BVerwG 7. Senat, Urteil vom 07.11.2018, 7 C 18/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 7 C 18/18 (BVerwG)

vom 7. November 2018 (Mittwoch)


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Die Klägerin wendet sich gegen die Inanspruchnahme für Rekultivierungsmaßnahmen auf einer in ihrem Gemeindegebiet liegenden stillgelegten Abfalldeponie.

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Die etwa 35 ha große Deponie ("G.-Ost") geht zurück auf Beschlüsse der Räte des Bezirks E., des Kreises und der Stadt G. Als Betreiber der Deponie trat der VEB Stadtwirtschaft G. auf. Auf der Deponie wurden u.a. Hausmüll, Industriemüll und Bauschutt abgelagert. Die Deponie wurde nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR vom 17. Mai 1990 (GBl. DDR I S. 255) weiterbetrieben. Im November 1990 schlossen die Klägerin und die Stadtwirtschaft G. GmbH i.G. einen Vertrag, nach dessen § 1 die Klägerin Rechtsträgerin der Deponie G.-Ost ist und die Deponie von der Stadtwirtschaft G. GmbH i.G. im Auftrag der Klägerin betrieben wird. Nach § 3 des Vertrags erhebt die Klägerin gegenüber der Stadtwirtschaft G. GmbH i.G. für die Nutzung der Deponie ein Nutzungsentgelt.

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Mit Bescheid vom 7. Juni 1993 ordnete der Beklagte gegenüber der Klägerin die sofortige Schließung der Deponie an. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Klage erhob die Klägerin nicht. Mit Bescheid vom 29. Dezember 1994 untersagte der Landkreis G. als untere Abfallbehörde der Stadtwirtschaft G. GmbH die weitere Ablagerung von Abfällen auf der Deponie.

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Mit Bescheid vom 2. März 1998 ordnete der Beklagte gemäß § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG gegenüber der Klägerin die Rekultivierung der Deponie G.-Ost an und versah den Bescheid mit zahlreichen Nebenbestimmungen und Hinweisen zum Rekultivierungsumfang und zur weiteren Rekultivierungsplanung. Das Widerspruchsverfahren der Klägerin blieb ohne Erfolg.

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Auf die Klage der Klägerin hob das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf. Er könne nicht auf § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG gestützt werden; vorrangig kämen die Bestimmungen des Bundes-Bodenschutzgesetzes zur Anwendung.

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Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen: Der Rekultivierungsbescheid sei rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Anordnung sei § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG in der Fassung vom 17. März 1999. Das Bodenschutzrecht sei nicht vorrangig anzuwenden. § 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG 1999 ermächtige zum Erlass von Rekultivierungsanordnungen gegenüber dem Inhaber der Deponie. § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG 1999, der hinsichtlich der Rechtsfolgen der Erfassung, Untersuchung, Bewertung und Sanierung auf die Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes verweise, sei nicht als Rechtsgrund-, sondern als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen, so dass für die Sanierung, Nachsorge und Sanierungsverantwortung § 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG maßgeblich bleibe. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG 1999 lägen vor. Insbesondere richte sich die Anordnung zutreffend an die Klägerin als (letzte) Deponiebetreiberin.

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Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und trägt zur Begründung vor: Der Gesetzgeber habe eine umfassende Regelung für die Behandlung von Altlasten schaffen wollen. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG 1999 enthalte eine Rechtsgrundverweisung auf das Bundes-Bodenschutzgesetz. Dies folge aus dem Zweck sowohl des Bundes-Bodenschutzgesetzes als auch des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG 1999, eine bundeseinheitliche und effektive Kontrolle von Altlasten zu ermöglichen.

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Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin sei letzte Betreiberin der Deponie gewesen, verstoße gegen revisibles Recht. Das Oberverwaltungsgericht habe die Grundsätze der Vertragsauslegung missachtet, den Sachverhalt aktenwidrig festgestellt und der Klägerin das rechtliche Gehör versagt.

