BSG 2. Senat, Urteil vom 06.09.2018, B 2 U 16/17 R

Das Urteil unter dem Aktenzeichen B 2 U 16/17 R (BSG)

vom 6. September 2018 (Donnerstag)


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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. März 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

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Die Beteiligten streiten darüber, ob die gesundheitlichen Folgen einer Operation als Folgen eines Arbeitsunfalls festzustellen sind, sowie über die Zahlung von Verletztengeld.

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Der in einer Spedition beschäftigte Kläger wurde am 19.9.2012 von einem Hubwagen angefahren und erlitt ein Anpralltrauma des rechten Handgelenks mit einer Schürfung am ellenseitigen Handgelenk. Er begab sich in Behandlung des Durchgangsarztes (D-Arzt) Dr. A. Dieser stellte am rechten Handgelenk eine 2 mal 2 cm große Schürfwunde ellenseitig rechts, aber weder eine Fraktur noch eine Weichteil- oder Bänderverletzung, sondern lediglich eine anlagebedingte Fehlstellung der distalen Elle bzw eine Subluxation der Elle fest. Danach untersuchte der D-Arzt Dr. S. den Kläger am 9.10.2012. Dr. S. führte in seinem Bericht an die Beklagte aus, die vom Kläger vorgetragenen erheblichen Schmerzen sowie die glaubhafte Versicherung, dass die Beschwerden vor dem Unfall nicht bestanden hätten, ließen trotz des Magnetresonanztomographie (MRT)-Befunds an ein frisches Ereignis mit Unfallzusammenhang glauben. Deshalb halte er die probatorische Transfixation der Elle mit Stellschraube für vier bis sechs Wochen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung für indiziert. Der Kläger solle sich zur sofortigen Operation im Krankenhaus N. vorstellen. Im Krankenhaus N. sah hingegen der D-Arzt Dr. L. keine Operationsindikation, sondern regte eine Vorstellung in der Unfallbehandlungsstelle der Berufsgenossenschaften B. e.V. (UBS) an. Der dort tätige Arzt Dr. H. schlug eine Arthroskopie des rechten Handgelenks zur Beurteilung der Verletzungsfolgen vor. Der D-Arzt Dr. S. operierte sodann den Kläger am 18.10.2012, ohne dass zuvor die vorgeschlagene diagnostische Arthroskopie durchgeführt wurde. Im Anschluss an diese Operation litt der Kläger unter dem Zustand nach Reposition und Transfixation der Elle rechts sowie Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im rechten Handgelenk.

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Die Beklagte erkannte das Ereignis vom 19.9.2012 als Arbeitsunfall an und stellte eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit wegen der Handgelenksprellung mit Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk der Elle bis 13.11.2012 fest. Einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld und Übernahme der Behandlungskosten über den 13.11.2012 hinaus lehnte sie ab, weil die diagnostizierte Subluxationsstellung der distalen Elle keine Unfallfolge sei (Bescheid vom 24.7.2013 und Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013).

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Das SG hat unter Abänderung der Bescheide der Beklagten festgestellt, dass der Zustand nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, eine Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie die Funktionseinschränkungen der rechten Hand Folgen des Unfalls vom 19.9.2012 seien, und hat die Beklagte verurteilt, über den 23.2.2013 hinaus Verletztengeld zu zahlen (Urteil vom 23.9.2015). Zur Begründung hat es ausgeführt, im Rahmen des § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII komme es nicht darauf an, ob eine Behandlung objektiv unfallbedingt notwendig gewesen sei. Maßgebend sei vielmehr, ob sich nach den vorliegenden Umständen die Behandlung als Akt der Beklagten darstelle. Hierfür genüge es, dass der D-Arzt Dr. S. dem Kläger zu verstehen gegeben habe, dass er von einer Behandlungsnotwendigkeit aufgrund des Unfalls ausgehe. Damit habe er den Anschein erweckt, die Behandlung werde aufgrund des Unfalls durchgeführt.

