BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 18.04.2019, 2 AV 1/19

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 2 AV 1/19 (BVerwG)

vom 18. April 2019 (Donnerstag)


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Der auf § 53 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3 VwGO gestützte Antrag des Verwaltungsgerichts Hannover, ein zuständiges Gericht für den Eilrechtsstreit um beamtenrechtlichen Konkurrentenschutz zu bestimmen, ist zulässig und wie tenoriert zu bescheiden.

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1. Die Antragstellerin ist eine ohne Dienstbezüge beurlaubte Bundesbeamtin, die bei der Deutschen Telekom AG auf der Grundlage eines privatrechtlichen Anstellungsvertrages in Bonn tätig ist. Sie hat zwei bürgerlich-rechtliche Wohnsitze, einen im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Hannover, den anderen im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Köln.

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Die Antragstellerin hat unter Berufung auf ihren Arbeitsposten bei der Deutschen Telekom AG in Bonn die örtliche Zuständigkeit des von ihr um vorläufigen Rechtsschutz angerufenen Verwaltungsgerichts Hannover gerügt. Dort ist bereits eine Klage der Antragstellerin gegen eine dienstliche Beurteilung anhängig.

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Mit Beschluss vom 17. Januar 2019 hat das Verwaltungsgericht Hannover dem Bundesverwaltungsgericht den Rechtsstreit zur Bestimmung des örtlich zuständigen erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts vorgelegt.

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2. Die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 53 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3 VwGO ist zulässig.

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Nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 VwGO kann das Bundesverwaltungsgericht als das nächsthöhere Gericht das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit bestimmen, wenn sich der Gerichtsstand nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Dies ist nicht der Fall, wenn bloß rechtliche Zweifel über die Zuständigkeit vorliegen, die durch Auslegung der Zuständigkeitsregelungen beseitigt werden können (BVerwG, Beschlüsse vom 19. Juli 1979 - 6 ER 400.79 - BVerwGE 58, 225 <228>, vom 12. Oktober 2010 - 2 AV 1.10 - juris Rn. 4 sowie vom 1. Juni 2011 - 2 AV 1.11 - juris Rn. 4). § 53 VwGO durchbricht nicht die Regelungen über den gesetzlichen Richter, sondern ergänzt sie lediglich für den Fall, dass das Prozessrecht selbst keine oder keine widerspruchsfreie Zuweisung enthält (BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2007 - 2 AV 1.07 - juris Rn. 2).

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3. Vorliegend beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Nr. 4 VwGO. Nach § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO ist für alle Klagen - gleiches gilt für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - insbesondere aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamtenverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat.

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a) Der dienstliche Wohnsitz eines Beamten beurteilt sich unter Heranziehung der in § 15 Abs. 1 Satz 1 BBesG enthaltenen Legaldefinition nach dem Sitz der Behörde oder nach dem Sitz der ständigen Dienststelle. Maßgeblich ist die den Dienstposten des Beamten einschließende, regelmäßig eingerichtete, kleinste organisatorisch abgrenzbare Verwaltungseinheit (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 52 Rn. 17).

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Die berufliche Tätigkeit der Beamten bei der Deutschen Telekom AG gilt nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes zum Personalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost - PostPersRG - in der Fassung vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 1944) als Dienst. Der Einsatz eines Beamten bei der Deutschen Telekom AG vermittelt daher einen dienstlichen Wohnsitz. Allerdings bestimmt § 4 Abs. 1 PostPersRG allein die Tätigkeit der Beamten als Dienst. Eine Tätigkeit als Arbeitnehmer, wie sie Beamte nach ihrer dienstrechtlichen Beurlaubung verrichten, gilt nicht nach § 4 Abs. 1 PostPersRG als Dienst. Die Stelle oder der Arbeitsposten, bei der die beurlaubte Beamtin - wie hier - aufgrund eines privat-rechtlichen Anstellungsvertrages eine Tätigkeit als Arbeitnehmerin ausübt, kann deshalb keinen dienstlichen Wohnsitz begründen (vgl. etwa VG Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2012 - 26 L 611.12 - juris Rn. 2; VG Sigmaringen, Beschluss vom 9. Januar 2013 - 1 K 4232/12 - juris Rn. 5; VG Köln, Beschluss vom 3. Dezember 2018 - 15 K 7723/18 - BA S. 2).

