BVerwG 2. Wehrdienstsenat, Urteil vom 28.03.2019, 2 WD 13/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 2 WD 13/18 (BVerwG)

vom 28. März 2019 (Donnerstag)


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Das Berufungsverfahren betrifft den disziplinaren Vorwurf der Erschleichung von zehn Urlaubstagen durch Vorlage einer gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

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1. Nach ordnungsgemäßer Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wurde der Soldatin mit Anschuldigungsschrift vom 1. Juli 2016 als Dienstvergehen zur Last gelegt, dass sie am 1. September 2015 per Smartphone-Nachricht Frau Oberfeldwebel C. im Sanitätsversorgungszentrum A. wahrheitswidrig gemeldet habe, sie sei am 30. August 2015 im zivilen Krankenhaus B. behandelt worden; tatsächlich habe eine entsprechende Behandlung dort nicht stattgefunden. Am 2. September 2015 habe sie wissentlich eine gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dieses Krankenhauses für den Zeitraum vom 30. August 2015 bis zum 13. September 2015 vorgelegt. Wie von ihr beabsichtigt, sei am 3. September 2015 eine Krankschreibung nach Aktenlage durch den zuständigen Truppenarzt, Oberstabsarzt D., erfolgt. Deswegen seien der Soldatin nachträglich für die Zeit der angeblichen Arbeitsunfähigkeit zehn Tage Erholungsurlaub wieder gutgeschrieben worden. Diese Gutschrift, die auf die gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zurückzuführen sei, habe ihr nicht zugestanden.

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2. Mit Urteil des Truppendienstgerichts ... vom 25. Januar 2018 wurde die Soldatin freigesprochen, weil der angeschuldigte Sachverhalt nicht erwiesen sei. Zwar spreche Vieles dafür, dass sich die Soldatin nicht im Krankenhaus in B. habe behandeln lassen. Insbesondere sei sie als Patientin weder im Computer des Krankenhauses noch im Dienstbuch der Zentralen Patientenannahme erfasst. Der dort nach Einlassung der Soldatin erstellte Befund könne weder von ihr vorgelegt noch im Krankenhaus aufgefunden werden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht - wie dort üblich - mit Computer ausgefüllt worden und die Unterschrift auf der Bescheinigung könne keinem Arzt zugeordnet werden.

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Diesen Indizien stünden jedoch Zeugenaussagen und unwiderlegbare Einlassungen der Soldatin gegenüber, aus denen sich durchgreifende Zweifel am Vorliegen einer Fälschung ergäben. Ein nachvollziehbares Motiv für das behauptete Verhalten der Soldatin sei nicht erkennbar, weil sie bei Schilderung ihrer persönlichen Situation vom Truppenarzt problemlos auch über einen längeren Zeitraum krankgeschrieben worden wäre. Dass eine gewisse Kopflosigkeit ursächlich gewesen sein könnte, sei bei der lebenserfahrenen Soldatin nicht anzunehmen. Die fehlende Erfassung der Soldatin im Krankenhaussystem und die fehlende Zuordnung der Unterschrift zu einem Arzt seien keine zwingenden Indizien. Der frühere Ärztliche Direktor des Krankenhauses habe zudem nicht ausgeschlossen, dass ein diensthabender Arzt aus Stressgründen die Soldatin habe loswerden wollen und ihr die Bescheinigung gegeben und mit einer unleserlichen Schrift abgezeichnet habe, um nicht identifiziert werden zu können. Zudem habe die in der Patientenaufnahme tätige Zeugin E. ausgesagt, bei Behandlungen außerhalb der regulären Dienstzeit könne es aus Zeitgründen vorkommen, dass keine Patientenaufnahme erfolge und die Patienten zur Regelung der Formalitäten dann in den Folgetagen einbestellt würden. Dass sich die Soldatin die mit dem Originalstempel versehene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch Dritte besorgt habe, sei reine Spekulation.

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Die zulässige Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist begründet. Da das Rechtsmittel in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen getroffen und ein Dienstvergehen festgestellt.

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1. Er ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass der angeschuldigte Sachverhalt im Wesentlichen zutrifft.

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a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dabei kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die persönliche Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang verschlossen. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Dabei ist - insbesondere bei einem Indizienbeweis - keine "mathematische" Gewissheit erforderlich. Darum können rein abstrakte oder theoretische Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt, das für die Verurteilung nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 - 2 WD 1.16 - juris Rn. 38 f. m.w.N. und BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - NJW 1988, 3273 <3273 f.>).

