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Strafverfahren: Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge; Fehlen des den Öffentlichkeitsausschluss anordnenden Gerichtsbeschlusses
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 14. Juni 2018 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15. Juni 2016 wegen räuberischen Diebstahls, versuchter Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin freigesprochen. Auf Revision der Nebenklägerin hob der Senat den Teilfreispruch mit den Feststellungen auf und verwies die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr der Vergewaltigung schuldig gesprochen, gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Einer Erörterung bedarf allein die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge.
I.
Der Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte unter dem Gesichtspunkt des § 338 Nr. 6 StPO beanstandet, die Schlussvorträge seien in nicht öffentlicher Sitzung erfolgt, ohne dass der Ausschluss der Öffentlichkeit durch einen Beschluss der Strafkammer angeordnet worden sei, liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am ersten Tag der gegen den Angeklagten wegen des Verdachts der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin geführten Hauptverhandlung beschloss die Strafkammer auf Antrag des Nebenklägervertreters, die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin gemäß § 171b Abs. 1 GVG auszuschließen. Nach Verkündung des näher begründeten Gerichtsbeschlusses in öffentlicher Sitzung wurde die Nebenklägerin unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Zeugin vernommen. Am vierten Hauptverhandlungstag nach Schluss der Beweisaufnahme erfolgten die Schlussvorträge der Verfahrensbeteiligten einschließlich des letzten Wortes des Angeklagten wiederum in nicht öffentlicher Sitzung, ohne dass zuvor ein Beschluss der Strafkammer über den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge gefasst worden war.
II.
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge dringt nicht durch.
Indem das Landgericht es versäumt hat, den nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG gesetzlich vorgeschriebenen Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge durch einen Gerichtsbeschluss anzuordnen, hat es zwar die Verfahrensbestimmung des § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG verletzt. Dieser Verfahrensverstoß unterfällt aber nicht der Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO und vermag auch nach § 337 StPO die Revision nicht zu begründen.
1. Nach der durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I, 1805) in das Gerichtsverfassungsgesetz eingefügten Vorschrift des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist in Verfahren, die eine Katalogtat des § 171b Abs. 2 GVG zum Gegenstand haben, die Öffentlichkeit für die Schlussvorträge auszuschließen, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 oder 2 GVG oder des § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil nicht öffentlich stattgefunden hat. Durch die Regelung soll verhindert werden, dass Umstände, für deren Erörterung die Öffentlichkeit während des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung ausgeschlossen war, bei den Schlussvorträgen gleichwohl öffentlich zur Sprache kommen. Zugleich wird den Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Schlussvorträge eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem gesamten zum Inbegriff der Hauptverhandlung gewordenen Verfahrensstoff ermöglicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. September 2017 – 4 StR 240/17, BGHSt 63, 23 Rn. 16 und 19; vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16, StV 2017, 369, 370; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 17/12735, S. 17 f.). Der für die Schlussvorträge vorgesehene Ausschluss der Öffentlichkeit dient der Absicherung derselben Geheimhaltungsinteressen, die für den im Verlauf der Hauptverhandlung zuvor erfolgten Ausschluss der Öffentlichkeit maßgeblich waren. Um diese auf den vorausgegangenen Öffentlichkeitsausschluss bezogene Schutzwirkung zu erreichen, hat der Gesetzgeber nicht die Möglichkeit gewählt, die Reichweite des Ausschlusses durch eine gesetzliche Regelung von vornherein auch auf die Schlussvorträge zu erstrecken. Er hat sich vielmehr – anknüpfend an die Systematik der Ausschließungsgründe im Gerichtsverfassungsgesetz – für die Schaffung eines neuen zwingenden Ausschlusstatbestands entschieden, für den mangels spezieller Verfahrensbestimmungen das allgemein in § 174 GVG geregelte Ausschließungsverfahren Anwendung findet. Nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG ist auch der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG durch einen zu verkündenden Gerichtsbeschluss anzuordnen. Hiergegen hat das Landgericht verstoßen.
2. Der Verstoß gegen das Beschlusserfordernis des § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG stellt aber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG in einschränkender Auslegung des § 338 Nr. 6 StPO keinen absoluten Revisionsgrund dar.
a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, der eine Kontrolle der Rechtspflege durch die Allgemeinheit ermöglicht, gehört zu den wesentlichen rechtsstaatlichen Strukturprinzipien des Strafprozesses (vgl. nur BVerfG, NJW 2001, 1633, 1635; BGH, Urteil vom 25. September 1951 – 1 StR 464/51, BGHSt 1, 334, 335 f.; Quentin in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl., § 169 GVG Rn. 1; Frisch in SK-StPO, 5. Aufl., § 338 Rn. 124). Der hohen Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime trägt die Strafprozessordnung dadurch Rechnung, dass sie die Verletzung von Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens bei Durchführung der Hauptverhandlung in § 338 Nr. 6 StPO als absoluten Revisionsgrund ausgestaltet hat, der ohne Beruhensprüfung zur Aufhebung des Urteils führt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden von § 338 Nr. 6 StPO als Verletzung von Vorschriften über die Öffentlichkeit nicht nur materielle Beschränkungen der Öffentlichkeit, sondern auch Verstöße gegen Verfahrensbestimmungen erfasst, welche das Ausschließungsverfahren regeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2018 – 4 StR 68/18, NStZ-RR 2018, 324; vom 9. April 2013 – 5 StR 612/12, NStZ 2013, 479, 480; vom 3. März 2009 – 3 StR 584/08, NStZ-RR 2009, 213; vom 1. Dezember 1998 – 4 StR 585/98, NStZ 1999, 371; Urteil vom 22. November 1995 – 3 StR 284/95, StV 1996, 135; Beschlüsse vom 24. August 1995 – 4 StR 470/95, StV 1996, 134; vom 6. Januar 1987 – 5 StR 573/86, BGHR GVG § 174 Abs. 1 Satz 3 Begründung 1; vom 9. Dezember 1983 – 2 StR 739/83, StV 1984, 146; vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 338 Rn. 48; Frisch aaO Rn. 132 mwN).
b) Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. So hat der Bundesgerichtshof für das Begründungserfordernis des § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG bereits entschieden, dass nicht jeder formale Verstoß gegen Bestimmungen des Ausschließungsverfahrens der Regelung des § 338 Nr. 6 StPO unterfällt (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004 – 3 StR 428/03, NStZ-RR 2004, 235, 236; Beschluss vom 26. Juli 2001 – 3 StR 239/01, NStZ-RR 2002, 262; Urteil vom 9. Juni 1999 – 1 StR 325/98, BGHSt 45, 177). Nach dieser Rechtsprechung kommt einer Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Begründungspflicht in Fällen, in denen auf der Grundlage eines sicher feststehenden Verfahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschließen ist und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen war, kein solches Gewicht zu, dass deshalb der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO zu bejahen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 1 StR 325/98, BGHSt 45, 117, 120).
c) Der Senat hält eine restriktive Auslegung des § 338 Nr. 6 StPO auch dann für geboten, wenn bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG die Schlussvorträge entsprechend der zwingenden gesetzlichen Vorgabe in nicht öffentlicher Sitzung gehalten wurden, ohne dass der Öffentlichkeitsausschluss zuvor durch einen Gerichtsbeschluss angeordnet worden war. Hierfür sprechen die verfahrensmäßigen Besonderheiten, die sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ergeben.
§ 171b Abs. 3 Satz 2 GVG schreibt den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge in Verfahren, die eine Katalogtat des § 171b Abs. 2 GVG zum Gegenstand haben, zwingend vor. Anders als bei dem ebenfalls zwingenden Ausschlussgrund des § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG i.V.m. § 171b Abs. 1 und 2 GVG ist der Umfang des Ausschlusses der Öffentlichkeit durch die Festlegung auf die Schlussvorträge zudem gesetzlich bestimmt. Dies hat zur Folge, dass auf der Rechtsfolgenseite weder zum Ob eines Ausschlusses noch zu dessen Umfang ein Entscheidungsspielraum des Gerichts besteht. Voraussetzung für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist allein der in einem früheren Stadium der Hauptverhandlung erfolgte Ausschluss der Öffentlichkeit nach den Vorschriften des § 171b Abs. 1 oder 2 GVG bzw. § 172 Nr. 4 GVG für mindestens einen Teil der Verhandlung. Findet aufgrund eines nach den genannten Bestimmungen angeordneten Ausschlusses der Öffentlichkeit zumindest ein Teil der Hauptverhandlung in nicht öffentlicher Sitzung statt, steht ab diesem Zeitpunkt für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit fest, dass auch für die Schlussvorträge ein Öffentlichkeitsausschluss zu erfolgen hat. Dieser tatbestandliche Rückbezug auf eine feststehende innerprozessuale Tatsache führt zum einen dazu, dass bei einem Öffentlichkeitsausschluss nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG nicht nur auf der Rechtsfolgenseite, sondern auch auf der Tatbestandsebene kein von dem Spruchkörper in seiner Gesamtheit wahrzunehmender Spielraum für eine abweichende Entscheidung vorhanden ist. Zum anderen ist das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG aus dem bloßen Verfahrensablauf heraus sowohl für die Verfahrensbeteiligten als auch die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen. Dass sich für einzelne über den Ablauf der vorangegangenen Hauptverhandlung nicht informierte Zuhörer der Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit möglicherweise nicht erschließt, ist dabei ohne Bedeutung. Insoweit ist die Lage nicht anders als bei einer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässigen Begründung eines Öffentlichkeitsausschlusses durch ausdrückliche Bezugnahme auf einen früher verkündeten Gerichtsbeschluss (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 1981 – 3 StR 368/81 (S), BGHSt 30, 298, 303 f.; vom 9. Februar 1977 – 3 StR 382/76, BGHSt 27, 117, 119 f.; vom 9. Juni 1999 – 1 StR 325/98, BGHSt 45, 117, 119).
Angesichts dieser aus der gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG resultierenden besonderen Verfahrensgegebenheiten ist es ausgeschlossen, dass ein Verstoß gegen das Beschlusserfordernis des § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zu einer irgendwie gearteten Beeinträchtigung des materiellen Gehalts der Öffentlichkeitsmaxime führt. Dieser Umstand rechtfertigt es auch unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes für ein rechtsstaatliches Strafverfahren, die Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO dahin einschränkend auszulegen, dass beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG eine Verletzung des Beschlusserfordernisses des § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG von ihr nicht erfasst wird (vgl. zu einer an der Ratio der Öffentlichkeitsmaxime orientierten restriktiven Auslegung des § 338 Nr. 6 StPO Frisch in SK-StPO, 5. Aufl., § 338 Rn. 133). Ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO ist mithin nicht gegeben.
3. Die Verletzung des § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG vermag auch nach § 337 StPO die Revision nicht zu begründen, weil das Urteil auf dem Verfahrensverstoß nicht beruht. Angesichts der dargestellten gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist auszuschließen, dass eine Beschlussfassung der Strafkammer zu einem abweichenden Verfahrensablauf geführt hätte.
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