BAG 4. Senat, Urteil vom 12.12.2018, 4 AZR 271/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 4 AZR 271/18 (BAG)

vom 12. Dezember 2018 (Mittwoch)


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Bezugnahmeklausel - Günstigkeitsvergleich - Darlegungslast

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 18. April 2018 - 2 Sa 85/17 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. Oktober 2017 - 22 Ca 126/17 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 1. April 2017 ein Tarifgehalt der Gehaltsgruppe 2b „nach dem 5. Berufsjahr“ des Gehaltstarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel in seiner jeweiligen Fassung sowie jährlich eine tarifliche Sonderzuwendung und ein Urlaubsgeld nach Maßgabe des Manteltarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel vom 12. September 2008 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

1

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis und darüber, ob dessen Entgeltregelungen gegenüber einem unmittelbar und zwingend geltenden Haustarifvertrag günstiger sind.

2

Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit Filialen im ganzen Bundesgebiet. Der Kläger, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 1. Mai 1989 als Verkäufer beschäftigt.

3

Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 1. November 2005 heißt es ua.:

        

„2.     

Sie erhalten für Ihre Tätigkeit eine Vergütung von EUR  2.037,13 brutto für 163,00 Std./monatlich = 100 % der tariflichen Monatsarbeitszeit.

                 

Im vorstehenden Betrag sind enthalten:

                 

nach Tarifgruppe GB 2b EUR 2.037,13 brutto

        

3.    

Etwaige die tariflichen Ansprüche übersteigende Mehrbezüge werden bei einer Veränderung der tariflichen Ansprüche verrechnet, es sei denn, dass ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen wird.

        

…       

        
        

14.     

Die Bedingungen dieses Anstellungsvertrages behalten ihre Gültigkeit auch dann, wenn eine Änderung der bisherigen Tätigkeit und / oder eine Änderung des Entgeltes - bei Teilzeitbeschäftigung auch der Arbeitszeit - eintritt. Im übrigen gelten die Tarifverträge für den Hamburger Einzelhandel , die Gesamtbetriebsvereinbarungen der K AG, sowie die Betriebsordnung der o.g. Betriebsstelle in ihrer jeweiligen Fassung.“

4

Die Beklagte war tarifgebundenes Mitglied im Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V. Sie beendete ihre Mitgliedschaft mit dem 6. Mai 2013. In der Folgezeit schloss der Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V. mit der Gewerkschaft ver.di weitere Tarifverträge, die ua. die Erhöhung des Entgelts vorsahen.

5

Seit April 2017 zahlt die Beklagte an den Kläger nur noch ein Entgelt auf Basis des am 6. Mai 2013 geltenden Gehaltstarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel zuzüglich einer - im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vereinbarten - übertariflichen Zulage iHv. 116,00 Euro brutto. Nachfolgende tarifliche Entgelterhöhungen gab sie nicht mehr weiter.

6

Die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di vereinbarten mit Wirkung zum 2. Dezember 2016 einen „Zukunftstarifvertrag Karstadt Warenhaus“ (Zukunfts-TV). Dieser sieht ua. vor, dass Entgelterhöhungen durch die Tarifabschlüsse des Hamburger Einzelhandels für die Jahre 2013 bis 2016 ausgesetzt werden und regelt die „Zukünftigen Erhöhungen des Karstadt-Tarifentgelts“.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei nach dem Gehaltstarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel in seiner jeweiligen Fassung sowie dem Manteltarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel vom 12. September 2008 (MTV) zu vergüten. Diese fänden aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung. Der Zukunfts-TV werde hingegen nicht von der Klausel in Nr. 14 des Arbeitsvertrags erfasst. Aufgrund des Günstigkeitsprinzips hätte die Anwendung der Verbandstarifverträge hinsichtlich der Vergütung Vorrang vor der Geltung des Zukunfts-TV.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ab dem 1. April 2017 die Tarifverträge für den Einzelhandel in Hamburg in ihrer jeweils geltenden Fassung anwendbar sind und deshalb die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger neben einem Tarifgehalt der Gehaltsgruppe 2b „nach dem 5. Berufsjahr“ des Gehaltstarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel in seiner jeweiligen Fassung sowie ein Urlaubsgeld und eine tarifliche Sonderzuwendung nach Maßgabe des Manteltarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel vom 12. September 2008 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Nr. 14 des Arbeitsvertrags beziehe sich auch auf den Zukunfts-TV. Das ergebe sich insbesondere aus dem Verweis auf die betrieblichen Regelungen. Wollte man dieser Abrede keine Bezugnahme auf die Haustarifverträge der Beklagten entnehmen, sei die dann bestehende Lücke im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Im Übrigen gehe der Kläger selbst davon aus, dass der Zukunfts-TV für ihn gelte. Soweit dieser günstigere Leistungen, wie etwa eine erhöhte Sonderzahlung für Gewerkschaftsmitglieder und einen Warengutschein vorsehe, habe er diese in Anspruch genommen.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

11

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dessen Berufung rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.