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b) Nach diesen Maßstäben steht in objektiver Hinsicht fest, dass die Soldatin nicht - wie in der Smartphone-Nachricht angegeben - am Abend des 30. August 2015 im Krankenhaus B. untersucht worden ist und dass die von ihr vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Fälschung darstellt. Aus eigener Wahrnehmung können sich weder die damals diensthabenden Ärzte noch sonstiges Personal an die Soldatin erinnern. Es gibt im Krankenhaus weder im EDV-System noch in dem Patientenbuch irgendwelche Aufzeichnungen, die eine Untersuchung der Soldatin belegen.

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Sie selbst kann sich weder an den genauen Zeitpunkt noch an den behandelnden Arzt erinnern, gibt jedoch an, untersucht worden zu sein und neben der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen von ihr versehentlich weggeworfenen Befund erhalten zu haben. Für diesen theoretisch nicht auszuschließenden Geschehensablauf gibt es jedoch keine reale Grundlage. Denn die mit der Patientenaufnahme befasste Zeugin E. hat ausgesagt, sie kenne es, dass ein Patient nur im Buch oder nur im EDV-System erfasst sei. Weder im Buch noch im System kenne sie nicht.

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Der als Zeuge vernommene Ärztliche Direktor Dr. F. hat dies zwar in nachvollziehbarer Weise dahingehend relativiert, dass er sich einen solchen, den internen Patientenaufnahmeregeln widersprechenden Geschehensverlauf theoretisch vorstellen könne. Er könne nicht ausschließen, dass ein diensthabender Arzt aus Stressgründen die Soldatin habe "loswerden" wollen und ihr eine Krankschreibung gegeben und mit einer unleserlichen Schrift abgezeichnet habe, um nicht identifiziert werden zu können. Dieser Fall liegt aber nicht vor, wenn die Soldatin tatsächlich, wie von ihr vorgetragen, untersucht worden ist. Dann ist ein nachvollziehbarer Grund für eine undokumentierte Behandlung nicht ersichtlich. Auch die an dem Abend diensthabenden Ärzte G. und H. haben erklärt, dass im Fall einer Untersuchung eine Personenerfassung durchgeführt wird und der ärztliche Befund in Papierform oder elektronisch bei der Krankenakte verbleibt. Hinzu kommt, dass die ärztlichen Zeugen G., H. und Dr. F. übereinstimmend erklärt haben, dass im Fall einer Thoraxprellung eine Röntgenaufnahme aus medizinischen Gründen standardmäßig durchgeführt wird und dass dafür die Erfassung im EDV-System notwendig ist. Mithin spricht das Fehlen einer Krankenakte mit Befund und Röntgenbild hier mit hinreichender Sicherheit dafür, dass die behauptete Behandlung nicht stattgefunden hat. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass in jedem Krankenhaus Akten - seien sie elektronisch oder in Papierform geführt - verschwinden können, widerspricht das behauptete gleichzeitige Verlorengehen der Krankenhausakte und des der Soldatin angeblich ausgehändigten Befundes jeder Lebenserfahrung.

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Die nur noch in Kopie vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist kein ausreichendes Indiz für das Gegenteil, sondern eine Fälschung. Das folgt im Wesentlichen daraus, dass die am Abend des 30. August 2015 im Dienst befindlichen Ärzte G. und H. als neutrale Zeugen jeweils glaubhaft erklärt haben, die Unterschrift auf der Bescheinigung stamme nicht von ihnen und sei ihnen unbekannt. Auch der Ärztliche Direktor Dr. F. hat ausgesagt, dass es in der Klinik bei einer internen Recherche nicht gelungen sei, die Unterschrift einem Arzt zuzuordnen. Ferner haben die drei Mediziner übereinstimmend ausgeführt, dass eine Krankschreibung in der Notfallambulanz regelmäßig nur für wenige Tage, nicht für zwei Wochen erfolge. Denn es sei grundsätzlich Sache des die Behandlung fortsetzenden Haus- oder Facharztes, über die weitere Krankschreibung zu entscheiden. Darüber hinaus ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, in der nicht wenigstens die Stammdaten im Kopf der Bescheinigung elektronisch befüllt sind, im Krankenhaus B. zur maßgeblichen Zeit unüblich gewesen. All diese Indizien lassen in ihrer Gesamtheit nur auf eine Fälschung schließen, zumal - wie bereits ausgeführt - auch für eine medizinische Behandlung am 30. August 2015 keine Unterlagen vorliegen.