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Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2015 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 13. Dezember 2006 zurückzuweisen.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Der Beklagte tritt den Ausführungen der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

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Die zulässige Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts zu Recht geändert und die Klage abgewiesen.

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1. Ohne Bundesrechtsverstoß geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass § 36 Abs. 2 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 17. März 1999 (KrW-/AbfG 1999) die Rechtsgrundlage für die Rekultivierungsanordnung vom 2. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2001 ist. Das Bundes-Bodenschutzgesetz ist insoweit nicht anwendbar.

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a) § 3 Abs. 1 BBodSchG ordnet die Anwendung des Bundes-Bodenschutzgesetzes für alle schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten an, soweit die in Nr. 1 bis 11 genannten Gesetze Einwirkungen auf den Boden nicht regeln. Zwar ist eine Altlast im Sinne von § 3 Abs. 1 BBodSchG gemäß § 2 Abs. 5 Nr. 1 BBodSchG auch eine stillgelegte Abfallbeseitigungsanlage. Zu den vorrangigen Normen im Sinne des § 3 Abs. 1 BBodSchG gehören nach dessen Nr. 2 aber die Vorschriften über die Stilllegung von Deponien, mithin auch die Ermächtigungsgrundlage des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG 1999 zum Erlass von Rekultivierungsanordnungen gegenüber dem Inhaber der Deponie (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 7 B 28.15 - juris Rn. 19; Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, Krw-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 36 Rn. 26). Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG 1999 soll die zuständige Behörde den Inhaber (einer Deponie) verpflichten, auf seine Kosten das Gelände, das für eine Deponie nach Absatz 1 verwandt worden ist, zu rekultivieren und sonstige Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich sind, Beeinträchtigungen des Wohles der Allgemeinheit zu verhüten. Nach Satz 2 finden für die Erfassung, Untersuchung, Bewertung und Sanierung die Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes Anwendung, wenn der Verdacht besteht, dass von einer stillgelegten Deponie nach Absatz 1 schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren für den einzelnen oder die Allgemeinheit ausgehen.

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b) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht seinem Urteil das im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids geltende Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 17. März 1999 zugrunde gelegt. Bei Anfechtungsklagen ist im Allgemeinen auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gilt (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. August 2005 - 6 C 15.04 - BVerwGE 124, 110 <113> und vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 - juris Rn. 14). Eine Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts gebieten hier nicht die Grundsätze über den Dauerverwaltungsakt. Für die Beurteilung einer Anfechtungsklage gegen belastende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung ist vorbehaltlich einer anderweitigen materiellen Regelung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung maßgeblich, weil der Dauerverwaltungsakt seine Regelungswirkung ständig neu entfaltet und das zugrunde liegende Verwaltungsrechtsverhältnis ständig neu konkretisiert wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. September 2010 - 3 C 37.09 - BVerwGE 138, 21 Rn. 21 und vom 19. September 2013 - 3 C 15.12 - BVerwGE 148, 28 Rn. 9; vgl. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Mai 2018, § 113 Rn. 264 ff. m.w.N.). Die Anordnung der Sanierung ist aber eine einmalige Gebotsverfügung und begründet kein Rechtsverhältnis auf Dauer. Dies gilt auch, wenn der Ordnungspflichtige aufgrund der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs dem Bescheid - wie hier - über einen längeren Zeitraum nicht nachkommen muss (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Februar 2002 - 7 LA 359/01 - juris Rn. 8).

