BGH 4. Strafsenat, Beschluss vom 10.10.2018, 4 StR 311/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 4 StR 311/18 (BGH)

vom 10. Oktober 2018 (Mittwoch)


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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 18. Januar 2018

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte schuldig ist

aa) im Fall II. 1. b) bb) der Urteilsgründe des Besitzes eines verbotenen Gegenstandes (Schlagring);

bb) im Fall II. 1. b) cc) der Urteilsgründe des sexuellen Übergriffs mit Gewalt in Tateinheit mit Körperverletzung und Freiheitsberaubung;

b) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

aa) im Strafausspruch zu Fall II. 1. b) cc) der Urteilsgründe;

bb) in den Fällen II. 1. a) und II. 1. b) bb) der Urteilsgründe, soweit eine Festsetzung der Tagessatzhöhe unterblieben ist;

cc) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung“ in Tateinheit mit Körperverletzung und Freiheitsberaubung, wegen Bedrohung und wegen eines „Verstoßes gegen das Waffengesetz“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung eines Schlagringes angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

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1. Am 8. Dezember 2015 drohte der Angeklagte seiner damaligen Ehefrau an, sie zu töten, nachdem sie ihm ihre Scheidungsabsicht mitgeteilt hatte (Fall II. 1. a) der Urteilsgründe). Wegen dieses Geschehens hat das Landgericht den Angeklagten einer Bedrohung schuldig gesprochen und ihn zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, jedoch keine Tagessatzhöhe festgesetzt.

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2. Am 22. Februar 2017 wurde bei einer Wohnungsdurchsuchung ein dem Angeklagten gehörender Schlagring sichergestellt (Fall II. 1. b) bb) der Urteilsgründe). Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb wegen eines „Verstoßes gegen das Waffengesetz“ zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, wiederum ohne die Tagessatzhöhe zu bestimmen.

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3. Zu Fall II. 1. b) cc) der Urteilsgründe hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

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a) Der Angeklagte und die Nebenklägerin unterhielten ab Anfang des Jahres 2017 eine Beziehung, die von beiderseitiger Eifersucht und massiven Streitigkeiten geprägt war. Der Angeklagte übte dabei mehrfach körperliche Gewalt gegen die Nebenklägerin aus.

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Auch in der Nacht zum 21. Mai 2017 gerieten der Angeklagte und die Nebenklägerin nach dem Genuss von Alkohol und Kokain in Streit. Der Angeklagte warf der Nebenklägerin vor, im Laufe des Abends mit einem anderen Mann „geflirtet“ zu haben. Er verschloss nun die Wohnungseingangstür und nahm den Schlüssel an sich, um eine etwaige Flucht der Nebenklägerin zu verhindern. Anschließend versetzte er ihr Faustschläge ins Gesicht sowie gegen ihren Kopf und Oberkörper. Als sie sich zu entziehen suchte, zog er ihr kräftig an den Haaren und riss dabei mehrere Haarbüschel aus. Außerdem hielt er ihr Mund und Nase so fest zu, dass sie zwischenzeitlich keine Luft mehr bekam.

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Als die Nebenklägerin infolge des Sauerstoffmangels kurz das Bewusstsein verlor, beschloss der Angeklagte, nun den von ihm erwünschten, von der Nebenklägerin – wie er wusste – aber abgelehnten Analverkehr durchzuführen. Er beabsichtigte, zunächst mit einem Finger und anschließend mit seinem Penis in die Nebenklägerin einzudringen. Er entblößte sein erigiertes Glied und entkleidete den Unterkörper der auf dem Wohnzimmersofa liegenden Nebenklägerin. Als sie wieder zur Besinnung kam, „penetrierte der Angeklagte sie gerade im Analbereich“. Ihm gelang es aufgrund des einsetzenden Widerstandes der Nebenklägerin allerdings nicht, wie beabsichtigt mit dem Finger in sie einzudringen. Trotz seiner körperlichen Überlegenheit gab er die weitere Ausführung seines Vorhabens freiwillig auf und nahm von einem Eindringen Abstand. Als er am frühen Morgen einschlief, gelang es der Nebenklägerin, über ein Fenster und ein außen befindliches Baugerüst zu Nachbarn zu fliehen.

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b) Das Landgericht hat dieses Geschehen als „sexuelle Nötigung mit Gewalt“ nach § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung gewertet.

II.

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Die Schuldsprüche halten insgesamt rechtlicher Nachprüfung stand.

