BVerwG 7. Senat, Urteil vom 27.09.2018, 7 C 24/16

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 7 C 24/16 (BVerwG)

vom 27. September 2018 (Donnerstag)


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Der Kläger wendet sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Abfallverbrennungsanlage durch die Beigeladene im ... Seehafen.

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Mit Bescheid vom 4. September 2000 wurde der E. GmbH ... die Errichtung und der Betrieb einer Restabfallbeseitigungsanlage mit einer jährlichen Gesamtkapazität von 230 000 Mg/a (Megagramm pro Jahr), bestehend aus einer mechanisch-biologischen Behandlungsanlage und einer thermischen Abfallbehandlungsanlage mit 166 440 Mg/a Anteil an der Gesamtkapazität immissionsschutzrechtlich genehmigt. Die mechanisch-biologische Behandlungsanlage wurde am 1. Juni 2005 in Betrieb genommen. Die thermische Abfallbehandlungsanlage wurde nicht errichtet, jedoch die Inbetriebnahmefrist bis zum 1. Juni 2008 verlängert.

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Die ehemalige Genehmigungsinhaberin und Betreiberin beantragte im April 2006 die Allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3e UVPG a.F. für die Errichtung und den Betrieb einer thermischen Abfallbehandlungsanlage. Das ehemalige Staatliche Amt für Umwelt und Natur ... stellte im Januar 2007 fest, dass von dem Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten seien und eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nicht erforderlich sei.

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Am 10. November 2006 beantragte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG zur Errichtung und Inbetriebnahme eines Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerkes. Gegenstand der Änderung gegenüber der im Jahr 2000 genehmigten thermischen Abfallbehandlungsanlage war die Erhöhung der Feuerungswärmeleistung durch den Einsatz geänderter Brennstoffe und eine Erhöhung der Annahmekapazität von 166 440 Mg/a auf 230 000 Mg/a für die thermische Behandlungsanlage. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung wurde antragsgemäß nicht durchgeführt.

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Mit Bescheid vom 12. März 2007 erteilte das Staatliche Amt für Umwelt und Natur ... der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen die Genehmigung zur wesentlichen Änderung der im Jahr 2000 genehmigten Restabfallbeseitigungsanlage mit den Anlagenteilen mechanisch-biologische Behandlungsanlage und thermische Abfallbehandlungsanlage durch die Errichtung und Inbetriebnahme eines Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerkes mit der beantragten Annahmekapazität/Durchsatz von maximal 230 000 Mg/a bei täglich 24-stündigem Betrieb. Auf Grundlage der am 21. März 2007 angeordneten sofortigen Vollziehung der Genehmigung wurde die Anlage errichtet und seitdem betrieben.

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Der Kläger ist Miteigentümer eines von ihm bewohnten Hausgrundstücks, das etwa 1,6 km östlich der Anlage liegt. Zur Begründung seiner nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage machte er geltend, die Genehmigung habe nicht als Änderungsgenehmigung ohne Durchführung einer UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt werden dürfen.

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Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 5. April 2016 die Genehmigung aufgehoben.

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Der Kläger habe einen Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung nach § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG i.d.F. vom 20. November 2015 wegen Fehlens der erforderlichen UVP. Bei dem Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerk handele es sich nicht lediglich um eine Änderung der bereits geplanten und genehmigten thermischen Abfallbehandlungsanlage, sondern um die immissionsschutzrechtliche Neuerrichtung einer solchen Anlage. Hierfür sei nach § 3b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Ziffer 8.1.1 der Anlage zum UVPG i.d.F. des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes vom 9. Dezember 2006 eine UVP zwingend vorgesehen. Bei der Einordnung als Neuerrichtung falle wesentlich ins Gewicht, dass das Vorhaben nach seiner Verwirklichung nicht mehr Teil der ursprünglich genehmigten Restabfallbeseitigungsanlage sei. Entscheidend seien insoweit die Unterschiede zwischen den Anlagen bzw. ihren Teilen, insbesondere die Kapazitätserhöhung und der Einsatz heizwertreicherer Ersatz- oder Sekundärbrennstoffe, was nahezu zu einer Verdoppelung der maximalen Feuerungswärmeleistung führe. Insgesamt sei der Gesamtcharakter der thermischen Abfallbehandlungsanlage derart geändert worden, dass die gesamte Anlage als neue Anlage qualifiziert werden müsse.