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Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 2.3.2017). Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom SG festgestellten Gesundheitsschäden seien nicht auf das als Arbeitsunfall anerkannte Ereignis zurückzuführen, weil bereits vor der Operation eine habituelle, unfallfremde Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk rechts vorgelegen habe. Der Zustand nach Reposition und Transfixation der Elle rechts sei deshalb nicht durch den unfallbedingten Gesundheitsschaden der Handgelenksprellung verursacht worden. Diese weiteren Gesundheitsschäden seien auch nicht durch eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder eine zur Aufklärung des Sachverhalts angeordneten Untersuchung iS von § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII verursacht worden. Es sei ein anlage- und kein unfallbedingter Gesundheitsschaden operiert worden. Die Folgen der Behandlung eines solchen objektiv nicht durch den Unfall verursachten Gesundheitsschadens könnten nicht gemäß § 11 SGB VII dem Arbeitsunfall zugerechnet werden. Es komme deshalb nicht darauf an, ob der Kläger darauf habe vertrauen dürfen, dass es sich bei der Operation um eine von der Beklagten veranlasste Heilbehandlung iS des § 11 Abs 2 Nr 1 SGB VII gehandelt habe. Deshalb habe der die Operation veranlassende D-Arzt Dr. S. auch nicht gehört werden müssen. Die bloße irrige Vorstellung des Versicherten, er nehme an einer Maßnahme des Unfallversicherungsträgers teil, könne nicht dazu führen, Folgen der Behandlung eines objektiv anlagebedingten Schadens dem Unfall zuzurechnen.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 11 SGB VII. Die Operation sei eine Heilbehandlung der Unfallfolgen iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII gewesen und damit Ursache der geltend gemachten und vom SG festgestellten weiteren Unfallfolgen. Für die Annahme einer mittelbaren Unfallfolge iS des § 11 SGB VII sei es gerade nicht erforderlich, dass ein Versicherungsfall objektiv vorgelegen habe. Es komme vielmehr darauf an, ob er darauf habe vertrauen dürfen, dass es sich bei der Operation um eine von der Beklagten veranlasste, notwendige Heilbehandlung gehandelt habe. Die Beklagte habe hier durch ihren D-Arzt Dr. S. bei ihm den Anschein erweckt, dass der Eingriff zur Behandlung von Unfallfolgen erfolge.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 2.3.2017 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

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Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Der Senat kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob die geltend gemachten Gesundheitsstörungen mittelbare Folgeschäden des Arbeitsunfalls vom 19.9.2012 iS des § 11 SGB VII sind und ob der Kläger Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld über den 26.2.2013 hinaus hat. Entgegen der Rechtsansicht des LSG scheiden die vom SG benannten Gesundheitsstörungen nicht schon allein deshalb als festzustellende Unfallfolgen aus, weil die durch den D-Arzt Dr. S. durchgeführte Operation objektiv lediglich der Behebung eines anlagebedingten Leidens diente, das gerade nicht auf den anerkannten Arbeitsunfall zurückzuführen war. Maßgebend ist vielmehr, ob der Kläger aufgrund des Verhaltens des D-Arztes Dr. S. den Eindruck haben durfte, die Operation solle gerade zur Behebung der Unfallfolgen durchgeführt werden. Zu den gesamten Umständen der Beratung und Behandlung des Klägers durch den D-Arzt Dr. S. fehlt es aber an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen, die das LSG - von seiner Rechtsansicht her konsequent - unterlassen hat.

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Es ist über die vom Kläger gemäß § 54 Abs 1 SGG zulässig erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.7.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2013 zu entscheiden, soweit die Beklagte mit ihm die Anerkennung weiterer Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.9.2012 - neben der von ihr festgestellten Unfallfolge einer Handgelenksprellung und einer Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk der Elle bis 31.11.2012 - sowie die Zahlung von Verletztengeld über den 26.2.2013 hinaus abgelehnt hat. Mit seiner zulässigen Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 SGG (vgl dazu zB BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 ff) begehrt der Kläger die Feststellung des Zustands nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, die Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie die Funktionseinschränkungen der rechten Hand als Folgen des Unfalls vom 19.9.2012 (zum Anspruch auf Feststellung von unmittelbaren und mittelbaren Unfallfolgen BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 ff). Darüber hinaus verfolgt er gemäß § 54 Abs 4 SGG einen Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld über den 26.2.2013 hinaus.