12

I. Die Klage ist als sog. Elementenfeststellungsklage (sh. nur BAG 6. Juli 2011 - 4 AZR 706/09 - Rn. 15, BAGE 138, 269) zulässig, insbesondere besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche und noch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende (st. Rspr., zB BAG 25. Januar 2017 - 4 AZR 520/15 - Rn. 16) besondere Feststellungsinteresse. Durch die gerichtliche Entscheidung kann der Streit der Parteien über die - dynamische - Anwendbarkeit der Gehaltstarifverträge und des Manteltarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel auf ihr Arbeitsverhältnis geklärt werden (zu diesem Erfordernis zB BAG 15. April 2015 - 4 AZR 587/13 - Rn. 16, BAGE 151, 221).

13

II. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger nach den Bestimmungen des Gehaltstarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel in seiner jeweiligen Fassung zu vergüten und ihm jährlich eine tarifliche Sonderzuwendung und ein Urlaubsgeld nach Maßgabe des MTV zu zahlen. Deren Regelungen sind gegenüber denen des unmittelbar und zwingend (§ 4 Abs. 1 TVG) geltenden Zukunfts-TV günstiger.

14

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme nicht die Entgeltregelungen des Zukunfts-TV, sondern nur diejenigen des Gehaltstarifvertrags in seiner jeweiligen Fassung sowie des MTV Anwendung. Das ergibt die Auslegung der Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag (zur Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen vgl. BAG 19. Mai 2010 - 4 AZR 796/08 - Rn. 15, BAGE 134, 283).

15

a) Nr. 2 des Arbeitsvertrags sieht ein beziffertes Monatsentgelt unter Verweis auf die „tarifliche Monatsarbeitszeit“ und eine bestimmte Tarifgruppe vor. Die Angabe bezieht sich, wie sich aus der insoweit ergänzenden Regelung in Nr. 14 des Arbeitsvertrags ergibt, auf die Tarifverträge für den Hamburger Einzelhandel und damit auf den entsprechenden Flächentarifvertrag (vgl. insoweit BAG 11. Juli 2018 - 4 AZR 533/17 - Rn. 23), dh. den Gehaltstarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel. Eine solche Verknüpfung von einem festen Entgeltbetrag und dessen Bezeichnung als Tarifgehalt darf ein Arbeitnehmer redlicherweise dahingehend verstehen, der in der Klausel festgehaltene Betrag werde für die Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht statisch sein, sondern solle sich entsprechend den Entwicklungen des maßgebenden Tarifvertrags verändern (BAG 25. Januar 2017 - 4 AZR 520/15 - Rn. 46; 8. Juli 2015 - 4 AZR 51/14 - Rn. 16 mwN). Für dieses Verständnis spricht auch Nr. 3 des Arbeitsvertrags. Der Regelung liegt sowohl die Annahme zugrunde, bei dem vereinbarten Arbeitsentgelt handele es sich um ein Tarifgehalt, als auch die Möglichkeit, dass sich die tariflichen Ansprüche verändern können, also einer Dynamik unterliegen. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme, als Arbeitsentgelt sei lediglich der konkret bezifferte Betrag vereinbart, haben im Arbeitsvertrag keinen Niederschlag gefunden. Nr. 14 des Arbeitsvertrags verweist schließlich auf den jeweiligen MTV.

16

b) Eine Bezugnahme auf den Zukunfts-TV enthält der Arbeitsvertrag nicht.

