BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 02.07.2019, II ZR 406/17

Das Urteil unter dem Aktenzeichen II ZR 406/17 (BGH)

vom 2. Juli 2019 (Dienstag)


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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 9. November 2017 in der Fassung des Ergänzungsurteils vom 29. Januar 2018 im Urteilsausspruch II. aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juni 2015 teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit seiner Abberufung begehrt hat (Klageantrag 1.). Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der besondere Vertreter K.      T.      wird aus dem Rechtsstreit gewiesen.

Von Rechts wegen

1

Die Beklagte ist eine GmbH. Mehrheitsgesellschafter war mit Geschäftsanteilen von mehr als 60 % des Stammkapitals F.      S.        , der dem Rechtsstreit als Nebenintervenient zu 6 auf Seiten der Beklagten beigetreten war. Die vom Kläger beherrschte Dr. J.    Vermögensverwaltung GmbH, die dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin zu 1 auf Seiten des Klägers beigetreten ist, hielt Geschäftsanteile mit einem Nennwert von ca. 15 % des Stammkapitals. Die von Söhnen des F.       S.       beherrschte S.                                          GmbH, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin zu 2 beigetreten war, hielt Geschäftsanteile mit einem Nennwert von ca. 3 % des Stammkapitals der Beklagten. Geschäftsführer der Beklagten waren jedenfalls bis 2014 der Kläger und einer der Söhne des F.     S.        , W.       S.      .

2

In § 9 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten (im Folgenden: GV) ist unter der Überschrift "Aufsichtsrat" Folgendes vereinbart:

"(1)   

Die Gesellschafter können beschließen, dass die Gesellschaft einen aus drei oder sechs Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat erhält.

                 

(2)     

Auf den Aufsichtsrat finden § 52 Abs. 1 GmbHG und die dort genannten aktienrechtlichen Bestimmungen nur Anwendung, falls und soweit die Gesellschafter dies mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschließen.

                 

(3)     

Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung. Die Gesellschafter können dem Aufsichtsrat durch Beschluss weitere Aufgaben und Befugnisse zuweisen, insbesondere das Recht gewähren, Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen, Anstellungsverträge mit diesen abzuschließen, zu ändern und zu beendigen, Geschäftsführer zu ermächtigen, die Gesellschaft allein zu vertreten, eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführer festzulegen und diesen Weisungen zu erteilen.

                 

(4)     

Die Gesellschafter können jederzeit beschließen, dass durch Gesellschaftsbeschluss gemäß Absatz 2 für anwendbar erklärte aktienrechtliche Bestimmungen keine Anwendung mehr finden oder dass dem Aufsichtsrat Aufgaben und Befugnisse, die ihm gemäß Absatz 3 durch Gesellschafterbeschluss zugewiesen wurden, nicht weiter zustehen."

3

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält weitere, den Aufsichtsrat betreffende Bestimmungen:

"§ 6   

Geschäftsführer

                 

[…]     

        
                 

(2)     

Die Geschäftsführer werden durch Gesellschafterbeschluss oder, soweit der Aufsichtsrat durch Gesellschafterbeschluss gemäß § 9 Abs. 3 ermächtigt ist, durch den Aufsichtsrat bestellt oder abberufen. [...]

                 

§ 7     

Geschäftsführung

                 

(1)     

Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Geschäfte der Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem Gesetz, diesem Gesellschaftsvertrag [...] sowie den Beschlüssen der Gesellschafter oder des Aufsichtsrates - soweit dieser gemäß § 9 Abs. 3 zur Erteilung von Weisungen ermächtigt ist - zu führen.

                 

§ 8     

Vertretung

                 

(1)     

Die Gesellschaft wird durch einen Geschäftsführerallein vertreten, wenn er alleiniger Geschäftsführer ist oder wenn die Gesellschafter ihn zur Alleinvertretungsberechtigung ermächtigt haben. Die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat, falls er gemäß § 9 Abs. 3 hierzu ermächtigt ist, können für die Geschäftsführer eine Geschäftsordnung beschließen, die auch Abweichungen von den Bestimmungen dieses Absatzes vorsehen kann.

                 

(2)     

Die Gesellschafter können einen Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien."

