BVerwG 6. Senat, Beschluss vom 21.01.2019, 6 B 152/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 6 B 152/18 (BVerwG)

vom 21. Januar 2019 (Montag)


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I

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Der Kläger ist ein bundesweit tätiger Verein zur Förderung von Fraueninteressen. Er wendet sich gegen seine Erwähnung in dem Verfassungsschutzbericht des beklagten Landes für das Jahr 2013. Dort heißt es in den Berichten über die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) unter anderem, die maßgebliche Beeinflussung und Unterstützung des Klägers durch die MLPD sei offenkundig. Der Kläger sei seit jeher eine Vorfeldorganisation der MLPD, die seine Gründung im Jahr 1991 wesentlich initiiert habe. Seitdem nehme diese Partei gezielt ideologisch, personell und organisatorisch Einfluss auf den Kläger, um Frauen für ihre politischen Ziele zu gewinnen. Ortsgruppen des Klägers arbeiteten seit Jahren eng mit der MLPD und ihr nahestehenden Organisationen zusammen.

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Der Kläger hat Klage mit dem Ziel erhoben, die Berichterstattung über ihn künftig zu unterlassen und die dadurch entstandenen Folgen zu beseitigen. Die erstinstanzlich erfolglose Klage hat in der Berufungsinstanz teilweise Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht hat das beklagte Land verurteilt, die weitere Verbreitung des Verfassungsschutzberichts 2013 zu unterlassen, wenn nicht zuvor bestimmte Passagen über den Kläger entfernt oder unleserlich gemacht worden sind, sowie die Teilrechtswidrigkeit der Berichterstattung im nächsten Jahresbericht richtigzustellen.

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In den Gründen des Berufungsurteils heißt es, es gebe zwar keine Hinweise darauf, dass der Kläger selbst Bestrebungen verfolge, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richteten. Es gebe jedoch gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht rechtfertigten, dass er die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der MLPD nachdrücklich unterstütze. Ob ein solcher Verdacht vorliege, sei aufgrund einer Gesamtwürdigung aller festgestellten tatsächlichen Umstände zu beurteilen. Unterstützungshandlungen seien alle Tätigkeiten, die sich positiv auf die Aktionsmöglichkeiten einer Organisation auswirkten, die im berechtigten Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit stehe. Das Oberverwaltungsgericht hat in den Gründen des Berufungsurteils eine Reihe von Veranstaltungen, sonstigen Aktionen sowie personelle Verflechtungen zwischen dem Kläger und der MLPD festgestellt, die nach seiner Gesamtwürdigung neben der Gründungsgeschichte des Klägers eine Verdachtsberichterstattung über ihn dem Grunde nach rechtfertigen. Es hat jedoch die Art der Darstellung bestimmter Vorgänge in dem Verfassungsschutzbericht als unverhältnismäßig beanstandet, weil sie sich nicht an den festgestellten Tatsachen orientiert habe.

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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Auslegung und Anwendung des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) durch das Oberverwaltungsgericht. Die maßgebenden Bestimmungen dieses Gesetzes ließen eine Verdachtsberichterstattung nicht zu. Die unzutreffende Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts sei nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu vereinbaren. Auch habe das Oberverwaltungsgericht den gesetzlichen Begriff der nachdrücklichen Unterstützung einer als verfassungsfeindlich eingestuften Organisation viel zu weit gefasst.

II

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Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben. Aus der Beschwerdebegründung des Klägers ergibt sich nicht, dass die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO vorliegen. Aufgrund des Darlegungserfordernisses nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO kann die Revision nur wegen eines fristgerecht vorgetragenen und hinreichend dargelegten Gesichtspunkts zugelassen werden.

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1. Der Kläger trägt vor, die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, eine Verdachtsberichterstattung im Verfassungsschutzbericht sei von § 5 Abs. 7 des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen gedeckt, weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2013 - 6 C 4.12 - (Buchholz 402.7 BVerfSchG Nr. 15) ab.