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c) Steht aber nach Überzeugung des Gerichts fest, dass die Soldatin am 30. August 2015 nicht im Krankenhaus B. untersucht worden und dass die von ihr dem Dienstherrn vorgelegte Bescheinigung eine Fälschung gewesen ist, kann ihr dies nicht unbekannt geblieben sein. Vielmehr hat sie wissentlich und willentlich eine nicht vom angegebenen Aussteller (Krankenhaus B.) stammende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, das heißt eine unechte Urkunde, vorgelegt. Nach der Überzeugung des Gerichts ist dies in der Absicht geschehen, sich den auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgeführten Zeitraum, das heißt umgerechnet zehn Arbeitstage, als Urlaub gutschreiben zu lassen. Da die Soldatin die Bescheinigung zusammen mit dem von ihr ausgefüllten Krankenmeldeschein eingereicht hat, ist ein anderes Motiv dafür nicht erkennbar.

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d) Nicht nachgewiesen ist allerdings, dass die Gutschrift tatsächlich erfolgt ist. Die frühere Disziplinarvorgesetzte Frau Oberstabsärztin I. hat zwar unter Hinweis auf ihren über die Geschehensabläufe seinerzeit gefertigten Vermerk glaubhaft ausgesagt, dass ihr gegenüber der damalige Sachbearbeiter im Sanitätsversorgungszentrum K., der Zeuge J., telefonisch eine entsprechende Urlaubsstornierung bestätigt habe. Dieser Sachbearbeiter konnte sich daran aber vor Gericht nicht mehr erinnern. Die Urlaubskarteikarte der Soldatin für das Jahr 2015 weist keine Stornierung, sondern nur eine endgültige Verbuchung des Urlaubs am 23. Dezember 2015 auf. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Rückbuchung des Urlaubs mit einer entsprechenden Gutschrift zunächst unterlassen, dann wegen der laufenden Ermittlungen offengeblieben und später bewusst nicht erfolgt ist.

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2. Die Soldatin hat damit ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen.

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a) Durch die unrichtige Behauptung, im Krankenhaus B. untersucht und als arbeitsunfähig eingestuft worden zu sein, hat sie vorsätzlich gegen die Pflicht zur Wahrheit nach § 13 Abs. 1 SG verstoßen. Die Wahrheitspflicht ist von besonderem Gewicht, denn sie ist für die militärische Verwendungsfähigkeit eines Soldaten essenziell. Die Bedeutung der Wahrheitspflicht kommt schon darin zum Ausdruck, dass sie - anders als z.B. bei Beamten - für Soldaten gesetzlich ausdrücklich geregelt ist. Eine militärische Einheit kann nicht ordnungsgemäß geführt werden, wenn sich die Führung und die Vorgesetzten nicht auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen Untergebener verlassen können. Wer als Soldat in dienstlichen Äußerungen und Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben macht, beschädigt seine persönliche Integrität und militärische Verwendungsfähigkeit. Dies gilt vor allem dann, wenn die Verletzung der Wahrheitspflicht - wie hier - dazu dient, sich eine berufliche oder finanzielle Besserstellung zu erschleichen (BVerwG, Urteile vom 11. Juni 2015 - 2 WD 12.14 - juris Rn. 40 und vom 27. März 2018 - 2 WD 10.17 - juris Rn. 23, 40).

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b) Die Vorlage einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt zugleich eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG und der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) unter dem Teilaspekt der Loyalität gegenüber der Rechtsordnung dar. Denn der Gebrauch einer unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr ist nach § 267 Abs. 1 StGB strafbar. Der vorsätzliche Einsatz einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Zwecke der Täuschung des Truppenarztes und der Disziplinarvorgesetzten bei der Krankschreibung und letztlich zur Erschleichung von zehn arbeitsfreien Tagen offenbart eine erhebliche kriminelle Energie. Der Gebrauch unechter Urkunden im Dienstverhältnis gegenüber dem Dienstherrn ist zugleich ein besonderer Vertrauensbruch und eine schwerwiegende Treuwidrigkeit. Durch dieses Verhalten ist die Soldatin der Achtung und dem Vertrauen nicht gerecht geworden, die ihr Dienst erfordert.