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Aufgrund der vorhandenen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob die vom SG als Unfallfolgen ausgeurteilten Gesundheitsschäden des Zustands nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, einer Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie Funktionseinschränkungen der rechten Hand Folgen des Unfalls vom 19.9.2012 sind (hierzu unter 1.) und ob Verletztengeld über den 26.2.2013 hinaus zu zahlen ist (hierzu unter 2.).

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1. Versicherte haben gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge, wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge des Vorliegens eines der Tatbestände des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wurde (vgl BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909 und vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1). Die weiteren Gesundheitsschäden des Klägers stellen objektiv betrachtet jedenfalls keine durch den Gesundheitserstschaden verursachte Unfallfolge dar (hierzu unter a). Ob sie aber durch die Erfüllung eines Tatbestands des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wurden (hierzu unter b), lässt sich auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden, weil hierfür maßgeblich ist, wie der Kläger die durchgeführte Operation nach den gesamten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte (hierzu unter c).

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a) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die durch das SG als weitere Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen keine sog unmittelbaren Unfallfolgen eines Gesundheitserstschadens iS des § 8 Abs 1 SGB VII sind. Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge eines Versicherungsfalls iS des § 8 SGB VII (im engeren Sinne), wenn sie gerade durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das "objektive", dh aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters, Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls verursacht worden ist (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1 mwN). Diese Voraussetzung liegt hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten weiteren Gesundheitsschäden nicht vor. Die Beklagte hat für die Beteiligten bindend als Gesundheitserstschaden lediglich eine Handgelenksprellung und als Unfallfolge eine Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk der Elle bis zum 13.11.2012 anerkannt. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) sind die vom SG ausgeurteilten weiteren Gesundheitsschäden schon rein naturwissenschaftlich nicht ursächlich durch den Gesundheitserstschaden einer Handgelenksprellung oder einen anderen von der Beklagten festgestellten Gesundheitserstschaden des Unfallereignisses vom 19.9.2012 hervorgerufen worden. Die geltend gemachten weiteren Schäden wurden nach den bindenden Feststellungen des LSG zwar naturwissenschaftlich kausal iSd ersten Stufe der Wesentlichkeitstheorie durch die Operation verursacht (vgl zu den beiden Prüfungsstufen der sog Wesentlichkeitstheorie: BSG vom 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R - BSGE 123, 24-35 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1, RdNr 16; BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 19 mwN; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 32 ff mwN). Es handelte sich bei dieser Operation aber nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des LSG lediglich um die Behebung eines anlagebedingten und bereits vor dem Unfall vorhandenen Leidens, der Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk der Elle.

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b) Obwohl also durch den D-Arzt Dr. S. lediglich eine anlagebedingte Gesundheitsstörung - hier eine Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk der Elle rechts - behandelt wurde, können die vom SG ausgeurteilten Gesundheitsschäden des Zustands nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, die Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie die Funktionseinschränkungen der rechten Hand gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII dem anerkannten Arbeitsunfall vom 19.9.2012 dennoch als sog mittelbare Unfallfolge zugerechnet und deshalb als Unfallfolgen festgestellt werden. Denn auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können die Tatbestände des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII auslösen.

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Gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch Gesundheitsschäden oder der Tod des Versicherten infolge der Durchführung einer Heilbehandlung. Anders als § 555 Abs 1 RVO setzt § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht mehr voraus, dass bei der Heilbehandlungsmaßnahme ein "Unfall" vorliegt, sodass auch Gesundheitsstörungen ohne neues Unfallereignis erfasst werden. § 11 SGB VII stellt eine spezielle Zurechnungsnorm dar, die Gesundheitsschäden auch dann einem anerkannten Versicherungsfall zurechnet, wenn sie etwa durch die Durchführung einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder durch eine Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts wesentlich verursacht wurden. Aber auch diese gesetzliche Zurechnung setzt voraus, dass die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands des § 11 SGB VII durch das (behauptete oder anerkannte) Unfallereignis notwendig bedingt war (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1).

