BSG 13. Senat, Beschluss vom 24.01.2018, B 13 R 450/14 B

Das Urteil unter dem Aktenzeichen B 13 R 450/14 B (BSG)

vom 24. Januar 2018 (Mittwoch)


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Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. November 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

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I. Im Streit steht das Begehren der Klägerin auf Aufhebung eines Bescheides des beklagten RV-Trägers über die Feststellung des "wohlverstandenen Interesses" der Klägerin bezüglich der Abtretung eines Teils der Altersrentenzahlung an die Beigeladene zu 1. Die Abtretung diente zur Tilgung eines Darlehens, das letztere der Klägerin zur Finanzierung von Nachentrichtungsbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommen gewährt hat.

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Den Antrag der 1929 geborenen und 1973 von Rumänien nach Israel ausgewanderten Klägerin auf ein Altersruhegeld lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) zunächst ab. Nach dem Erlass eines Nachentrichtungsbescheides auf Grundlage des Art 12 der DV-Israel für die Zeit vom 1.1.1956 bis 30.6.1980 über einen Gesamtbetrag von 61 938 DM und Zahlung der geforderten Beiträge bewilligte die Beklagte ihr schlussendlich im Januar 1993 eine Altersrente für Frauen ab dem 1.12.1992. Zuvor hatte die Beigeladene zu 1 eine Abtretungsanzeige bei der Beklagten eingereicht und die Feststellung des wohlverstandenen Interesses der Klägerin iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I an einer Abtretung eines Teils der Rentenleistung zur Tilgung des von ihr für die Finanzierung der Beitragsnachforderung aufgenommenen Darlehens beantragt. Zugleich hatte die Beigeladene zu 1 mitgeteilt, dass sie die Ansprüche an die Beigeladene zu 2 weiter abgetreten habe. Die Beklagte bejahte alsdann das "wohlverstandene Interesse" an der Abtretung des nach Durchführung der Nachentrichtung bestehenden Anspruchs auf Versichertenrente in dem im Abtretungsvertrag angegebenen Umfang (Bescheid vom 7.1.1993). Die laufende Zahlung der Rente an die Klägerin erfolgte ab April 1993 in Höhe des nach Abzug des abgetretenen Teils verbleibenden Betrags von 777,67 DM auf ihr Konto bei der F. K.-Bank GmbH. Die Nachzahlung von rund 6700 DM wurde ebenfalls dorthin gezahlt. An die Beigeladene zu 2 wurden monatlich 897,76 DM der Rentenleistung überwiesen. Seit August 2014 erhält die Klägerin die Altersrente vollständig ausgezahlt.

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Im Juni 2000 begehrte die Klägerin die Zahlung der gesamten Rentenleistung auf ein Konto bei der Bank H. in Israel. Sie sei mit den Beigeladenen zu 1 und 2 Betrügern aufgesessen. Schlussendlich seien an sie nur 435 DM an Altersrente monatlich ausgezahlt worden. Die Differenz zu dem ihr zur Verfügung stehenden Anteil an der Altersrente von 777,67 DM sei aufgrund eines weiteren Vertrages mit der B-G A. L. von ihrem Konto bei der F. K.-Bank GmbH direkt an diese weitergeleitet worden. Die Beklagte kam dem Schreiben der Klägerin im Hinblick auf den nicht abgetretenen Teil der Rentenleistung nach, lehnte jedoch eine darüber hinausgehende Auszahlung an die Klägerin selbst ab.

