BAG 8. Senat, Urteil vom 25.10.2018, 8 AZR 562/16

Das Urteil unter dem Aktenzeichen 8 AZR 562/16 (BAG)

vom 25. Oktober 2018 (Donnerstag)


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Entschädigung nach dem AGG - objektive Eignung - Benachteiligung wegen der Religion und/oder des Alters - berufliche Anforderung einer Kirchenmitgliedschaft - Stellenausschreibung - unionsrechtskonforme Auslegung - Anwendungsvorrang des Unionsrechts - Rechtsmissbrauch - Provokation einer Ablehnung der Bewerbung

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. November 2015 - 3 Sa 405/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zu zahlen.

2

Der 1973 geborene Kläger, der im Jahr 1999 die Erste Juristische Staatsprüfung und im Jahr 2001 die Zweite Juristische Staatsprüfung abgelegt hat, ist seit 2002 überwiegend als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Im Jahr 2008 erlangte er den Abschluss eines „Master of Law“ (Public Law) an der Universität Stellenbosch in der Republik Südafrika. Vom 23. Februar 2009 bis zum 9. April 2009 nahm er im Institut der Steuer & Wirtschaftsakademie GmbH an einem anwaltsspezifischen Kurs „Arbeitsrecht“ teil. Am 24. Februar 2011 erteilte der Vorstand der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München dem Kläger die Befugnis, die Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ zu führen.

3

Der Beklagte ist der Zusammenschluss der Träger diakonischer Arbeit im Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Im Bereich der Wohlfahrtspflege nimmt er die Aufgaben eines Spitzenverbandes der freien Wohlfahrtspflege wahr und vertritt mehr als 2.700 Einrichtungen mit über 25.000 Beschäftigten in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Er ist Mitglied im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland.

4

In der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung der „Richtlinie des Rates über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD“ vom 1. Juli 2005 (im Folgenden Richtlinie des Rates der EKD) heißt es:

        

§ 2   

        

Grundlagen des kirchlichen Dienstes

        

(1) Der Dienst der Kirche ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen. Alle Frauen und Männer, die in Anstellungsverhältnissen in Kirche und Diakonie tätig sind, tragen in unterschiedlicher Weise dazu bei, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann. Dieser Auftrag ist die Grundlage der Rechte und Pflichten von Anstellungsträgern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

        

…       

        

§ 3     

        

Berufliche Anforderung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses

        

(1) Die berufliche Mitarbeit in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie setzt grundsätzlich die Zugehörigkeit zu einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer Kirche voraus, mit der die Evangelische Kirche in Deutschland in Kirchengemeinschaft verbunden ist.

        

(2) Für Aufgaben, die nicht der Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leitung zuzuordnen sind, kann von Abs. 1 abgewichen werden, wenn andere geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu gewinnen sind. In diesem Fall können auch Personen eingestellt werden, die einer anderen Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland oder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen angehören sollen. Die Einstellung von Personen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, muss im Einzelfall unter Beachtung der Größe der Dienststelle oder Einrichtung und ihrer sonstigen Mitarbeiterschaft sowie der wahrzunehmenden Aufgaben und des jeweiligen Umfeldes geprüft werden. § 2 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

        

(3) Für den Dienst in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie ist ungeeignet, wer aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, ohne in eine andere Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen oder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen übergetreten zu sein. Ungeeignet kann auch sein, wer aus einer anderen Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland oder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen ausgetreten ist.“

5

Im Juli 2011 schrieb der Beklagte die Stelle einer/eines „Referentin/Referenten Arbeitsrecht“ aus. Im „Überblick über das Stellenangebot“ des Onlineportals der Bundesagentur für Arbeit heißt es ua.:

        

„Aufgabenschwerpunkte:

         ·.     

Weiterentwicklung des kirchlich-diakonischen Arbeitsrechts

         ·.     

Erarbeitung von Grundsatzpositionen und Stellungnahmen

         ·.     

Moderation von regionalen Vernetzungen von Mitgliedseinrichtungen und Entwicklung von Kooperationsstrukturen in Hinblick auf arbeitsrechtliche Gegebenheiten

         ·.     

Allgemeine Beobachtung der Entwicklung im Rechtsbereich ‚Arbeitsrecht‘

         ·.     

Erstberatung in juristischen Angelegenheiten, insbesondere Arbeitsrecht und Steuerrecht

         ·.     

Beratung und Vornahme von Fachverbandstagungen der Verbandsmitglieder

         ·.     

