BSG 7. Senat, Urteil vom 27.02.2019, B 7 AY 1/17 R

Das Urteil unter dem Aktenzeichen B 7 AY 1/17 R (BSG)

vom 27. Februar 2019 (Mittwoch)


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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 8. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Revisionsverfahren zu erstatten.

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Im Streit ist im Revisionsverfahren noch die Höhe von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum vom 1.9.2006 bis zum 31.12.2007.

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Die Kläger sind miteinander verheiratet und leben mit ihren 1997 und 2000 geborenen Söhnen, den früheren Klägern zu 3 und 4, seit 2003 im Bundesgebiet. Sie sind aserbaidschanische Staatsangehörige und wurden im Oktober 2004 der Samtgemeinde D. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugewiesen; im streitigen Zeitraum waren sie Inhaber von Duldungen (vgl § 60a Abs 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz <AufenthG>). Ihre Identität haben sie erst 2012 durch Vorlage von Ausweispapieren nachgewiesen; zuvor hatten sie falsche Angaben zu ihrer Person (Geburtsdaten und Namen) gemacht. Der Kläger verbüßte vom 19.3. bis 3.12.2007 eine Freiheitsstrafe.

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Ihre Anträge auf Asyl lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (als Rechtsvorgänger des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge <BAMF>) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass keine Abschiebungshindernisse nach (dem bis 31.12.2004 geltenden, durch das AufenthG ersetzten) § 53 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz - AuslG) vorliegen (Bescheid vom 15.5.2003; Urteil des Verwaltungsgerichts <VG> Osnabrück vom 25.8.2003); ein Folgeantrag blieb ebenfalls ohne Erfolg (Bescheid vom 23.8.2004). Im Februar 2005 beantragte der Kläger beim BAMF unter Änderung des Bescheids vom 15.5.2003 die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG, da er unter Hepatitis C leide, die in Aserbaidschan nicht behandelt werden könne, und er hiervon seit November 2004 Kenntnis habe. Dieser Antrag blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 7.3.2005; Urteil des VG Osnabrück vom 12.9.2005). Ein weiterer Antrag mit dieser Begründung vom 13.11.2006, den das BAMF erneut ablehnte (Bescheid vom 23.11.2006), hatte im Ergebnis eines Klageverfahrens Erfolg (Urteil des VG Hannover vom 3.7.2008).

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Seit Oktober 2004 erhielten die Kläger und ihre Söhne Leistungen nach dem AsylbLG. Unter anderem für die Zeit ab dem 1.1.2006 bewilligte die Samtgemeinde D. nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG in der bis zum 28.2.2015 geltenden Fassung (im Folgenden: alte Fassung <aF>), und zwar ohne den Anteil, der auf den sog Barbetrag (Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von jeweils 40,90 Euro) für den Kläger und die Klägerin entfiel (Bescheid vom 15.12.2005). Nach Anhörung gewährte der Beklagte sämtlichen Familienmitgliedern ab dem 1.9.2006 weitergehend eingeschränkte Leistungen (Zahlbetrag 932,87 Euro) ohne die Anteile für den Barbetrag und dem Kläger und der Klägerin zudem ohne die Anteile an Wertgutscheinen für Bekleidung (in Höhe von je 15,34 Euro), weil der Kläger keine Bemühungen zur Passbeschaffung nachgewiesen und keine Identitätsnachweise vorgelegt habe (Bescheide vom 10.8.2006, vom 16.10.2006, vom 29.1.2007, vom 27.2.2007 und vom 19.3.2007; Widerspruchsbescheid vom 27.3.2007). Über Einkommen und Vermögen verfügten die Kläger in der Zeit vom 1.9.2006 bis zum 31.12.2007 nicht.