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Die Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII liegt vor, wenn der Unfallversicherungsträger dem Versicherten einen Anspruch auf eine bestimmte Heilbehandlungsmaßnahme nach den §§ 26 ff SGB VII - nicht notwendig durch Verwaltungsakt in Schriftform - bewilligt oder ihn durch seine Organe oder Leistungserbringer zur Teilnahme an einer solchen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme aufgefordert hat und der Versicherte an der Maßnahme des Trägers den Anordnungen der Ärzte folgend teilnimmt. Wie der Senat in seinem Urteil vom 5.7.2011 (B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1) ausgeführt hat, beruht die gesetzliche Zurechnung auf der (grundsätzlich auch mitwirkungspflichtigen) Teilnahme des Versicherten an einer vom Unfallversicherungsträger oder diesem zurechenbar bewilligten oder angesetzten Maßnahme. Es kommt rechtlich nicht darauf an, ob die Heilbehandlungsmaßnahme durch den Träger objektiv rechtmäßig war oder ob objektiv ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 26 Abs 5 S 1 SGB VII) über die Bewilligung eines Anspruchs auf diese Heilbehandlung bestand. Nicht notwendig ist deshalb, dass objektiv, dh aus der nachträglichen Sicht eines fachkundigen Beobachters, die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls oder einer Unfallfolge im engeren Sinne wirklich vorlagen. Auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können die Tatbestände des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder ggf § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII auslösen.

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An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz der geäußerten Kritik fest (vgl auch BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909 mwN). Soweit die Beklagte davon ausgeht, diese Rechtsprechung betreffe lediglich den Tatbestand der Untersuchung iS des § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII, trifft dies nicht zu. Die Ausführungen des Senats bezogen sich ausdrücklich auch auf den Tatbestand des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ist der Tatbestand des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII auch dann erfüllt, wenn der Träger oder sein Leistungserbringer, und dabei insbesondere der D-Arzt, für den Versicherten den Anschein gesetzt hat, es solle eine unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlungsmaßnahme durchgeführt werden. Dass der Wortlaut des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII - anders als § 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII - die "Anordnung" einer Heilmaßnahme nicht enthält, spricht nicht gegen diese Auslegung. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass es für den Versicherten unerheblich sei, ob es sich bei der Durchführung einer Heilbehandlung um eine berufsgenossenschaftliche oder sonstige ärztliche Behandlung handele, trifft dies erkennbar nicht zu. Denn bei einer berufsgenossenschaftlichen Behandlung werden ggf Kosten übernommen, die von der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung nicht getragen bzw erstattet werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten werden durch diese Auslegung auch nicht Gesundheitsschäden entschädigt, die nicht in die Risikosphäre der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Hat nämlich der Unfallversicherungsträger oder seine Leistungserbringer durch ein ihm zuzurechnendes Verhalten bei dem Versicherten den Anschein geweckt, es solle eine unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlungsmaßnahme durchgeführt werden, sind durch diese Behandlung verursachte Schäden gerade auch auf ein Verhalten des Unfallversicherungsträgers zurückzuführen. Es verwirklicht sich dann ein Risiko, vor dem die gesetzliche Unfallversicherung ebenfalls schützen und für das bei Schadenseintritt durch § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII Entschädigung geleistet werden soll.

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Erforderlich ist allerdings, dass der Unfallversicherungsträger die Maßnahme gegenüber dem Versicherten in der Annahme des Vorliegens einer Unfallfolge im engeren Sinne veranlasst hat. Das Unfallereignis muss also notwendige Bedingung der Durchführung der Heilbehandlungsmaßnahme gewesen sein. Für die Frage, ob eine solche dem Versicherten gegenüber angeordnete Maßnahme vorliegt, kommt es entscheidend darauf an, ob der Träger durch seine Organe oder seine Leistungserbringer dem Versicherten den Eindruck vermittelt hat, es solle gerade eine solche Maßnahme des Unfallversicherungsträgers durchgeführt werden. Zwar reicht allein die bloß irrige Vorstellung des Versicherten, er nehme an einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung teil, nicht aus, den Zurechnungstatbestand des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII zu erfüllen. Anders liegt es jedoch, wenn der Träger oder seine Leistungserbringer für den Versicherten den Anschein, beim Erlass von Verwaltungsakten oder bei der Abgabe von Willenserklärungen ggf auch den Rechtsschein gesetzt haben, es solle eine solche unfallversicherungsrechtliche Maßnahme durchgeführt werden (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1).