17

aa) Ein solcher Verweis ergibt sich weder aus Nr. 2 noch aus Nr. 14 des Arbeitsvertrags. Die Klausel in Nr. 14 nimmt Bezug auf die Tarifverträge einer bestimmten Branche, dh. eines bestimmten Wirtschaftszweigs. Da eine Branche regelmäßig eine Vielzahl von Unternehmen umfasst, ist unter einem Branchentarifvertrag üblicherweise ein Flächentarifvertrag zu verstehen (BAG 11. Juli 2018 - 4 AZR 533/17 - Rn. 23). Das gilt im Streitfall umso mehr, als der Zusatz „Hamburger“ Einzelhandel den Bezug zur „Fläche“ unterstreicht.

18

bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt der Verweis auf die „Gesamtbetriebsvereinbarungen ... sowie die Betriebsordnung ... in ihrer jeweiligen Fassung“ in Nr. 14 des Arbeitsvertrags keinen Rückschluss auf den Willen der Parteien betreffend die in Bezug genommenen Tarifverträge zu. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge einerseits und Betriebsvereinbarungen andererseits betrifft unterschiedliche Normenwerke mit grundlegend verschiedenen Wirkungen. Während Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG „automatisch“ unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis gelten, erfassen die Normen von Tarifverträgen grundsätzlich nur die kongruent tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien. Dem Umstand, dass die Arbeitsvertragsparteien die - räumlich einschlägigen - Betriebsvereinbarungen und Gesamtbetriebsvereinbarungen in Bezug genommen haben, kommt deshalb für die Auslegung der Verweisung auf Tarifverträge keine Bedeutung zu. Soweit vereinzelt gebliebenen Entscheidungen des Senats (BAG 23. Januar 2008 - 4 AZR 602/06 - Rn. 24; 23. März 2005 - 4 AZR 203/04 - zu I 1 b bb (2) (a) der Gründe, BAGE 114, 186) Gegenteiliges zu entnehmen sein sollte, hat der Senat daran ausdrücklich nicht mehr festgehalten (BAG 11. Juli 2018 - 4 AZR 533/17 - Rn. 27).

19

cc) Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt insoweit - anders als die Beklagte meint - nicht in Betracht. Es fehlt an einer Regelungslücke.

20

(1) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit. Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält, bedeutet noch nicht, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt (BGH 11. Januar 2012 - XII ZR 40/10 - Rn. 24). Von einer Planwidrigkeit kann nur dann die Rede sein, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich wäre, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (BAG 24. August 2011 - 4 AZR 683/09 - Rn. 24; 6. Juli 2011 - 4 AZR 706/09 - Rn. 27 mwN, BAGE 138, 269).

21

(2) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

22

(a) Eine Bezugnahmeklausel, die - zeitdynamisch - auf konkret bezeichnete Flächentarifverträge verweist, mag im Falle des späteren Abschlusses eines Haustarifvertrags aus Sicht einer der Vertragsparteien als „lückenhaft“ empfunden werden (so etwa Henssler in Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag 2. Aufl. Teil 10 Rn. 81). Diese Regelungslücke ist jedoch nicht planwidrig. Haustarifverträge im Allgemeinen und auch Sanierungstarifverträge im Speziellen sind - wie auch im Streitfall zum maßgebenden Zeitpunkt des Vertragsschlusses - nicht unüblich. Ein möglicherweise entstehendes Bedürfnis zum Abschluss solcher Tarifverträge ist im Arbeitsleben auch nicht unvorhersehbar. Hätten die Parteien deren Anwendbarkeit sicherstellen wollen, wäre ihnen eine entsprechende Formulierung unbenommen gewesen.

23

(b) Die Erstreckung der zeitdynamischen, auf die Anwendung der Flächentarifverträge gerichteten Bezugnahmeklausel auf Haustarifverträge ist auch nicht erforderlich, um den Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen (aA Henssler in Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag 2. Aufl. Teil 10 Rn. 81). Die in Nr. 14 des Arbeitsvertrags genannten Flächentarifverträge finden entsprechend dem von den Parteien zum Ausdruck gebrachten Willen auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung. Deren ergänzende Auslegung dahingehend, dass auch Haustarifverträge erfasst würden, hätte zur Folge, dass der Vertragsinhalt über seinen Wortlaut hinaus erweitert würde. Es würden dadurch nicht nur Tarifverträge zur Anwendung gelangen, die einen anderen Geltungsbereich haben, sondern auch solche, die - anders als bei verbandsbezogenen Firmentarifverträgen - von anderen Tarifvertragsparteien geschlossen worden sind. Dies ist vom erkennbaren Willen der Arbeitsvertragsparteien nicht erfasst (sh. BAG 11. Juli 2018 - 4 AZR 443/17 - Rn. 22; 16. Mai 2018 - 4 AZR 209/15 - Rn. 19 mwN).