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Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat den Beklagten auf die auf höhere Leistungen für die Zeit von September 2006 bis Oktober 2008 gerichteten Klagen verurteilt, an den Kläger 1357,26 Euro (Bekleidungspauschale sowie ab 13.11.2006 - Zeitpunkt des Antrags nach § 60 Abs 7 AufenthG - Barbetrag) und an die Klägerin 398,84 Euro (Bekleidungspauschale) zu zahlen und die Klagen der Klägerin und der Kinder wegen der Absenkung der Leistungen um den Barbetrag abgewiesen (Urteil vom 23.10.2012). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert, die Verurteilung zu weiteren Leistungen an den Kläger teilweise - soweit sie auf die Zeit der Inhaftierung entfiel - aufgehoben und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen beruhe nicht auf (allein) vom Kläger zu vertretenden Gründen. Es fehle an der für § 1a Nr 2 AsylbLG aF erforderlichen konkreten Kausalität, weil der Kläger zur Überzeugung des Gerichts ohnehin wegen seines Gesundheitszustands nicht habe ausreisen können. Dieser Schutz bestehe wegen Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) auch zugunsten der Klägerin. Dabei sei nicht der Zeitpunkt entscheidend, zu dem das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs 7 AufenthG behördlich oder durch das VG anerkannt worden sei, weil eine Tatbestandswirkung aufenthaltsrechtlicher Entscheidung nur wegen der aufenthaltsrechtlichen Tatbestände bestehe, an die die Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG geknüpft sei.

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Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung von § 1a AsylbLG aF. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse iS des § 60 Abs 7 AufenthG seien von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht zu überprüfen. Diese Kompetenz stehe vielmehr ausschließlich den Ausländerbehörden und den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu. Deren bestandskräftigen Entscheidungen komme Bindungswirkung zu. Der Barbetrag und die Bekleidungspauschale gehörten auch nicht zu dem unabweisbar Gebotenen.

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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 8. Dezember 2016 und das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Oktober 2012 zu ändern und die Klagen insgesamt abzuweisen.

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Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie sind der Auffassung, dass die Revisionseinlegung nicht rechtzeitig erfolgt sei, und halten die Entscheidung des LSG in der Sache für zutreffend.

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Die Revision des Beklagten ist zulässig. Sie ist mit dem (im Übrigen formgerechten) Schriftsatz am 6.11.2017 (einem Montag) insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision durch den Senat (vom 21.9.2017) eingelegt worden (vgl § 164 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Das von der zum Empfang berechtigten Person unterzeichnete Empfangsbekenntnis, das bei der hier vom Gericht gewählten Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (vgl § 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 174 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung <ZPO>) als Nachweis der Zustellung genügt (vgl § 174 Abs 4 Satz 1 ZPO), weist als Zustelldatum zwar den 29.9.2017 aus. Zur Überzeugung des Gerichts ist der Beschluss aber tatsächlich erst am 4.10.2017 in Empfang genommen und die Frist zur Einlegung der Revision für den Beklagten erst an diesem Tag in Lauf gesetzt worden.

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Bei Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an Behörden nach § 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 174 ZPO ist die Zustellung nicht bereits mit dem Zugang des Schriftstücks in der Behörde bewirkt (vgl nur BSG vom 10.11.1993 - 11 RAr 47/93 - juris 21 mwN; insoweit in BSGE 73, 195 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3 nicht abgedruckt). Erforderlich ist vielmehr, dass der hierfür zuständige Bedienstete der Behörde von dem Zugang des Schriftstücks Kenntnis erhält und den Empfang bestätigt (Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 21.12.1979 - 4 ER 500/79 - NJW 1980, 2427). Die Personen innerhalb der Behörde, die zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigt sind und also ein entsprechendes Empfangsbekenntnis ausstellen, gibt das Gesetz nicht vor; ihre Auswahl steht vielmehr der Behörde selbst zu. Die Organisationsstruktur einer Behörde bietet bereits die ausreichende Gewähr dafür, dort überhaupt gegen Empfangsbekenntnis zustellen zu können; maßgeblich für die Möglichkeit der Zustellung in Behörden ist - anders als bei Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern etc - nicht die Zuverlässigkeit einer bestimmten natürlichen Person, die ihrerseits den Empfang von zustellungsbedürftigen Schriftstücken gegen Empfangsbekenntnis nicht übertragen darf (vgl dazu BSG vom 23.4.2009 - B 9 VG 22/08 B - SozR 4-1750 § 174 Nr 1 RdNr 10 ff). Die Entgegennahme nur durch den Leiter der Behörde oder nur durch Personen mit Befähigung zum Richteramt ist damit nicht Voraussetzung für die ordnungsgemäße Zustellung eines Beschlusses nach § 160a SGG (vgl Bundesarbeitsgericht <BAG> vom 14.12.1994 - 5 AZR 137/94 - NJW 1995, 1916; Häublein in Münchener Komm zur ZPO, 5. Aufl 2016, § 174 RdNr 11; Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl 2018, § 174 RdNr 17). Dass die Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses über den Beschluss nach § 160a SGG nicht dem Vertretungszwang nach § 73 Abs 4 SGG unterliegt, wird im Übrigen schon daraus deutlich, dass die Zustellung nach § 174 Abs 1 Satz 1 ZPO an eine Behörde nicht voraussetzt, dass dort ein Bediensteter die Befähigung zum Richteramt besitzt.