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Die Durchführung einer UVP wäre aber auch dann erforderlich gewesen, wenn es sich nur um ein Änderungsvorhaben handeln würde. Für diesen Fall habe das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung zwar nur die Pflicht zur Vorprüfung eines Einzelfalls vorgesehen. Die Pflicht ergebe sich jedoch aus der UVP-Richtlinie selbst, die insoweit unmittelbar anwendbar sei. Auch dieser Verfahrensfehler werde von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG erfasst.

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Das Verfahren könne nicht zur Nachholung der erforderlichen UVP nach § 4 Abs. 1b Satz 2 UmwRG a.F. ausgesetzt werden. Auch nach dieser Regelung könne eine erforderliche, aber unterlassene UVP im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden.

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Die Genehmigung sei nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG a.F. zudem wegen der fehlenden Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 10 BImSchG aufzuheben, die sowohl bei der Neuerrichtung als auch bei einer wesentlichen Änderung der bereits genehmigten Anlage aus unionsrechtlichen Gründen erforderlich gewesen sei.

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Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beigeladene Verfahrensmängel und trägt des Weiteren vor, dass das Urteil zu Unrecht eine UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens und eine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung angenommen habe. Aber auch wenn man insoweit von einem Fehler des Verwaltungsverfahrens ausgehe, führe dies nach der mittlerweile in Kraft getretenen Vorschrift des § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG n.F. wegen der Heilbarkeit des unterstellten Verfahrensfehlers in einem ergänzenden Verfahren nicht zur Aufhebung der Genehmigung. Noch im Revisionsverfahren könne das Gericht die Verhandlung bis zur Heilung der Verfahrensfehler aussetzen. Die Aussetzung sei hier im Interesse der Verfahrenskonzentration sachdienlich.

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Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 5. April 2016 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 2. September 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern auszusetzen.

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Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil und wendet sich gegen die beantragte Aussetzung des Verfahrens.

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Der Beklagte unterstützt die Revision der Beigeladenen. Dem Kläger stehe bei unterstellter Richtigkeit der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts zu den Verfahrensfehlern kein Anspruch auf Aufhebung nach § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG n.F. sondern nur ein Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 4 Abs. 1b i.V.m. Abs. 1 UmwRG n.F. zu. Sowohl die UVP als auch eine Öffentlichkeitsbeteiligung könnten nachgeholt werden. Aufgrund dieser Heilungsmöglichkeit sperre § 4 Abs. 1b UmwRG die Aufhebung.

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Die zulässige Revision ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg (1.). Die Aufhebung der verfahrensfehlerhaft erteilten Genehmigung durch das Oberverwaltungsgericht begründet wegen der nunmehr gebotenen Anwendung des § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG n.F. allerdings einen Bundesrechtsverstoß (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (2.). Ob sich die Aufhebung der Genehmigung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 2 VwGO), lässt sich mangels tatsächlicher Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur materiellen Genehmigungsfähigkeit der Anlage nicht feststellen, sodass das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO) (3.).

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1. Die von der Beigeladenen erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

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a) Das Oberverwaltungsgericht hat die Klagebefugnis des Klägers nicht verfahrensfehlerhaft bejaht.

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Das Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe die Nachbareigenschaft des Klägers im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImschG zu Unrecht angenommen, führt nicht auf einen Verfahrensmangel, sondern betrifft eine materiell-rechtliche Vorfrage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 2009 - 7 B 25.09 - NVwZ 2010, 256 Rn. 30). Ein Bundesrechtsverstoß liegt insoweit nicht vor. Der Begriff der Nachbarschaft, die bei Errichtung und Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu schützen ist, knüpft an den Einwirkungsbereich der Anlage an und setzt eine räumliche Nähe voraus. Zur Nachbarschaft zählen nur solche Personen, die sich in dem Einwirkungsbereich der Anlage mehr als nur gelegentlich aufhalten bzw. Rechte an dort befindlichen Sachen haben. Voraussetzung ist eine sachliche und dauerhafte Bindung zu einem Ort innerhalb des Einwirkungsbereichs im Sinne eines qualifizierten Betroffenseins, die sich deutlich abhebt von den Auswirkungen, die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1996 - 1 C 10.95 - BVerwGE 101, 157 <164 f.>). Zur Nachbarschaft gehören jedenfalls Eigentümer und Bewohner von Grundstücken im Einwirkungsbereich der Anlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1982 - 7 C 50.78 - Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 6 S. 19 f.), der durch untergesetzliche Regelwerke näher konkretisiert wird. In der TA Luft wird die relevante Vorbelastung durch Messungen an festgelegten Beurteilungspunkten innerhalb des Beurteilungsgebietes bestimmt (vgl. Jarass, BImSchG, 12. Aufl., § 3 Rn. 38), das sich aufgrund seiner Funktion mit dem Einwirkungsgebiet deckt (Thiel, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Juli 2018, § 3 BImSchG Rn. 28). Beurteilungsgebiet ist gemäß Nr. 4.6.2.5 TA Luft die Fläche, die sich vollständig innerhalb eines Kreises um den Emissionsschwerpunkt mit einem Radius befindet, der dem 50fachen der tatsächlichen Schornsteinhöhe entspricht und in der die Zusatzbelastung im Aufpunkt mehr als 3,0 vom Hundert des Langzeitkonzentrationswertes beträgt.