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Der damit geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Vorinstanz einen ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in einer vom Beschwerdeführer benannten Entscheidung zu derselben Vorschrift oder demselben Rechtsgrundsatz aufgestellt hat. Die Vorinstanz muss von einem solchen Rechtssatz abgewichen sein, weil sie ihn aufgrund eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Inhalt der Vorschrift oder des Rechtsgrundsatzes für unrichtig hält (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 23. Januar 2018 - 6 B 67.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:230118B6B67.17.0] - NJW 2018, 1896 Rn. 14; stRspr).

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Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich nicht erfüllt: Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt schon deshalb nicht vor, weil das vom Kläger angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu der Berichterstattung in dem Verfassungsschutzbericht des Bundes auf der Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes - BVerfSchG - ergangen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bestimmung des § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG in der damals maßgeblichen Fassung über Veröffentlichungen in diesem Bericht dahingehend ausgelegt, dass über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne von § 3 Abs. 1 BVerfSchG nur berichtet werden darf, wenn diese feststehen. Aus dieser Auslegung des Bundesrechts kann nichts für die Auslegung des hier maßgeblichen § 5 Abs. 7 VSG NRW und damit für die Zulässigkeit und die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung im Verfassungsschutzbericht des beklagten Landes hergeleitet werden, zumal beide Vorschriften einen unterschiedlichen Wortlaut haben und das Landesrecht irrevisibel ist (vgl. unter 2.). Gleiches gilt für die landesgesetzlichen Regelungen in Bayern und Hessen, die nach den Hinweisen des Bundesverwaltungsgerichts in dem Urteil vom 26. Juni 2013 - 6 C 4.12 - eine Verdachtsberichterstattung zulassen. Auch liegt auf der Hand, dass diese Hinweise das Urteil nicht tragen.

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2. a) Der Kläger wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Fragen auf,

- ob § 5 Abs. 7 VSG NRW eine Rechtsgrundlage für die Nennung von Personen oder Organisationen im jährlichen Verfassungsschutzbericht darstellt, bei denen nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden lediglich tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW vorliegen;

- ob im Falle der Zulässigkeit der Erwähnung von Verdachtsfällen eine solche Erwähnung wegen tatsächlicher Anhaltspunkte für die nachdrückliche Unterstützung im Sinne von § 3 Abs. 5 Satz 2 VSG NRW die Feststellung einer inhaltlich-programmatischen Unterstützung der Ziele einer als "verfassungsfeindlich" eingestuften Organisation erfordert, die über die bloße Teilnahme an Veranstaltungen oder Veröffentlichung in Publikationen hinausgeht.

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Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann und der Beschwerdeführer keine neuen, bislang nicht behandelten Gesichtspunkte aufzeigt (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> und vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8).

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Danach kommt die Zulassung der Grundsatzrevision zur Beantwortung landesrechtlicher Fragen nicht in Betracht, weil Landesrecht nicht revisibel ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Aufgrund dessen ist das Bundesverwaltungsgericht nicht befugt, den Bedeutungsgehalt landesrechtlicher Vorschriften selbst zu bestimmen. Es darf deren Auslegung und Anwendung durch ein Oberverwaltungsgericht nicht prüfen und gegebenenfalls davon abweichen, sondern muss die Rechtsauffassungen des Oberverwaltungsgerichts seinen Entscheidungen ohne inhaltliche Nachprüfung zugrunde legen. In Bezug auf Landesrecht ist das Bundesverwaltungsgericht darauf beschränkt nachzuprüfen, ob das obergerichtliche Normverständnis mit Bundesverfassungsrecht vereinbar ist (vgl. nur BVerwG, Urteile vom 3. Juni 2014 - 4 CN 6.12 - BVerwGE 149, 373 Rn. 23 und vom 14. Dezember 2016 - 6 C 19.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:141216U6C19.15.0] - BVerwGE 157, 46 Rn. 6).