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2001 beantragte die Klägerin unter erneutem Hinweis auf die betrügerischen Handlungen der Beigeladenen zu 1 und 2 die Überprüfung des Bescheides, mit dem die Beklagte das "wohlverstandene Interesse" der Klägerin an der Abtretung bejaht hatte. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.6.2003 die Aufhebung des zur Überprüfung gestellten Bescheides ab. Vor dem SG ist die Klägerin ebenso wie vor dem LSG erfolglos geblieben (Urteile vom 2.7.2009 und 12.11.2014). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die begehrte Aufhebung des Bescheides über die Rechtmäßigkeit und das wohlverstandene Interesse der Klägerin an der Abtretung der Rentenleistung könne weder auf § 48 noch §§ 44, 45 SGB X gestützt werden. Der Bescheid vom 7.1.1993 sei rechtmäßig. Die Entscheidung der Beklagten, dass ein wohlverstandenes Interesse der Klägerin an einer darlehenssichernden Abtretung der Rente bestehe und deren Begrenzung im Hinblick auf die laufende Zahlung sei nicht zu beanstanden. Der Klägerin sei mehr als 1/3 der Rentenleistung zur eigenen Verfügung verblieben. Der Vertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 verstoße nicht gegen die guten Sitten und stelle keine strukturelle Benachteiligung der Klägerin dar. Der weitere von der Klägerin geschlossene Darlehensvertrag mit der B-G A. L. bilde keine rechtliche oder tatsächliche Einheit mit dem zuvor benannten Vertrag. Die Verfügungen über die ausgezahlte Rente seien privatautonom erfolgt und lägen nicht in der Sphäre der Beklagten. Insoweit habe die Klägerin ab Juni 2000 auch die Überweisung dieses Teils der Rente an die Bank H. veranlasst.

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Das LSG hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) als Zulassungsgrund geltend.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, denn die Klägerin bezeichnet die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

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1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt. Diesen Anforderungen wird die Klägerin mit ihrer Beschwerdebegründung nicht gerecht.

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Die Klägerin bezeichnet als Rechtsfrage: "Ob die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriff: 'wohlverstandenes Interesse des Berechtigten' nach § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I auch ein strafbares und/oder ethisch-moralisch vorwerfliches Verhalten des Zessionars oder eines mit diesem im Sinne eines durch Interessenverknüpfung und gemeinschaftliches Handeln verbundenen Dritten umfasst, also ein mittelbar ethisch-moralisch verwerfliches Verhalten zum wirtschaftlichen Nachteil des Berechtigten, oder ob ein derartiges mittelbar verwerfliches Verhalten ein 'wohlverstandenes Interesse des Berechtigten' ausschließt?" Der Senat versteht diese Frage dahingehend, dass die Klägerin es für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "wohlverstandenen Interesses des Berechtigten" iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I auch mittelbar ethisch-moralische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, also solche, die sich zwar nicht aus dem unmittelbaren Abtretungsvertrag ergeben, den der Sozialversicherungsträger zu beachten hat, aber ein im Zusammenhang mit dem Vertrag stehendes moralisch-ethisch vorwerfbares Verhalten des Zessionars bzw ihm verbundener Dritter betreffen.

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Sie hat die abstrakte Klärungsbedürftigkeit der so ausgelegten Rechtsfrage jedoch nicht hinreichend dargelegt. Hierfür genügt es nicht, aus den behaupteten Tatsachen, insbesondere der Anschuldigung des schweren Betruges iS des § 263 Abs 3 Nr 1 StGB, im Einzelfall sowie dem Hinweis auf 30 000 weitere Fälle ein Bedürfnis nach höchstrichterlicher Entscheidung abzuleiten. Denn die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist nicht gegeben, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von dem Beschwerdeführer als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier als maßgebend erkannte Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).

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Insoweit reicht es umgekehrt auch nicht zu behaupten, die gestellte Rechtsfrage lasse sich anhand der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur nicht beantworten und dabei die rechtlichen Ausführungen einer vom LSG zitierten Entscheidung - hier des 13. Senats vom 7.8.2014 (B 13 R 39/13 R - NZS 2014, 911) - allein mit dem Vorbringen als unbeachtlich abzutun, die dortige Fallkonstellation treffe die hier zu beurteilende Problematik nicht.

