BAG 5. Senat, Urteil vom 17.04.2019, 5 AZR 250/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 5 AZR 250/18 (BAG)

vom 17. April 2019 (Mittwoch)


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Rettungsdienst - Vergütung von 24-Stunden-Diensten

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. März 2018 - 21 Sa 1034/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

1

Die Parteien streiten über eine weitere Vergütung der von der Klägerin im Zeitraum Januar 2015 bis April 2016 geleisteten 24-Stunden-Dienste.

2

Die Klägerin, Mitglied der komba Gewerkschaft, ist seit dem 14. Juni 2010 bei der Beklagten, einer Gesellschaft des Landkreises Oder-Spree, bzw. deren Rechtsvorgänger beschäftigt, zuletzt als Rettungssanitäterin. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 30. April 2012, in dem es ua. heißt:

        

2. Vertragsgrundlage

        

2.1     

Auf das Arbeitsverhältnis findet der für die Rettungsdienst im Landkreis Oder-Spree GmbH jeweils gültige Tarifvertrag Anwendung, soweit einzelvertraglich nichts anderes vereinbart ist. Für die Zeit ab 1.1.2012 ist dies der Tarifvertrag Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree vom 27. Juni 2012.

        

3. Vergütung

        

3.1     

Gem. den Eingruppierungs-/ und Überleitungsregelungen des Tarifvertrags Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree setzt sich das monatliche Bruttoentgelt rückwirkend zum 01.01.2012 wie folgt zusammen:

                 

a.)     

Für die Tätigkeit als Rettungsassistentin ab dem 01.01.2012:

                          

EG/Stufe 6/2

        
                          

…       

        
                 

a.)     

Für die Tätigkeit als Rettungssanitäterin ab dem 01.10.2012:

                          

EG/Stufe 4/2

        
                          

…       

        
        

4. Arbeitszeit

        

4.1     

Die regelmäßig vereinbarte Arbeitszeit beträgt 40,00 Stunden in der Woche.

        

4.2     

Beginn, Ende, Lage und Verteilung der täglichen Arbeitszeit sowie der Pausen werden durch Betriebsvereinbarungen und Dienstpläne im Einzelnen geregelt.“

3

Der von der Beklagten und der dbb tarifunion mit Wirkung zum 1. Januar 2012 geschlossene Tarifvertrag Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree (iF TV RD LOS), enthält auszugsweise folgende Regelungen:

        

Abschnitt II - Arbeitszeit

        

§ 8 - Regelmäßige Arbeitszeit

        

(1)     

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich,

                 

…       

                 

b)    

einschließlich der Pausenzeiten für die Beschäftigten im Einsatzdienst auf Rettungswagen, Krankentransportwagen und Notarzteinsatzfahrzeugen.

                 

…       

        
                 

Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf fünf Tage, aus notwendigen betrieblichen Gründen auch auf sechs Tage verteilt werden.

        

(2)     

Die Summe aus Vollarbeits- und Arbeitsbereitschaftszeiten nach § 9 Abs. 3 darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Dabei darf der regelmäßige durchschnittliche Anteil der aktiven Arbeitszeitauslastung einen Anteil von 40 v.H. nicht überschreiten.

        

Protokollerklärung zu Abs. 2:            

        

Das durchschnittliche Verhältnis von Arbeitsbereitschaft und aktiver Arbeitszeitauslastung ist vom Arbeitgeber und Betriebsrat regelmäßig zu überwachen. Einer Betriebsvereinbarung nach Abs. 7 sind statistische Berechnungen eines 3-Monatszeitraumes über die durchschnittliche anfallende aktive Arbeitszeitauslastung zu Grunde zu legen.

        

(3)     

Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zu Grunde zu legen.

        

…       

        
        

(6)     

Aus dringenden betrieblichen Gründen können in einer Betriebsvereinbarung auf der Grundlage des § 7 Abs. 1, 2 ArbZG und des § 12 ArbZG abweichende Regelungen zugelassen werden.

        

(7)     

Die Beschäftigten sind im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Schichtarbeit sowie - bei Teilzeitbeschäftigten aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung oder mit ihrer Zustimmung - zur Arbeitsbereitschaft, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet.

        

…       

        
        

§ 9 - Sonderformen der Arbeit

        

…       

        
        

(3)     

Arbeitsbereitschaft ist die Zeit, in denen sich der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen.

        

…       

        
        

(6)     

Mehr- bzw. Minderarbeit sind die Arbeitsstunden, die der Beschäftigte per Dienstplan über bzw. unter der regelmäßigen wöchentlichen vereinbarten Arbeitszeit leistet. Die Mehrarbeit ist in geeigneter Form zu erfassen und grundsätzlich innerhalb des Ausgleichszeitraumes nach § 8 Abs. 2 mit Freizeit auszugleichen.