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Zuständig für die Entgegennahme des Beschlusses nach § 160a SGG und die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses war nach den vom Beklagten im Einzelnen aufgezeigten organisatorischen Entscheidungen die Verwaltungsangestellte W.. Das von ihr unterzeichnete Empfangsbekenntnis, das auf den 29.9.2017 datiert ist, erbringt als öffentliche Urkunde iS von § 418 ZPO vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch dafür, dass der genannte Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht. Die Richtigkeit des aus dem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Zustellungsdatums ist hier aber widerlegt. Die Verwaltungsangestellte W. war am 29.9.2017 nicht im Büro anwesend; vielmehr ist nachgewiesen, dass sie am 29.9. (Freitag) und am 2.10.2017 (Montag) Erholungsurlaub in Anspruch genommen hat und für diese beiden Tage ihre Vertretung nicht geregelt war. Unerheblich ist damit, dass sie nach Rückkehr an ihren Arbeitsplatz am 4.10.2017 bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses unzutreffend davon ausgegangen ist, das Datum des Posteingangs am 29.9.2017 sei maßgeblich für den Empfang gewesen. Die Verzögerung von lediglich zwei Arbeitstagen zwischen Eingang und Empfang durch die zuständige Person ist schließlich nicht als verschuldet anzusehen; an sog Brückentagen (wie hier am Freitag und am Montag vor einem Feiertag am Dienstag) ist eine Behörde jedenfalls nicht verpflichtet entsprechende Vorkehrungen für die Zustellung zu treffen.

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Die Revision des Beklagten ist aber unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen unter Aufhebung der streitbefangenen Bescheide (dazu gleich) entschieden, dass den Klägern in den noch streitigen Zeiträumen höhere Leistungen zustanden, als sie der Beklagte bewilligt hat.

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Gegenstand des Rechtsstreits sind (noch) die Bescheide des Beklagten vom 10.8.2006, vom 16.10.2006, vom 29.1.2007, vom 27.2.2007 und vom 19.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.3.2007 (§ 95 SGG). Den Streitgegenstand haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG zunächst auf höhere Leistungen für die Zeit vom 1.9.2006 bis 31.10.2008 begrenzt; im Revisionsverfahren ist durch den Abschluss eines sog Unterwerfungsvergleichs eine weitergehende Einschränkung auf die Zeit bis zum 31.12.2007 erfolgt. Über die Rechtmäßigkeit der im laufenden Klageverfahren ergangenen Bescheide vom 29.1.2008 und vom 1.7.2008, die ausschließlich Leistungszeiträume ab dem 1.1.2008 regeln, ist damit eine Entscheidung im Revisionsverfahren nicht zu treffen, unabhängig davon, ob sie ursprünglich Gegenstand des Verfahrens (vgl § 96 Abs 1 SGG) geworden waren. Damit erfasst der Streitgegenstand höhere Leistungen des Klägers für die Zeit vom 1.9.2006 bis zum 18.3.2007 der Höhe nach begrenzt auf insgesamt 264,33 Euro (Bekleidungspauschale für den gesamten Zeitraum und für die Zeit ab dem 13.11.2006 zudem den Barbetrag) und für die Zeit vom 4.12.2007 bis zum 31.12.2007 der Höhe nach begrenzt auf 52,49 Euro (anteilige Bekleidungspauschale und anteiliger Barbetrag) sowie Ansprüche der Klägerin für den Zeitraum vom 1.9.2006 bis zum 31.12.2007 der Höhe nach begrenzt auf 245,44 Euro (Bekleidungspauschale für den gesamten Zeitraum). Nachdem nur der Beklagte gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt hat, sind Ansprüche der Kinder nicht mehr streitbefangen und Ansprüche des Klägers und der Klägerin der Höhe nach auf die vom SG zugesprochenen Geldbeträge beschränkt. Da die Berufung wegen Leistungen für die Zeit der Inhaftierung des Klägers Erfolg hatte und das LSG (klarstellend) zur Zahlung von Leistungen an den Kläger nur für die übrigen Zeiträume verurteilt hat, sind schließlich dessen Ansprüche im Revisionsverfahren auf diese Zeiträume und die entsprechenden Geldbeträge beschränkt; denn er hat sich gegen das Urteil des LSG nicht mit einer Revision gewandt.