4

Im Verlauf des Jahres 2014 kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger auf der einen sowie F.      S.         und W.     S.       auf der anderen Seite. Am 13. Oktober 2014 fand eine von W.     S.        einberufene Gesellschafterversammlung statt mit unter anderem folgenden Tagesordnungspunkten:

"TOP 2.1:

Beschlussfassung über die Errichtung eines aus drei Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrats gemäß § 9 Absatz 3 der Satzung der Gesellschaft, welcher die Geschäftsführung überwacht und berät.

                 

TOP 2.2:

Beschussfassung über die Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an den Aufsichtsrat gemäß § 9 Absatz 3 der Satzung der Gesellschaft, insbesondere über die Einräumung folgender Befugnisse:

a)    

Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen,

                 

b)    

Anstellungsverträge mit Geschäftsführern zu schließen, zu ändern und zu beendigen und diesen Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB zu erteilen,

                 

c)    

Geschäftsführer zu ermächtigen, die Gesellschaft allein zu vertreten,

                 

d)    

eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung zu erlassen, die auch die in § 8Absatz 1 Satz 2 der Satzung der Gesellschaft angesprochenen Abweichungen und einen Katalog von Geschäftsführungsmaßnahmen, welche der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, vorsehen kann,

                 

e)    

den Geschäftsführern Weisungen zu erteilen,

                 

f)    

einen nach (d) aufgestellten Katalog zustimmungspflichtiger Geschäftsführungsmaßnahmen zu ergänzen oder abzuändern,

                 

g)    

eine Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat selbst zu beschließen.

TOP 3:   

Beschlussfassung über die Wahl von […]."

5

Die Beschlussvorschläge wurden mit einer Stimmenmehrheit von 63,318 % angenommen. Mit derselben Stimmenmehrheit wurden die ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 als Aufsichtsratsmitglieder bestellt. Der von den Minderheitsgesellschaftern auf die Tagesordnung gesetzte Antrag, W.      S.         als Geschäftsführer abzuberufen, wurde mit 63,318 % der Stimmen abgelehnt. Das Zustandekommen der Beschlüsse bzw. die Ablehnung des Abberufungsantrags wurden jeweils vom Versammlungsleiter festgestellt. Über die gegen diese Beschlüsse von einem Minderheitsgesellschafter der Beklagten erhobene Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage wurde bisher nicht entschieden.

6

Am 7. Dezember 2014 beschloss der Aufsichtsrat einstimmig die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten und die sofortige Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund. Vorsorglich wurde die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2015 beschlossen. Am 21. Dezember 2014 wurde die Kündigung des Anstellungsvertrags des Klägers vom Aufsichtsrat erneut beschlossen.

7

Auf Gesellschafterversammlungen vom 6. Januar 2015 und 7. Januar 2015, zu denen der Kläger eingeladen hatte, wurde die Einziehung des Geschäftsanteils von F.      S.         beschlossen. Gegen die Einziehungsbeschlüsse sind beim Landgericht Berlin Klagen rechtshängig.

8

Auf Antrag von F.     S.        untersagte das Landgericht Berlin mit Beschlüssen vom 7. Januar 2015 und vom 8. Januar 2015 der Beklagten und dem Kläger im Wege der einstweiligen Verfügung, aufgrund der Gesellschafterbeschlüsse vom 6. Januar 2015 und vom 7. Januar 2015 eine neue Gesellschafterliste, welche F.     S.        nicht mehr als Gesellschafter der Beklagten ausweist, beim Amtsgericht zur Veröffentlichung im Handelsregister einzureichen. Soweit die Verfügungen gegen die Beklagte gerichtet waren, bestätigte sie das Landgericht nach auf den Kostenpunkt beschränkten Widersprüchen der Beklagten mit Urteilen vom 20. Juli 2016 und 26. November 2015 im Kostenpunkt.

9

Am 22. Januar 2015 reichte der die Gesellschafterversammlungen vom 6. und 7. Januar 2015 beurkundende Notar dennoch eine Gesellschafterliste zum Handelsregister ein, die F.      S.         nicht mehr als Gesellschafter der Beklagten auswies. Diese Gesellschafterliste wurde am 6. August 2015 in den Registerordner aufgenommen. Auf Antrag von F.      S.          ordnete das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 24. August 2015 an, dass dieser Gesellschafterliste ein Widerspruch zugeordnet wurde. Am 1. September 2015 wurde eine von demselben Notar am 26. August 2015 erstellte Gesellschafterliste in das Handelsregister aufgenommen, die F.      S.         nicht mehr als Gesellschafter auswies und keinen Widerspruch enthielt.

