BGH 3. Strafsenat, Urteil vom 13.12.2018, 3 StR 307/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 3 StR 307/18 (BGH)

vom 13. Dezember 2018 (Donnerstag)


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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 20. Februar 2018 werden verworfen.

Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

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Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen mehrerer Taten des schweren Bandendiebstahls sowie Wohnungseinbruchdiebstahls zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung eines als Tatmittel verwendeten Mobiltelefons und des Wertes der jeweiligen Taterträge angeordnet. Überdies hat die Strafkammer die erweiterte Einziehung einer sichergestellten Armbanduhr der Marke Rolex angeordnet, die sich bei der Festnahme des Angeklagten A.     in dessen Besitz befand. Von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung weiterer, in einer Anlage ("Anlage I") zur Anklageschrift aufgeführten Gegenstände, die bei den Angeklagten aufgefunden und sichergestellt wurden, hat das Landgericht demgegenüber abgesehen.

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Die Staatsanwaltschaft richtet sich mit ihren auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen allein dagegen, dass es das Landgericht unterlassen hat, über die erweiterte Einziehung der in der Anlage I zur Anklageschrift bezeichneten Gegenstände zu entscheiden. Die wirksam auf die unterbliebene Anordnung der erweiterten Einziehung beschränkten Rechtsmittel (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Februar 2018 - 3 StR 560/17, juris Rn. 4 mwN) haben keinen Erfolg.

I.

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Den Urteilsgründen zufolge konnten die in der Anlage I zur Anklageschrift bezeichneten Gegenstände ebenso wie die bei der Festnahme des Angeklagten A.     sichergestellte Armbanduhr der Marke Rolex weder einer konkreten Straftat noch einem der Geschädigten zugeordnet werden. Die Einziehung der Armbanduhr hat die Strafkammer angeordnet, weil sie zu der Überzeugung gelangt war, dass A.     die Uhr durch eine andere rechtswidrige Tat erlangt hatte (§ 73a Abs. 1 StGB). Sie hat sich insoweit zu einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung veranlasst gesehen, weil A.     nicht auf die Herausgabe der Uhr verzichtet hatte. Von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung der in der Anlage I zur Anklageschrift aufgeführten Gegenstände hat das Landgericht demgegenüber mit Rücksicht darauf abgesehen, dass die Angeklagten in der Hauptverhandlung erklärt hatten, auf eine Herausgabe dieser Gegenstände zu verzichten.

II.

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Die Rechtsmittel sind unbegründet.

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Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer mit Rücksicht auf die Verzichtserklärungen der Angeklagten von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung der in der Anlage I zur Anklageschrift bezeichneten Gegenstände abgesehen hat. Insoweit gilt:

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Die Neuregelung der Vorschriften über die strafrechtliche Vermögensabschöpfung durch das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) hat die in der gerichtlichen Praxis verbreitete "formlose" Vermögensabschöpfung nicht eingeschränkt. In den hier in Rede stehenden Fällen der erweiterten Einziehung gemäß § 73a Abs. 1 StGB hindert ein von dem Angeklagten erklärter Verzicht auf die Herausgabe der betreffenden Gegenstände das Tatgericht zwar nicht, die Einziehung gleichwohl anzuordnen, wenn es davon überzeugt ist, dass der Angeklagte die Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten erlangt hat. Es ist ihm aber unbenommen, mit Rücksicht auf die Verzichtserklärung von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung abzusehen, insbesondere wenn die Frage, ob die Voraussetzungen des § 73a Abs. 1 StGB erfüllt sind, weiterer Sachaufklärung bedarf. Im Einzelnen:

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1. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, war zum alten Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung anerkannt, dass der Verzicht auf die Herausgabe sichergestellter Gegenstände durch den Angeklagten die Anordnung der Einziehung oder des Verfalls entbehrlich machte; eine gerichtliche Einziehungs- bzw. Verfallsentscheidung wurde in solchen Fällen als überflüssig und unverhältnismäßig angesehen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. Juli 1965 - 6 StE 1/65, BGHSt 20, 253, 257; vom 27. Juli 2005 - 2 StR 241/05, juris Rn. 13; Beschlüsse vom 18. November 2015 - 2 StR 399/15, NStZ-RR 2016, 83; vom 6. Juni 2017 - 2 StR 490/16, juris Rn. 2; vom 11. Oktober 2017 - 2 StR 365/17, juris Rn. 5). Erklärt sich der Angeklagte mit einer "außergerichtlichen" Einziehung sichergestellter Gegenstände einverstanden bzw. verzichtet er auf deren Herausgabe, so wird darin auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ein unwiderruflicher Verzicht auf etwaige Herausgabeansprüche gesehen, woraus auch immer diese sich ergeben könnten. Der Angeklagte gibt eine etwaige ihm zustehende Rechtsposition auf, um den Strafverfolgungsbehörden unter Verzicht auf alle Förmlichkeiten sofort eine Verwertung der betreffenden Gegenstände zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 16. Juli 1965 - 6 StE 1/65, BGHSt 20, 253, 257; BayObLG, Beschluss vom 8. Juli 1996 - 4 St RR 76/96, NStZ-RR 1997, 51; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. September 1992 - 2 Ws 405/92, NStZ 1993, 452).

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Falls - wie hier - nicht davon auszugehen ist, dass die betreffenden Gegenstände dem Angeklagten gehören, der wahre Eigentümer aber nicht bekannt ist, richtet sich das weitere Verfahren nach den zivilrechtlichen Fundvorschriften (§ 983 iVm §§ 979 ff. BGB). Danach kann die Staatsanwaltschaft die Sache öffentlich versteigern lassen (§ 979 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Versteigerung ist indes erst zulässig, nachdem etwaige Rechtsinhaber in einer öffentlichen Bekanntmachung zur Anmeldung ihrer Rechte unter Bestimmung einer Frist aufgefordert worden sind und die Frist verstrichen ist (§ 980 Abs. 1 BGB).

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Die danach für zulässig erachtete "außergerichtliche" bzw. "formlose" Einziehung von Gegenständen im Wege einer Verzichtserklärung seitens des Angeklagten hat erhebliche praktische Bedeutung erlangt (BT-Drucks. 18/9529, S. 61; Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl., Rn. 422); sie gehört mittlerweile "zum Gerichtsalltag" (Thode, NStZ 2000, 62). Denn die "formlose" Vermögensabschöpfung stellt aus Sicht des erkennenden Gerichts in verschiedener Hinsicht eine beachtliche Verfahrensvereinfachung dar (vgl. Rönnau, aaO Rn. 425). Insbesondere bedarf es, falls - wie hier - die erweiterte Einziehung etwaigen Diebesguts in Betracht kommt, keiner Überzeugungsbildung des Gerichts, ob die Gegenstände, auf deren Herausgabe der Angeklagte verzichtet hat, überhaupt aus einer anderen rechtswidrigen Tat herrühren (§ 73a Abs. 1 StGB). Dadurch wird unter Umständen eine umfangreiche Beweisaufnahme entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 1965 - 6 StE 1/65, BGHSt 20, 253, 257).

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2. Die Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung durch das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) hat an der Zulässigkeit der gerichtlichen Praxis, im Falle einer Verzichtserklärung des Angeklagten von einer Einziehungsentscheidung abzusehen, nichts geändert (so auch BGH, Urteil vom 10. April 2018 - 5 StR 611/17, BGHSt 63, 116, 118 ff.; Beschluss vom 12. September 2018 - 5 StR 400/18, juris Rn. 13, jeweils zur Einziehung sichergestellter Betäubungsmittelerlöse [§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB]). Das lässt sich dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers entnehmen.

