BVerwG 4. Senat, Beschluss vom 28.03.2019, 4 B 40/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 4 B 40/18 (BVerwG)

vom 28. März 2019 (Donnerstag)


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Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

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Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf § 54 NBauO (in der Fassung vom 10. Februar 2003 - NBauO a.F.) gestützten Beseitigungsverfügung maßgeblich ist (letzte Behördenentscheidung oder letzte mündliche Verhandlung) und was unter eine Beseitigungsanordnung "unter Kontrolle halten" zu verstehen ist.

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Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Sie wären in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie das nicht revisible Landesrecht betreffen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht aus dem Prozessrecht ergibt, sondern aus dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1969 - 8 C 112.67, 115.67 - BVerwGE 34, 155 <157 f.>, vom 21. Mai 1976 - 4 C 80.74 - BVerwGE 51, 15 <24>, vom 29. September 1982 - 8 C 138.81 - BVerwGE 66, 178 <182>, vom 3. November 1987 - 9 C 254.86 - BVerwGE 78, 243 <244>, vom 17. Oktober 1989 - 9 C 58.88 - NVwZ 1990, 654 f. und vom 31. März 2004 - 8 C 5.03 - BVerwGE 120, 246 <250>). Rechtsgrundlage für die angefochtene Beseitigungsanordnung ist vorliegend § 54 NBauO a.F., der dem geltenden § 79 Abs. 3 NBauO (in der Fassung vom 3. April 2012 - NBauO n.F.) entspricht, mithin eine Vorschrift des Landesrechts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1989 - 4 B 132.88 - juris Rn. 5). Aus dieser landesrechtlichen Vorschrift hat das Oberverwaltungsgericht abgeleitet, dass für eine darauf gestützte Beseitigungsverfügung (auch) auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei, womit die Behörde die Anordnung bis dahin "unter Kontrolle" halten müsse. Seien erst dort ernsthafte Instandsetzungsbestrebungen des Bauherrn erkennbar geworden, könne die Anordnung keinen Bestand haben (UA S. 7 ff.). Diese Auslegung des niedersächsischen Landesrechts wäre für eine auf die Revision ergehende Entscheidung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO maßgebend.

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Einen beachtlichen Bezug zum revisiblen Recht vermag die Beschwerde nicht dadurch herzustellen, dass sie sich auf die durch Art. 14 Abs. 1 GG verbürgte Eigentumsgarantie und den verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruft. Die Rüge einer Verletzung von Bundes(verfassungs)recht bei der vorinstanzlichen Auslegung und Anwendung nicht revisiblen Landesrechts rechtfertigt nur dann die Zulassung der Grundsatzrevision, wenn die Beschwerde eine klärungsbedürftige Frage gerade des Bundesrechts darlegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2009 - 9 B 2.09 - Buchholz 445.4 § 3 WHG Nr. 6 Rn. 4 m.w.N.). Daran fehlt es hier.

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2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

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Eine die Revision eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

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Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Abweichung des vorinstanzlichen Urteils von dem Beschluss des Senats vom 11. August 1992 - 4 B 161.92 - (Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 40) ist hiernach nicht dargelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, wonach einem Grundeigentümer, der ohne die erforderliche Baugenehmigung ein Vorhaben durchführt, hieraus ein materieller Vorteil erwachsen könne. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass es in der Tatbestandsstruktur des § 54 NBauO a.F. angelegt sei, dem Eigentümer Maßnahmen zum Erhalt des streitigen Bauwerks zu ermöglichen. Dazu reiche es aus, dass zumindest die Möglichkeit bestehe, die dafür erforderlichen Arbeiten im Einklang mit dem formellen und materiellen Baurecht durchzuführen. Diese Möglichkeit sei hier gegeben gewesen (UA S. 10 f.).

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3. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der geltend gemachte Aufklärungsmangel liegt nicht vor.

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Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 4 B 20.12 - BRS 79 Nr. 73 Rn. 6 m.w.N.). Denn die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 B 40.15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 Rn. 16). Für Behörden gilt insofern nichts Abweichendes, wenn diese durch einen eigenen Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt in der Berufungsinstanz vertreten werden (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juni 2001 - 4 B 41.01 - NVwZ-RR 2001, 713 <714> und vom 13. Oktober 2015 - 4 B 24.15 - juris Rn. 4; Urteil vom 23. November 2006 - 3 C 30.05 - Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 15 Rn. 14). Eines förmlichen Beweisantrages bedarf es allerdings nicht, wenn sich dem Tatsachengericht eine weitere Sachaufklärung aufdrängen musste. Maßgeblich ist dabei der materiell-rechtliche Standpunkt des Tatsachengerichts, auch wenn dieser rechtlichen Bedenken begegnen sollte (stRspr, BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>).

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Der durch einen eigenen Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt vertretene Beklagte wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, es habe unterlassen, sich einen umfassenden Eindruck von dem Zustand des Gebäudes zu verschaffen; die Beurteilung der Standsicherheit des Gebäudes nur anhand von Lichtbildern sei nicht möglich gewesen. Im Wege einer Ortsbesichtigung hätten diese Umstände ohne weiteres (zutreffend) aufgeklärt werden können. Dass er einen hierauf gerichteten Beweisantrag gestellt hat, trägt er nicht vor, sondern verweist lediglich auf einen entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25. April 2018 S. 3). Auch legt der Beklagte nicht dar, dass sich dem Tatsachengericht, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Vielmehr wendet er sich im Stile eines zulassungsfreien Rechtsmittels gegen die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass sich das Gebäude auf den Fotos bis zum Jahr 2009 noch nicht als Ruine dargestellt habe, eine Bewohnbarkeit möglich sei oder jedenfalls herbeigeführt werden könne und die niedrigen, freiliegenden Querstreben des vorhandenen Balkenwerkes in den Wohnräumen, die deren Nutzbarkeit für Menschen heutiger Körpergröße beeinträchtigten, nicht dem Erhaltungszustand des Gebäudes, sondern seinem Baujahr geschuldet seien. Das wird den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.