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c) § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG 1999 verweist für die Erfassung, Untersuchung, Bewertung und Sanierung auf die Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes. Ob die Norm das Bundes-Bodenschutzgesetz lediglich als Rechtsfolgenverweisung oder als Ganzes in Bezug nimmt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (für eine Rechtsfolgenverweisung: OVG Magdeburg, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 2 L 251/04 - juris Rn. 3; OVG Bautzen, Urteil vom 10. November 2009 - 4 B 545/07 - juris Rn. 42; Frenz, BBodSchG, Stand 2000, § 3 Rn. 23; ders., KrW-/AbfG, 3. Aufl. 2002, § 36 Rn. 23; Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 36 Rn. 26 f.; a.A. OVG Münster, Urteil vom 16. November 2000 - 20 A 1774/99 - juris Rn. 10 ff.; OVG Weimar, Urteil vom 11. Juni 2001 - 4 KO 52/97 - juris Rn. 34 ff.; Bickel, BBodSchG, 4. Aufl. 2003, § 3 Rn. 9). Das Berufungsgericht hat sich zutreffend der Auffassung angeschlossen, die von einer Rechtsfolgenverweisung ausgeht.

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Bereits der Wortlaut der Norm weist darauf hin, dass lediglich das Handlungsinstrumentarium der Abfallbehörde erweitert werden und nicht auf das Regime des Bundes-Bodenschutzgesetzes insgesamt verwiesen werden soll (so auch Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 36 Rn. 26). Die Entstehungsgeschichte des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG 1999 stützt dieses Verständnis. Mit der Anfügung von Satz 2 sollte es bei der bisherigen abfallrechtlichen Nachsorge nach § 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG 1999 für Abfallentsorgungsanlagen bleiben. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bundes-Bodenschutzgesetz, mit dem § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG eingefügt worden ist (BT-Drs. 13/6701 S. 47), heißt es, lediglich für stillgelegte Deponien, bei denen der konkrete Verdacht bestehe, dass von ihnen schädliche Bodenveränderungen ausgehen, finde nach dem angefügten Satz 2 das Bundes-Bodenschutzgesetz Anwendung. Aufgrund von Satz 2 würden altlastenverdächtige Flächen nach den Regelungen des Bundes-Bodenschutzgesetzes erfasst, untersucht, bewertet und gegebenenfalls als Altlast saniert. Die Einstufung als altlastverdächtige Flächen bilde somit den entscheidenden Schnittpunkt. Daraus folgt aber nichts für die Annahme einer Rechtsgrundverweisung. Die Gesetzesmaterialien behandeln allein das rechtliche Instrumentarium für eine Sanierung der altlastverdächtigen Flächen, weil das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz im Unterschied zum Bundes-Bodenschutzgesetz für die Sanierung von Böden keine ins Detail gehenden Bestimmungen enthält.

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Dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, den Kreis der zur Sanierung Verpflichteten im Sinne von § 4 Abs. 3 BBodSchG in Bezug zu nehmen, spricht ebenfalls gegen eine Rechtsgrundverweisung. Der Bundesrat und die Bundesregierung sind davon ausgegangen, dass bereits § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG im Hinblick auf das bezeichnete Handlungsinstrumentarium nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz eine spezielle Anordnungsermächtigung enthält und daher für einen Rückgriff auf die Bestimmung des Sanierungspflichtigen im Sinne des § 4 Abs. 3 BBodSchG kein Raum ist (vgl. hierzu die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 17/6645 S. 6 f. zur Stellungnahme des Bundesrates zu § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG, BT-Drs. 17/6052 S. 119 im Gesetzgebungsverfahren zum Erlass eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts).

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Die Annahme einer Rechtsfolgenverweisung auf das Bundes-Bodenschutzgesetz wird systematisch durch § 32 Abs. 3 KrW-/AbfG bestätigt. Danach kann die zuständige Behörde u.a. verlangen, dass der Inhaber einer Deponie für die Rekultivierung nach Stilllegung der Anlage Sicherheit leistet. Dass allein der Inhaber der Deponie Adressat dieser Pflicht ist, zeigt die Absicht des Gesetzgebers, nur den Deponieinhaber als Sanierungspflichtigen anzusehen, so dass für einen Rückgriff auf die Bestimmung von weiteren Sanierungspflichtigen nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz kein Raum bleibt (vgl. BT-Drs. 17/6645 S. 6 f.).