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Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) erhobenen Klagen sind zulässig. Ihr Klageziel, höhere Leistungen zu erlangen als mit Bescheid vom 15.12.2005 zeitlich unbefristet bewilligt (das auch die Klägerin ursprünglich verfolgt hat), war nicht allein mit der Anfechtung der ab dem 10.8.2006 ergangenen Bescheide zu erreichen. Da mit diesen Bescheiden eine eigenständige und vollständige Überprüfung der Höhe der Leistungen für die Zeit ab 1.9.2006 vorgenommen worden ist (die sich an § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <SGB X> misst, dazu sogleich), konnten die Kläger diese Festsetzung zulässigerweise auch mit dem Ziel angreifen, ab diesem Zeitpunkt höhere als die im Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Leistungen zu erhalten (zur Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen im Anwendungsbereich des § 48 SGB X unter dem Gesichtspunkt des Art 19 Abs 4 Satz 1 GG vgl im Übrigen auch BSG vom 20.9.2012 - B 8 SO 4/11 R - BSGE 112, 54 = SozR 4-3500 § 28 Nr 8, RdNr 15 ff). Zulässig ist dabei auch die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer Geldleistung, obwohl das AsylbLG wegen der Leistungen zur Deckung des Existenzminimums vorrangig die Gewährung von Sachleistungen vorsieht. Für die Vergangenheit können Sachleistungen und ihnen zuzuordnende Wertgutscheine nicht mehr erbracht werden, weil mit ihnen das ursprüngliche Ziel der tatsächlichen Bedarfsdeckung in der Vergangenheit nicht mehr erreicht werden kann (vgl BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 10 mwN).

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Die Bescheide des Beklagten sind, soweit sie noch streitbefangen sind, rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben gegen den Beklagten als sachlich und örtlich zuständigen Leistungsträger zunächst einen Anspruch auf Leistungen in der mit Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Höhe. Der Beklagte war mangels Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nicht auf Grundlage von § 48 SGB X berechtigt, zu Lasten der Kläger eine (weitere) Minderung der Leistungen um den in den ausgegebenen Wertgutscheinen enthaltenen Betrag für Kleidung ab dem 1.9.2006 (in Höhe von 15,34 Euro monatlich) zu verfügen. Für die Zeit ab dem 13.11.2006 (Wiederaufnahmeantrag des Klägers beim BAMF, gestützt auf die Hepatitis C-Erkrankung) hat der Kläger aufgrund einer zu seinen Gunsten eingetretenen Änderung der Verhältnisse darüber hinaus einen Anspruch auf höhere (ungeminderte) Leistungen nach dem AsylbLG. Die Klägerin selbst kann keine weiteren Leistungen (ggf in Höhe des Barbetrags bzw - während der Inhaftierung ihres Ehemanns - auf Grundleistungen als Haushaltsvorstand) beanspruchen. Sie hat gegen das Urteil des SG kein Rechtsmittel eingelegt.

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Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide misst sich ausschließlich an § 48 Abs 1 SGB X. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ua aufgehoben werden, soweit die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 vorliegen.

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Die Samtgemeinde D. hatte vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide bereits mit Bescheid vom 15.12.2005 ab dem 1.1.2006 die auf das im Einzelfall unabweisbar Gebotene abgesenkten Leistungen auf Grundlage von § 1a Nr 2 AsylbLG aF (hier in der Fassung, die die Norm mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 25.8.1998 <BGBl I 2505> erhalten hat) zeitlich unbefristet, also auf Dauer, bewilligt (zu den Leistungsvoraussetzungen im Einzelnen später) und die Leistungen dabei (nur) in Höhe des Barbetrags vermindert. Ob sie damit das "unabweisbar Gebotene" zutreffend bestimmt hat (vgl dazu BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 23 ff), kann offenbleiben; denn der Bescheid ist bestandskräftig geworden.