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Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts liegt das 1,6 km von der Anlage entfernte Grundstück des Klägers im 2,5 km-Radius (50 m Schornsteinhöhe x 50) des Beurteilungsgebietes (UA S. 17). Zwar wird nach der Immissionsprognose in den Antragsunterlagen die Gesamtbelastung für die Beurteilungswerte mit Ausnahme von Benzo(a)pyren eingehalten; für Letztere wird die 3%-Marke gerade erreicht (GfBU-Gutachten vom 22. Januar 2007 S. 33 ff. unter 5.2.1). Das Oberverwaltungsgericht stellt bei der Annahme der Klagebefugnis aber darauf ab, dass danach genau die Grenze des Zulässigen erreicht werde und der Kläger bei einer derart knapp verfehlten Betroffenheit die Möglichkeit haben müsse, die Richtigkeit des Gutachtens im gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen (UA S. 17). Damit werden die prozessrechtlichen Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO nicht verfehlt. Mit dem von ihm im Widerspruchsverfahren vorgelegten Gutachten von Gebhardt vom 15. August 2008 hat der Kläger die Begutachtung aus den Genehmigungsunterlagen (GfBU-Gutachten) qualifiziert angezweifelt. Bei der knappen Einhaltung der 3%-Irrelevanzschwelle der Nr. 4.6.2.5 der TA Luft erscheint eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten nicht ausgeschlossen, sodass die Klagebefugnis bejaht werden kann.

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b) Das Oberverwaltungsgericht hat kein unzulässiges Zwischen- bzw. Teilurteil erlassen, indem es ausdrücklich nur den Ausgangsbescheid vom 12. März 2007 und nicht auch den Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2009 aufgehoben hat. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), sodass der Widerspruchsbescheid grundsätzlich keine eigenständige Bedeutung hat und die Aufhebung des ursprünglichen Verwaltungsaktes genügt. Da der Widerspruchsbescheid den Widerspruch lediglich (vollumfänglich) zurückweist, begründet er gegenüber dem Ausgangsbescheid keine eigenständige Beschwer des Klägers. Der Widerspruchsbescheid teilt in diesem Fall das Schicksal des Ausgangsbescheides (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. November 1975 - 7 B 38.75 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 29).

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c) Die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nach § 4 Abs. 1b Satz 2 UmwRG a.F. durch das Oberverwaltungsgericht ist einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich.

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Eine Aussetzungsentscheidung unterliegt in Folge der Sperrwirkung des § 557 Abs. 2 ZPO (i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO) regelmäßig nicht einer Beurteilung durch das Revisionsgericht, weil Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts über eine Verfahrensaussetzung gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar sind. Nichts anderes gilt, wenn über eine hilfsweise begehrte Aussetzung im Urteil entschieden und diese verweigert wird (BVerwG, Urteil vom 31. März 2011 - 10 C 2.10 - BVerwGE 139, 272 Rn. 15). Da sich die Aussetzung nach § 4 Abs. 1b Satz 2 UmwRG a.F. zur Heilung von Verfahrensfehlern der Sache und ihrer Wirkung nach nicht von der Aussetzung nach § 94 VwGO unterscheidet, gelten diese Grundsätze entsprechend. Eine Überprüfung der Zwischenentscheidung kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Verweigerung der Aussetzung des Verfahrens zu einem verfahrensrechtlichen Folgemangel geführt hat, der dem angefochtenen Urteil weiter anhaftet (vgl. Naumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 11). Dies ist hier weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

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Ist dem Senat danach eine Überprüfung der Ablehnung der Aussetzung durch das Oberverwaltungsgericht verwehrt, kommt es auf die von der Revision aufgeworfene unionsrechtliche Frage nicht mehr entscheidungserheblich an, sodass die angeregte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union schon deswegen ausscheidet.