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Eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII liegt deshalb vor, wenn ein D-Arzt der gesetzlichen Unfallversicherung in dieser Funktion zur Behandlung einer von ihm als unfallbedingt eingeschätzten Gesundheitsbeeinträchtigung ohne weiteren Kontakt zum Unfallversicherungsträger tätig wird oder dem Versicherten gegenüber eindeutig und klar erklärt, dass es sich bei dem ärztlichen Eingriff um eine Heilbehandlungsmaßnahme zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalls handelt. Denn der D-Arzt hat gemäß § 27 Abs 1 des Vertrags nach § 34 Abs 3 SGB VII in der hier anwendbaren, ab 1.1.2011 geltenden Fassung unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Verletzung zu beurteilen und zu entscheiden, ob eine allgemeine Heilbehandlung oder eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Leitet er eine besondere Heilbehandlung ein, so führt er die Behandlung durch. Dem D-Arzt kommt damit an dieser Stelle die Funktion eines Amtswalters des Unfallversicherungsträgers zu, der für den Versicherungsträger verbindlich den Behandlungs- und Untersuchungsanspruch des Versicherten konkretisiert und für dessen Fehler der Versicherungsträger ggf zu haften hat (vgl BGH vom 29.11.2016 - VI ZR 208/15 - BGHZ 213, 120). Bei den Zurechnungstatbeständen des § 11 SGB VII muss sich der Unfallversicherungsträger daher das Handeln des D-Arztes grundsätzlich zurechnen lassen (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; vgl zur Einordnung des Handelns des Durchgangsarztes als Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe mit der Folge, dass die Unfallversicherungsträger für etwaige Fehler in diesem Bereich haften, BGH vom 29.11.2016 - VI ZR 208/15 - BGHZ 213, 120).

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Maßgebend für das Vorliegen des besonderen Zurechnungstatbestands des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII sind dabei die Anordnungen und sonstigen dem Versicherten gegenüber gezeigten Verhaltensweisen des konkret die Maßnahme ankündigenden und durchführenden Unfallversicherungsträgers bzw des D-Arztes. Denn der D-Arzt kann durch sein dem Unfallversicherungsträger zurechenbares Handeln den Tatbestand des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII eröffnen, wenn ein an Treu und Glauben orientierter Versicherter die Erklärungen und Verhaltensweisen des D-Arztes als Aufforderung zur Teilnahme an einer vom Unfallversicherungsträger gewollten Maßnahme verstehen durfte (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1). Der verletzte Versicherte, der sich ggf in einem akuten, emotional aufgeladenen Krankheitsgeschehen befindet und selbst die medizinischen Fragen nicht überblickt, darf grundsätzlich auf die Angaben des D-Arztes vertrauen. Hat der D-Arzt für den Versicherten den Eindruck erweckt, eine Maßnahme sei zur Behandlung einer Unfallfolge erforderlich und als unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlung durchzuführen, muss sich der redliche Versicherte hierauf verlassen können. Allein die Tatsache, dass eine oder ggf sogar mehrere abweichende ärztliche Auffassungen existieren und dem Versicherten gegenüber auch geäußert werden, genügt deshalb in der Regel noch nicht, den durch einen D-Arzt gesetzten Anschein einer durchzuführenden Maßnahme zur Behandlung einer Unfallfolge zu beseitigen. Eine Zurechnung des Verhaltens des D-Arztes im Rahmen des Tatbestands des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Versicherte zB aufgrund einer klaren Äußerung des D-Arztes Kenntnis hat, dass kein Unfallerstschaden und keine Unfallfolge behandelt werden sollen. Eine Zurechnung kann schließlich auch ausgeschlossen sein, wenn in kollusivem Zusammenwirken zwischen D-Arzt und dem verletzten Versicherten Heilmaßnahmen zu Lasten des Unfallversicherungsträgers vorgenommen werden, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