Vertretung in verschiedenen Gremien

         ·.     

strategische Impulsgebung für konzeptionelle, strukturelle, organisatorische und fachliche Weiterentwicklungen arbeitsrechtlicher Fragen und Problemstellungen

         ·       

Sicherstellung des arbeitsnotwendigen Wissenstransfers, Bündelung und Weiterleitung von wichtigen arbeitsrechtlichen Informationen

         ·       

Mitwirkung bei Schulungen und Fortbildungen

                 
        

Wir erwarten von Ihnen:

         ·       

die Befähigung zum Richteramt (1. und 2. juristisches Staatsexamen mit möglichst mindestens befriedigenden Examensnoten)

         ·       

betriebswirtschaftliche Kenntnisse

         ·       

vertiefte Kenntnisse im Arbeitsrecht und Steuerrecht

         ·       

Kenntnisse der AVR und vergleichbarer Tarife

         ·       

erste Berufserfahrungen (3 Jahre) sind wünschenswert

         ·       

Kenntnis von Verbandsstrukturen und Institutionen der Freien Wohlfahrtspflege

         ·       

…       

         ·       

Einen sicheren und versierten Umgang mit dem PC, insbesondere MS Office

         ·       

Reisebereitschaft und Fahrerlaubnis der Klasse B (3 Alt)

         ·       

die Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche oder einer Kirche der ACK.

        

…“    

        

6

Bei der ACK handelt es sich um die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, die insgesamt 17 Mitglieder hat, darunter Katholiken, Orthodoxe, Altkatholiken, Anglikaner, Altorientale und evangelische Freikirchen.

7

Der Beklagte schrieb die Stelle zeitgleich zudem ua. auf seiner eigenen Homepage, dem Online-Stellenportal „Stepstone“ und auf dem Online-Stellenportal des Diakonischen Werkes Evangelischer Kirchen in Deutschland aus.

8

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 31. Juli 2011 auf die bei der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichte Stellenanzeige. In diesem Schreiben heißt es:

        

„ …     

        

Als Rechtsanwalt bin ich mittlerweile seit nahezu neun Jahren tätig und habe mich nach einer anfänglichen generalistischen Ausrichtung mittlerweile auf das Arbeitsrecht spezialisiert. Im Rahmen meiner forensischen Tätigkeit konnte ich mir Erfahrungen in allen Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit bundesweit aneignen. Seit ca. einem halben Jahr bin ich Fachanwalt für Arbeitsrecht. Da das Steuerrecht in Bayern Pflichtfach für die Zweite Juristische Staatsprüfung ist, verfüge ich auch hierin über profunde Kenntnisse. Aus einigen meiner Mandate konnte ich mir ebenfalls grundlegendes Wissen im Bereich AVR oder des TVöD aneignen.

        

Da ich mehrere Jahre hinweg als selbständiger Rechtsanwalt allein für den wirtschaftlichen Erfolg meines Büros verantwortlich war, verfüge ich über ein solides Maß an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen.

        

Sie gewinnen einen durchsetzungskräftigen, kreativen und kommunikationsstarken Mitarbeiter, der auf Grund seiner anwaltlichen Erfahrung über ausgesprochene Verhandlungskompetenzen verfügt und für den der Dienstleistungsgedanke seiner Tätigkeit im Vordergrund steht.

        

Da ich familiär ungebunden bin, stellt ein Umzug nach Halle(Saale) für mich kein Problem dar. Ich habe den Führerschein der Klasse B und bin für sämtliche Dienstreisen verfügbar.

        

Derzeit gehöre ich aus finanziellen Gründen nicht der evangelischen Kirche an, jedoch kann ich mich mit den Glaubensgrundsätzen der evangelischen Kirche identifizieren, da ich lange Mitglied der evangelischen Kirche war.

        

…“    

9

Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 1. September 2011 mit:

        

„…,     

        

Inzwischen wurde eine Personalentscheidung über die Besetzung der oben genannten Stelle getroffen. Es tut uns leid, Ihnen keine positive Mitteilung geben zu können.

        

…“    

10

Der Beklagte schloss das Bewerbungsverfahren ab, ohne einen Bewerber/eine Bewerberin einzustellen. Im September 2011 schrieb er die Stelle erneut auf der Homepage der Diakonie Mitteldeutschland und in der Ausgabe 38/2011 der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) aus.