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2. Im Einklang mit Bundesrecht bejaht das Oberverwaltungsgericht eine UVP-Pflicht für das Vorhaben und die Erforderlichkeit einer Öffentlichkeitsbeteiligung (a). Der Verfahrensfehler der unterlassenen UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung rechtfertigt jedoch wegen des zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung geltenden § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG i.d.F. des Gesetzes vom 20. November 2015, zuletzt neu gefasst durch Bekanntmachung vom 23. August 2017 (BGBl. I S. 3290 - UmwRG n.F.), nicht die Aufhebung der Genehmigung (b).

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a) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, für das Vorhaben sei zu dem für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt sowohl eine UVP als auch eine Öffentlichkeitbeteiligung erforderlich gewesen, sodass deren Unterlassen einen absoluten Verfahrensfehler im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1a bzw. 2 UmwRG begründet, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

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aa) Bei den für den Aufhebungsanspruch nach § 4 Abs. 1 Nr. 1a und 2 i.V.m. Abs. 3 UmwRG maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen des Fehlens einer UVP und einer Öffentlichkeitsbeteiligung stellt das Oberverwaltungsgericht zutreffend auf die zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung am 12. März 2007 geltende Rechtslage ab. Zwar ist bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung im Falle der Drittanfechtung auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung - hier auf den Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2008 - abzustellen, zu dem die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1991 - 7 B 102.90 - Buchholz 406.25 § 4 BImSchG Nr. 5 S. 2). Bei der Aufhebung einer Entscheidung nach § 4 Abs. 1 UmwRG kommt es dagegen auf das Vorliegen eines (absoluten) Verfahrensfehlers an, sodass die für dieses Verfahren bis zu dessen Abschluss durch Genehmigungsentscheidung geltende Rechtslage maßgeblich ist. Diese wird vorliegend durch das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz in der Fassung des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2819 - UVPG a.F.) bestimmt.

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bb) Zur Genehmigung des Vorhabens war eine UVP erforderlich. Dies gilt bei Beachtung des Unionsrechts unabhängig davon, ob das Vorhaben eine Neuerrichtung oder eine wesentliche Änderung der genehmigten Anlage darstellt, sodass es einer diesbezüglichen Festlegung nicht bedarf.

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Die Neuerrichtung einer thermischen Abfallbeseitigungsanlage war nach § 3b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Ziffer 8.1.1 Spalte 1 der Anlage 1 zum UVPG a.F. UVP-pflichtig.

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Die Änderung beziehungsweise Erweiterung der Anlage hatte nach nationalem Recht gemäß dem insoweit maßgeblichen § 3e Abs. 1 UVPG a.F. lediglich eine Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalls zur Folge. Nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG a.F. bestand eine UVP-Pflicht nur, wenn durch die Änderung oder Erweiterung die in der Anlage 1 zum UVPG für Vorhaben der Spalte 1 angegebenen Größen- oder Leistungswerte selbst erreicht oder überschritten werden. Das schied bei Ziffer 8.1.1 der Anlage 1 zum UVPG a.F. aber aus, weil darin - im Unterschied zu der am 30. Oktober 2007 durch das Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vom 23. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2470) geänderten Rechtslage - solche Werte nicht festgelegt waren. Die Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalls führte zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen hat, sodass gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG a.F. eine UVP nicht erforderlich war.