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Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen ausschließlich die Auslegung und Anwendung von Landesrecht, nämlich des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen. Mit der ersten Frage wendet sich der Kläger gegen die Auslegung des § 5 Abs. 7 VSG NRW durch das Oberverwaltungsgericht. Nach dessen Rechtsauffassung gestattet diese Vorschrift trotz fehlender Bezugnahme auf § 3 VSG NRW eine Verdachtsberichterstattung über eine Organisation (Personenzusammenschluss), wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, in dieser Organisation vorliegen. Dem steht der hinreichend gewichtige Verdacht der nachdrücklichen Unterstützung derartiger Bestrebungen durch eine andere Organisation gleich (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 Buchst. c und Satz 2 VSG NRW). Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Bedeutungsgehalt des § 5 Abs. 7 VSG NRW aus der gesetzlichen Systematik und dem Normzweck hergeleitet. Das Ergebnis dieser Gesetzesauslegung kann in einem Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt werden.

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Mit der zweiten Frage will der Kläger die Auslegung des landesgesetzlichen Begriffs der nachdrücklichen Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 5 Satz 2 VSG NRW in einem Revisionsverfahren überprüft wissen. Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts ist darunter jede Tätigkeit zu verstehen, die sich positiv auf eine Organisation auswirkt, die im berechtigten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen steht. Danach werden grundsätzlich alle Tätigkeiten erfasst, die geeignet sind, diese Bestrebungen zu fördern oder dafür zu werben. Auch das Ergebnis dieser Gesetzesauslegung kann das Bundesverwaltungsgericht nicht überprüfen. Davon abgesehen geht der Kläger nicht darauf ein, dass das Oberverwaltungsgericht Unterstützungshandlungen nur ausreichen lässt, wenn sie sich in ihrer Gesamtheit als hinreichend gewichtig darstellen. Davon ausgehend hat das Gericht auch die Gründungsgeschichte des Klägers, seine enge Kooperation mit der MLPD sowie personelle Verflechtungen des Klägers mit der MLPD als Indizien in die Gesamtwürdigung einbezogen.

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Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs. 7 VSG NRW in der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sog. Verdachtsfälle zulässig, sofern die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in ihrer Gesamtheit hinreichendes Gewicht haben, um die Veröffentlichung in Verfassungsschutzberichten angesichts der Nachteile für die Betroffenen zu rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <80 ff.>; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 - 6 C 4.12 - Buchholz 402.7 BVerfSchG Nr. 15 Rn. 12).

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b) Auch mit den weiteren Rechtsfragen,

- ob die Darstellung einer Kooperation mit einer als "verfassungsfeindlich" eingestuften Organisation, die nicht über die verfassungskonforme Programmatik des Klägers hinausgeht, in jedem Fall unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist;

- ob die mit einer tatsächlichen Kooperation verbundenen eventuellen Absichten Dritter eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht rechtfertigen,

kann der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen. Zum einen betreffen auch diese Fragen die Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts, nämlich der § 5 Abs. 7, § 3 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW. Verfassungsrechtliche Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung des Klägers auch insoweit nicht. Hinzu kommt, dass es nicht entscheidungserheblich darauf ankäme, wie die Fragen beantwortet würden. Die Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil ihnen Annahmen zugrunde liegen, die nicht mit den tatsächlichen, das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts und dessen Sachverhaltswürdigung übereinstimmen. Ausgehend von seinem rechtlichen Ansatz hat das Oberverwaltungsgericht seine Gesamtwürdigung, der Kläger stehe in dem berechtigten Verdacht, verfassungsfeindliche Bestrebungen der MLPD nachdrücklich zu unterstützen, nicht auf dessen Programm, sondern unter anderem auf seine Gründungsgeschichte, die näher dargelegte Kooperation mit der MLPD sowie personelle Verflechtungen des Klägers mit der MLPD gestützt. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger nicht Absichten der MLPD zugerechnet, durch gemeinsame Auftritte auf Veranstaltungen Mitglieder zu gewinnen. Vielmehr hat es bei seiner Gesamtwürdigung als Indiz berücksichtigt, dass sich der Kläger vor diesem Hintergrund, d.h. der Absichten der MLPD, weigert, sich von der MLPD zu distanzieren und deren behauptete Einflussnahme zu bestreiten (UA S. 24).

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG. Der Senat hat berücksichtigt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde nur noch einen Teil des Rechtsschutzbegehrens betrifft.