24

(3) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten schließlich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger im Zukunfts-TV geregelte Einmalzahlungen entgegengenommen haben soll.

25

(a) Ein späteres Verhalten des Klägers kann nicht zur Auslegung des Arbeitsvertrags herangezogen werden, weil es keine Rückschlüsse auf den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Erklärungswillen der Parteien zulässt (vgl. zu diesem Erfordernis BAG 16. Juni 2010 - 4 AZR 924/08 - Rn. 18; 15. März 2006 - 4 AZR 132/05 - Rn. 38 mwN). Zum damaligen Zeitpunkt bestand bei der Beklagten kein Haustarifvertrag. Zudem gilt der Zukunfts-TV für das Arbeitsverhältnis der Parteien jedenfalls aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit. Das von der Beklagten angeführte Verhalten des Klägers kann deshalb - was ohne Hinzutreten weiterer Umstände zudem naheliegt - auch allein darin seinen Grund haben.

26

(b) Weiterhin ist es durch die Entgegennahme von Leistungen aus dem Zukunfts-TV nicht zu einer konkludenten Vertragsänderung gekommen. Dazu hätte es eines Antrags und einer Annahme iSv. §§ 145 ff. BGB bedurft. Daran fehlt es. Der Kläger hat kein Vertragsangebot abgegeben. Es ist auch weder festgestellt noch behauptet, dass er Leistungen nach dem Zukunfts-TV verlangt hätte, die ihm nach dem Flächentarifvertrag nicht zustanden. Die bloße Gewährung von Leistungen nach dem Zukunfts-TV durch die Beklagte musste der Kläger auch nicht als einen Antrag auf Änderung der vertraglichen Bezugnahmeklausel verstehen. Er konnte aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit davon ausgehen, die Leistung erfolge in Vollzug der sich daraus ergebenden Verpflichtung.

27

2. Die Entgeltregelungen des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Gehaltstarifvertrags für den Hamburger Einzelhandel in seiner jeweiligen Fassung sowie die des gleichfalls zu berücksichtigenden MTV sind gegenüber den Vergütungsregelungen des unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis der Parteien geltenden Zukunfts-TV günstiger iSd. § 4 Abs. 3 TVG.

28

a) Der Zukunfts-TV lautet auszugsweise:

        

A.    

Tarifliche Rahmenbestimmungen

                 

I.    

Geltungsbereich

                          

Dieser Tarifvertrag gilt räumlich für alle bestehenden Betriebe des Unternehmens in der Bundesrepublik Deutschland. …

                 

II.     

Anerkennung der Tarifverträge

                          

Karstadt Warenhaus erkennt alle gültigen regionalen Tarifverträge des Einzelhandels an. Diese Tarifverträge gelten dynamisch, das heißt für den jeweiligen räumlichen Geltungsbereich in ihrer jeweiligen (auch ersetzenden) Fassung und mit ihrem jeweiligen Rechtsstatus. Ausnahmen von der Anerkennung sind in diesem Tarifvertrag abschließend vereinbart.

                 

III.   

Ausnahmen von der Geltung der Flächentarifverträge

                          

Zur Anpassung der seit dem Austritt von Karstadt Warenhaus aus der tarifgebundenen HDE-Mitgliedschaft im Frühjahr 2013 entstandenen Lücke zwischen dem damaligen und dem gegenwärtigen Entgeltniveau werden unter Berücksichtigung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen für das Unternehmen folgende Abweichungen von den Flächentarifverträgen vereinbart:

                          

1.    

Aktuelles Karstadt-Tarifentgelt

                                   

Mit Inkrafttreten dieses Tarifvertrages besteht ein Anspruch auf Tarifentgelt gemäß Tarifabschluss für die Tarifjahre 2011 bis 2013. Die zwischen den Tarifvertragsparteien in den Ländern vereinbarten Entgelterhöhungen aus den Tarifabschlüssen 2013 für die Tarifjahre 2013 und 2014 sowie 2015 für die Tarifjahre 2015 und 2016 werden ausgesetzt. …

                          

2.    