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c) Hingegen hat die Soldatin nicht dadurch ihre Dienstleistungspflicht verletzt, dass sie im Sinne von § 15 Abs. 1 WStG unerlaubt dem Dienst ferngeblieben wäre. Vielmehr befand sie sich im August/September 2015 im genehmigten Erholungsurlaub. Sie war daher nicht eigenmächtig abwesend. Soweit sie sich durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtswidrig krankschreiben lassen und weitere freie Tage erschleichen wollte, hat sie versucht, den Rechtsgrund ihres bereits genehmigten Fernbleibens zu ändern. Zugleich hat sie damit Vorbereitungen dafür getroffen, sich Ihrer Dienstleistungspflicht künftig durch Täuschung über den ihr zustehenden Urlaub hinaus um zehn Tage zu entziehen. Dazu ist es jedoch nicht gekommen, weil die Soldatin nicht nachweislich eine Urlaubsgutschrift erhalten und auch für diese Tage keinen zusätzlichen Urlaub erlangt hat. Allerdings verletzen bereits die von ihr ergriffenen Vorbereitungshandlungen für eine solche Dienstentziehung durch Täuschung die Treuepflicht aus § 7 SG.

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3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

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a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Danach ist beim Erschleichen von zehn zusätzlichen Urlaubstagen durch falsche Angaben und Vorlage einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich eine Herabsetzung im Dienstgrad angemessen. Dies folgt zum einen daraus, dass der Senat in einer älteren Entscheidung bei unwahren Angaben und Vorlage einer gefälschten Krankenhausbescheinigung zum Erschleichen von fünf Urlaubstagen eine Dienstgradherabsetzung als angemessen angesehen hat (BVerwG, Urteil vom 28.11.1991 - 2 WD 24.91 - jurion Rn. 24). Zum anderen ist in den Blick zu nehmen, dass auch beim einmaligen eigenmächtigen Fernbleiben vom Dienst für einen Zeitraum von zehn Tagen eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 2015 - 2 WD 2.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 47 Rn. 54 und vom 19. Mai 2015 - 2 WD 13.14 - juris Rn. 41).

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b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 WD 11.14 - juris Rn. 52 m.w.N.).

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Nach diesen Maßstäben liegt ein minder schwerer Fall vor, der einen Übergang zur nächstmilderen Disziplinarmaßnahme rechtfertigt. Zwar wirkt sich zulasten der Soldatin erschwerend aus, dass sie aufgrund ihres Dienstgrades als Stabsfeldwebel eine Vorgesetztenfunktion innehatte. Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Sie sind wegen ihrer herausgehobenen Stellung im besonderen Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Dienstpflichten verantwortlich und unterliegen darum im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Allerdings gehörte zum Tatzeitpunkt die Führung der Krankenmelde- und Urlaubskartei nicht mehr zum Kernbereich der der Soldatin übertragenen Aufgaben. Die Bearbeitung der eigenen Urlaubs- und Krankenmeldungen war ihr ohnedies nicht übertragen. Vielmehr war sie seit April 2015 bereits auf den Dienstposten eines Sanitätsfeldwebels für ambulante medizinische Versorgung eingesetzt, so dass sie nicht im Kernbereich der ihr übertragenen Aufgaben versagt hat.

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Zugunsten der Soldatin ist jedoch zu gewichten, dass ihr Dienstvergehen weniger schwerwiegende Auswirkungen hatte als im Regelfall einer Urlaubserschleichung. Das Bekanntwerden des Dienstvergehens innerhalb der Arztgruppe in A. hat zwar für Unruhe gesorgt. Die Soldatin musste jedoch nicht von ihrem Dienstposten entbunden oder an einen anderen Dienstort versetzt werden. Schließlich ist es nicht zu einem materiellen Schaden des Dienstherrn gekommen, weil die Krankmeldung nicht den beabsichtigten Erfolg einer zusätzlichen Urlaubsgewährung gehabt hat. Die Tat ist hinsichtlich des rechtswidrigen Fernbleibens vom Dienst im Vorbereitungsstadium stecken geblieben und die Soldatin hat im gesamten Jahr 2015 ihre Aufgaben im Übrigen im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht ordnungsgemäß wahrgenommen.

