Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG allerdings nur für einen "Haftungskern" entnommen werden, hinter dem auch das nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG vorgesehene Ausführungsgesetz nicht zurückbleiben dürfte. Die Vorschrift stellt nur für solche Haftungsfälle eine taugliche Anspruchsgrundlage dar, die nach ihren Merkmalen einem Kernbereich von Haftung zuzuordnen sind, nicht jedoch für jene, die in einem weiter gezogenen Haftungskreis angesiedelt sind (stRspr, BVerwG, Urteile vom 24. Januar 2007 - 3 A 2.05 - BVerwGE 128, 99 Rn. 20 m.w.N. und vom 25. August 2011 - 3 A 2.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 25 Rn. 19).

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(1) Danach setzt der Schadenersatzanspruch in Fällen nicht ordnungsgemäßer Verwaltungsführung eines Landes eine rechtswidrige und schuldhafte Pflichtverletzung eines für das Land handelnden Amtswalters in Ausübung eines öffentlichen Amtes voraus, die zu einem Schaden des Bundes geführt hat (BVerwG, Urteil vom 25. August 2011 - 3 A 2.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 25 Rn. 20 m.w.N.). Der Verengung auf einen Haftungskernbereich entspricht es, den Kreis der haftungsauslösenden Verhaltensweisen auf schwerwiegende Verletzungen der dienst- oder arbeitsrechtlichen Hauptpflichten, das heißt des Kernbereichs der zugewiesenen Pflichten, zu beschränken (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1994 - 11 A 1.92 - BVerwGE 96, 45 <57>). Zudem muss die rechtswidrige Verwaltungsführung in der Verletzung von Vorschriften bestehen, die gerade der Wahrung der Belange des Bundes zu dienen bestimmt sind, und die Wahrnehmung der Belange des Bundes muss zu den Hauptpflichten des handelnden Amtswalters zählen (BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2007 - 3 A 2.05 - BVerwGE 128, 99 Rn. 21 f.). Schließlich liegt nahe, nur solche Haftungsfälle dem Kernbereich der Haftung zuzuordnen, bei denen die nicht ordnungsgemäße Verwaltungsführung zu Mehrkosten bei den Zweckausgaben des Bundes oder zu einer vergleichbaren Zweckausgabenverfehlung geführt hat; fehlt es hieran, kann der Haftungsfall jedenfalls nicht ohne weiteres dem Kernbereich zugeordnet werden. Den Materialien zu Art. 104a Abs. 5 GG lässt sich entnehmen, dass der Verwaltungsträger die durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln entstehenden Mehrkosten tragen sollte (vgl. BT-Drs. 5/2861 S. 52 Ziffer 303; BVerwG, Urteile vom 18. Mai 1994 - 11 A 1.92 - BVerwGE 96, 45 <58> und vom 2. Februar 1995 - 2 A 5.92 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 14 S. 20 f.). Das betrifft typischerweise Haftungsfälle, in denen zweckgebundene Mittel nicht für den vorgesehenen Ausgabenzweck eingesetzt werden.

