BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 24.04.2019, 2 B 1/19

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 2 B 1/19 (BVerwG)

vom 24. April 2019 (Mittwoch)


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Die auf die Revisionszulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensfehlers i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO, § 66 Abs. 1 ThürDG gestützte Beschwerde ist unbegründet.

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1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen, weil der Beklagte die einmonatige Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung versäumt habe. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Fristsäumnis verschuldet habe. Er habe seine Organisationspflicht verletzt, weil er nicht durch eine allgemeine Anweisung in seiner Kanzlei sichergestellt habe, dass für die Frist zur Rechtsmittelbegründung eine Vorfrist notiert werde. Das Verschulden sei dem Beklagten zuzurechnen.

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Der Senat entscheidet in der Besetzung mit der Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel. Der Umstand, dass sich die Richterin in ihrer vormaligen Funktion als Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht in der Vorinstanz mit der Sache befasst und an einer Vorberatung mitgewirkt hat, führt weder zum Ausschluss der Richterin im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kraft Gesetzes gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO noch ergibt sich daraus die Besorgnis ihrer Befangenheit i.S.d. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1997 - 11 B 30.97 - Buchholz 303 § 42 ZPO Nr. 2 S. 4 und vom 13. August 2004 - 8 B 58.04 - Buchholz 303 § 41 ZPO Nr. 6 S. 2). Die angegriffene Berufungsentscheidung vom 11. Oktober 2018 ist ohne Mitwirkung der Richterin ergangen.

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Aufgrund des Darlegungserfordernisses gemäß § 66 Abs. 1 ThürDG i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist der Senat darauf beschränkt, über die Revisionszulassung ausschließlich auf der Grundlage der Beschwerdebegründung des Beklagten zu entscheiden.

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2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und § 66 Abs. 1 ThürDG zuzulassen.

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Die Beschwerde macht eine Abweichung vom Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2008 - 2 B 6.08 - (juris Rn. 8) geltend. Während das Bundesverwaltungsgericht die Eintragung einer Vorfrist nur für Fristen zur Begründung eines Rechtsmittels verlange, habe das Berufungsgericht in der angegriffenen Entscheidung darauf abgestellt, dass das Vorfristerfordernis auch für die Frist zur bloßen Rechtsmitteleinlegung gelte; es habe die Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittel- und Begründungsfrist aus diesem Grund versagt, obwohl innerhalb der versäumten Frist lediglich die Berufung einzulegen und ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erforderlich gewesen wäre.

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Mit diesem Beschwerdevorbringen zeigt die Beschwerde keine die Revision eröffnende Divergenz auf.

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Eine Divergenz i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 25. Mai 2012 - 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55 und vom 28. Mai 2013 - 7 B 39.12 - juris Rn. 8).

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Der Beschluss des Berufungsgerichts weicht nicht in diesem Sinne von einem Rechtssatz ab, den das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Februar 2008 - 2 B 6.08 - (juris Rn. 8) aufgestellt hat. Zutreffend entnimmt die Beschwerde dieser Entscheidung den Rechtssatz, dass für die Rechtsmittelbegründungsfrist eine Vorfrist zu notieren ist. Aus den Gründen der angegriffenen Berufungsentscheidung ergibt sich aber, dass das Berufungsgericht gerade von eben diesem Rechtssatz ausgegangen ist und die Eintragung einer Vorfrist für die Frist zur Berufungsbegründung auch im Disziplinarklageverfahren für erforderlich gehalten hat, in dem diese Frist mit der Frist zur Berufungseinlegung zusammenfällt (§ 60 Abs. 1 Satz 2 ThürDG).

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3. Das Berufungsgericht hat davon ausgehend ohne Rechtsverstoß - und damit ohne Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Es hat dem Beklagten zu Recht die mit Schriftsatz vom 5. März 2018 beantragte Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungseinlegungs- und -begründungsfrist (§ 21 ThürDG i.V.m. § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB) versagt. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat die Versäumung der Frist verursacht. Ihn trifft ein Organisationsverschulden, weil er das Vorfristerfordernis nicht beachtet hat.

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Es gehört zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristensachen, den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen. Nach gefestigter Rechtsprechung zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei zählt die allgemeine Anordnung, dass bei Rechtsmittelbegründungen außer dem Datum des Fristablaufs eine Vorfrist von grundsätzlich etwa einer Woche notiert werden muss. Die Vorfrist dient dem Zweck, dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu ermöglichen, sich rechtzeitig auf die vorstehende Fertigung der Rechtsmittelbegründung einzustellen und den für die Bearbeitung der Rechtsmittelbegründung erforderlichen Zeitraum zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 2 B 6.08 - juris Rn. 8; stRspr des BGH, vgl. nur Beschlüsse vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94 - NJW 1994, 2831, vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94 - NJW 1994, 2551 <2552>, vom 25. September 2003 - V ZB 17/03 - FamRZ 2004, 100 und vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11 - NJW-RR 2012, 747 Rn. 9, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14 - NJW 2014, 3452 Rn. 15, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 5/16 - NJW-RR 2017, 953 Rn. 8, vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17 - NJW-RR 2018, 1325 Rn. 13 f. und vom 13. September 2018 - V ZB 227/17 - NJW-RR 2018, 1451 Rn. 7).

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Im Disziplinarklageverfahren ist die Besonderheit zu beachten, dass die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung auf denselben Tag fallen. Diese besondere Regelung über die Rechtsmittelfristen begründet im Disziplinarklageverfahren eine gesteigerte Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts (BVerwG, Beschluss vom 15. April 2013 - 2 B 139.11 - juris Rn. 5).