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Mit erheblichem Gewicht mildernd zu berücksichtigen ist, dass die Soldatin sich bei ihren Täuschungshandlungen in einer seelischen Ausnahmesituation befunden hat (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 WD 8.18 - juris Rn. 31 m.w.N.). Die Verteidigung hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Soldatin im August 2015 in einer stark belasteten Lebenssituation gestanden hat. Am Anfang des Monats war sie von ihrem Ehemann, der bislang die häusliche Betreuung der beiden damals 11-jährigen Kinder übernommen hatte, verlassen worden. Da die Familie im Wesentlichen vom Gehalt der Soldatin lebte, war in der Folgezeit vom Ehemann kein Barunterhalt zu erwarten. Die Soldatin musste nicht nur mit dem Verlassenwerden psychisch zurande kommen, sondern auch ihre volle berufliche Tätigkeit fortführen, da durch den Erwerb eines Eigenheims erhebliche finanzielle Verpflichtungen bestanden. Zusätzlich musste sie die Erziehung der beiden Kinder nunmehr weitgehend selbst übernehmen. Die Soldatin, deren Jahresurlaub ausweislich der Urlaubskarte nach den Sommerferien nahezu verbraucht war, war bei ihrem Handeln erkennbar von der Sorge getrieben, ein weiteres "Zeitpolster" für die Betreuung ihrer Kinder und für die Bewältigung der Lebenskrise zu benötigen. Die erhebliche seelische Belastung, die einerseits durch den Trennungsschmerz ausgelöst und andererseits durch die Zukunftsängste verstärkt worden ist, hat zu einer außergewöhnlich zugespitzten Lebenslage geführt, in der die Soldatin zu der naheliegenden Entscheidung, beim Truppenarzt oder bei der Disziplinarvorgesetzten ihre Überforderung einzugestehen und um Hilfe nachzusuchen, nicht in der Lage war. Soweit sie sich stattdessen unbesonnen und unreflektiert für den unehrlichen Weg einer Krankmeldung mit einer gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entschieden hat, ist dies mit ihrer außergewöhnlich hohen psychischen Belastung zu erklären, in der ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten kaum noch erwartet werden konnte.

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Die seelische Ausnahmesituation und die vergleichsweise geringeren materiellen Auswirkungen der Tat rechtfertigen es, auf die nächstmildernde Maßnahmeart überzugehen. Da sich auch ein mehrjähriges Beförderungsverbot bei der Soldatin faktisch nicht spürbar auswirken kann, weil sie nach ihrer aktuellen dienstlichen Beurteilung die individuelle Laufbahnperspektive bereits erreicht hat, ist gemäß § 58 Abs. 4 Satz 2 WDO zusätzlich eine Bezügekürzung geboten. Dabei müsste an sich ein Beförderungsverbot und eine Gehaltskürzung im oberen Bereich für die Dauer von fünf bzw. vier Jahren verhängt werden.

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Die nähere Betrachtung der Persönlichkeit und der Lebenssituation der Soldatin gibt jedoch Anlass, innerhalb dieser Maßnahmen bei der Höhe der Gehaltskürzung und bei der Dauer des Beförderungsverbots nach unten abzuweichen. Die Soldatin ist - von dem Dienstvergehen abgesehen - unbescholten. Sie wurde vor dem Dienstvergehen noch als Hauptfeldwebel mit einem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von 7, 6 Punkten beurteilt, hat zwei förmliche Anerkennungen sowie sieben Leistungsprämien erhalten und sich in zwei Auslandseinsätzen bewährt. Der Milderungsgrund einer Nachbewährung, der eine Leistungssteigerung oder die Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 2 WD 1.18 - juris Rn. 34), steht der Soldatin zwar nicht zur Seite. Denn nach dem Dienstvergehen konnte sie im Vergleichsfeld der Stabsfeldwebel, die in der ambulanten medizinischen Versorgung tätig sind, mit einer dienstlichen Beurteilung von durchschnittlich "6,11" Punkten nicht zum Spitzenfeld aufschließen. Die insbesondere auf die noch fehlende medizinisch-fachliche Qualifikation abstellenden Beurteilungen heben jedoch die vorbildliche Führung, Verlässlichkeit und Leistungsbereitschaft der Soldatin positiv hervor, so dass das Dienstvergehen bei Betrachtung ihrer Persönlichkeit und dienstlichen Führung vor und nach dem Vorfall als einmaliges Versagen zu werten ist.