11

Mit Schreiben vom 2. November 2011 forderte der Kläger den Beklagten auf, ihm die Qualifikationen und das Bewerberprofil des letztlich eingestellten Bewerbers/der letztlich eingestellten Bewerberin zu überlassen. Zudem machte er unter Hinweis darauf, bei der ablehnenden Entscheidung des Beklagten hätten sowohl sein Alter als auch der Umstand eine Rolle gespielt, dass er der evangelischen Kirche nicht zugehörig sei, einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 AGG dem Grunde nach sowie einen Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. vier Bruttomonatsgehältern à 4.000,00 Euro geltend. In dem Schreiben vom 2. November 2011, das der Beklagte unbeantwortet gelassen hat, heißt es ferner:

        

„… Zum einen haben Sie sich offenbar einen Bewerber mit ‚erster Berufserfahrung‘ (3 Jahre) vorgestellt, zum anderen hatten Sie den Erwartungshorizont, dass der Bewerber/die Bewerberin der evangelischen Kirche bzw. einer Kirche der ACK angehören sollte. Angesichts dessen gehe ich davon aus, dass mittelbar das Alter bei der Stellenbesetzung eine Rolle gespielt haben dürfte, da ein Bewerber auf eine juristische Stelle mit ‚erster Berufserfahrung (3 Jahre)‘ regelmäßig Anfang dreißig sein dürfte und daher ältere Bewerber sich von der Stellenausschreibung nicht angesprochen fühlen sollten. …“

12

Mit seiner am 1. Februar 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger ua. sein Begehren auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung weiterverfolgt, wobei er zuletzt geltend gemacht hat, dass diese eine Bruttomonatsvergütung iHv. 3.705,22 Euro nicht unterschreiten solle.

13

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Stellenausschreibung des Beklagten begründe die Vermutung, dass er wegen seiner fehlenden Zugehörigkeit zur evangelischen oder einer der ACK angehörenden Kirche und damit wegen der Religion diskriminiert worden sei. Die Benachteiligung wegen der Religion sei nicht nach § 9 AGG gerechtfertigt. Dies folge daraus, dass die Stelle als „Referent Arbeitsrecht“ dem verkündigungsfernen Bereich zuzuordnen sei. Die Stellenausschreibung begründe darüber hinaus die Vermutung, dass er wegen des Alters benachteiligt worden sei. Der Beklagte habe nach Bewerbern/Bewerberinnen mit „erster Berufserfahrung“ gesucht und dies dahin konkretisiert, dass eine Berufserfahrung von maximal drei Jahren erwünscht sei. Hiermit habe er zum Ausdruck gebracht, dass Bewerber/innen mit einer längeren Berufserfahrung, die typischerweise älter seien, von vornherein keine Chance auf eine Einstellung hätten. Dass er wegen des Alters diskriminiert worden sei, folge auch aus dem Umstand, dass der Beklagte ihm nicht die erbetene Auskunft über die Qualifikation des letztlich eingestellten Bewerbers erteilt habe. Sein Entschädigungsbegehren sei auch nicht dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt. Er habe sich weder auf die Stellenausschreibung des Beklagten noch in anderen Fällen ausschließlich deswegen beworben, um im Falle einer Ablehnung eine Entschädigung beanspruchen zu können. Er sei ab September 2011 arbeitslos gewesen und habe sich ab Juli 2011 auf eine Vielzahl von Stellen beworben.

14

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch den Betrag von 3.705,22 Euro nicht unterschreiten sollte nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24. November 2011.

15

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

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Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne schon deshalb keine Entschädigung verlangen, da er objektiv für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet gewesen sei.

17

Er habe den Kläger auch nicht entgegen den Vorgaben des AGG wegen der Religion benachteiligt. Der Kläger sei nicht vorab wegen der Nichtzugehörigkeit zur evangelischen oder zu einer der ACK angehörenden Kirche aus dem Auswahlverfahren ausgenommen worden. Unabhängig davon wäre er, der Beklagte, berechtigt gewesen, den Kläger wegen seiner fehlenden Kirchenzugehörigkeit nicht zu berücksichtigen. Eine etwaige Benachteiligung wegen der Religion sei nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG im Hinblick auf das ihm durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht gerechtfertigt. Danach sei nicht zwischen verkündigungsfernem und verkündigungsnahem Bereich zu differenzieren.

18

Der Kläger habe auch keine ungünstigere Behandlung wegen seines Alters erfahren. Die Passage in der Stellenausschreibung „erste Berufserfahrungen (drei Jahre) sind wünschenswert“ sei diskriminierungsfrei. Er, der Beklagte, habe mit dieser Formulierung lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass es für die Stelle von Vorteil sei, wenn nicht nur Wissen existiere, sondern dieses in der Praxis auch schon angewandt worden sei.