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a) "Kernstück des Reformvorhabens" war danach "die grundlegende Neuregelung der Opferentschädigung" (BT-Drucks. 18/9525, S. 2, 49). Als "Dreh- und Angelpunkt" wurde die Streichung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF und damit der Wegfall des an diese Vorschrift anknüpfenden Modells der Opferentschädigung in Form der "Rückgewinnungshilfe" angesehen (BT-Drucks. 18/9525, S. 2, 46, 49). Insbesondere "die komplizierte Vorschrift" über den staatlichen "Auffangrechtserwerb" (§ 111i StPO aF) sollte dadurch entfallen, wodurch "zeitraubende zivilrechtliche" Fragen künftig vermieden werden sollten (BT-Drucks. 18/9525, S. 2, 46). Aus Sicht des Gesetzgebers hatte sich das Konzept der Rückgewinnungshilfe als "zentrales Hindernis" einer effektiven Vermögensabschöpfung erwiesen, weshalb § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF nicht zu Unrecht als "Totengräber des Verfalls" bezeichnet worden sei (BT-Drucks. 18/9525, S. 2, 46). Die Streichung von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF hat zur Folge, dass etwaige Schadensersatzansprüche von Tatgeschädigten der Einziehung nicht mehr entgegenstehen. Deren Ansprüche werden nunmehr gemäß den §§ 459h ff. StPO im Vollstreckungsverfahren befriedigt (BT-Drucks. 18/9525, S. 94).

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Das neue Opferentschädigungsmodell des § 459h StPO knüpft an die Bestimmungen des § 75 StGB über die Wirkung der Einziehungsentscheidung an. Die hier in Rede stehenden Fälle der erweiterten Einziehung etwaigen durch andere rechtswidrige Taten erlangten, nicht zuordenbaren Diebesguts unterfallen § 75 Abs. 1 Satz 2 StGB (BT-Drucks. 18/9525, S. 71; vgl. auch Köhler, NStZ 2017, 497, 500 f.). Danach geht das Eigentum an einer Sache, die einem unbekannten Dritten gehört, mit Ablauf von sechs Monaten nach der Mitteilung der Rechtskraft der Einziehungsanordnung auf den Staat über, es sei denn, dass derjenige, dem der Gegenstand gehört oder zusteht, sein Recht vorher bei der Vollstreckungsbehörde anmeldet ("kleiner" Auffangrechtserwerb). Einzelheiten ergeben sich aus den §§ 459h ff. StPO. Danach ist der Eintritt der Rechtskraft der Einziehungsanordnung dem Verletzten unverzüglich mitzuteilen (§ 459i Abs. 1 Satz 1 StPO); das kann, falls der Verletzte - wie hier - unbekannt ist, durch einmalige Mitteilung im Bundesanzeiger oder durch Veröffentlichung in anderer geeigneter Weise geschehen (§ 459i Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 111l Abs. 4 Sätze 1 bis 3 StPO).

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b) In der Gesetzesbegründung ist ausdrücklich klargestellt worden, dass die Streichung von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF und die dementsprechende Neufassung von § 73 StGB als "grundlegender" materieller Vorschrift des Rechts der Vermögensabschöpfung "die Möglichkeit der 'formlosen Einziehung' nicht" einschränken, sondern vielmehr "diese in der Praxis verbreitete 'formlose' Vermögensabschöpfung" von "rechtlichen Unwägbarkeiten" befreien sollte, die mit dem Ausschluss der staatlichen Abschöpfung in den Fällen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF einhergingen (BT-Drucks. 18/9525, S. 61). Diese Klarstellung ist in der weiteren Gesetzesbegründung oder im weiteren Gesetzgebungsverfahren an keiner Stelle relativiert worden. Insbesondere lässt sich den Materialien nicht entnehmen, dass die Möglichkeit der "formlosen" Vermögensabschöpfung in denjenigen Fällen eingeschränkt werden sollte, in denen die erweiterte Einziehung etwaigen nicht zuordenbaren Diebesguts in Betracht kommt.