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1. Allerdings hat der Senat mit Blick auf den im Fall II. 1. b) bb) der Urteilsgründe ausgeurteilten Verstoß gegen das Waffengesetz den Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich neugefasst, da es zur Kennzeichnung des begangenen Unrechts der konkreten rechtlichen Bezeichnung der Tat bedarf (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO); der bloße Hinweis auf einen Verstoß gegen das Waffengesetz genügt daher regelmäßig nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2018 – 3 StR 115/18, juris Rn. 2; vom 15. März 2011 – 4 StR 40/11, NJW 2011, 1979, 1981; vom 16. Januar 2007 – 4 StR 574/06, NStZ-RR 2007, 149).

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2. Soweit der Angeklagte im Fall II. 1. b) cc) der Urteilsgründe wegen Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerin verurteilt worden ist, bedarf allein der Schuldspruch nach § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB näherer Erörterung.

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a) Das Vorliegen eines sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 StGB ist ausreichend festgestellt und belegt.

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Zwar sind die Feststellungen des Landgerichts zu der von dem Angeklagten an der Nebenklägerin vorgenommenen sexuellen Handlung teilweise missverständlich. Einerseits wird die Handlung des Angeklagten dahingehend beschrieben, dass er die Nebenklägerin im Zeitpunkt ihres Erwachens aus der Bewusstlosigkeit im Analbereich „penetrierte“, was dem Wortsinn nach ein Eindringen voraussetzt. Andererseits gelang es dem Angeklagten nach den weiteren Feststellungen gerade nicht, in die Nebenklägerin einzudringen, weshalb er letztlich von dem geplanten Eindringen Abstand nahm.

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Jedoch lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass diese Unklarheiten lediglich auf einem unpräzisen Gebrauch des Wortes „penetrieren“ beruhen und die Strafkammer davon ausgegangen ist, dass es zu Berührungen des Angeklagten im Analbereich der Nebenklägerin im Vorfeld seines beabsichtigten Eindringens kam.

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Zudem ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass die sexuelle Handlung zumindest auch in dem Zeitraum ausgeübt wurde, als die Nebenklägerin wieder bei Bewusstsein war. Daher kann dahinstehen, ob neben der Verwirklichung des § 177 Abs. 1 StGB mit Blick auf die zeitweise Bewusstlosigkeit der Nebenklägerin auch die Anwendung von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht gekommen wäre.

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b) Die Annahme der Qualifikation nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB – Anwendung von Gewalt – wird ebenfalls von den Feststellungen getragen. Dies gilt zwar weder für die gewaltsame Herbeiführung der Bewusstlosigkeit der Nebenklägerin durch den Angeklagten noch für die davor liegenden Gewalttätigkeiten. Gewalt im Sinne dieser Vorschrift liegt aber mit Blick auf die während des gesamten Tatgeschehens verschlossene Wohnungstür vor.

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aa) Wie der Tatbestand der Gewaltqualifikation nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB – eingeführt durch das am 10. November 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – auszulegen ist, ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden worden. Im Schrifttum werden insoweit unterschiedliche Auslegungsansätze vertreten, und zwar insbesondere zu der Frage, ob zwischen der Gewaltanwendung und der sexuellen Handlung nach § 177 Abs. 1 StGB ein Finalzusammenhang bestehen muss.

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(1) Nach teilweise vertretener Auffassung entspricht § 177 Abs. 5 StGB dem früheren Tatbestand der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB in der Fassung bis zum 9. November 2016 (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 177 nF Rn. 34 und 101 ff.; SK-StGB/Wolters/Noltenius, 5. Aufl., § 177 Rn. 53); nach dieser Ansicht muss die Gewaltanwendung im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation der Duldung oder der Vornahme der sexuellen Handlung dienen (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, Rn. 111; SK-StGB/Wolters/Noltenius, § 177 Rn. 53).

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(2) Nach der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung setzt die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB keinen Finalzusammenhang voraus (vgl. BeckOK-StGB/Ziegler, 39. Edition, § 177 Rn. 31; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 177 Rn. 13; Hörnle, NStZ 2017, 13, 19; Spillecke, StraFo 2018, 361, 364; in diesem Sinne auch Fischer, StGB, 65. Aufl., der zwischen Fällen von Gewalt als Nötigungsmittel, Rn. 66 ff., und Gewalt ohne Nötigungswirkung, Rn. 74 f., unterscheidet). Hiernach ist es ausreichend, dass der Täter die Gewalt im Tatzeitpunkt (vgl. BeckOK-StGB/Ziegler, aaO) beziehungsweise im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens vor, bei oder nach der sexuellen Handlung (vgl. Hörnle, aaO) anwendet.