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Allerdings ist das Rechtsverhältnis der bei einem der Postnachfolgeunternehmen beschäftigten Beamten, auch wenn sie "in-sich-beurlaubt" sind, insoweit gemischter Natur, als es auch dienstrechtliche Elemente aufweist. Dies beruht auf der grundgesetzlichen Vorgabe, die für die dort beschäftigten Beamten eine Wahrung ihrer Rechtsstellung unter Verantwortung des Bundes als ihres Dienstherrn anordnet (Art. 143b Abs. 3 Satz 1 GG) und einfachgesetzlich in vielfacher Weise näher ausgestaltet ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2012 - 2 BvL 4/09 - BVerfGE 130, 52 <69> und Kammerbeschluss vom 2. Mai 2016 - 2 BvR 1137/14 - NVwZ 2016, 1313 Rn. 28 ff.; BVerwG, Urteile vom 22. Juni 2006 - 2 C 26.05 - BVerwGE 126, 182 Rn. 14 f. und vom 19. Mai 2016 - 2 C 14.15 - BVerwGE 155, 182 Rn. 12, jeweils m.w.N.). Ihr Beamtenstatus bleibt durch den Übergang auf die Deutsche Post AG als Beliehene unverändert; sie bleiben Beamte im unmittelbaren Bundesdienst (§ 2 Abs. 2 Satz 1 PostPersRG). Durch die Beurlaubung vom Dienst gemäß § 4 Abs. 2 PostPersRG und die Beschäftigung mittels privatrechtlichen Anstellungsvertrages bei der Deutschen Post AG werden sie nur von einem Teil ihrer beamtenrechtlichen Pflichten entbunden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2002 - 1 DB 10.02 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 33 S. 62 f.; Urteil vom 16. März 2004 - 1 D 15.03 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 82, wonach das Fehlverhalten eines nach § 4 Abs. 3 PostPersRG "in-sich-beurlaubten" Beamten der Deutschen Post AG im Rahmen seines privatrechtlichen Anstellungsverhältnisses disziplinarrechtlich - lediglich - als außerdienstliches Dienstvergehen geahndet werden kann).

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Auch laufbahnrechtlich gelten für diese Beamten gemäß § 1 Abs. 1 der Postlaufbahnverordnung (PostLV) vom 12. Januar 2012 (BGBl. I S. 90), geändert durch Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. Mai 2015 (BGBl. I S. 813) - im Grundsatz - die Vorschriften der Bundeslaufbahnverordnung (BLV), soweit die Postlaufbahnverordnung nichts anderes bestimmt. Demgemäß bestimmt § 1 Abs. 5 Nr. 1 und 2 PostLV, dass auch die Tätigkeiten bei den Postnachfolgeunternehmen oder bei anderen Unternehmen, die während einer Beurlaubung nach § 4 Abs. 2 PostPersRG oder während einer Zuweisung nach § 4 Abs. 4 PostPersRG wahrgenommen werden, als Dienstposten i.S.d. Bundeslaufbahnverordnung und als Arbeitsposten i.S.d. Postlaufbahnverordnung gelten. Aus der Einbeziehung des genannten Personenkreises in den Geltungsbereich der vorbezeichneten Verordnungen folgt, dass auch für "in-sich-beurlaubte" Beamte grundsätzlich die Möglichkeit dienstlicher Beurteilungen eröffnet ist (vgl. auch § 6 Abs. 2 PostLV; so OVG Münster, Beschluss vom 15. März 2013 - 1 B 133/13 - ZBR 2013, 266 <272>; VG Stuttgart, Beschluss vom 7. Februar 2013 - 8 K 3954/12 - juris Rn. 12).

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Aus der dargestellten Einbeziehung der bei einem Postnachfolgeunternehmen beschäftigten "in-sich-beurlaubten" Beamten in das Beurteilungssystem und aus ihrer - trotz des privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses - subsidiär weiter bestehenden statusrechtlichen Stellung als Beamte folgt aber unmittelbar nichts für die Frage, ob ein "in-sich-beurlaubter" Beamter auch einen dienstlichen Wohnsitz i.S.v. § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO hat. Vielmehr bleibt es bei der sog. "Dienstfiktion" des § 4 Abs. 1 PostPersRG, dass - nur - Beamte, die als Beamte tätig sind, nicht aber solche, die "in-sich-beurlaubt" sind und in einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis mit dem Postnachfolgeunternehmen stehen, "Dienst" i.S. dieser Vorschrift tun, während § 4 Abs. 2 Satz 2 PostPersRG für Letztgenannte lediglich bestimmt, dass deren Beurlaubung dienstlichen Interessen dient. Für die gegenteilige Annahme hätte es einer ausdrücklichen, klarstellenden Regelung bedurft, wie sie der Gesetzgeber andernorts vielfach vorgesehen hat (wie z.B. in § 1 Abs. 5 PostLV, s.o.). Aus der sog. "Dienstfiktion" des § 4 Abs. 1 PostPersRG allein kann daher nicht geschlossen werden, dass daran auch die weitere Konsequenz der Gerichtszuständigkeit des "dienstlichen" Wohnsitzes gemäß § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO anknüpft.

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Da die Antragstellerin somit bei Antragstellung keinen dienstlichen Wohnsitz mehr hatte, kommt es auf ihren (privaten) Wohnsitz an.