10

Der Kläger hat mit seiner Klage die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse des Aufsichtsrats vom 7. Dezember 2014 und vom 21. Dezember 2014 über seine Abberufung (Klageantrag 1.) und die Kündigung seines Anstellungsvertrags (Klageantrag 2.) begehrt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen das Urteil haben die Beklagte sowie die ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 Berufung eingelegt. Berufungsbegründungen sind innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist von der ehemaligen Nebenintervenientin zu 2 und von den ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 eingereicht worden.

11

Am 6./7. August 2015 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten im Umlaufverfahren ohne Beteiligung von F.      S.        u.a. die Unwirksamkeit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer, vorsorglich seine Wiederbestellung zum Geschäftsführer sowie die Abberufung des Geschäftsführers W.    S.       . Die Eintragung des Geschäftsführers W.     S.      wurde im Handelsregister gelöscht.

12

Am 27. August 2015 wurden auf einer Gesellschafterversammlung der Beklagten die Einziehung des Geschäftsanteils der Nebenintervenientin zu 2 sowie mehrere Änderungen des Gesellschaftsvertrags beschlossen. Die Beschlüsse über die Satzungsänderungen wurden von F.      S.        angefochten.

13

Mit Schriftsatz vom 27. August 2015 hat sich für die Beklagte, vertreten durch den Kläger, Rechtsanwalt H.   gemeldet und die Rücknahme der Berufung erklärt.

14

Am 2. September 2015 gab das Landgericht Berlin auf Antrag des F.      S.        der Beklagten auf, eine Gesellschafterliste, die diesen weiterhin als Gesellschafter ausweist, zum Handelsregister einzureichen und ihn einstweilen als Gesellschafter zu behandeln. Diese einstweilige Verfügung hob das Berufungsgericht auf (KG, ZIP 2016, 1166).

15

Am 26. April 2016 legten die ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 ihre Aufsichtsratsämter nieder.

16

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 28. September 2017 hat Rechtsanwalt S.    unter Vorlage einer von dem im Gerichtssaal anwesenden W.    S.        unterschriebenen Terminvollmacht beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen. Mit Telefax vom 10. Oktober 2017 hat Rechtsanwalt S.    die Kopie einer ihm von dem Geschäftsführer W.     S.       mit Datum vom 6. Oktober 2017 erteilten Prozessvollmacht eingereicht.

17

Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2017 hat Rechtsanwalt H.   angezeigt, dass er nunmehr auch von dem mit wiederum ohne Beteiligung von F.    S.      gefassten Umlaufbeschluss vom 12. Oktober 2017 nach § 46 Nr. 8 GmbHG bestimmten besonderen Vertreter der Beklagten, dem Prokuristen K.         T.     , bevollmächtigt sei, und namens der Beklagten erklärt, dass diese das angefochtene Urteil anerkenne, die Einlegung der Berufung nicht genehmige und das Rechtsmittel vorsorglich nochmals zurücknehme.

18

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteilsausspruch II.) und durch Zwischenurteil die Nebenintervention der Streithelfer zu 2 bis 6 für unzulässig erklärt (Urteilsausspruch I.). Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, vertreten durch den Geschäftsführer W.       S.        , weiterhin die Abweisung der Klage. Vertreten durch den besonderen Vertreter K.        T.      begehrt die Beklagte, sie des Rechtsmittels der Berufung für verlustig zu erklären, nachdem sie ihre Berufung zurückgenommen habe.

19

Die Revision der Beklagten, vertreten durch den Geschäftsführer W.       S.        , hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat, zur Abänderung des landgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage, soweit der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit seiner Abberufung begehrt, und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

20

I. Das Berufungsgericht (KG, GmbHR 2018, 361) hat im Wesentlichen ausgeführt:

21

Die von der vom Kläger vertretenen Beklagten erklärte Berufungsrücknahme sei unwirksam, weil die Beklagte in diesem Prozess nicht vom Kläger vertreten werden könne. Auch die erneute, nach der Berufungsverhandlung auf Grund einer Vollmacht des als besonderer Vertreter bestellten Prokuristen K.       T.       erklärte Berufungsrücknahme sei unbeachtlich. Der am 12. Oktober 2017 im Umlaufverfahren zu Stande gekommene Beschluss über die Bestellung eines besonderen Prozessvertreters sei nichtig, weil F.     S.         an dem Beschlussverfahren nicht beteiligt worden sei. Das habe zur Folge, dass Rechtsanwalt H.   vom besonderen Vertreter nicht wirksam habe bevollmächtigt werden können.