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bb) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Für sie sprechen der Wortlaut der Vorschrift, ihre Entstehungsgeschichte, systematische Erwägungen sowie Sinn und Zweck der Vorschrift. Im Einzelnen:

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(1) Für die fehlende Erforderlichkeit eines Finalzusammenhangs spricht zunächst der Wortlaut des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB, der lediglich verlangt, dass der Täter „gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet“. Anders als nach der früheren Rechtslage (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF: „Wer eine andere Person mit Gewalt nötigt …“) ist dem Wortlaut nun nicht mehr zu entnehmen, dass die Gewalt als Nötigungsmittel eingesetzt werden muss; vielmehr muss diese nur zu dem sexuellen Übergriff hinzukommen.

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(2) Dieses sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergebende Ergebnis entspricht dem in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Demnach orientiert sich die Qualifikation des § 177 Abs. 5 StGB zwar an der Ausgestaltung des § 177 Abs. 1 StGB in der bis zum 9. November 2016 geltenden Fassung. Anders als nach früherer Rechtslage soll aber gerade nicht mehr erforderlich sein, dass der Täter das Opfer nötigt (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 26). § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB soll vielmehr auch Fälle erfassen, in denen der Täter die Gewalt im Tatzeitpunkt zu anderen als zu Nötigungszwecken einsetzt – beispielsweise zur Steigerung seiner sexuellen Lust (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 27).

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(3) Auch systematische Erwägungen sprechen dafür, dass ein Finalzusammenhang zwischen sexueller Handlung und Gewalt nicht mehr erforderlich ist. Zum einen setzt bereits der Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB keine Nötigung mehr voraus (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 2 und 22 f.; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, Rn. 4). Zum anderen zeigt der Vergleich mit § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB, in dessen Rahmen eine Nötigung des Tatopfers und damit ein Finalzusammenhang mit der Duldung oder Vornahme der sexuellen Handlung noch vorausgesetzt sind (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 27; BeckOK-StGB/Ziegler, aaO, § 177 Rn. 29; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, Rn. 92 ff.), dass der Gesetzgeber innerhalb des § 177 StGB das Erfordernis einer Nötigung differenziert eingesetzt und nur ausnahmsweise als Tatbestandsvoraussetzung vorgesehen hat.

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Soweit geltend gemacht wird, dass der in der amtlichen Überschrift des § 177 StGB – neben anderen Begriffen – verwendete Begriff der „sexuellen Nötigung“ dafür spreche, dass in § 177 Abs. 5 StGB der frühere Tatbestand der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB aF umgesetzt sei (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, Rn. 35), vermag dies angesichts der eindeutigen Gesetzesbegründung und dem von der früheren Rechtslage abweichenden Wortlaut der Vorschrift nicht zu überzeugen. Zudem liegt mit § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB ein Tatbestand vor, der der amtlichen Überschrift „sexuelle Nötigung“ entspricht.

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(4) Das Erfordernis eines Finalzusammenhangs ergibt sich schließlich auch nicht aus teleologischen Erwägungen. Zwar wird teilweise geltend gemacht, dass erst das Hinzutreten von Nötigungsunrecht den höheren Strafrahmen des Verbrechenstatbestandes nach § 177 Abs. 5 StGB rechtfertige (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, Rn. 34 und 101; SK-StGB/Wolters/Noltenius, aaO, § 177 Rn. 53). Eine erhöhte Strafandrohung begründet sich aber bereits aus dem Umstand, dass der sexuelle Übergriff überhaupt unter zusätzlicher Anwendung von Gewalt erfolgt. Schon hierdurch wiegt der sexuelle Übergriff – unabhängig vom Vorliegen eines Finalzusammenhangs oder von sonstigen Zielsetzungen des Täters – qualitativ schwerer.

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cc) Daraus, dass ein Finalzusammenhang zwischen sexueller Handlung und Gewalt nicht erforderlich ist, ergibt sich für die tatbestandliche Reichweite von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB Folgendes:

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Für die von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB vorausgesetzte Gewalt „gegenüber dem Opfer“ ist der Zeitpunkt der Tat nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB maßgeblich (vgl. auch BT-Drucks. 18/9097, S. 27: „zum Tatzeitpunkt“), da § 177 Abs. 5 StGB eine Qualifikation zu den Grundtatbeständen des § 177 Abs. 1 und 2 StGB darstellt (vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 26). Insofern kann § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB, der auf die Opfereigenschaft Bezug nimmt, nicht anders ausgelegt werden als die Vorschrift des § 177 Abs. 8 StGB, die ausdrücklich auf den Tatbegriff zurückgreift („bei der Tat“).