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Bei Annahme einer Änderung der Anlage gebietet indes das Unionsrecht die Durchführung einer UVP. Dies folgt, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, aus der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (UVP-RL 2003). Die Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendung der Richtlinie sind gegeben. Die Umsetzungsfrist der Richtlinie 97/11/EG, die in Nr. 10 des Anhangs I zu Art. 4 Abs. 1 bereits eine UVP-Pflicht für Abfallbeseitigungsanlagen zur Verbrennung ungefährlicher Abfälle mit Kapazität von mehr als 100 t/d enthielt, war am 14. März 1999 abgelaufen. Die Umsetzungsfrist für die Änderungen durch die Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie 2003/35/EG lief bis zum 25. Juni 2005. Die maßgeblichen Vorschriften der Richtlinie sind für eine unmittelbare Anwendung auch hinreichend bestimmt. Ein Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bezüglich der Begründung einer UVP-Pflicht nach Art. 4 Abs. 2 UVP-RL 2003 besteht nur für Projekte des Anhangs II. Hier handelt es sich aber um ein Projekt nach Nr. 10 beziehungsweise Nr. 22 des Anhangs I, das gemäß Art. 4 Abs. 1 UVP-RL 2003 zwingend einer UVP zu unterziehen ist, sodass insoweit kein mitgliedstaatlicher Umsetzungsspielraum besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 11. August 1995 - C-431/92 [ECLI:EU:C:1995:260], Großkrotzenburg - Rn. 37 ff.). Die mit dem Vorhaben Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerk einhergehende Kapazitätserweiterung gegenüber der thermischen Abfallbehandlungsanlage überschreitet den Schwellenwert der Nr. 10 des Anhangs I der UVP-RL 2003 von 100 t/d, der gemäß Nr. 22 für jede Änderung oder Erweiterung von Projekten gilt, die für sich genommen die Schwellenwerte erreicht. Danach ist eine an den genannten Grenzwerten orientierte typisierende Betrachtung der Anlage anzustellen, sodass mit dem Oberverwaltungsgericht allein auf die Größe der Anlage unter Berücksichtigung des genehmigten Umfangs der Kapazitätserweiterung und nicht mit der Revision auf den angeblich tatsächlich nur nutzbaren Teil abzustellen ist.

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Zu Unrecht wendet die Revision ein, das Oberverwaltungsgericht überschreite die Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung, indem es § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG über den Wortlaut hinaus nicht nur bei einer sich nach dem nationalen Recht, sondern auch bei einer sich aus der unmittelbaren Anwendung des Unionsrechts ergebenden UVP- und Öffentlichkeitsbeteiligungspflicht anwendet (UA S. 30 f.). Angesichts der dargelegten unionsrechtlichen Vorgaben der UVP-RL 2003 einerseits und unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes (Art. 197 Abs. 1 AEUV) sowie des Äquivalenzprinzips (vgl. EuGH, Urteile vom 14. Dezember 1995 - C-312/93 [ECLI:EU:C:1995:437], Peterbroeck - Rn. 12 und vom 16. Mai 2000 - C-78/98 [ECLI:EU:C:2000:247], Preston u.a. - Rn. 31) andererseits ist eine unionsrechtskonforme Auslegung dahingehend geboten, dass das Unterlassen auch einer bei unmittelbarer Anwendung einer Richtlinienbestimmung vorgeschriebenen UVP als absoluter Verfahrensfehler im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG anzusehen ist. Hierfür spricht der Umstand, dass die Vorschrift der europarechtskonformen Umsetzung von Artikel 10a der geänderten UVP-Richtlinie dient (BT-Drs. 16/2495 S. 14).

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cc) Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Oberverwaltungsgericht auch eine Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung für das Vorhaben angenommen. Besteht nach obigen Ausführungen eine UVP-Pflicht, folgt diese bereits unmittelbar aus § 9 Abs. 1 UVPG a.F.

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b) Der durch die unterlassene UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung begründete Verfahrensfehler rechtfertigt nicht die Aufhebung der Genehmigung. Auf Grundlage des zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung geltenden § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG i.d.F. des Gesetzes vom 20. November 2015, zuletzt neu gefasst durch Bekanntmachung vom 23. August 2017 (BGBl. I S. 3290 - UmwRG n.F.), der nach der Überleitungsvorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 UmwRG in laufenden Gerichtsverfahren anzuwenden ist, hat der Kläger keinen Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung, weil nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung der Verfahrensvorschriften über die UVP-Pflicht und die Öffentlichkeitsbeteiligung durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden können.

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aa) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung der Entscheidung u.a. dann verlangt werden, wenn eine erforderliche UVP (Nr. 1 Buchst. a) oder eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 UVPG oder im Sinne von § 10 BImSchG (Nr. 2) weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist. Diese Fehler sind erheblich, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen und ob die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können (BVerwG, Urteile vom 2. Oktober 2013 - 9 A 23.12 - Buchholz 451.91 EuropUmwR Nr. 55 Rn. 21 und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138 Rn. 34).