22

Die Berufung der Beklagten sei zulässig. Die möglicherweise vollmachtlose Einlegung der Berufung durch die Rechtsanwälte Sch.    & Partner sei geheilt, weil die Beklagte, vertreten durch den vom Geschäftsführer W.    S.         bevollmächtigten Rechtsanwalt S.    , die Prozessführung genehmigt habe, indem dieser in der Berufungsverhandlung vom 28. September 2017 eine Änderung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage beantragt habe. W.      S.         sei als Geschäftsführer der Beklagten zu deren Vertretung in diesem Rechtsstreit berechtigt. Er sei weder in der Gesellschafterversammlung vom 13. Oktober 2014 noch durch den Umlaufbeschluss vom 6./7. August 2015 wirksam abberufen worden. Der Umstand, dass W.      S.         nicht mehr als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen sei, habe auf seine Organstellung keinen Einfluss.

23

Die Berufung sei rechtzeitig begründet worden. Innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hätten sowohl die Nebenintervenientin zu 2 als auch die Nebenintervenienten zu 3 bis 5 den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügende Berufungsbegründungen eingereicht. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Unzulässigkeit der Nebenintervention sei der Intervenient im Hauptverfahren zuzuziehen. Er könne für die unterstützte Hauptpartei wirksam Prozesshandlungen vornehmen, solange er nicht rechtskräftig aus dem Rechtsstreit verwiesen worden sei.

24

Die Berufung sei zurückzuweisen. Das Landgericht habe auf die zulässige allgemeine Feststellungsklage hin im Ergebnis richtig entschieden, dass der Kläger vom Aufsichtsrat der Beklagten nicht wirksam als Geschäftsführer abberufen und die Kündigung seines Anstellungsvertrags nicht wirksam beschlossen worden sei.

25

Zwar könne das Urteil des Landgerichts nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, der Kläger habe wegen der Treuebindung der Gesellschafter untereinander nur bei Vorliegen eines rechtfertigenden sachlichen Grundes abberufen werden können, der nicht vorgelegen habe. Die Beschlüsse des Aufsichtsrats der Beklagten vom 7. Dezember 2014 und vom 21. Dezember 2014 seien aber nichtig, weil der Aufsichtsrat nicht wirksam bestellt worden sei. Auf die grundsätzliche Rechtsfrage, ob die durch eine Öffnungsklausel zugelassene Errichtung eines Aufsichtsrats als beurkundungsbedürftige und eintragungspflichtige Satzungsänderung anzusehen sei, komme es nicht an. Die Satzung der Beklagten enthalte keine eindeutigen Vorgaben hinsichtlich der Kompetenzen des potentiellen Aufsichtsrats. Aus der in der Satzung der Beklagten enthaltenen Öffnungsklausel sei nicht zu ersehen, ob der zukünftige Aufsichtsrat drei oder sechs Mitglieder haben werde und ob er die Befugnisse nach § 52 Abs. 1 GmbHG haben werde oder, wenn nicht, welche anderen der in § 9 Abs. 3 der Satzung genannten Kompetenzen ihm zugewiesen werden würden. Zudem liege die Besonderheit vor, dass die Gesellschafter einen von der Öffnungsklausel abweichenden Beschluss gefasst hätten, indem sie den Aufsichtsrat ermächtigt hätten, den von ihnen zu bestellenden Geschäftsführern auch Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB zu erteilen, obwohl § 9 Abs. 3 der Satzung der Beklagten diese Befugnis nicht vorsehe.

26

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Berufungsgericht die Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen Aufsichtsratsbeschlüsse bestätigt hat. Die Öffnungsklausel in § 9 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten ist ausreichend bestimmt. Ob die Gesellschafter der Beklagten den ihnen eingeräumten Gestaltungsspielraum überschritten haben, weil sie dem Aufsichtsrat die Kompetenz übertragen haben, die Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien, kann dahinstehen, weil dies die Wirksamkeit der Beschlüsse über die Einrichtung des Aufsichtsrats, die Wahl seiner Mitglieder sowie die Zuweisung der Überwachungspflicht und der Personalkompetenz im Übrigen nicht berühren würde.