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Daraus folgt, dass die Gewaltqualifikation ab dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns des sexuellen Übergriffs eingreifen kann (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 – 2 StR 34/07, NStZ 2007, 468, 469 [zu § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF]; Beschluss vom 11. Oktober 2017 − 4 StR 322/17, NStZ 2018, 148 [zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB]), wobei der Versuchsbeginn auch mit der Gewaltanwendung zeitlich zusammenfallen kann, etwa wenn diese zur unmittelbaren Erzwingung einer sexuellen Handlung erfolgt. Des Weiteren sind Gewaltanwendungen bis zum Zeitpunkt der Beendigung des sexuellen Übergriffs tatbestandsrelevant für § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 – 2 StR 34/07, aaO).

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dd) In subjektiver Hinsicht reicht es aus, dass der Vorsatz des Täters auf eine Gewaltanwendung während des sexuellen Übergriffs gerichtet ist, er also bewusst gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet (vgl. BeckOK-StGB/Ziegler, aaO, § 177 Rn. 62). Ein teilweise geforderter „inhaltlich-motivatorischer Zusammenhang“ zwischen dem sexuellen Übergriff und der Gewalt (vgl. Fischer, aaO, Rn. 118a) ist dem Tatbestand nicht zu entnehmen; ein solches zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal ließe sich zudem schon aufgrund der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen und Zwecksetzungen kaum näher konkretisieren.

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ee) Dies zugrunde gelegt, hat das Landgericht das Eingreifen der Gewaltqualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB im Ergebnis zutreffend angenommen:

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(1) Allerdings ergibt sich das Vorliegen des Qualifikationstatbestandes nicht bereits aus der gewaltsamen Herbeiführung der Bewusstlosigkeit durch den Angeklagten. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keinen Vorsatz zur Vornahme einer sexuellen Handlung, sondern fasste diesen nach den Feststellungen erst, als die Nebenklägerin bereits bewusstlos war. Mangels entsprechendem Tatentschluss stellt sich die Gewaltanwendung somit – nach Versuchsgrundsätzen – nicht als unmittelbares Ansetzen zu einem sexuellen Übergriff dar; die Gewaltanwendung erfolgte insoweit nicht „gegenüber“ dem Opfer der Straftat nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB.

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Dass der Angeklagte sich nachträglich das Ergebnis der von ihm durch die Herbeiführung der Bewusstlosigkeit ausgeübten Gewalt zunutze machte, stellt keine Gewaltanwendung im Sinne des Tatbestandes dar, sondern lediglich ein Ausnutzen der Auswirkungen der bereits vollständig abgeschlossenen Gewaltausübung (vgl. zur alten Rechtslage BGH, Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, NJW 1984, 1632; Schönke/Schröder/Eisele, 29. Aufl., § 177 Rn. 6a; SSW-StGB/Wolters, 3. Aufl., § 177 Rn. 29; Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten, Rn. 179; anderer Ansicht LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 69; dies., FS Puppe, 2011, 1143, 1159 ff.; Kratzer-Ceylan, Finalität, Widerstand, „Bescholtenheit“, 2015, S. 356; vgl. zur bloßen Ausnutzung der nicht zurechenbar von einem Dritten ausgeübten Gewalt BGH, Urteil vom 21. Oktober 1976 – 4 StR 435/76, GA 1977, 144; Beschluss vom 2. Oktober 1984 – 4 StR 551/84, NStZ 1985, 70). Dieses bloße Nutzbarmachen einer durch eine bereits abgeschlossene Gewaltanwendung geschaffenen Situation ist schon begrifflich keine „Anwendung“ von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB.

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(2) Die Verwirklichung der Gewaltqualifikation ergibt sich vorliegend aber daraus, dass der Angeklagte den sexuellen Übergriff verübte, während er die Wohnungstür verschlossen hielt und hierdurch die Nebenklägerin weiter an einer Flucht hinderte.