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An einer von § 48 SGB X vorausgesetzten Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen zu Lasten der Kläger, die dem bindend gewordenen Bescheid der Samtgemeinde D. vom 15.12.2005 über die Bewilligung von (nur um den Barbetrag abgesenkten) Leistungen zugrunde lagen, fehlt es aber. Der Beklagte durfte das unabweisbar Gebotene nicht neu bestimmen und die Leistungen nach dem AsylbLG zusätzlich in Höhe der Bekleidungspauschale mindern. Es kann deshalb offenbleiben, ob der Beklagte für die teilweise Aufhebung der Entscheidung der mit der Satzung vom 7.7.1994 zur Durchführung des AsylbLG herangezogenen Samtgemeinde D. sachlich überhaupt zuständig war, weil die "Satzung über die Heranziehung der Städte, Gemeinden und Samtgemeinden (einschließlich Stadt H.) zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes" vom 7.7.1994 erst mit Satzung vom 24.11.2008 mit Wirkung vom 1.1.2009 aufgehoben worden ist (§§ 1 und 2 Satzung über die Aufhebung der Satzung zur Heranziehung der Städte, Gemeinden und Samtgemeinden <einschließlich Stadt H.> zur Durchführung des AsylbLG).

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Der von dem Beklagten in den angefochtenen Entscheidungen und bei der Anhörung angeführte Grund eines fortgesetzt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens stellt keine Änderung iS von § 48 SGB X dar. Die Bestimmung von Inhalt und Umfang des zur Existenzsicherung "unabweisbar Gebotenen" erfolgt anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls allein bedarfsorientiert (vgl bereits BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 21). Die Bedarfe bestehen dabei unabhängig von der Art und der Dauer des fortgesetzt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Nur die Änderung der Bedarfslage ist bezogen auf die Höhe der Leistungen relevant; dagegen ändert sich das "unabweisbar Gebotene" nicht schon dadurch, dass die Kläger ihre Abschiebung fortgesetzt über Jahre verhindert haben. Veränderungen auf der Bedarfsseite zu Lasten der Kläger gegenüber der bestandskräftigen Bewilligung vom 15.12.2005 sind indes nicht ersichtlich und vom Beklagten nicht einmal behauptet worden. Damit haben die Kläger weiterhin Anspruch auf Leistungen in der mit Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Höhe.

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Für den Kläger besteht vom 13.11.2006 bis zum 18.3.2007 und (nach seiner Entlassung aus der Haft) ab dem 5.12.2007 zudem Anspruch auf einen höheren als den im Bescheid vom 15.12.2005 festgesetzten Betrag, wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben. Seine Ansprüche waren ab Stellung des erneuten Antrags auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG am 13.11.2006 nicht auf Grundlage von § 1a Nr 2 AsylbLG aF (in der Fassung, die die Norm mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 25.8.1998 <BGBl I 2505> erhalten hat) zu begrenzen, weil es seither an der erforderlichen Kausalität zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und dem Nichtvollzug der Abschiebung fehlte. Insoweit sind ab dem 13.11.2006 wegen einer Änderung der Verhältnisse zugunsten des Klägers, die zwingend zu einer höheren Leistung führt, entgegenstehende Bescheide nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufzuheben und höhere Leistungen zu gewähren.

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Das SG hat insoweit zu Recht den Beklagten und nicht die Samtgemeinde D. zur Erbringung von höheren Leistungen verurteilt. Die sachliche Zuständigkeit des beklagten Landkreises ergibt sich aus § 10 Satz 1 AsylbLG iVm § 2 Abs 1 des Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG (Aufnahmegesetz <AufnG> vom 11.3.2004 <GVBl 2004, 100>); seine örtliche Zuständigkeit folgt aus § 10a Abs 1 Satz 1 AsylbLG (in der Fassung des 1. AsylbLGÄndG, aaO), weil die Kläger seinem Zuständigkeitsbereich zugewiesen worden sind. Ob die Samtgemeinde D. mit der Satzung vom 7.7.1994 wirksam zur Durchführung des AsylbLG herangezogen war, obwohl der Inhalt der Satzung den Vorgaben von § 2 Abs 3 AufnG nicht entsprach, kann insoweit offenbleiben. Jedenfalls ist die Satzung zum 1.1.2009 aufgehoben worden (siehe oben), sodass eine Verurteilung der Samtgemeinde zur Erbringung von Leistungen nach dem AsylbLG nach diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht kommt.