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aa) So sind im Zusammenhang mit § 75 Abs. 1 Satz 2 StGB nF im Wesentlichen die Vorzüge des "kleinen" Auffangrechtserwerbs hervorgehoben worden: "Angelehnt an die zivilrechtlichen Fundvorschriften" gehe das Eigentum an dem eingezogenen Gegenstand auf den Staat über, wenn der Geschädigte sein Recht nicht innerhalb von sechs Monaten nach Mitteilung der Rechtskraft der Einziehungsanordnung bei der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft) anmelde. Die Vorschrift ermögliche damit insbesondere die rechtsbeständige Einziehung von nicht zuordenbarem Diebesgut, "ohne auf die für gänzlich andere Sachverhalte gedachten zivilrechtlichen Fundvorschriften (§ 983 iVm §§ 979 ff. BGB) zurückgreifen zu müssen" (BT-Drucks. 18/9525, S. 71). Ein Hinweis darauf, dass eine "formlose Vermögensabschöpfung deshalb in solchen Fällen abweichend von den Ausführungen zur Neufassung der "grundlegenden" Vorschrift des § 73 StGB nF ausgeschlossen sein solle, findet sich hingegen nicht.

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Gleiches gilt im Hinblick auf § 459h StPO nF. Auch im Zusammenhang mit dieser als "grundlegende Vorschrift des Reformmodells der Opferentschädigung" bezeichneten Regelung (BT-Drucks. 18/9525, S. 94) enthält die Gesetzesbegründung keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Praxis der "formlosen" Vermögensabschöpfung eingeschränkt werden sollte. Das Fehlen eines einschränkenden Hinweises unterstreicht indes den Willen des Gesetzgebers, dass es dem erkennenden Gericht auch in den Fällen, in denen die erweiterte Einziehung etwaigen nicht zuordenbaren Diebesguts in Betracht kommt, unbenommen sein soll, mit Rücksicht auf eine Verzichtserklärung des Angeklagten von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung abzusehen.

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bb) Gerade im Zusammenhang mit den Vorschriften über das neue Modell der Opferentschädigung wäre eine einschränkende Klarstellung zu erwarten gewesen, falls der Gesetzgeber die Praxis der "formlosen" Vermögensabschöpfung insoweit hätte ausschließen wollen. Denn die mit dem Wegfall von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF verbundene Reform der Opferentschädigung vereinfacht nicht nur das strafrechtliche Erkenntnisverfahren; sie führt vielmehr auch zu einer Stärkung des Opferschutzes (BT-Drucks. 18/9525, S. 54), die indes nur zum Tragen kommt, wenn das Gericht eine Einziehung anordnet.

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So waren Tatgeschädigte auf der Grundlage des bisherigen Modells der Rückgewinnungshilfe gehalten, für die Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche selbst Sorge zu tragen. Sie mussten einen zivilrechtlichen Titel erstreiten, auf dessen Grundlage sie die Zwangsvollstreckung in die von der Strafjustiz gesicherten Vermögensgegenstände betreiben konnten. Zusätzlich hing die Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche von einer gesonderten strafprozessualen Zulassung der Zwangsvollstreckung ab. Außerdem galt bei mehreren Verletzten für deren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Prioritätsgrundsatz. Dieses zuweilen mit einem "Windhundrennen" verglichene Modell konnte dazu führen, dass ein Verletzter vollständige oder weitgehende Befriedigung erlangte, während andere Tatopfer leer ausgingen (vgl. zu allem BT-Drucks. 18/9525, S. 46 mwN).