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2. Das Berufungsgericht hat ohne Bundesrechtsverstoß angenommen, dass die Klägerin Inhaberin einer Deponie im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG und damit Adressatin der Rekultivierungsanordnung für die Deponie G.-Ost ist.

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a) Als gewichtigen Umstand für einen Deponiebetrieb der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht den zwischen ihr und der Stadtwirtschaft G. GmbH geschlossenen Vertrag vom 9. November 1990 angesehen.

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aa) Dieser Annahme stehen keine begründeten Verfahrensrügen entgegen.

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Die Tatsachenfeststellung des Oberverwaltungsgerichts ist nicht aktenwidrig. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt (vgl. § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein offensichtlicher Widerspruch gegeben, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf (etwa BVerwG, Beschluss vom 6. März 2018 - 4 BN 15.17 - juris Rn. 4). Erforderlich ist eine genaue Darstellung des Verstoßes durch konkrete Angaben von Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1999 - 4 BN 41.99 - juris Rn. 24). Diese Diskrepanz legt die Revision nicht dar.

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Vielmehr geht es ihr um eine unterbliebene Berücksichtigung von weiteren Verträgen und damit um eine - ihrer Auffassung nach - unzureichende Sachverhaltswürdigung. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO scheidet aber auch unter diesem Gesichtspunkt aus. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verlangt zwar, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 20.12 - BVerwGE 151, 1 Rn. 43). Ein derartiger Verfahrensfehler ist dem Oberverwaltungsgericht jedoch nicht unterlaufen.

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Es trifft nicht zu, dass das Gericht die von der Revision angeführten Verträge nicht zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat. Wie sich aus der Wiedergabe des Berufungsvorbringens der Klägerin im Tatbestand des Urteils ergibt, hat das Berufungsgericht weder übersehen, dass 1990 mehrere Verträge abgeschlossen worden sind, noch das Vorbringen der Klägerin, die Bezeichnung der Beteiligten in diesen Verträgen sei den Zeitumständen geschuldet gewesen (UA S. 11 Mitte), übergangen. Dass das Gericht in den Urteilsgründen nur den Vertrag vom 9. November 1990 (fälschlicherweise mit der Datumsangabe 9. September 1990) erwähnt hat, erklärt sich damit, dass dieser den noch vor der Wiedervereinigung abgeschlossenen und bis zum 31. Dezember 1990 befristeten Vertrag vom 28. Juni 1990 abgelöst hat und nur er aus der Sicht des Berufungsgerichts für die Beantwortung der Frage maßgeblich ist, ob die Klägerin den Betrieb der Deponie in der Folgezeit lediglich vor dem Hintergrund einer ungeklärten Rechtslage "zwangsläufig" fortgeführt oder als alleinige und vorbehaltlos Verantwortliche übernommen hat. Die Revision legt auch nicht dar, woraus folgen soll, dass der Vertrag vom Juni 1990 "unverzichtbar" für das Verständnis des späteren Vertrags sein soll. Das Oberverwaltungsgericht hat ferner nicht das Vorbringen der Klägerin zum wirtschaftlichen Risiko des Betriebs der Deponie durch die Stadtwirtschaft übersehen, wie sich aus seinen Ausführungen auf Seite 24 unten und Seite 25 des Urteilsabdrucks ergibt. Dort würdigt es den Umstand, dass "die Bewirtschaftung der Deponie, d.h. die Ablagerung des von der Stadtwirtschaft eingesammelten Haushaltsmülls sowie die Entgegennahme anderen Mülls vor Ort durch die Stadtwirtschaft in eigenem Namen und auch für eigene Rechnung in weitgehend eigener Verantwortung wahrgenommen wurde". Ebenso hat das Berufungsgericht die besonderen Umstände vor und nach der Wiedervereinigung bei der Beantwortung der Frage der Inhaberschaft berücksichtigt (UA S. 24 unten, S. 25 oben und S. 23 unten). Den Vertrag zwischen dem Eigenbetrieb Abfallwirtschaft des Landkreises G. und der Stadtwirtschaft G. GmbH vom 2. Januar 1992 hat das Berufungsgericht schließlich in seinem Urteil ebenfalls zur Kenntnis genommen und ausdrücklich berücksichtigt (UA S. 25 f.).