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Gemessen an diesen Anforderungen, die nach der ständigen Rechtsprechung an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts in Fristensachen zu stellen sind, war es im Disziplinarklageverfahren gerade geboten, eine Vorfrist einzutragen. Der Umstand, dass die Frist zur Einlegung der Berufung und die Frist zur Begründung der Berufung identisch sind, lässt das Erfordernis einer Vorfrist nicht entfallen. Entgegen der Annahme der Beschwerde sind innerhalb der Rechtsmittelfrist hier nicht nur die Einlegung der Berufung und ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erforderlich.

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Ein Rechtsanwalt, der in Disziplinarklageverfahren die allgemeine Anweisung an seine Kanzleikräfte unterlässt, Vorfristen für die Frist zur Berufungsbegründung zu notieren, weil er generell darauf vertraut, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist entsprochen wird, handelt sorgfaltswidrig. Zwar kann ein Rechtsanwalt beim ersten Verlängerungsgesuch mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten, dass die Fristverlängerung gewährt wird - allerdings nicht voraussetzungslos (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. September 2000 - 1 BvR 464/00 - NJW 2001, 812 <813>; BGH, Beschlüsse vom 13. Dezember 2005 - VI ZB 52/05 - VersR 2006, 568, vom 24. November 2009 - VI ZB 69/08 - VersR 2010, 789 Rn. 6 und vom 30. Mai 2017 - VI ZB 54/16 - VersR 2017, 1166 Rn. 12). Ebenso wie bei der Verlängerung der Frist für die Vorlage der Begründung der Berufung nach § 124a Abs. 3 VwGO (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124a Rn. 24) gelten für die Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung nach § 60 Abs. 1 Satz 3 ThürDG die Vorgaben des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO (§ 21 ThürDG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO), wonach der Berufungskläger für seinen Verlängerungsantrag erhebliche Gründe darzulegen hat. Ein Rechtsanwalt kann sich nicht darauf verlassen, dass diese Gründe für eine - auch erste - Fristverlängerung in jedem Fall vorliegen und einem entsprechenden Antrag stets stattgegeben wird. Deshalb kann er bei seiner Büroorganisation nicht von allgemeinen Sicherungsmaßnahmen zur Fristwahrung absehen. Die Notierung einer Vorfrist hat gerade den Sinn, dass der sachbearbeitende Rechtsanwalt rechtzeitig und eigenverantwortlich prüfen kann, ob ihm noch ausreichend Zeit für die Bearbeitung, Fertigung und Übermittlung der Rechtsmittelbegründung verbleibt oder ein erster Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist noch fristgerecht bei Gericht eingereicht werden kann und die erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Begründungsfrist getroffen werden (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14 - NJW 2014, 3452 Rn. 15, Beschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 5/16 - NJW-RR 2017, 953 Rn. 15 f.).

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Keine andere Beurteilung rechtfertigt sich, soweit der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom 13. Juli 2018 vortragen hat, in seinem Büro bestehe entsprechend seiner Weisung die geübte Praxis, dass zum Ende einer jeden Kalenderwoche alle Akten mit Fristabläufen in der übernächsten Kalenderwoche vorgelegt werden. Abgesehen davon, dass dieser neue Vortrag nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist (§ 21 ThürDG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) erfolgt und deshalb nicht zu berücksichtigen ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 29. Februar 1968 - 2 C 16.64 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 53 S. 20 und vom 21. Oktober 1975 - 6 C 170.73 - BVerwGE 49, 252 <254>, Beschlüsse vom 29. Januar 1999 - 1 B 4.99 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 221 S. 1 f. und vom 6. Dezember 2000 - 2 B 57.00 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 236 S. 24), erfüllt die beschriebene Praxis zur Wiedervorlage der Akten im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht den Zweck, der einer Vorfrist zukommt. Es fehlt an der Festlegung und Eintragung eines konkreten Wiedervorlagedatums in Fristsachen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17 - NJW-RR 2018, 1325 Rn. 18).

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Die mangelhafte Organisation des Fristenwesens war für die Fristversäumung (mit-)ursächlich. Wäre die Vorfrist im Fristenkalender eingetragen worden, so hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten die Berufungseinlegungs- und -begründungsfrist gewahrt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung der Hauptfrist versehentlich unterblieben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. März 2011 - II ZB 19/09 - NJW 2011, 1598 Rn. 14, vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11 - NJW-RR 2012, 747 Rn. 13 und vom 20. November 2018 - XI ZB 31/17 - juris Rn. 9 m.w.N.). Im Hinblick auf die besondere Regelung der Rechtsmittelfristen im Disziplinarklageverfahren wäre sie nicht nur geeignet gewesen, die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung, sondern auch der auf denselben Tag fallenden Frist zur Berufungseinlegung zu verhindern. Es kann nicht - wie die Beschwerde meint - unterstellt werden, dass bei bestehender Anweisung die Eintragung der Vorfrist aufgrund des Augenblickversagens oder der Unachtsamkeit der Kanzleiangestellten ebenso unterblieben wäre. Für die Beurteilung, ob ein Organisationsfehler für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist, ist von einem ansonsten pflichtgemäßen Verhalten auszugehen und darf kein weiterer Fehler hinzugedacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11 - NJW-RR 2012, 747 Rn. 14).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 Satz 1 ThürDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht. Das Verfahren ist gemäß § 77 Abs. 5 ThürDG gebührenfrei.