19

Im Übrigen wirke sich aus, dass der Kläger sich bei ihm nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben habe, sondern dass es ihm nur darum gegangen sei, eine Entschädigung zu erhalten. Neben dem Umstand, dass dieser sich in der Vergangenheit bundesweit auf eine Vielzahl von Stellenausschreibungen beworben und die potentiellen Arbeitgeber nach Erhalt einer Absage zunächst außergerichtlich und sodann gerichtlich auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen habe, spreche hierfür auch, dass der Kläger sich auf die erneute Ausschreibung hin nicht wieder bei ihm beworben habe. Sein Geschäftsmodell ziele darauf ab, eine Entschädigung zu erhalten und sich die in eigener Vertretung geführten Prozesse über die Rechtsschutzversicherung bezahlen zu lassen. Wie sich aus einer Mitteilung unter „www.juve.de“ ergebe, habe die Staatsanwaltschaft München aus diesen Gründen wegen des Verdachts auf besonders schweren Betrug gegen den Kläger Anklage erhoben.

20

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

21

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Zwar durfte das Berufungsgericht die Klage nicht mit der Begründung abweisen, der Kläger sei für die beim Beklagten zu besetzende Stelle als Referent Arbeitsrecht objektiv nicht geeignet gewesen und habe sich deshalb nicht in einer vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG mit den anderen Bewerbern befunden. Rechtsfehlerhaft ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch insoweit, als dieses angenommen hat, eine etwaige Ungleichbehandlung des Klägers wegen der Religion sei nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Sein Entschädigungsverlangen ist dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt.

22

A. Das Landesarbeitsgericht durfte die Berufung des Klägers nicht mit der Begründung zurückweisen, der Kläger sei für die vom Beklagten ausgeschriebene Stelle als Referent Arbeitsrecht von vornherein objektiv nicht geeignet gewesen und habe sich deshalb nicht in einer vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG mit den Mitbewerbern befunden. Die „objektive Eignung“ des Bewerbers/der Bewerberin ist nicht Voraussetzung für die Annahme einer vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG und deshalb keine Voraussetzung für einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG sowie auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG(st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 23. November 2017 - 8 AZR 372/16 - Rn. 13 bis 15 mwN).

23

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch insoweit als rechtsfehlerhaft, als dieses angenommen hat, eine etwaige Ungleichbehandlung des Klägers wegen der Religion sei nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt.

24

I. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, der Beklagte könne sich auf das gemäß Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Kirchen berufen. Dieses erfasse auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen eingreifen solle. Ausgehend hiervon sei eine unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen seiner fehlenden Kirchenzugehörigkeit nach § 9 Abs. 1 AGG zulässig. Nach dieser Bestimmung sei eine Ungleichbehandlung wegen der Religion auch dann möglich, wenn die vom Beklagten erwartete Kirchenzugehörigkeit für die Tätigkeit des Referenten Arbeitsrecht allgemein nur eine „Anforderung“ darstelle. Die Einschätzung, ob der im Dienst der kirchlichen Einrichtung des Beklagten tätige Referent Arbeitsrecht der evangelischen Kirche oder einer Kirche der ACK angehören müsse, obliege im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts dem Beklagten. Damit hat das Landesarbeitsgericht - wie sich auch aus dem Verweis auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils ergibt - offenbar eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung des Klägers wegen der Religion nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG angenommen.

25

II. Mit dieser Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Eine Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG scheidet aus. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist dahin auszulegen, dass es in dem Fall, dass eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankommt. In dieser Auslegung ist die Bestimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar. Da § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG nicht zugänglich ist, muss die Bestimmung unangewendet bleiben (zu dieser Folge: vgl. EuGH 17. April 2018 - C-414/16 - [Egenberger] Rn. 71 ff.; 11. September 2018 - C-68/17 - [IR] Rn. 63 ff.).

26

1. Nach § 9 Abs. 1 AGG ist - ungeachtet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

27

2. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist dahin auszulegen, dass es in dem Fall, dass eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankommt.