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Dem Kläger standen - wovon auch das SG im Ergebnis ausgegangen ist - ab 13.11.2006 Leistungen auf Grundlage von § 3 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 und 3 AsylbLG aF in voller Höhe zu. Er war als Inhaber einer Duldung nach § 60a Abs 2 AufenthG leistungsberechtigt nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG (insoweit unverändert in der Fassung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern <Zuwanderungsgesetz> vom 30.7.2004 <BGBl I 1950>) und lebte außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG; nunmehr Asylgesetz <AsylG>). Bedarfsminderndes Einkommen ist bis zum 31.12.2007 nicht zugeflossen; über Vermögen verfügte der Kläger nicht. Wegen der Höhe der Leistungen ist die alte Fassung des § 3 AsylbLG für Leistungszeiträume bis zum 31.12.2010 dabei trotz der Verfassungswidrigkeit der Norm anwendbar, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BGBl I 2012, 1715 f = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2) durch Ziffer 1 des Tenors (dort Satz 2) in Gesetzeskraft angeordnet hat.

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Nach § 1a Nr 2 AsylbLG aF erhalten ua Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG, also Personen mit einer Duldung, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Die Anwendung dieser Norm scheidet - anders als das SG meint - für den streitigen Zeitraum nicht schon deshalb aus, weil sich die klägerische Leistungsberechtigung ab Stellung des erneuten Antrags beim BAMF am 13.11.2006 aus § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG ergeben hätte. Nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG folgt nur aus Folgeanträgen iS des § 71 Abs 1 iVm § 13 AsylG eine gegenüber § 1 Abs 1 Nr 4 und 5 AsylbLG eigenständige Anspruchsberechtigung; denn die mit der Einfügung von § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG durch das Zuwanderungsgesetz bezweckte Gleichstellung mit Asylerstantragstellern (dazu BT-Drucks 15/420, 120) setzt eine (erneute) Prüfung von Asylgründen durch das BAMF voraus. Damit muss es sich bei den in § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG in Bezug genommenen Anträgen um solche handeln, die sich inhaltlich auf die in §§ 3 und 4 AsylG aufgeführten verfassungs- bzw unionsrechtlichen Schutzkonzepte beziehen. Der Kläger hat am 13.11.2006 aber lediglich einen isolierten Antrag auf Wiederaufgreifen der Entscheidung über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs 7 AufenthG iVm § 51 Abs 1 Nr 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) gestellt. Ein solcher Antrag (sog Folgeschutzantrag; vgl nur Verwaltungsgerichtshof <VGH> Baden-Württemberg vom 29.5.2017 - 11 S 2493/16 - InfAuslR 2017, 404; Hessischer VGH vom 14.12.2006 - 8 Q 2642/06.A - InfAuslR 2007, 130; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl 2016, § 71 AsylG RdNr 5 und 13) begründet wegen der alleinigen Entscheidungskompetenz des BAMF (§ 24 Abs 2 AsylG) zwar eine asylrechtliche Streitigkeit (vgl dazu BVerwG vom 21.3.2000 - 9 C 41/99 - BVerwGE 111, 77, 79), setzt aber kein Folgeverfahren iS des § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG in Gang.

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Auf Grundlage der Feststellungen des LSG lag wegen der Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes ein vom Kläger zu vertretendes Verhalten iS des § 1a Nr 2 AsylbLG aF vor, aufgrund dessen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden konnten (im Einzelnen BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 15). Dieses Verhalten war bis zum 13.11.2006 auch allein kausal für den Nichtvollzug der Abschiebung (zur erforderlichen Kausalität zwischen vorwerfbarem Verhalten und dem Nichtvollzug der Abschiebung bereits BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 18 und BSG vom 30.10.2013 - B 7 AY 2/12 R - BSGE 114, 302 = SozR 4-3520 § 1a Nr 1, RdNr 25). Dabei waren der Beklagte und die Sozialgerichte an einer eigenständigen Prüfung eines etwaigen Abschiebungshindernisses wegen der Erkrankung des Klägers als weitere Ursache für den Nichtvollzug der Abschiebung gehindert, weil die Entscheidung des BAMF vom 7.3.2005 und das Urteil des VG Osnabrück vom 12.9.2005 dem im streitigen Zeitraum entgegenstanden.