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Demgegenüber stärkt das Reformmodell den Opferschutz, indem es den Tatgeschädigten einen einfachen und kostengünstigen Weg eröffnet, Schadenswiedergutmachung zu erlangen. Sie müssen weder einen zivilrechtlichen Titel erstreiten noch die Zwangsvollstreckung und deren strafprozessuale Zulassung betreiben. Überdies sichert das Reformmodell die Insolvenzfestigkeit der Ansprüche von Geschädigten (BT-Drucks. 18/9525, S. 76, 79); deren Entschädigung nach dem Prioritätsprinzip hat es beseitigt mit der Folge, dass nunmehr mehrere Tatopfer gleichbehandelt werden (BT-Drucks. 18/9525, S. 54).

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Die mit dem Reformmodell der Opferentschädigung verbundene Besserstellung des Tatopfers tritt indes nur dann ein, wenn das Gericht die Einziehung anordnet, nicht dagegen bei einer "formlosen" Vermögensabschöpfung (vgl. Köhler, NStZ 2017, 497, 500 f.). Das gilt insbesondere in den hier in Rede stehenden Fällen des § 75 Abs. 1 Satz 2 StGB. Die Einziehungsanordnung ist Voraussetzung dafür, dass das Eigentum an dem betreffenden Gegenstand im Wege des "kleinen" Auffangrechtserwerbs auf den Staat übergeht. Das ist nicht der Fall, wenn das Gericht mit Rücksicht auf eine Verzichtserklärung des Angeklagten von einer Entscheidung über die (erweiterte) Einziehung absieht. Denn der Angeklagte kann das Eigentum an Diebesgut nicht auf den Staat übertragen (§ 935 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zudem gewährleistet nur die "förmliche" Einziehung den Eigentumserwerb des Staates auch dann, wenn nach Beschlagnahme des Diebesguts (§§ 111b, 111c Abs. 1 StPO) über das Vermögen des Einziehungsbetroffenen das Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 75 Abs. 4 StGB, § 111d Abs. 1 Satz 2 StPO). Damit soll der Gefahr, dass Diebesgut im Insolvenzverfahren entgegen § 35 Abs. 1, § 47 InsO zu Lasten der Geschädigten verwertet wird, begegnet werden (vgl. dazu BT-Drucks. 18/11640, S. 79 aE).

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Vor diesem Hintergrund hätte es nahe gelegen, die Möglichkeit der "formlosen" Vermögensabschöpfung ausdrücklich für unzulässig zu erklären, falls es dem Gesetzgeber darauf angekommen wäre, das Reformmodell der Opferentschädigung im Hinblick auf die damit verbundene Stärkung des Opferschutzes ausnahmslos zum Tragen kommen zu lassen. Das Fehlen einer solchen Einschränkung belegt deshalb, dass die Verbesserung des Opferschutzes aus Sicht des Gesetzgebers gegenüber der Vereinfachung der Vermögensabschöpfung im Erkenntnisverfahren keinen unbedingten Vorrang erhalten sollte.

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cc) Das Fortbestehen der Möglichkeit des Verzichts auf die Herausgabe sichergestellter Gegenstände entspricht auch Sinn und Zweck des Gesetzes, die in erster Linie darin bestehen, eine effektive Vermögensabschöpfung sicherzustellen. Die mit der Reform verbundene Stärkung des Opferschutzes war demgegenüber kein Selbstzweck und nicht das wesentliche Ziel der Neuregelung. Der vom Gesetzgeber gesehene Reformbedarf resultierte vielmehr daraus, dass das bisherige Recht die wirksame Abschöpfung strafrechtswidrig erlangter Vermögenswerte nur unzureichend gewährleistete, was auf die aufgezeigten Mängel des Modells der Rückgewinnungshilfe zurückgeführt wurde. Die Reform der Opferentschädigung, insbesondere deren Verlagerung in das Vollstreckungsverfahren, diente dementsprechend im Wesentlichen dem Zweck, die Effektivität der Vermögensabschöpfung zu erhöhen. Die Vermögensabschöpfung sollte dem Tatgericht möglichst einfach gemacht werden, damit sie auch tatsächlich praktiziert und damit klargestellt wird, dass Straftaten "sich nicht lohnen" dürfen (Köhler, NStZ 2017, 497, 498).