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c) Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, dass die Operation durch den D-Arzt Dr. S. zur Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 SGB VII erfolgte. Das LSG hat zwar festgestellt, dass Dr. S. in seinem Zwischenbericht über die Untersuchung vom 9.10.2012 eine Operation für erforderlich gehalten hatte, weil er trotz des MRT-Befunds an einen Ursachenzusammenhang glaubte. Ebenso hat es festgestellt, dass er diese Operation durchführte und dass diese Operation kausal zu den weiteren, geltend gemachten Gesundheitsschäden führte. Ob jedoch Dr. S. in dem Zeitraum zwischen der ersten Untersuchung und der dann durchgeführten Operation weiterhin dieser Auffassung war und diese Überzeugung dem Kläger auch so vermittelte, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Das LSG wird daher aufzuklären haben, ob und welche Umstände vorlagen, die Aufschluss darüber geben könnten, dass Dr. S. bis zu der Operation weiterhin von einer Behandlung eines Unfallerstschadens ausging und dies dem Kläger gegenüber auch so klar zum Ausdruck brachte. Das LSG wird dabei insbesondere zu ermitteln haben, welche Erklärungen Dr. S. gegenüber dem Kläger abgegeben hat. Anlass zu weiteren Ermittlungen zu dem Inhalt der Gespräche zwischen Dr. S. und dem Kläger besteht hier auch deshalb, weil andere Ärzte offenbar nicht ohne Weiteres von der erforderlichen Behandlung eines Unfallerstschadens bzw einer unmittelbaren Unfallfolge ausgegangen waren. Durch Befragung des Dr. S. und auch des Klägers wird daher zu ermitteln sein, inwiefern die anderen ärztlichen Ansichten diesem mitgeteilt wurden und inwiefern es dem Kläger klar war, dass über die Notwendigkeit einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung medizinischer Streit bestand. So sah der D-Arzt Dr. L. in seinem Bericht an die Beklagte vom 9.10.2012 keine Operationsindikation und regte eine Vorstellung in der UBS an. Er führte in diesem Bericht aus, dies habe er telefonisch Dr. S. mitgeteilt. Dr. H., tätig für die UBS, hielt in seinem Bericht vom 15.10.2012 eine Arthroskopie zur weiteren Aufklärung für indiziert, wenn sich dies aufgrund von MRT-Befunden ergebe. Die Voraussetzungen des Zurechnungstatbestands des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII dürften hier folglich nur dann gegeben sein, wenn das LSG zu der Feststellung gelangt, dass die Operation als Heilbehandlung gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII von Dr. S. gerade in seiner Eigenschaft als D-Arzt angeordnet wurde und Dr. S. dem Kläger gegenüber den objektivierbaren Anschein oder Rechtsschein gesetzt hat, dass die Operation im Rahmen der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit durchgeführt wird. Konnte der Kläger insofern auf entsprechende Erklärungen und ein diesen entsprechendes Verhalten des Dr. S. vertrauen, so kann dieses Vertrauen auch die Tatsache überwiegen, dass dem Kläger möglicherweise bekannt war, dass andere Ärzte eine unterschiedliche Auffassung zur erforderlichen Heilbehandlung aufgrund des Unfallereignisses und des Gesundheitserstschadens vertraten. Insofern verkennt die Revision und auch das LSG, dass der im unmittelbaren Eindruck eines Unfallgeschehens stehende Verletzte kein rational kalkulierendes Subjekt ist, das verschiedene ärztliche Auffassungen zur Kausalität eines unfallbedingten Krankheitsgeschehens jeweils objektiv abwägen und beurteilen kann. Jedenfalls spricht die Tatsache allein, dass unterschiedliche Ärzte unterschiedliche Auffassungen vertraten, nicht dafür, dem Kläger von vorneherein abzusprechen, dass er subjektiv und als medizinischer Laie auf eine dieser Meinungen vertrauen durfte.

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2. Ob dem Kläger nach § 45 SGB VII unter Berücksichtigung der Regelungen des § 46 SGB VII Verletztengeld über den 23.2.2013 hinaus zu zahlen ist, kann der Senat schließlich ebenfalls mangels der erforderlichen Feststellungen durch das LSG nicht entscheiden. Die Beklagte hatte die weitere Zahlung abgelehnt, weil eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit wegen der Handgelenksprellung mit Verschlechterung der Subluxationsstellung im distalen Radio-Ulnar-Gelenk nur bis 13.11.2012 bestanden habe. Das LSG wird daher ua festzustellen haben, ob und wie lange unter Berücksichtigung der noch im Einzelnen konkret festzustellenden weiteren Unfallfolgen Arbeitsunfähigkeit bestand, sowie ob die weiteren Voraussetzungen für die Zahlung von Verletztengeld vorlagen.

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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.