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Die Frage nach einem Fehlverhalten des Leistungsberechtigten als (alleinige) Ursache für die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist (entgegen der Auffassung des LSG) mit bereits vorliegenden ausländerrechtlichen Entscheidungen zwingend verknüpft, soweit deren "Tatbestandswirkung" reicht. Die Tatbestandswirkung in dem so verstandenen Sinne - oder auch die "Beachtlichkeit" eines Verwaltungsakts (vgl Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 140 und 154 mwN; zu den verschiedenen Begrifflichkeiten auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl 2013, § 43 RdNr 17) - hat zum Inhalt, dass die durch den Verwaltungsakt für einen bestimmten Rechtsbereich getroffene Regelung als gegeben hingenommen werden muss, mithin dass der Bescheid mit dem von ihm in Anspruch genommenen Inhalt von allen rechtsanwendenden Stellen zu beachten und eigenen Entscheidungen zugrunde zu legen ist (stRspr; vgl etwa BVerwG vom 10.10.2006 - 8 C 23/05 - Buchholz 428 § 1 Abs 2 VermG Nr 35 = juris RdNr 22 mwN). Wenn wegen eines bestimmten Sachverhalts (hier der Krankheit des Klägers und deren Behandelbarkeit in Aserbaidschan) durch das BAMF eine negative Feststellung bezogen auf ein daraus resultierendes Abschiebungshindernis getroffen worden ist, die im Verhältnis zu den für den Vollzug der Ausreise zuständigen Behörden bindend ist (vgl § 42 Satz 1 AsylG), darf dies bei Prüfung der Kausalität im Rahmen des § 1a AsylbLG aF nicht unbeachtet bleiben. Soweit sich der Leistungsempfänger auf die Gefahr für Leib und Leben im Falle seiner Abschiebung in den Zielstaat beruft, ist bei der Prüfung der Kausalität nämlich mitentscheidend, ob ein solches (behauptetes) Abschiebungshindernis im Verhältnis zu den Behörden, denen die Durchführung der Abschiebung obliegt, tatsächlich durchgreifen kann. So liegt der Fall hier. Das BAMF (Bescheid vom 7.3.2005) und ihm folgend das VG Osnabrück (Urteil vom 12.9.2005) haben das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses wegen der Hepatitis C-Erkrankung rechtskräftig verneint. Die Bestandskraft der vorangegangenen Entscheidung des BAMF über das Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses wegen dieser Erkrankung war mit Stellung des Folgeschutzantrags am 13.11.2006 (noch) nicht beseitigt und deshalb vom Beklagten bei seiner Entscheidung nach § 1a AsylbLG zu beachten.

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Die Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes war seit Stellung des Folgeschutzantrags aber nicht mehr kausal für die Nichtdurchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Im Anwendungsbereich des § 1a Nr 2 AsylbLG aF ist das Erfordernis der Kausalität nur erfüllt, wenn keine außerhalb des Verantwortungsbereichs des Leistungsberechtigten liegenden Sachverhalte mitursächlich für den Nichtvollzug der Abschiebung sind (vgl Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG RdNr 68, Stand 11.2.2019). Nur in den Fällen eines Fehlverhaltens des Leistungsberechtigten, das monokausal für seine Nichtabschiebung ist, ist die Gewährung von auf das unabweisbar Gebotene beschränkter Leistungen verfassungsgemäß und verstößt die damit verbundene Einschränkung im Einzelfall insbesondere nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip (dazu bereits BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 37). Hier hat die Ausländerbehörde des Beklagten in Ansehung des erneuten Folgeschutzantrags Abschiebungsmaßnahmen aber faktisch ausgesetzt. Dies lässt die Kausalität des Verhaltens des Klägers für die Nichtdurchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen unabhängig vom Ausgang des anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens über den Folgeschutzantrag entfallen.