Zukünftige Erhöhungen des Karstadt-Tarifentgelts

                                   

a)    

Kennzahlenabhängige Steigerungen in den Jahren 2017-2020 unter Beteiligung einer Entgelt-Kommission, Mindesterhöhungen in den Jahren 2018, 2019 und 2020

                                            

In den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2020 erfolgen anstelle der Entgeltsteigerungen der regionalen Flächentarifverträge jeweils kennzahlenabhängige Entgelterhöhungen.

                                            

In den Jahren 2018, 2019 und 2020 muss mindestens eine Erhöhung von 1,25% jeweils zum 1.3. eines Jahres festgelegt und gezahlt werden.

                                            

Die Entgeltsteigerungen werden von einer Kommission mit Vertretern beider Seiten nach folgenden Maßgaben kennzahlenabhängig festgelegt:

                                   

…       

        
                 

IV.     

Einmalzahlungen

                          

Die Einmalzahlungen (tarifliche Sonderzuwendung / ‚Weihnachtsgeld‘; Urlaubsgeld) werden wie folgt gewährt:

                          

Abweichend von den jeweiligen tariflichen Bestimmungen erhalten

                          

a)    

alle Mitarbeiter zum Fälligkeitszeitpunkt 60% des ihnen zustehenden Brutto-Betrags; zusätzlich erhalten sie 52% des ihnen zustehenden Brutto-Betrags in Form eines Warengutscheins; …

                          

b)    

Mitarbeiter, die zum Stichtag 01.04. eines Jahres eine ver.di-Mitgliedschaft nachweisen, erhalten zum Fälligkeitszeitpunkt 80% des ihnen zustehenden Brutto-Betrags; zusätzlich erhalten sie 52% des ihnen zustehenden Brutto-Betrags in Form eines Warengutscheins. ...

                 

…       

        
        

B.    

Bestimmungen zur Standort- und Beschäftigungssicherung

                 

I.    

Es besteht Einigkeit, dass bestehende Filialen bis zum Ablauf des 31.03.2021 oder bis zur Kündigung des Tarifvertrags nicht geschlossen werden. Karstadt verzichtet daher bzgl. der bestehenden Filialen bis zum Ablauf des 31.03.2021 oder bis zur Kündigung des Tarifvertrags auf Betriebsschließungen und Entlassungen durch betriebsbedingte Beendigungskündigungen.

                 

…       

        
                                   
                 

III.   

Bestimmungen zur Beschäftigungssicherung

                          

…       

                          

3.    

Die Beschäftigungssicherung steht im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Absenkung der Tarifentgelte im Sinne von Ziff. A. dieser Vereinbarung. Auf die Beschäftigungssicherung können sich deshalb solche Mitarbeiter nicht berufen, die geltend machen, an die Regelungen über abgesenkte Tarifentgelte im Sinne von Ziff. A. dieser Vereinbarung nicht gebunden zu sein.

                 

…“    

        

29

b) Eine Kollision zwischen den kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis der Parteien normativ geltenden und den aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren Tarifvorschriften ist nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) zu lösen (BAG 11. Juli 2018 - 4 AZR 533/17 - Rn. 30; 15. April 2015 - 4 AZR 587/13 - Rn. 27, BAGE 151, 221). Hiernach treten unmittelbar und zwingend geltende Tarifbestimmungen hinter einzelvertraglichen Vereinbarungen mit für den Arbeitnehmer günstigeren Bedingungen zurück. Ob ein Arbeitsvertrag abweichende günstigere Regelungen gegenüber dem Tarifvertrag enthält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der tarifvertraglichen und der arbeitsvertraglichen Regelung. Bei diesem sog. Günstigkeitsvergleich sind die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen gegenüberzustellen, die in einem inneren Zusammenhang stehen (sog. Sachgruppenvergleich). Für dessen Durchführung sind die abstrakten Regelungen maßgebend, nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im konkreten Einzelfall. Hängt es von dessen Umständen ab, ob die betreffende Regelung günstiger ist oder nicht (sog. ambivalente Regelung), ist keine „Günstigkeit“ iSv. § 4 Abs. 3 TVG gegeben (sh. nur BAG 15. April 2015 - 4 AZR 587/13 - Rn. 27 ff., aaO).

30

c) Nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen trägt die Partei, die geltend macht, die arbeitsvertragliche Regelung sei günstiger als die tarifvertragliche, die entsprechende Darlegungslast. Handelt es sich bei der arbeitsvertraglichen Regelung um eine Bezugnahmeklausel, ist nicht nur der Inhalt der Klausel selbst