28

a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 9 Abs. 1 AGG unter Berücksichtigung seiner inneren Systematik. Danach regelt § 9 Abs. 1 AGG zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten, wobei die erste Alternative keine Anknüpfung an die Tätigkeit, weder an deren Art noch an die Umstände ihrer Ausübung, enthält, sondern ausschließlich an das kirchliche Selbstbestimmungsrecht anknüpft, während die zweite Alternative die Rechtfertigung von der Art der Tätigkeit abhängig macht. Durch die Verwendung des Begriffs „oder“ hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die beiden dort aufgeführten Voraussetzungen für eine Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion oder Weltanschauung „im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht“ und „nach der Art der Tätigkeit“ alternativ und damit unabhängig voneinander bestehen.

29

b) Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber den in § 9 Abs. 1 AGG aufgeführten Religionsgemeinschaften, diesen zugeordneten Einrichtungen sowie Vereinigungen mit der ersten Alternative eine eigenständige, von der Tätigkeit unabhängige Möglichkeit der Rechtfertigung der Religionszugehörigkeit als beruflicher Anforderung eröffnen wollte. Insoweit hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (- 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 - BVerfGE 70, 138) ausgeführt, dass nicht nur den Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften hinsichtlich ihrer körperschaftlichen Organisation und ihrer Ämter, sondern auch den der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform nach deutschem Verfassungsrecht (Art. 140 GG iVm. Art. 136 ff. WRV) das Recht zustehe, über Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten selbständig zu entscheiden und dass dieses Recht grundsätzlich auch die Berechtigung umfasse, die Religion oder Weltanschauung als berufliche Anforderung für die bei ihnen Beschäftigten zu bestimmen (BT-Drs. 16/1780 S. 35).

30

Im Übrigen hat der nationale Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass auch der europäische Gesetzgeber insoweit im Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2000/78/EG ausdrücklich klargestellt habe, dass die Europäische Union „den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt“. Dieser Erwägungsgrund lasse es deshalb zu, dass die Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehielten oder vorsähen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein könnten. Dementsprechend erlaube § 9 Abs. 1 AGG es Religionsgemeinschaften und den übrigen dort genannten Vereinigungen, bei der Beschäftigung wegen der Religion oder der Weltanschauung zu differenzieren, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle (BT-Drs. 16/1780 S. 35). Auch und gerade dies belegt, dass der Gesetzgeber den Religionsgemeinschaften und den ihnen zugeordneten Einrichtungen mit § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG allein wegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts eine eigenständige und von der konkreten Tätigkeit unabhängige Rechtfertigungsmöglichkeit zur Verfügung stellen wollte (vgl. KR/Treber 11. Aufl. § 9 AGG Rn. 11).

31

c) Schließlich spricht für ein solches Verständnis von § 9 Abs. 1 AGG auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Der in der 15. Wahlperiode eingebrachte Entwurf des späteren § 9 Abs. 1 AGG enthielt noch keine ausdrückliche Anknüpfung an das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Vielmehr war danach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung ungeachtet des § 8 AGG auch dann zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung angesichts des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung nach der Art der bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt (vgl. BT-Drs. 15/4538 S. 6). Dabei stellte der Gesetzestext nach der Gesetzesbegründung in Übereinstimmung mit der Richtlinie klar, dass es sich um eine in Bezug auf die Tätigkeit gerechtfertigte Anforderung handeln musste (BT-Drs. 15/4538 S. 33). Auch in dem Entwurf des späteren § 9 Abs. 1 AGG in der Fassung des Beschlusses des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss), wonach eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig war, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt (BT-Drs. 15/5717 S. 8), wird das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Wortlaut der Bestimmung nicht ausdrücklich erwähnt. Erst der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/1780 S. 8) sah § 9 Abs. 1 AGG in der später Gesetz gewordenen Fassung vor. Dabei hat der Gesetzgeber - wie unter Rn. 30 dargestellt - in der Gesetzesbegründung - auch unter Hinweis auf den Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2000/78/EG - ausdrücklich ausgeführt, dass § 9 Abs. 1 AGG es den Religionsgemeinschaften, den diesen zugeordneten Einrichtungen und den übrigen dort genannten Vereinigungen erlaube, bei der Beschäftigung wegen der Religion oder der Weltanschauung zu differenzieren, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt (BT-Drs. 16/1780 S. 35).

32

d) § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist nach alledem unter Berücksichtigung sowohl des Wortlauts und der inneren Systematik von § 9 Abs. 1 AGG, als auch der Entstehungsgeschichte der Bestimmung und des Willens des Gesetzgebers, wie er in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden hat, dahin auszulegen, dass es in dem Fall, dass eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der