BVerwG 1. Senat, Beschluss vom 25.06.2019, 1 VR 1/19

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 1 VR 1/19 (BVerwG)

vom 25. Juni 2019 (Dienstag)


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I

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Der Antragsteller, ein in Deutschland geborener und aufgewachsener 29-jähriger türkischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf die Anordnung seiner Abschiebung in die Türkei.

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Nach Anhörung des Antragstellers, der am 27. März 2019 auf gefahrenabwehrrechtlicher Grundlage in Polizeigewahrsam genommen worden war, ordnete das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport - gestützt auf § 58a AufenthG - mit Verfügung vom 5. April 2019 dessen Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte es aus, aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte sei die Prognose gerechtfertigt, dass von dem Antragsteller eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und eine terroristische Gefahr ausgehe, die eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlich mache. Auch wenn den Sicherheitsbehörden aktuell noch kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden sei, gehe vom Antragsteller ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko aus, dass er einen terroristischen Anschlag begehen oder sich an einem solchen beteiligen werde. Gleichzeitig sei zu befürchten, dass er eine derart gravierende Straftat verübe, dass eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik anzunehmen sei. In Anbetracht der Gesamtumstände sei davon auszugehen, dass der Antragsteller nicht lediglich eine radikal-religiöse Einstellung habe, sondern mit dem "Islamischen Staat (IS)" und dessen Märtyrerideologie sympathisiere. Er habe sich in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert und halte den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung seiner islamistischen Auffassung für gerechtfertigt. Der Antragsteller strebe eine Bewaffnung an, um kampfbereit zu sein und zum Beispiel bei polizeilichen Maßnahmen Polizeibeamte zu erschießen. Aufgrund seiner Biographie sei davon auszugehen, dass er in der Lage sei, sich unerlaubt Schießfeuerwaffen oder Ähnliches zu beschaffen. Er schrecke nach seinen charakterlichen Eigenschaften nicht vor Straftaten zurück, sei gewaltbereit und zudem drogenabhängig. Sein Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden sei derart hasserfüllt, dass er geradezu schwärmerisch Angriffe auf Leib und Leben der Bediensteten für angezeigt erachte. Gleichzeitig erlaube seine bisherige Biographie die Annahme, dass er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund zukünftiger strafrechtlicher Vorwürfe Ermittlungen der deutschen Strafverfolgungsbehörden zu befürchten habe, so dass insbesondere die von ihm angekündigte Ermordung von Polizeibeamten ein realistisches Szenario darstelle, das es zu verhindern gelte. Die Abschiebungsanordnung sei auch unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen und der Verwurzelung des Antragstellers in Deutschland verhältnismäßig und (auch) unter Berücksichtigung seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland angezeigt. Das Amtsgericht H. ordnete mit Beschluss vom 5. April 2019 Abschiebehaft an, deren Dauer in der Folgezeit mehrfach verlängert wurde.

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Am 12. April 2019 hat der Antragsteller gegen die Abschiebungsanordnung Klage beim Bundesverwaltungsgericht erhoben (BVerwG 1 A 3.19) und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Von ihm gehe weder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung noch für einzelne Personen aus. Er habe lediglich versucht, mit durch den Islam inspirierten Motiven und Aussagen Anerkennung und Aufmerksamkeit bestimmter Personen zu erlangen. Dieses "Schocken" mit Angeberei über Waffen und Gewalt sei in Rockerkreisen üblich. Tatsächlich sei er weit davon entfernt, ein Sympathisant des Islamismus oder Salafismus zu sein. Er habe in G. schlicht die falschen "Freunde" gefunden. Diese seien jedoch nicht seine zentrale Bezugsgruppe, weil für ihn seine Familie im Vordergrund stehe. Im Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin habe er keinerlei islamistische oder auch nur religiöse Tendenzen gezeigt. Die Behörde habe ihre Entscheidung auf der Grundlage einer fehlerhaften Tatsachenermittlung getroffen und das Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Trotz durchgeführter Observations- und Abhörmaßnahmen gebe es keinerlei Belege für eine Islamisierung des Antragstellers. Er sei seit längerem straffrei und wolle ein bürgerliches Leben ohne Kontakt zu strafbaren Handlungen oder Straftätern führen. Eine Abschiebung könne nicht auf § 58a AufenthG gestützt werden, nur weil er schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. In der Türkei hätte er als Kurde und Gefährder mit einer Inhaftierung ungewisser Länge zu rechnen.

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Der Antragsgegner verteidigt die angegriffene Verfügung.

II

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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsanordnung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 5. April 2019 gerichteten Klage ist zulässig (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), auch ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).