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Das Einsperren in einem Raum stellt eine Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB dar (vgl. BeckOK-StGB/Ziegler, aaO, § 177 Rn. 94; Lackner/Kühl/Heger, aaO, § 177 Rn. 13; MüKo-StGB/Renzikowski, aaO, § 177 nF Rn. 106; vgl. zu § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 mwN; Beschluss vom 10. Mai 2011 – 3 StR 78/11, NStZ-RR 2011, 311 f.; einschränkend zur neuen Rechtslage Fischer, aaO, § 177 Rn. 74a). Vorliegend hatte der Angeklagte die Wohnungstür zwar zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, als er noch keine Absicht bezüglich eines sexuellen Übergriffs hatte. Allerdings stellt das Aufrechterhalten einer solchermaßen geschaffenen Lage – im Gegensatz zur bloßen Ausnutzung einer aus anderen Gründen erfolgten und abgeschlossenen Gewaltwirkung – jedenfalls dann eine tatbestandsmäßige Gewaltanwendung dar, wenn ein enger räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Einsperren und der sexuellen Handlung besteht (vgl. zum Raubtatbestand bei einem ohne Wegnahmevorsatz gefesselten Opfer BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 283/03, BGHSt 48, 365 ff.; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 249 Rn. 6b mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Den Urteilsgründen ist auch zu entnehmen, dass der Angeklagte die sexuelle Handlung bewusst gegenüber der in der Wohnung eingeschlossenen Nebenklägerin vornahm, denn er hatte zuvor die Wohnungstür gezielt zur Verhinderung einer Flucht verschlossen und führte den Schlüssel während des gesamten Tatgeschehens mit sich.

35

3. Der Senat fasst lediglich die rechtliche Bezeichnung der Tat im Tenor des angefochtenen Urteils neu, da § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB – wie ausgeführt – nicht voraussetzt, dass der Täter die Gewalt zu Nötigungszwecken einsetzt, und vorliegend auch kein Finalzusammenhang festgestellt ist.

III.

36

Der Strafausspruch unterliegt teilweise der Aufhebung.

37

1. Der Einzelstrafausspruch im Fall II. 1. b) cc) der Urteilsgründe – Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten – hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer ist insoweit nach § 52 Abs. 2 StGB zwar zutreffend von dem Strafrahmen des § 177 Abs. 5 StGB – Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr – ausgegangen. Da sie aber die Annahme der Gewaltqualifikation nicht näher begründet hat, ist zu besorgen, dass sie das gewaltsame Herbeiführen der Bewusstlosigkeit als tatbestandsrelevante Gewalthandlung zugrunde gelegt hat und damit von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist. Der tatsächlich maßgebliche Anknüpfungspunkt – die verschlossene Wohnungstür – wiegt jedoch deutlich weniger schwer. Trotz der insgesamt moderat bemessenen Strafe vermag der Senat nicht gänzlich auszuschließen, dass die für diesen Fall verhängte Einzelstrafe hierauf beruht.

38

2. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. a) und II. 1. b) bb) der Urteilsgründe zu Geldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen verurteilt worden ist, begegnet zwar die verhängte Anzahl der Tagessätze keinen rechtlichen Bedenken; das Landgericht hat es aber jeweils rechtsfehlerhaft unterlassen, die Tagessatzhöhe zu bestimmen.

39

Die Festsetzung der Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB), die neben der Bemessung der Tagessatzzahl einen selbständigen Strafzumessungsvorgang darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 1976 – 1 StR 319/76, BGHSt 27, 70, 72; Beschluss vom 10. Juni 1986 – 1 StR 445/85, BGHSt 34, 90, 92), ist auch dann erforderlich, wenn – wie hier – die Einzelgeldstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2018 – 2 StR 211/18, juris Rn. 5; vom 8. April 2014 – 1 StR 126/14, NStZ-RR 2014, 208, 209). Unterbleibt eine solche Festsetzung, so zwingt dieser sachlich-rechtliche Fehler das Revisionsgericht in der Regel zur Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht zur Festsetzung der Tagessatzhöhe (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2018 – 2 StR 211/18; vom 10. Juni 1986 – 1 StR 445/85, aaO). Da vorliegend der Strafausspruch auch im Übrigen teilweise der Aufhebung unterliegt, macht der Senat nicht von der Möglichkeit Gebrauch, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Tagessatzhöhe selbst festzusetzen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 8. April 2014 – 1 StR 126/14, NStZ-RR 2014, 208, 209 mwN).

40

3. Der Wegfall der Einzelstrafe im Fall II. 1. b) cc) der Urteilsgründe entzieht zugleich dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

Sost-Scheible     

      

Roggenbuck     

      

Franke

      

Quentin     

      

Feilcke