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Entgegen der Ansicht der Verteidigung greift eine unzureichende Dienstaufsicht als zusätzlicher Milderungsgrund nicht ein. Zwar mag die mangelnde Nachprüfung der eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Truppenarzt pflichtwidrig gewesen sein. Dies kann jedoch das Handeln der Soldatin nicht entschuldigen. Der Milderungsgrund einer unzureichenden Dienstaufsicht steht einem Soldaten nur zur Seite, wenn er bei seinem dienstlichen Handeln der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (BVerwG, Urteile vom 11. Juni 2015 - 2 WD 12.14 - juris Rn. 48 und vom 24. November 2015 - 2 WD 15.14 - juris Rn. 66). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Soldatin ohne fremde Hilfe erkennen konnte, dass die falsche Vorspiegelung einer medizinischen Untersuchung und die Vorlage einer unechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtswidrig waren. Schließlich liegen auch keine sonstigen weiteren Milderungsgründe vor, so dass ein Beförderungsverbot und eine Gehaltskürzung um ein Zwanzigstel für die Dauer von dreieinhalb Jahren tat- und schuldangemessen wären.

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c) Zusätzlich maßnahmereduzierend wirkt die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens. Ein Verstoß gegen die Gewährleistung einer Verhandlung in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ist bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen durch eine Verringerung des Disziplinarmaßes auszugleichen. Dabei ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls, ob die Dauer unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten angemessen gewesen ist. Diese Prüfung ist ohne konkrete Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungswerte durchzuführen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrenslänge, wenn sie auch bei Berücksichtigung des von Art. 97 Abs. 1 GG geschützten gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 13 ff. und vom 12. Juli 2018 - 2 WD 1.18 - juris Rn. 42).

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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Dauer des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens, berechnet ab dem Eingang der Anschuldigungsschrift im Juli 2016 bis zur Zustellung des erstinstanzlichen Urteils im Februar 2018, mit 19 Monaten um etwa ein halbes Jahr überlang. Dabei ist davon auszugehen, dass das vorliegende Verfahren von mittlerer Schwierigkeit war. Es bedurfte zwar einerseits der Vernehmung von acht Zeugen. Die Sach- und Rechtsfragen waren aber andererseits überschaubar, so dass die Sache an einem Verhandlungstag entschieden werden konnte. Auch die Bedeutung der Sache für die Soldatin lag im mittleren Bereich. Es ging zwar nicht um ihre berufliche Existenz, aber auch nicht um einen geringen disziplinarischen Vorwurf. Als Maßnahmen standen eine Degradierung, ein Beförderungsverbot und ein Freispruch im Raum. Davon hing die weitere berufliche Entwicklung der Soldatin ab. Auch das Prozessverhalten der Soldatin oder der Wehrdisziplinaranwaltschaft führte zu keiner Verzögerung.

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Zwar war das Verfahren nicht schon nach Zustellung der Anschuldigung entscheidungsreif, weil der Ausgang des sachgleichen Strafverfahrens im September 2016 abgewartet werden konnte. Spätestens nach der Äußerung der Verteidigung Anfang Februar 2017 hätte jedoch eine Terminierung erfolgen und angesichts der verstrichenen Zeit erwartet werden können. Da sich das Truppendienstgericht jedoch zuvor in den Vorgang einarbeiten musste und auch andere dringlichere Verfahren im Rahmen des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums vorziehen durfte, musste die Ladung auch bei Berücksichtigung der richterlichen Pflicht zur Verfahrensförderung nicht umgehend erfolgen. Vielmehr ist dem Truppendienstgericht hierfür ein Gestaltungsspielraum von vier Monaten zuzuerkennen. Soweit die Ladung nicht im Juni 2017, sondern erst sechs Monate später im Dezember 2017 erfolgt ist, sind dafür keine Gründe aus der Verfahrensakte ersichtlich. Daher ist davon auszugehen, dass dies auf Umstände in der Sphäre des Gerichts, namentlich auf die amtsbekannte Überlastung der Truppendienstgerichte, zurückzuführen ist. Anschließend ist das Verfahren zügig geführt und entschieden worden.

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Die festzustellende Überlänge des Gerichtsverfahrens von sechs Monaten ist dadurch auszugleichen, dass das schuld- und tatangemessene Beförderungsverbot mit Gehaltskürzung um die Dauer von sechs Monaten reduziert wird. In diesem Zeitraum hat die Soldatin mehr als nötig unter der Dauer des Gerichtsverfahrens gelitten und ein faktisches Beförderungsverbot hinnehmen müssen. Berücksichtigt man dies, sind im Ergebnis ein Beförderungsverbot und eine Gehaltskürzung um ein Zwanzigstel für die Dauer von drei Jahren angemessen.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO. Es liegen keine Umstände vor, die es rechtfertigen, gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WDO die Kosten oder gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO die der Soldatin erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise dem Bund aufzuerlegen.