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2. Der Antrag ist begründet. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt das Interesse des Antragstellers. Denn nach der hier im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in Freiheitsrechte des Antragstellers im Falle der Abschiebung einerseits und der Bedeutung der durch § 58a AufenthG geschützten Rechtsgüter bei einem Verbleib des Antragstellers in Deutschland sowie der gesetzgeberischen Entscheidung des grundsätzlichen Vorrangs des Vollziehungsinteresses (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 58a Abs. 1 Satz 2 AufenthG) andererseits gebotenen umfassenden Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - BVerwGE 158, 225 Rn. 13) bestehen derzeit auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnismittel - vorbehaltlich einer Neubewertung dieser Erkenntnisse sowie der Erlangung weiterer Erkenntnisse durch weitere Sachaufklärung des Gerichts im Hauptsacheverfahren, infolge der Vorlage neuer Erkenntnisse durch den Antragsgegner oder des weiteren Verhaltens des Antragstellers - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung.

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a) Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen.

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aa) Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 16; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - NVwZ 2017, 1526 Rn. 20 ff. und vom 26. Juli 2017 - 2 BvR 1606/17 - NVwZ 2017, 1530 Rn. 18). Sie findet auch auf türkische Staatsangehörige Anwendung, denen als Arbeitnehmer und/oder Familienangehörige ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 6 und/oder Art. 7 ARB 1/80 zusteht (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2018 - 1 VR 3.18 - juris Rn. 12 ff.).

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bb) Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120 f.>). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 21).

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cc) Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist es nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 23).

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dd) Wesentliche Kriterien für die Bestimmung einer "terroristischen Gefahr" können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Union im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3), dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) und Art. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates (ABl. L 88 S. 6) gewonnen werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Senats liegt eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und geeignet sind, die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 22; siehe auch BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2019 - 1 A 3.18 - juris Rn. 31).

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ee) Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG).

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Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen vom 11. September 2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mithilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine besondere Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 25). In Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten Jihad als verpflichtend ansieht, kann von einer hinreichend konkreten Gefahr auszugehen sein, dass diese Person terroristische Straftaten begeht (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17 - juris Rn. 18).

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Für eine entsprechende "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen beziehungsweise Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umschlagen kann (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 27).

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Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben.

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In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalles - in der Gesamtschau schon daraus ergeben, dass ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer sich in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht (BVerwG, Urteil vom 22. August 2017 - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 28). Erst recht kann ein solches beachtliches Eintrittsrisiko anzunehmen sein, wenn die Radikalisierung eines solchen Ausländers ein Stadium erreicht, in dem sich dieser nach reiflicher Abwägung verpflichtet fühlt, seine Religion mit dem Mittel des gewaltsamen Kampfes zu verteidigen.

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ff) § 58a AufenthG erlaubt Maßnahmen nur zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr, die im vorbeschriebenen Umfang durch eine (vorrangig) ideologisch radikalisierte, insbesondere politisch oder religiös geprägte Gewaltanwendung oder -drohung gekennzeichnet ist. Fehlt es an einer ideologisch radikalen Prägung, ist einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch einen Ausländer auch bei drohenden Straftaten von erheblicher Bedeutung mit den Mitteln des Ausweisungsrechts (§§ 53 ff. AufenthG) oder nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zu begegnen; hinzu tritt der Rechtsgüterschutz durch eine konsequente Verfolgung begangener Straftaten.

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b) In Anwendung dieser Grundsätze bestehen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, die das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Beendigung seines Aufenthalts überwiegen lassen. Die zur Begründung der Abschiebungsanordnung angeführten tatsächlichen Anhaltspunkte in der Person des Antragstellers belegen - auch wenn sie als wahr unterstellt werden - in der Gesamtschau bei umfassender Würdigung seiner Persönlichkeit, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung und seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen nicht hinreichend die für § 58a AufenthG erforderliche, vom Antragsgegner angenommene ideologisch radikale Prägung der von dem Antragsteller ausgehenden Gefahr (aa). Damit ist trotz der vom Antragsgegner angeführten Gefährlichkeit des Antragstellers (bb) die Prognose eines beachtlichen Risikos gerade auch im Sinne des § 58a AufenthG durch den Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet nicht gerechtfertigt.

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aa) Die von dem Antragsgegner bezeichneten und sich aus den vorgelegten Unterlagen ergebenden tatsächlichen Anknüpfungspunkte enthalten zwar Anhaltspunkte für eine religiöse Orientierung des Antragstellers. Sie tragen aber hier (noch) nicht die Bewertung einer inhaltlichen Hinwendung zum radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islam beziehungsweise zum militanten Jihad mit einer Intensität und Nachhaltigkeit, die die Prognose rechtfertigt, bei dem im Grundsatz gewaltbereiten Antragsteller bestehe wegen einer hohen Identifikation mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam oder seiner engen Kontakte zu gleichgesinnten Personen bereits ein beachtliches Risiko zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen könne.