27

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die von der Beklagten eingelegte Berufung für zulässig erachtet, weil der von dem Geschäftsführer der Beklagten W.     S.        bevollmächtigte Rechtsanwalt S.     die bisherige Prozessführung einschließlich der Einlegung der Berufung genehmigt hat. Ob die davor für die Beklagte aufgetretenen Rechtsanwälte Sch.    & Partner zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung von einem vertretungsberechtigten Organ der Beklagten bevollmächtigt waren, bedarf daher keiner Entscheidung.

28

a) Wird ein Rechtsmittel oder ein Rechtsbehelf durch einen vollmachtlosen Vertreter eingelegt, so ist dieses als unzulässig zu verwerfen, wenn nicht der Berechtigte zuvor die Verfahrenshandlung genehmigt. Genehmigt der Berechtigte, wird dadurch der Verfahrensmangel der nicht ordnungsgemäßen Vertretung von Anfang an geheilt (§ 89 Abs. 2 ZPO). Wegen ihrer Rückwirkung braucht die Genehmigung nicht innerhalb der Frist erklärt zu werden, die für die genehmigte Verfahrenshandlung gilt (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 17. April 1984 - GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, 114 f.; BGH, Beschluss vom 10. Januar 1995 - X ZB 11/92, BGHZ 128, 280, 283; Beschluss vom 14. Dezember 2017 - V ZB 35/17, Grundeigentum 2018, 397 Rn. 8 mwN).

29

b) Rechtsanwalt S.    konnte die bisherigen Verfahrenshandlungen wirksam genehmigen, weil der ihn bevollmächtigende W.    S.       im Zeitpunkt der Bevollmächtigung vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagten war, kein ihn in der Vertretung verdrängender besonderer Prozessvertreter bestellt wurde und die Beklagte nicht durch ihren Aufsichtsrat vertreten werden musste.

30

aa) W.      S.         ist im Prozess des Klägers gegen die Beklagte als Geschäftsführer zu deren Vertretung berufen. Nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG unterliegt die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat, der Bestimmung der Gesellschafterversammlung. Die Vorschrift gilt sowohl für den Aktiv- als auch für den vorliegenden Passivprozess der Gesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 - II ZR 31/91, BGHZ 116, 353, 355; Urteil vom 6. März 2012 - II ZR 76/11, ZIP 2012, 824 Rn. 12; Beschluss vom 22. März 2016 - II ZR 253/15, ZIP 2016, 2413 Rn. 9) sowie für Prozesse mit ausgeschiedenen Geschäftsführern (BGH, Urteil vom 6. März 2012 - II ZR 76/11, ZIP 2012, 824 Rn. 12; Beschluss vom 22. März 2016 - II ZR 253/15, ZIP 2016, 2413 Rn. 9). Solange die Gesellschafterversammlung von ihrer Befugnis nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG, einen besonderen Vertreter zu bestellen, keinen Gebrauch macht, wird die GmbH nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorbehaltlich einer die Vertretungsbefugnis anders regelnden Satzungsbestimmung im Prozess mit ihren gegenwärtigen oder ausgeschiedenen Geschäftsführern durch einen oder mehrere bereits zuvor oder neu bestellte weitere Geschäftsführer vertreten; eines entsprechenden, zumindest stillschweigend gefassten Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedarf es für die Fortdauer der Vertretungsbefugnis der anderen Geschäftsführer nicht (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1981 - II ZR 72/81, WM 1981, 1353, 1354; Urteil vom 24. Februar 1992 - II ZR 79/91, ZIP 1992, 760, 761; Urteil vom 24. Oktober 2005 - II ZR 55/04, ZIP 2005, 2255 Rn. 10; Urteil vom 6. März 2012 - II ZR 76/11, ZIP 2012, 824 Rn. 12; Beschluss vom 2. Februar 2016 - II ZB 2/15, juris Rn. 13; Beschluss vom 22. März 2016 - II ZR 253/15, ZIP 2016, 2413 Rn. 10).