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Dem Anliegen des Gesetzgebers, dass Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte nicht dauerhaft behalten dürfen (BT-Drucks. 18/9525, S. 45), dient indes auch die "formlose" Vermögensabschöpfung. Deshalb ist es ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber sie ungeachtet der mit dem neuen Modell der Opferentschädigung verbundenen Vorteile für den Geschädigten nicht einschränken wollte.

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c) Für die hier in Rede stehenden Fälle, in denen der Angeklagte auf die Herausgabe sichergestellter Gegenstände verzichtet hat, in Bezug auf die eine erweiterte Einziehung in Betracht kommt, ergibt sich daraus Folgendes:

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Einerseits ist es dem erkennenden Gericht unbenommen, die Einziehung anzuordnen, falls es zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte die Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten erlangt hat. Mit Rücksicht auf die Besserstellung des Geschädigten durch das neue Opferentschädigungsmodell kann es im Einzelfall sogar sachgerecht sein, es nicht bei einer "formlosen" Vermögensabschöpfung zu belassen (vgl. dazu Köhler, NStZ 2017, 497, 501; Reitemeier, ZJJ 2017, 354, 363; AG München, Urteil vom 10. Oktober 2017 - 814 Ds 261 Js 160705/17, BeckRS 2017, 132027). Jedenfalls erweist sich eine Einziehungsanordnung in solchen Konstellationen nicht als überflüssig und dementsprechend auch nicht als unverhältnismäßig (Gleiches gilt in Bezug auf der Regelung des § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB unterfallende Erlöse aus Betäubungsmittelgeschäften; anders insoweit BGH, Urteil vom 10. April 2018 - 5 StR 611/17, BGHSt 63, 116).

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Andererseits steht es dem Gericht stets frei, mit Rücksicht auf die Verzichtserklärung des Angeklagten von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung abzusehen. Das gilt vor allem dann, wenn es weiterer Beweiserhebungen bedarf, um zu klären, ob der Angeklagte die Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten erlangt hat.

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In solchen Fällen erwiese es sich insbesondere nicht als sachgerecht, das Verfahren über die Einziehung gemäß § 422 Satz 1 StPO abzutrennen und später - ungeachtet der von dem Angeklagten bereits abgegebenen Verzichtserklärung - in einem gesonderten Verfahren der Frage nachzugehen, ob die Gegenstände aus einer anderen rechtswidrigen Tat des Angeklagten herrühren. Es liefe der vom Gesetzgeber angestrebten effektiven strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zuwider, die Herkunft eines Gegenstandes in einem aufwändigen Verfahren - womöglich gemäß § 423 Abs. 4 StPO im Rahmen einer weiteren Hauptverhandlung - näher aufzuklären, obwohl dessen "formlose" Einziehung ohne Weiteres möglich ist.

27

d) Der Zulässigkeit der "formlosen" Vermögensabschöpfung steht schließlich nicht entgegen, dass es im Einzelfall - wie hier - zu einem Nebeneinander von "formloser" und förmlicher Einziehung kommen kann, die möglicherweise mit einem erheblichen Mehraufwand im Vollstreckungsverfahren verbunden ist, weil mit den formlos eingezogenen Gegenständen - wie hier den in der Anlage I zur Anklageschrift bezeichneten - nach § 983 iVm den §§ 979 ff. BGB verfahren und in Bezug auf die förmlich eingezogenen Gegenstände - wie hier der Armbanduhr der Marke Rolex - das Verfahren nach den §§ 459h ff. StPO durchgeführt werden muss. Das hat der Gesetzgeber ersichtlich in Kauf genommen. Es kam ihm vor allem darauf an, das Erkenntnisverfahren zu vereinfachen (BT-Drucks. 18/9525, S. 54), nicht dagegen das Vollstreckungsverfahren.

Schäfer     

      

Gericke     

      

Tiemann

      

Hoch     

      

Leplow