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Der Antragsteller hatte allerdings bereits seit 2016, seit Mitte 2018 auch engeren, Kontakt zu maßgeblichen Mitgliedern der radikal-salafistischen Szene in K. und G., der auch nach seiner Inhaftierung nicht abgebrochen ist. Diese Einbindung hat aber nicht schon zu einer erkennbaren, für den Antragsteller voraussichtlich auch handlungsleitenden Verwurzelung im radikal-religiösen Islamismus geführt. So ist insbesondere etwa kein nachhaltiger Austausch mit Szenemitgliedern auch in "religiösen" Fragen oder eine regelmäßige gemeinsame Religionsbetätigung in diesem Milieu über einen längeren Zeitraum belegt. Anhaltspunkte für eine gewisse Radikalisierung ergeben sich zwar aus Fotodateien und Bildmaterial auf seinem Mobiltelefon, die Symbole des militanten Jihad enthalten (u.a. Tauhīd-Finger, schwarze Fahne mit der Formel des Takbīr im Hintergrund, Shahāda-Flagge, Frau mit Nikab und Schnellfeuerwaffe, Mann mit Schwert im Hintergrund). Die Tätowierungen auf dem rechten Unterarm (zweischneidiges Schwert von Dhū l-faqār mit Text) stehen hingegen nach der vom Antragsgegner vorgelegten islamwissenschaftlichen Bewertung nicht im Zusammenhang mit einer jihadistischen Gesinnung. Auch das vom Antragsteller gezeigte konspirative Verhalten (Wechsel des Mobiltelefonvertrages, Kommunikation über Messenger-Dienste und Internettelefonie) rechtfertigt bei einer Gesamtschau der Tatsachen nicht die Annahme, dieses Verhalten habe ausschließlich und vorrangig der gezielten Verschleierung prognoserelevanter Kommunikationsvorgänge gedient, und ist daher für sich allein nicht geeignet, die für ein Vorgehen nach § 58a AufenthG erforderliche Gefährlichkeit des Antragstellers zu belegen. Eine leichte Beeinflussbarkeit des Antragstellers, die etwa durch die Mitgliedschaft in verschiedenen gewaltbereiten Gruppierungen (Straßengang "Bad Boys K.", Rockerclub "United Tribuns") belegt ist, in denen er erkennbar Halt und Anerkennung gesucht hat, und sein Drogenkonsum sind zwar bei einer allgemeinen Gefahrenprognose in Bezug auf das Gewaltpotential des Antragstellers zu berücksichtigen; über dessen religiös-extremistische Fundierung oder die Bereitschaft, dies auch situationsunabhängig zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG einzusetzen, geben sie indes keinen hinreichend (sicheren) Aufschluss. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass der Antragsteller durch Gewaltanwendung bzw. -drohung gegenüber seinen jeweiligen Lebensgefährtinnen und JVA-Beamtinnen ein patriarchalisches Frauenbild an den Tag gelegt hat; ein solches Frauenbild ist nicht allein im radikal-extremistischen Islamismus anzutreffen.

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Gegen eine hinreichende, für die Bereitschaft zur Begehung nach § 58a AufenthG relevanter Taten handlungsleitende Hinwendung des Antragstellers zum Islam oder gar zu salafistischen oder jihadistischen Bestrebungen spricht, dass er sich erst wenige Tage vor seiner Inhaftierung nach den Grundlagen des islamischen Glaubens erkundigt und zu den Auswirkungen und der Bedeutung des Gebets für ihn geäußert hat. Der Antragsgegner geht selbst davon aus, dass sich der Antragsteller nicht über einen längeren Zeitraum mit dem Islam befasst habe, und nimmt eine "Schnellradikalisierung" an. Der Annahme einer hinreichenden "Schnellradikalisierung" vermag der Senat auf der Grundlage der vorliegenden Tatsachen nicht zu folgen. Auch die Äußerungen des Antragstellers gegenüber seiner Mutter im Zusammenhang mit dem Anschlag auf eine Moschee in Neuseeland, er würde sich eine Waffe besorgen, diese einsetzen und zum Märtyrer werden, sind nach ihrem Kontext nicht hinreichend klar als Bereitschaft zu proaktiven, religiös motivierten Gewalthandlungen im Sinne des § 58a AufenthG zu verstehen; vor dem Hintergrund seiner grundsätzlichen Gewaltbereitschaft insbesondere bei (vermeintlichen oder tatsächlichen) Angriffen auf seine Person oder Interessen kommt hierin vor allem die Bereitschaft zu situativen Verteidigungshandlungen zum Ausdruck. Gegen eine eingehende Identifizierung mit dem radikal-religiösen Islam spricht auch das westliche Auftreten seiner derzeitigen Lebensgefährtin, das nicht mit radikal-islamischen Ansichten vereinbar erscheint.