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Damit greift auch die weitere Verfahrensrüge eines Gehörsverstoßes (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht durch.

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bb) Dem Oberverwaltungsgericht ist bei der Auslegung des Vertrags vom 9. November 1990 zu der Frage, ob die Klägerin verantwortliche Deponiebetreiberin sei, kein revisionsrechtlich beachtlicher Fehler unterlaufen.

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Bei der Feststellung des gewollten Inhalts von Willenserklärungen handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 3 C 1.15 - Buchholz 407.2 § 1 EKrG Nr. 1 Rn. 17 f. und Beschluss vom 24. Januar 1991 - 8 B 164.90 - NVwZ 1991, 574 <575>). Die Bindung tritt lediglich dann nicht ein, wenn die vom Tatsachengericht vorgenommene Auslegung einen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 1966 - 5 C 47.64 - BVerwGE 25, 318 <323 f.> sowie vom 27. Mai 1981 - 8 C 6.81 - Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 17 S. 6 m.w.N.).

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Der Auffassung der Revision, das Oberverwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen die Auslegungsregeln der §§ 133 und 157 BGB die Interessen des jeweiligen Vertragspartners nicht angemessen berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2003 - V ZR 240/02 - juris Rn. 10), folgt der Senat nicht. Die Revision beruft sich darauf, dass die Stadtwirtschaft für ihre Leistungen von der Klägerin kein Entgelt erhalten habe, sondern sie an die Klägerin ein Nutzungsentgelt gemäß § 3 des Vertrags habe entrichten müssen. Eine einseitige Benachteiligung der Stadtwirtschaft folgt hieraus nicht, da der Stadtwirtschaft für Dienstleistungen Einnahmen zustanden. Sie erbrachte als Vertragspartner des Magistrats der Stadt G. gemäß Vertrag vom 2. Juli 1990 in der Fassung vom 12. Oktober 1992 entgeltliche Dienstleistungen wie die Entsorgung von Müll (vgl. § 6 des Vertrags). Zudem hatte die Stadtwirtschaft mit dem Eigenbetrieb Abfallwirtschaft des Landkreises G. einen Leistungsvertrag vom 2. Januar 1992 geschlossen, in dem die Preise für die von der Stadtwirtschaft zu erbringenden Leistungen im Einzelnen aufgelistet waren.

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Eine unangemessene Berücksichtigung der Interessen des jeweiligen Vertragspartners folgt entgegen dem Vorbringen der Revision auch nicht daraus, dass die Klägerin der Stadtwirtschaft mangels vertraglicher Grundlage keine Weisungen erteilen konnte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Stadtwirtschaft um ein kommunales Unternehmen der Klägerin handelt und die Klägerin bereits aus diesem Grund über ihre Stellung als Gesellschafterin maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Stadtwirtschaft nehmen und diese kontrollieren konnte, auch wenn ihr vertraglich keine Aufsichts- und Weisungsrechte eingeräumt waren. Mit ihrem übrigen Vorbringen zur Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses beschränkt sich die Revision darauf, der durch das Gericht vorgenommenen Vertragsauslegung ihre eigene entgegenzusetzen, ohne den von ihr geltend gemachten Verstoß gegen die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB plausibel zu machen. Dies genügt nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 3 C 1.15 - Buchholz 407.2 § 1 EKrG Nr. 1 Rn. 17 f.).

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b) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin sei Inhaberin der Deponie, verstößt auch im Übrigen nicht gegen revisibles Recht.