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(2) Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für eine unmittelbare Haftung des Beklagten nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 GG nicht vor. Die Haftung eines Landes gegenüber dem Bund für die nicht rechtzeitige Erhebung von Zwischenzinsen beim Zuwendungsempfänger ist nicht dem Kernbereich von Haftung zuzuordnen, für den eine Regelung durch Bundesgesetz nicht erforderlich ist. Bei der verwaltungsmäßigen Durchführung des Art. 52 PflegeVG gehört es zum Kernbereich der Pflichten des Landes gegenüber dem Bund, so weit wie möglich sicherzustellen, dass die Finanzmittel des Bundes von den geförderten Pflegeeinrichtungen zweckentsprechend verwendet werden, und die Mittel vom Zuwendungsempfänger zurückzufordern, wenn sie zweckwidrig eingesetzt werden. Unterbleibt dies schuldhaft, haftet das Land dem Bund auf Ersatz des Schadens. Der Kernbereich von Haftung umfasst die Fälle von Zweckverfehlungen, bei denen Bundesmittel nicht oder nicht mehr für die vorgesehene Investitionsmaßnahme verwendet werden, also der mit den Finanzhilfen verfolgte Förderzweck nicht oder nicht mehr erreicht wird. Hingegen ist die Haftung für eine verzögerte Mittelverwendung durch den Zuwendungsempfänger in einem weiter gezogenen Haftungskreis jenseits des Kernbereichs angesiedelt. Soll eine Haftung des Landes auch hierfür begründet werden, bedarf es eines Ausführungsgesetzes im Sinne von Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG. Die Erhebung von Zwischenzinsen wegen verspäteter Mittelverwendung könnte vom Gesetzgeber zwar den genannten Kernpflichten des Landes gleichgestellt werden, eine Gleichstellung ist aber nicht zwingend. Es versteht sich nicht von selbst, dass und unter welchen Voraussetzungen eine verzögerte Mittelverwendung mit einer zweckwidrigen Verwendung gleichzusetzen ist; dies bedarf der Regelung (vgl. § 44a Abs. 1 Satz 2 BHO a.F., § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (L)VwVfG). Die Verzögerung bei der Mittelverwendung muss weder die Erreichung des Verwendungszweckes gefährden noch für den Zuwendungsgeber zu Mehrkosten führen. Des Weiteren besteht bei der Ausgestaltung des Verzögerungszinsanspruchs ein gesetzgeberischer Spielraum (vgl. § 49a Abs. 4 (L)VwVfG, § 44a Abs. 3 Satz 4 BHO a.F.). Das betrifft namentlich die Frage, ob der Zinsanspruch allein dem Vorteilsausgleich dient oder auch als Sanktionsmittel eingesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2005 - 8 C 5.04 - BVerwGE 123, 303 <305>) und ob die Zinsen ab Auszahlung der Mittel oder ab Überschreitung der Verwendungsfrist zu zahlen sind. Entsprechend hat auch der Bundesgesetzgeber bei der Ausgestaltung der Haftung einen relativ weiten Spielraum. Das spricht dagegen, die Erhebung von Zwischenzinsen zu den Pflichten des Landes zu zählen, für deren Erfüllung das Land auch ohne Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG haftet.

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b) Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch auch nicht als Erstattungsanspruch aus § 6 Abs. 4 der VV zu Art. 52 PflegeVG zu.

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Danach sind Finanzmittel des Bundes, soweit sie nicht zweckentsprechend verwendet werden, von dem Land an die zuständige Bundeskasse zu erstatten (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 VV). Eine zweckwidrige Mittelverwendung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Bundesmittel nicht oder nicht mehr für die vorgesehene Investitionsmaßnahme verwendet werden, vom Land vor Fälligkeit der zu begleichenden Zahlungen abgerufen oder nach Auszahlung nicht rechtzeitig an den Zuwendungsempfänger weitergeleitet werden (Satz 1 Halbs. 2). Der Erstattungsbetrag ist vom Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs an in Höhe von 6 vom Hundert zu verzinsen (Satz 2). Die verzögerte Mittelverwendung durch den Zuwendungsempfänger ist kein Erstattungsfall im Sinne des § 6 Abs. 4 VV.

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aa) Die in § 6 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 VV besonders benannten Tatbestandsalternativen sind nicht einschlägig. Die erste Alternative betrifft Sachverhalte, bei denen Bundesmittel überhaupt nicht (mehr) für das geförderte Investitionsvorhaben eingesetzt werden. Das macht die Klägerin nicht geltend. Die fraglichen Bundesmittel sind von den Zuwendungsempfängern verzögert, aber letztlich vollständig für die vorgesehene Investitionsmaßnahme verwendet worden. Es liegt auch weder ein Fall des vorzeitigen Mittelabrufs durch den Beklagten vor (Alternative 2) noch hat er die abgerufenen Finanzhilfen nicht rechtzeitig an den Zuwendungsempfänger weitergeleitet (Alternative 3).

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bb) Es handelt sich auch nicht um einen ungeschriebenen Erstattungsfall ("insbesondere"). § 6 Abs. 4 VV stellt, wie die ausdrücklich benannten Erstattungsfälle zeigen, auf das Finanzhilfeverhältnis zwischen Bund und Land ab (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 3 A 1.10 - Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 24 Rn. 15 f.). Die Erhebung von Zwischenzinsen gegenüber dem Zuwendungsempfänger betrifft hingegen das Zuwendungsverhältnis zwischen dem Land und dem Träger der geförderten Pflegeeinrichtung. Dementsprechend ist die verzögerte Mittelverwendung durch den Zuwendungsempfänger keine zweckwidrige Mittelverwendung im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 VV.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.