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bb) Der Senat verkennt dabei nicht die tatsächlichen Anhaltspunkte, die für ein von dem Antragsteller ausgehendes, allgemeines Gefahrenpotential sprechen. Nach dem Inhalt der beigezogenen Akten hat er einen Hang zu Waffen und gefährlichen Gegenständen und ist in der Lage, sich solche jederzeit zu beschaffen. Es wurden bei ihm über einen längeren Zeitraum wiederholt Angriffswaffen und gefährliche Gegenstände (Schreckschusswaffe, Butterflymesser, Teleskopschlagstock, Schlagring, Druckluftgewehr, Springmesser) gefunden, und der Antragsteller hat wiederholt geäußert, dass er bereit ist, diese auch einzusetzen. Aus verschiedenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ergeben sich gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Antragsteller gewalttätig und -bereit ist und er über eine niedrige Hemmschwelle verfügt, Gewalt gegenüber anderen Personen nicht nur anzudrohen, sondern auch einzusetzen. In der Gesamtschau spricht der Inhalt der beigezogenen Akten auch in Ansehung des Vorbringens des Antragstellers für eine Persönlichkeit, die durch eine mangelnde wirtschaftliche, berufliche und gesellschaftliche Integration (fehlender Schul- und Berufsabschluss, Bezug von Sozialleistungen, Straffälligkeit, Drogenkonsum, Mitgliedschaft in gewaltbereiten Gruppierungen), Beeinflussbarkeit und Anerkennungsbedürfnis sowie die Bereitschaft geprägt ist, Gewalt nicht nur (situationsbedingt) anzudrohen, sondern auch einzusetzen. Dies kann aber das Hinzutreten einer hinreichenden ideologischen, politischen oder religiösen Radikalisierung als Voraussetzung und prägendes Kennzeichen der Handlungen, deren Begehung § 58a AufenthG begegnen soll, nicht ersetzen.

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Tatsächliche Anhaltspunkte für eine "besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ergeben sich auch nicht aus dem wiederholten aggressiven bis bedrohlichen Auftreten des Antragstellers gegenüber Polizei- und Vollzugsbeamten. Nicht in Frage steht, dass Bedrohungen, Beleidigungen oder körperliche Übergriffe auf Polizei- und Vollzugsbedienstete im Rechtsstaat nicht hinzunehmen sind und hiergegen insbesondere mit den Mitteln des Strafrechts entschieden vorzugehen ist. Für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG sind sie aber erst dann erheblich, wenn sie mit der gewaltförmigen Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele verbunden sind und insoweit bestimmt und geeignet sind, die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen oder die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen (s.o. II.2.a) bb)). Eine nicht von einer derartigen Motivation getragene allgemeine Ablehnung oder Nichtbeachtung staatlicher Autorität und Übergriffe auf diese (rechtmäßig) ausübende Personen reicht hierfür nicht aus; auf sie ist insbesondere mit den Mitteln des Strafrechts, des (allgemeinen) Ausweisungsrechts (§§ 53 ff. AufenthG) oder des Polizei- und Ordnungsrechts zu reagieren. Verhalten und Äußerungen des Antragstellers lassen das für § 58a AufenthG erforderliche Moment nicht erkennen; der Senat wertet sie als - nicht zu billigende bzw. gerechtfertigte - anlassbezogene Reaktion des Antragstellers auf konkrete Maßnahmen, die im jeweiligen Zusammenhang der Äußerungen zu betrachten sind. Sie erreichen - ihre Ernsthaftigkeit unterstellt - aber keine mit einer terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension.

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3. Bestehen nach dem derzeitigen Erkenntnis- und Bewertungsstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, weil bisher keine hinreichenden Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller Handlungen zur Verwirklichung der von § 58a AufenthG erfassten Gefahren begehen werde, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung auch in Ansehung des hohen Ranges der von § 58a AufenthG geschützten Rechtsgüter gegenüber dem Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Sollten sich durch weitere Sachaufklärung des Gerichts im Hauptsacheverfahren, infolge der Vorlage neuer Erkenntnisse durch den Antragsgegner oder das weitere Verhalten des Antragstellers für die Gefahrenprognose erhebliche Tatsachen ergeben - insbesondere in Bezug auf das Ausmaß und die Nachhaltigkeit seiner Radikalisierung - kann dem jederzeit im Rahmen eines Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache - wenn auch nur für die Dauer des Hauptsacheverfahrens in Bezug auf eine Gefährdung durch den Antragsteller - vorwegnimmt und aus diesem Grunde eine intensivierte Prüfung vorzunehmen war, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes anzuheben.