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Bei der Beurteilung der Kausalität ist die Bedeutung von (bestands- bzw rechtskräftigen) Entscheidungen der für die Durchführung des AsylG und AufenthG zuständigen Stellen von der Kompetenz des Trägers der Leistungen nach dem AsylbLG, einen bestimmten Sachverhalt im Rahmen der leistungsrechtlichen Vorschriften eigenständig zu überprüfen, zu unterscheiden. Die "Tatbestandswirkung" oder auch die "Beachtlichkeit" des Verwaltungsakts des BAMF vom 7.3.2005 erstreckt sich ausschließlich auf die Beurteilung der klägerischen Erkrankung als Abschiebungshindernis. Andere Sachverhalte, die neben das Fehlverhalten des Leistungsberechtigten als Ursache für den Nichtvollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen treten und die die notwendige Kausalität entfallen lassen, sind dagegen unabhängig von der Tatbestandswirkung bzw Beachtlichkeit des Bescheids vom 7.3.2005 von den Trägern der Leistungen nach dem AsylbLG und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eigenständig zu überprüfen und setzen nicht voraus, dass das BAMF oder die Gerichte (in Abkehr einer früheren bestandskräftigen Entscheidung) das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG zunächst positiv feststellen.

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Der Tatbestand des § 1a AsylbLG verlangt weder zugunsten noch zulasten des Leistungsberechtigten, dass über relevante Vorfragen aus dem Asyl- und Ausländerrecht eine Entscheidung von den Asyl- oder Ausländerbehörden getroffen worden ist. Im Gegensatz zur Leistungsberechtigung, die das Gesetz auf der Tatbestandsseite ua an den Besitz bestimmter aufenthaltsrechtlicher Titel nach dem AufenthG knüpft (dazu BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 8/13 R - BSGE 117, 297 = SozR 4-4200 § 7 Nr 41), ist bei der Frage nach der Kausalität im Tatbestand des § 1a AsylbLG aF ein Verwaltungsakt der zuständigen Behörde über das Bestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs 7 AufenthG deshalb nicht Voraussetzung (Tatbestandsmerkmal) für das Absehen von einer Beschränkung von Ansprüchen. Die Frage nach der alleinigen Kausalität eines Fehlverhaltens kann und muss von den Trägern des AsylbLG und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit also auch dann beantwortet werden, wenn Entscheidungen der für die Durchführung des AsylG und des AufenthG zuständigen Behörden in Würdigung eines bestimmten (ggf hinzugetretenen) Sachverhalts (noch) nicht vorliegen.

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Ein Sachverhalt, bei dem die (zunächst bestehende) Kausalität des missbilligten Verhaltens des Leistungsberechtigten für die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen entfällt, liegt hier vor; denn nach den vom LSG geschilderten Gesamtumständen hat die Ausländerbehörde nach Stellung des Folgeschutzantrags an der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen für die Dauer des Verfahrens nicht mehr festgehalten. Hierzu war sie zwar nicht auf Grundlage eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vom VG verpflichtet worden. Auch bei faktischer Aussetzung der Abschiebung - etwa weil ein Bescheid über das Nichtbestehen eines zielstaatsbezogenen Hindernisses angefochten ist oder auch während der Verbüßung einer Strafhaft im Inland - kommt es für die Kausalität iS des § 1a AsylbLG aF auf die Tatbestandswirkung eines negativen Bescheids über ein Abschiebungshindernis nicht mehr entscheidend an. Das Ziel der Absenkung von Leistungen auf Grundlage von § 1a Nr 2 AsylbLG aF beschränkt sich auf die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen im Einzelfall; dem Gesetz ist dagegen nicht die Wertung zu entnehmen, für die gesamte Personengruppe der "nur" geduldeten Ausländer komme per se nur eine abgesenkte Leistung in Betracht (vgl BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2, RdNr 32 f). Deshalb setzt die Absenkung wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes ein ernsthaftes Bestreben der Ausländerbehörde voraus, den Leistungsberechtigten in sein Heimatland zurückzuführen (vgl zu § 1a Abs 3 Satz 1 AsylbLG nF Oppermann, aaO, § 1a AsylbLG RdNr 76). Gibt die Ausländerbehörde aber ihrerseits im Einzelfall zu erkennen, dass sie trotz vollziehbarer Ausreisepflicht in Erwartung einer (erneuten) gerichtlichen Klärung von Abschiebungshindernissen auf solche Maßnahmen verzichtet, fehlt es an der notwendigen Kausalität für die Leistungsabsenkung.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.