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Nach dem Gesetzeszweck des § 36 KrW-/AbfG ist derjenige als Deponieinhaber anzusehen, der für die Deponie rechtlich und tatsächlich verantwortlich ist. Verantwortlich für die Deponie ist deren Betreiber, weil nur er tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Betrieb der Deponie entsprechend den gesetzlichen Anforderungen zu führen. Er ist Inhaber der Verfügungsgewalt über die Abfallentsorgungsanlage, nimmt die Betriebsführung wahr und trägt damit die Verantwortung dafür, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht gefährdet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 2006 - 7 C 3.06 - BVerwGE 126, 326; Beschlüsse vom 25. Januar 2000 - 3 B 1.00 - Buchholz 451.221 § 36 KrW-/AbfG Nr. 2 und vom 22. Juli 2010 - 7 B 12.10 - NVwZ-RR 2010, 759 Rn. 14). Die Betreiberstellung ist daher nicht allein nach formalen rechtlichen Gesichtspunkten, sondern auch unter Berücksichtigung der rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Einzelfallumstände zu beurteilen (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 7 B 12.10 - juris Rn. 16).

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Das Oberverwaltungsgericht hat als Anhaltspunkt für die Inhaberschaft der Deponie seit 1990 berücksichtigt, dass die Klägerin als verantwortliche Inhaberin gegenüber der Stadtwirtschaft G. GmbH und dem Landkreis G. aufgetreten sei, was ihre bestimmende Rolle in den Beratungen zur Situation der Deponie und ihrer Rekultivierung am 22. November 1991 und am 19. August 1992 belege. Diese Beurteilung ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden und insbesondere nicht aktenwidrig. In dem Protokoll über die Beratung vom 22. November 1991 ist die Rede von Rückstellungen zur Finanzierung der Rekultivierung der Deponie G.-Ost; verantwortlich hierfür sei der Magistrat der Klägerin. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht ferner den Stilllegungsbescheid vom 7. Juni 1993 an die Klägerin, die Deponie für die Ablagerung von Hausmüll zu schließen, als Beleg dafür herangezogen, dass die Klägerin Inhaberin der Deponie ist. Zwar hatte die Klägerin dies im Widerspruchsverfahren bestritten. Der Beurteilung durch das Thüringer Landesverwaltungsamt im Widerspruchsbescheid, die Klägerin sei Inhaberin der Deponie, ist sie indes nicht mehr entgegengetreten. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Gesellschafterin der Stadtwirtschaft auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen einen bestimmenden Einfluss ausüben konnte, so dass ihr letztlich auch das Handeln der Stadtwirtschaft rechtlich zuzurechnen ist.

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3. Das Berufungsurteil steht auch im Übrigen in Einklang mit revisiblen Recht.

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a) Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass der Klägerin gegenüber als letzte Deponieinhaberin zwingend die Rekultivierungsanordnung zu erlassen war, lässt sich daraus nicht ableiten, das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, dass § 36 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG 1999 auf der Rechtsfolgenseite eine Soll-Regelung enthält. Ein atypischer Fall, der der Behörde einen Ermessensspielraum eröffnet hätte, lag gemäß den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht vor und wird von der Revision auch nicht dargelegt.

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b) Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensverstöße sind nicht gegeben.

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Die Rüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe ihre Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Sanierungspflicht und insbesondere zur Reduzierung der Sanierungsanforderungen nicht beachtet, verfängt nicht. Dass der Präsident des Thüringer Landesverwaltungsamts in Gesprächen im März 2011 eine Reduzierung der Rekultivierungsanforderungen in Aussicht gestellt haben soll, ist für dieses Verfahren nicht entscheidungserheblich. Es ist auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2001 gegolten hat.

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Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht gegen die Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verstoßen. Danach sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Begründungspflicht ist immer dann verletzt, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonstwie unbrauchbar sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2009 - 9 B 23.09 - juris Rn. 3). Davon kann hier keine Rede sein. Dem angegriffenen Urteil ist ohne Weiteres zu entnehmen, auf welche Gesichtspunkte das Berufungsgericht seine Entscheidung gestützt hat.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.