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Vielmehr hätte es der Auseinandersetzung mit den Ausführungen in der dortigen RdNr 22 bedurft. Der erkennende Senat hat dort befunden: "…, dass eine reduzierte Rentenauszahlung an den Versicherten unter gleichzeitiger Auszahlung von Rententeilen an den Zessionar keine Änderung des (wirtschaftlichen) Werts des (dem Versicherten allein zustehenden) Rentenanspruchs (als sog 'Stammrecht') selbst bedeutet. Durch eine (wirksame) Abtretung geht lediglich der (teilweise) abgetretene Zahlungsanspruch (ohne Durchgangserwerb des Zedenten unmittelbar) auf den Zessionar über. Der Rentenanspruch (das 'Stammrecht') als 'Einkunftsquelle' bleibt aber in voller Höhe zugunsten des Versicherten bestehen, dh die Abtretung berührt den Rentenanspruch selbst (als 'Stamm- bzw Quellrecht') gerade nicht." Es hätte daher der Darlegung bedurft, ob daraus nicht umso mehr für den nicht abgetretenen Teil des Rentenanspruchs folgt, dass dieser sowohl dem Verantwortungsbereich als auch der Dispositionsfreiheit des Versicherten rechtlich zugeordnet bleibt und dessen Verwendung damit keiner moralisch-ethischen Bewertung durch den RV-Träger unterliegt.

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Unabhängig hiervon zitiert die Klägerin alsdann Entscheidungen des BSG (BSG Urteil vom 8.12.1993 - 10 RKg 1/92 - SozR 3-1200 § 53 Nr 6; BSG Urteil vom 6.4.2000 - B 11 AL 47/99 R - SozR 3-1200 § 53 Nr 9; BSG Urteil vom 14.8.1984 - 10 RKg 19/83 - SozR 1200 § 53 Nr 2; BSG Urteil vom 7.9.1988 - 10 RKg 18/87 - SozR 1200 § 53 Nr 8) im Hinblick auf die dort vorgenommene Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "wohlverstandenen Interesses". Damit zeigt sie jedoch Auslegungsmaßstäbe auf, wie sie in der Rechtsprechung des BSG gefunden worden sind. Hieraus schlussfolgert sie sodann auch, dass die Beklagte das "wohlverstandene Interesse" nicht allein in Bezug auf die an die Beigeladene zu 1 abgetretenen Sozialleistungen zu prüfen gehabt habe, sondern hätte berücksichtigen müssen, inwieweit die durch die Abtretung zu sichernde Schuld insgesamt durch mittelbar nachteilige Geschäfte weiter gesichert werden sollte. Ihrer Ansicht nach ergibt sich hieraus, dass dann, wenn ein erhebliches Missverhältnis zwischen dem Umfang der Forderung und der zur Sicherung der Befriedigung abgetretenen Ansprüche bestehe, das wohlverstandene Interesse für den abgetretenen Sozialleistungsanspruch nicht gegeben sei. Damit beantwortet sie jedoch letztlich aus ihrer Sicht die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage unter Anwendung der benannten Rechtsprechung. Ihre Darlegung belegt damit eben gerade nicht den Zweifel an der Klärung durch die Rechtsprechung in dem von ihr formulierten Sinne, "ob die im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Abtretungsvertrag geschlossenen weiteren Darlehensverträge mit nochmaliger sittenwidriger Verminderung der monatlichen Ratenzahlungen an den Berechtigten im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten bezogen auf das Abtretungsgeschäft mit dem Zessionar sein können", sondern den Zweifel daran, ob diese Rechtsprechung durch das LSG zutreffend auf den konkreten Fall angewandt worden ist. Dies ist jedoch keine Frage der abstrakten Klärungsbedürftigkeit, sondern der Rechtsanwendung im Einzelfall, die zwar grundsätzlich im Rahmen der Entscheidungsfindung des Revisionsgerichts zum Tragen kommt, nicht jedoch für die Zulassung der Revision von Bedeutung ist. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die aufgeworfene Frage sich nach der Literaturlage beantworten lässt.

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Im Übrigen gilt, dass eine höchstrichterlich entschiedene Frage zwar erneut klärungsbedürftig werden kann. Hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl schon BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13). Hieran mangelt es, denn die Klägerin gibt lediglich die in der Literatur vertretenen Auffassungen zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "wohlverstandenen Interesses" wieder, ohne insoweit herauszuarbeiten, dass diese Auffassungen den vom BSG gefundenen Maßstäben widersprächen.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.