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Die Fehlerfolgenregelung des § 4 Abs. 1 UmwRG gilt in erster Linie für die umweltrechtliche Verbandsklage; sie ist aber gemäß § 4 Abs. 3 UmwRG auf Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO entsprechend anwendbar mit der Folge, dass die Verfahrensfehler ungeachtet der sonst geltenden einschränkenden Maßgaben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zur Begründetheit der Klage führen (BVerwG, Urteile vom 20. Dezember 2011 - 9 A 30.10 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 33 Rn. 21 f., vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138 Rn. 34 und vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 16 Rn. 23).

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bb) Nach § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG n.F. führt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann.

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Die vorliegend unterlassenen Verfahrenshandlungen können nachgeholt werden, indem das ursprüngliche immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren wieder aufgenommen und insoweit wiederholt wird, als es fehlerhaft war. Dieser Bezug auf das ursprüngliche Verfahren verbietet es, das Vorhaben im ergänzenden Verfahren in seinen Grundzügen oder in wesentlichen Teilen zu modifizieren (vgl. Seibert, NVwZ 2018, 97 <100>). Hierfür ist nichts ersichtlich. Soweit der Kläger mit Blick auf den von der Beigeladenen nunmehr gestellten Antrag auf Neugenehmigung gemäß § 4 BImSchG einwendet, eine Heilung sei nicht möglich, weil der Antrag, der der fehlerbehafteten Genehmigung zugrunde liege, im Hinblick auf die geänderten materiellen Genehmigungsvoraussetzungen wesentlich geändert werden müsse und es dann an der Identität von ursprünglichem und zu heilendem Vorhaben fehle, verkennt er, dass seine Klage allein die Genehmigung des im Antrag vom 10. November 2006 beschriebenen und mit Bescheid vom 12. März 2007 genehmigten Vorhabens betrifft.

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Insbesondere angesichts des Ergebnisses der UVP-Vorprüfung besteht auch kein Anlass für die Annahme, dass auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen UVP der Erlass eines rechtmäßigen Bescheids von vornherein ausgeschlossen ist. Nur dies hinderte die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens (vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Juli 2018, § 4 UmwRG Rn. 85).

41

Schließlich steht Unionsrecht der Nachholung der UVP nicht entgegen; dies gilt auch, wenn das Vorhaben vor Abschluss des gerichtlichen Verfahrens bereits errichtet worden ist (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 - NVwZ 2018, 1647 Rn. 38 ff. m.w.N.; Fellenberg/Schiller, a.a.O. Rn. 101).

42

3. Der Senat hat eine das Revisionsverfahren abschließende Entscheidung zu treffen. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG n.F. zur Nachholung der unterlassenen Verfahrensschritte, wie von der Beigeladenen beantragt, kommt in der Revisionsinstanz nicht in Betracht (vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Dezember 2017, § 4 UmwRG Rn. 18). Nach § 45 Abs. 2 VwVfG, der nach § 4 Abs. 1b Satz 2 Nr. 1 UmwRG n.F. unberührt bleibt, kann die Verletzung von Verfahrensvorschriften nur bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden. Die Vorschrift ist erweiternd dahingehend zu verstehen, dass sie nicht auf Verfahrensfehler im Sinne von § 45 Abs. 1 VwVfG beschränkt ist (BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 - BVerwGE 131, 352 Rn. 24). Dies gilt auch bei Anwendung der vorliegend einschlägigen und mit dem Bundesrecht wortgleichen Bestimmung des Landesrechts, die als "andere entsprechende Rechtsvorschrift" heranzuziehen ist (vgl. OVG Münster, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 - BauR 2015, 1138 <1148>).

43

Mangels Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur materiellen Genehmigungsfähigkeit der Anlage kommt weder eine Zurückweisung der Revision nach § 144 Abs. 4 VwGO noch eine Sachentscheidung des Senats (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) in Betracht, sodass die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Soweit eine Entscheidung auf der Grundlage des § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG n.F. zu treffen ist, wird das Oberverwaltungsgericht gegebenenfalls zu prüfen haben, ob der Anspruch unter Verzicht auf die Erklärung der Nichtvollziehbarkeit auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung zu beschränken ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 - NVwZ 2018, 1647 Rn. 46).