31

bb) W.     S.        ist in der Gesellschafterversammlung vom 13. Oktober 2014 nicht wirksam als Geschäftsführer abberufen worden. Davon ist auszugehen, obwohl die Frage, ob W.     S.       trotz 63,318777 % Gegenstimmen wirksam abberufen worden ist, weil F.      S.        bei dieser Abstimmung einem Stimmverbot unterlegen habe, Gegenstand eines Beschlussmängelrechtsstreits ist. Ist in der Gesellschafterversammlung einer GmbH das Zustandekommen eines bestimmten Beschlusses vom Versammlungsleiter festgestellt worden, so ist der Beschluss mit dem festgestellten Inhalt vorläufig verbindlich. Formelle oder materielle Mängel, die seine Anfechtbarkeit begründen, wie hier das behauptete Stimmverbot des F.      S.        , können nur durch Erhebung der Anfechtungsklage geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 21. März 1988 - II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 69; Urteil vom 3. Mai 1999 - II ZR 119/98, ZIP 1999, 1001, 1002; Urteil vom 11. Februar 2008 - II ZR 187/06, ZIP 2008, 757 Rn. 22; Urteil vom 21. Juni 2010 - II ZR 230/08, ZIP 2010, 1640 Rn. 16). Das gilt auch, wenn der Versammlungsleiter festgestellt hat, dass ein Beschlussantrag abgelehnt worden ist (BGH, Urteil vom 21. März 1988 - II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 69). Der Versammlungsleiter der Gesellschafterversammlung vom 13. Oktober 2014 hat die Ablehnung des Abberufungsantrags festgestellt und über die dagegen erhobene Anfechtungs- und positive Beschlussfeststellungsklage ist noch nicht entschieden.

32

cc) W.      S.         wurde weder durch den im Umlaufverfahren gefassten Gesellschafterbeschluss vom 6./7. August 2015 wirksam abberufen noch wurde am 12. Oktober 2017 durch Umlaufbeschluss ein W.     S.       in der Vertretung verdrängender besonderer Prozessvertreter bestellt. Diese Beschlüsse sind nichtig, weil F.      S.        an den Umlaufbeschlussverfahren nicht beteiligt worden ist. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass F.      S.         im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht mehr in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste der Beklagten eingetragen war.

33

(1) Die Nichtladung eines Gesellschafters ist ein Einberufungsmangel, der nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend § 241 Nr. 1 AktG zur Nichtigkeit der in der Versammlung gefassten Gesellschafterbeschlüsse führt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1961 - II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, 211; Urteil vom 17. Oktober 1988 - II ZR 18/88, ZIP 1989, 634, 636; Urteil vom 13. Februar 2006 - II ZR 200/04, ZIP 2006, 707 Rn. 9; Beschluss vom 24. März 2016 - IX ZB 32/15, ZIP 2016, 817 Rn. 21). Das gilt für die fehlende Beteiligung an Gesellschafterbeschlüssen, die im Umlaufverfahren gefasst werden, in gleicher Weise. Nach § 48 Abs. 2 GmbHG bedarf es der Abhaltung einer Versammlung nicht, wenn sich sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären. Wird einem Gesellschafter die Möglichkeit einer solchen Einverständniserklärung nicht eingeräumt, so führt dies ebenso wie die Nichtladung zu einer Gesellschafterversammlung zur Nichtigkeit des gefassten Beschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2006 - II ZR 135/04, ZIP 2006, 852 Rn. 10; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl., Anh. § 47 Rn. 9; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., Anh. § 47 Rn. 46; Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., Anh. § 47 Rn. 94 f.; MünchKommGmbHG/Wertenbruch, 3. Aufl., Anh. § 47 Rn. 45; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl., § 45 Rn. 65; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., Anh. § 47 Rn. 43).

34

(2) F.     S.         hätte an den Umlaufbeschlüssen beteiligt werden müssen, obwohl er am 6./7. August 2015 und am 12. Oktober 2017 nicht mehr als Gesellschafter in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen war. Die Beklagte konnte sich gemäß § 242 BGB nicht auf die Gesellschafterliste berufen, weil die Liste entgegen der gerichtlichen Unterlassungsverfügung eingereicht wurde und die Beklagte nicht nach ihrer Aufnahme im Handelsregister für eine Korrektur gesorgt hat. Wird einer GmbH nach Einziehung eines Geschäftsanteils durch eine einstweilige Verfügung untersagt, eine neue Gesellschafterliste, die den von der Einziehung Betroffenen nicht mehr als Gesellschafter ausweist, beim Amtsgericht zur Aufnahme im Handelsregister einzureichen, ist die Gesellschaft nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zu berufen, wenn entgegen der gerichtlichen Anordnung eine veränderte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht und im Registerordner aufgenommen worden ist.




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