        

…       

        
        

(7)     

Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die bei Beschäftigten über die im Rahmen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende des Kalenderjahres ausgeglichen werden.

        

…       

        
        

§ 17 - Entgelt

        

(1)     

Der Beschäftigte erhält monatlich ein Tabellenentgelt. …

        

…       

        
        

(3)     

Bemessungszeitraum für das Tabellenentgelt … des Beschäftigten ist der Kalendermonat. Die Wertstellung der ständigen Entgeltbestandteile ist bis zum letzten Werktag des Monats auf ein vom Arbeitnehmer einzurichtendes europäisches Girokonto zu gewährleisten. Die Zahlung von Zulagen, Zuschlägen, etc. ist bis zum letzten Werktag des Folgemonats fällig.

        

(4)     

Soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist, erhalten Teilzeitbeschäftigte das Tabellenentgelt (Abs. 1) und alle sonstigen Entgeltbestandteile in dem Umfang, der dem Anteil ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht.“

4

Am 7. November 2012 schlossen die Beklagte und der in ihrem Betrieb errichtete Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung 04 zur Verlängerung der täglichen Arbeitszeit“ (iF BV 04), die in ihrer seit dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung auszugsweise wie folgt lautet:

        

§ 1 Regelungsbedarf

        

Diese Betriebsvereinbarung soll die Grundlagen für einen reibungslosen Dienstablauf im durchgehenden Rettungsdienstbetrieb an allen Kalendertagen einschließlich Sonn- und Feiertagen, sowie eine unter diesen Rahmenbedingungen bestmögliche Erholung der Mitarbeiter/innen von den besonderen physischen und psychischen Belastungen des Rettungsdienstes sicherstellen. …

        

§ 2 Grundlagen

        

1)    

Auf Grundlage von § 8 Absätze 2 und 6 des Tarifvertrages Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree vom 27. Juni 2012 (TV-RDLOS) ist für die Arbeitnehmer dieses Betriebs der Rechtsrahmen zur Vereinbarung abweichender Arbeitszeiten i.S.v. § 7 Arbeitszeitgesetz mit Wirkung auf den 01.01.2012 eröffnet.

        

2)    

Eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf über 8 Stunden erfolgt auf Grund von regelmäßig und in erheblichem Umfang anfallender Arbeitsbereitschaft nach § 9 Abs. 3 des TV-RDLOS. Dabei darf der regelmäßige durchschnittliche Anteil der aktiven Arbeitszeitauslastung einen Anteil von 40 v.H. nicht überschreiten.

        

3)    

Die Summe aus Vollarbeits- und Arbeitsbereitschaftszeiten darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Der Ausgleichszeitraum ist das Kalenderjahr.

        

4)    

Die Mitarbeiter/innen der Rettungsdienst GmbH haben mehrheitlich bekundet, dass sie die Durchführung eines 12-Stunden-Dienstsystems als wesentlich belastender empfinden, als eine vom 24-Stunden-Dienst geprägte Variante innerhalb der vom Arbeitszeitgesetz ermöglichten Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche.

        

…       

        
        

§ 4 Beteiligung der Mitarbeiter/innen

        

…       

        
        

2)    

Die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf über 12 Stunden, wird erst durch die persönliche, schriftliche Zustimmung des Mitarbeiters / der Mitarbeiterin wirksam. Die Zustimmung kann jederzeit oder ohne Angabe von Gründen mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten widerrufen werden.

        

…       

        

§ 5 Dienstzeiten

        

1.    

Es werden folgende Dienste mit ihren Anfangs- und Endzeiten vereinbart:

        

…       

        
        

2.    

Die zeitliche Lage der Pausen bestimmt der Mitarbeiter / die Mitarbeiterin je nach Einsatzgeschehen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nach § 4 ArbZG selbst.

        

3.    

Vergütungsrechtlich wird ein 12-Stunden-Dienst mit 10 Stunden Arbeitszeit und 2 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaftszeiten bewertet. Ein 24-Stunden-Dienst wird mit 20 Stunden Arbeitszeit und 4 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaftszeiten bewertet. Zur Berechnung der durchschnittlichen Höchstgrenze von 48 Wochenstunden und eventuell anfallender Zeitzuschläge (§ 10 TV-RDLOS) werden die 12 bzw. 24 Stunden eines Dienstes in vollem Umfang herangezogen. Die Dienste auf Krankentransportwagen (KTW) werden wie Vollarbeitszeit geleistet.“

5

Der nunmehr als § 5 Nr. 3 aufgenommene Text befand sich in den vorherigen Fassungen der BV 04 als „Anmerkung“ am Ende von § 5.

6

Unter dem 27. September 2012 stimmte die Klägerin der Leistung von 24-Stunden-Diensten auf einem dafür vorgesehenen Formular zu.