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b) Der Begriff des (privaten) Wohnsitzes in § 52 Nr. 4 VwGO bestimmt sich nach den §§ 7 bis 11 BGB. Wohnsitz im Sinn des § 7 BGB ist der räumliche Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse einer Person (Spickhoff, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 7 Rn. 37 m.w.N. der Rspr). Er wird durch die ständige Niederlassung an einem Ort begründet und erfordert eine eigene Unterkunft. Ein doppelter Wohnsitz nach § 7 Abs. 2 BGB verlangt dauernde Unterkünfte an zwei Orten und eine wechselnde Belegung in der Weise, dass der jeweilige Ort zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse wird (Spickhoff a.a.O. § 7 Rn. 37).

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Liegen - wie hier Bonn und Neustadt am Rübenberge - zum maßgeblichen Zeitpunkt mehrere Wohnsitze vor, wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich um einen Haupt- oder Nebenwohnsitz handelt (BayVGH, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 3 S 15.1102 - juris Rn. 9), bedarf es der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO (vgl. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 52 Rn. 38 m.w.N.).

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Die Entscheidung nach § 53 Abs. 1 VwGO hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren (BVerwG, Beschlüsse vom 13. März 2009 - 7 AV 1.09 - juris Rn. 3, vom 9. Februar 2012 - 8 AV 1.12 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 40 Rn. 3 und vom 10. November 2017 - 6 AV 2.17 - juris Rn. 3).

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c) Ausgehend von den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung sprächen an sich - im Normalfall - überwiegende Gründe dafür, das Verwaltungsgericht Köln als örtlich zuständig zu bestimmen. Denn in dessen Zuständigkeitsbezirk hat sowohl die Deutsche Telekom AG als Vertreterin der Antragsgegnerin ihren (Konzern-)Sitz - es ist zugleich der konkrete Arbeitsplatz der Antragstellerin - als auch die Antragstellerin einen ihrer beiden (privaten) Wohnsitze.

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d) Im Streitfall kommt allerdings eine Besonderheit hinzu, die zu einer davon abweichenden Beurteilung führt: In dem der vorliegenden Zuständigkeitsbestimmung zugrundeliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit. Zwar ist beim Verwaltungsgericht Hannover noch kein Hauptsacheverfahren anhängig. Dort anhängig ist aber eine vom Verwaltungsgericht Köln mit einem jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaften und deshalb auch für das Bundesverwaltungsgericht bindenden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 8 AV 2.12 - juris Rn. 6) Verweisungsbeschluss vom 3. Dezember 2018 - 15 K 7723/18 - dorthin verwiesene Klage der Antragstellerin gegen eine dienstliche Beurteilung vom 24. August 2018 für den Beurteilungszeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 31. August 2017 (VG Hannover - 13 A 7617/18 -). Damit handelt sich es sich zwar um zwei eigenständige Streitgegenstände. Sie stehen indes materiell-rechtlich in einem engen inhaltlichen Zusammenhang.

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Denn die dienstliche Beurteilung dient der Verwirklichung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes, Beamte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung einzustellen und zu befördern (Art. 33 Abs. 2 GG). Ihr Ziel ist es, die den Umständen nach optimale Verwendung des Beamten zu gewährleisten und so die im öffentlichen Interesse liegende Erfüllung hoheitlicher Aufgaben durch Beamte (Art. 33 Abs. 4 GG) bestmöglich zu sichern. Zugleich dient die dienstliche Beurteilung dem berechtigten Anliegen des Beamten, in seiner Laufbahn entsprechend seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung voranzukommen. Die dienstliche Beurteilung soll den Vergleich mehrerer Beamter miteinander ermöglichen (BVerwG, Urteile vom 26. September 2012 - 2 A 2.10 - NVwZ-RR 2013, 54 Rn. 9 und vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 - BVerwGE 161, 240 Rn. 29). Dienstliche Beurteilungen müssen eine tragfähige Grundlage für die Auswahlentscheidung vermitteln (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Juli 2003 - 2 BvR 311/03 - BVerfGK 1, 292 <296 f.> und vom 7. März 2013 - 2 BvR 2582/12 - NVwZ 2013, 1603 Rn. 21).

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Daher sprechen - aufgrund des o.a. Verweisungsbeschlusses - Gründe der effektiven Verfahrensführung im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO dafür, auf den Wohnsitz der Antragstellerin in Neustadt am Rübenberge abzustellen und das Verwaltungsgericht Hannover als zuständiges Gericht zu bestimmen. Denn dort ist die Hauptsacheklage gegen die aktuelle dienstliche Beurteilung der Antragstellerin vom 24. August 2018 bereits anhängig. Die Akten des Beurteilungsstreits werden im einstweiligen Anordnungsverfahren im Konkurrentenstreit beizuziehen sein. Denn aus der Begründung des einstweiligen Anordnungsantrags der Antragstellerin ergibt sich, dass die Auswahlentscheidung im Wesentlichen aufgrund der für rechtswidrig gehaltenen dienstlichen Beurteilung vom 24. August 2018 angegriffen wird.