7

Am 8. Juli 2016 schlossen die Beklagte und der dbb beamtenbund und tarifunion den „2. Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrags Rettungsdienst im Landkreis Oder-Spree GmbH vom 01.06.2012“ (ÄndTV Nr. 2 TV RD LOS), der rückwirkend zum 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist. Dabei wurden § 8 Abs. 2 TV RD LOS um einen Satz 3 nebst Protokollerklärung hierzu und § 8 Abs. 6 TV RD LOS um eine „Niederschriftserklärung“ ergänzt wie folgt:

        

„Wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt, kann unter den Voraussetzungen einer

        

-       

Prüfung alternativer Arbeitszeitmodelle unter Einbeziehung des Betriebsarztes und

        

-       

ggf. daraus resultierender Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes

        

im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4, Abs. 2 Nr. 3 ArbZG die tägliche Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes abweichend von den §§ 3, 5 und Abs. 1 und 2 und § 6 Abs. 2 ArbZG durch eine Betriebsvereinbarung über acht Stunden hinaus auf bis zu 24 Stunden verlängert werden.

        

Protokollerklärung zu Satz 3:

        

Vergütungsrechtlich wird ein 12-Stunden-Dienst mit 10 Stunden Arbeitszeit und 2 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaftszeiten bewertet. Ein 24-Stunden-Dienst wird mit 20 Stunden Arbeitszeit und 4 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Bereitschaftszeiten bewertet. Zur Berechnung der durchschnittlichen 48 Wochenstunden und evtl. anfallender Zeitzuschläge werden die 12- bzw. 24 Stunden eines Dienstes in vollem Umfang herangezogen. Die Dienste auf Krankentransportwagen werden in Vollarbeit geleistet. Damit wird jede Stunde eines 12- oder 24-Stunden-Dienstes mit einem Zeitanteil von 83,33 Prozent bewertet.

        

       

        

Es wird klargestellt, dass bereits der TV RD LOS vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Dezember 2015 in § 8 Abs. 6 eine Öffnungsklausel insbesondere auch zum Abschluss der Betriebsvereinbarung 04 zur Verlängerung der täglichen Arbeitszeit enthält und enthalten sollte und dass diese Betriebsvereinbarung mit Billigung der dbb tarifunion abgeschlossen und vollzogen wurde. …“

8

Im Streitzeitraum Januar 2015 bis April 2016 leistete die Klägerin 108 24-Stunden-Dienste. Sie erhielt das Tabellenentgelt nach EG 4 Stufe 3 TV RD LOS, das zuletzt ab Januar 2016 2.210,58 Euro brutto betrug, sowie Vergütung für etwaige Überstunden und in § 10 TV RD LOS vorgesehene Zuschläge für Überstunden, Nacht-, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit. Dabei wertete die Beklagte die von der Klägerin geleisteten 24-Stunden-Dienste wie 20 Vollarbeitsstunden.

9

Mit Schreiben vom 18. Juni 2015, das die Beklagte am 30. Juni 2015 erhielt, wandte sich die Klägerin dagegen, dass „trotz wöchentlich geleisteter zwei 24-Stunden-Dienste lediglich 40 Stunden vergütet“ werden und verlangte erfolglos rückwirkend Vergütung für acht weitere Stunden wöchentlich.

10

Mit der am 17. Mai 2016 anhängig gemachten und der Beklagten am 20. Mai 2016 zugestellten Klage hat die Klägerin Vergütung für jeweils vier weitere Stunden aus 108 im Streitzeitraum geleisteter 24-Stunden-Dienste geltend gemacht und dafür erstinstanzlich zuletzt 12,71 Euro brutto je Stunde angesetzt. Sie hat gemeint, die von ihr geschuldete wöchentliche Arbeitszeit betrage (nur) 40 Stunden. Weil auch Bereitschaft Arbeit sei und entsprechend entlohnt werden müsse, habe sie Anspruch auf Vergütung weiterer acht Stunden pro 48-Stunden-Woche. Die Beklagte sei nicht berechtigt, von diesen Diensten nur 40 Stunden als vergütungspflichtig zu werten, die BV 04 sei wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.

11

Die Klägerin hat erstinstanzlich - nach Teilklagerücknahme - zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.490,72 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

12

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im Wesentlichen gemeint, sie sei durch Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung zur entsprechenden Faktorisierung der 24-Stunden-Dienste berechtigt.

13

Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 4.153,30 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Ersturteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die auf die Zahlung weiterer 984,82 Euro brutto nebst Rechtshängigkeitszinsen beschränkte Anschlussberufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren iHv. 5.138,12 Euro brutto nebst Zinsen weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

14

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht der Berufung der Beklagten gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts entsprochen und die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.

15

I. Die Klägerin hat für die im Streitzeitraum g