BSG 8. Senat, Urteil vom 06.12.2018, B 8 SO 11/18 R

Das Urteil unter dem Aktenzeichen B 8 SO 11/18 R (BSG)

vom 6. Dezember 2018 (Donnerstag)


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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

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Im Streit ist die Übernahme weiterer Kosten der teilstationären Unterbringung des Klägers in einer Einrichtung des Beigeladenen als Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.9.2009 bis 31.12.2010.

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Der 1990 geborene Kläger ist aufgrund frühkindlichen Autismus schwerbehindert (GdB 100, Merkzeichen G, B, H, RF) und kann nicht sprechen, zeigt zwanghafte Auffälligkeiten, hat eine Tendenz zum Weglaufen und verfügt über kein Gefahrenbewusstsein. Von September 1997 bis Juli 2008 besuchte er eine staatliche Schule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung. Ab dem 5.11.2008 wurde er zur stufenweisen Eingliederung in den Förder- und Betreuungsbereich (FuB-Bereich) der in der Trägerschaft des Beigeladenen stehenden Werksiedlung St. .C. e.V. in M. aufgenommen. Der Beklagte bewilligte dem Kläger bis 30.4.2009 Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) "in Höhe von 50 % der wöchentlichen Vergütungssätze" bei zunächst nur jeweils zwei Tagen Anwesenheit pro Woche sowie "in Höhe von 100 % der Vergütungssätze" bei Anwesenheit von jeweils mindestens drei Tagen pro Woche (Bescheid vom 10.12.2008). Die Leistungsbewilligung wurde zunächst bis zum 31.8.2009 verlängert (Bescheid vom 4.5.2009). Auf den Antrag des Klägers auf erneute Verlängerung der Leistungsbewilligung holte der Beklagte eine Einschätzung des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS) ein, der mitteilte, dass der Kläger weiterhin "dem Personenkreis zugehöre, der dem Leistungstyp I.4.5a [des Rahmenvertrags vom 9.5.2006] zuzuordnen" sei. Der Beklagte bewilligte daraufhin ab 1.9.2009 bis zunächst 31.8.2011, längstens jedoch für die Dauer der tatsächlichen Durchführung, tagesstrukturierende Maßnahmen in der FuB-Gruppe an fünf Tagen in der Woche in Höhe der für den Leistungstyp I.4.5a vereinbarten Vergütung von damals täglich 53,91 Euro (Bescheid vom 8.12.2009; Widerspruchsbescheid vom 30.3.2010).

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Seine dagegen mit der Begründung eingelegte Klage, eine Begrenzung auf täglich 53,91 Euro entspreche nicht seinem tatsächlichen Bedarf, er benötige vielmehr eine deutlich teurere 1:1-Betreuung, ist erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Freiburg vom 22.12.2010; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom 4.12.2014). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrten Eingliederungshilfeleistungen, weil es - im hier vorliegenden sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis - an einer vertraglichen Schuld des Klägers fehle. Es existiere nämlich keine privatrechtliche "Entgeltvereinbarung" zwischen Kläger und Beigeladenem. Ein Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen der Eingliederungshilfe ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung der §§ 116 ff, 145 ff, 612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sowie der §§ 75 ff SGB XII. Zwischen ihm und dem Beigeladenen habe sehr wohl eine Dienstleistungsvereinbarung gegen Entgelt bestanden. Die Höhe der Vergütung sei nicht bestimmt, aber bestimmbar gewesen. Als Maßstab komme insoweit aber nicht eine Leistungs-, Entgelt- und Prüfungssicherungsvereinbarung nach § 75 Abs 3 SGB XII iVm § 76 SGB XII in Betracht, weil der vom Beklagten in Bezug genommenen Vereinbarung über Leistungen des Leistungstyps I.4.5a des Rahmenvertrages die zwingenden Mindestbestandteile nach § 76 Abs 1 Satz 1 SGB XII fehlten. Überdies gehöre er (der Kläger) nicht zum Personenkreis dieses Leistungstyps, der als Zielgruppe ausdrücklich Menschen mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung benenne, denn er sei allein seelisch behindert. Für die richtige Vergütung gelte daher § 612 Abs 2 BGB. Die danach maßgebliche ortsübliche Vergütung errechne sich anhand des tatsächlich benötigten Betreuungsschlüssels von 1:1.

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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Dezember 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Dezember 2010 aufzuheben, den Bescheid vom 8. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seiner über einen täglichen Leistungssatz nach dem Leistungstyp I.4.5a der Vergütungsvereinbarung vom 24. September 2002 hinausgehenden Schuld gegenüber dem Beigeladenen beizutreten und diesen Betrag an ihn zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Hilfsweise erhebt er die Einrede der Verjährung.

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Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

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Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Er hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Eingliederungshilfe für seine Betreuung in der Einrichtung des Beigeladenen.

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Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 8.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.3.2010(§ 95 SGG), mit dem der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe durch Beitritt zu einer (möglichen) Schuld des Klägers gegenüber dem Beigeladenen in Höhe einer Vergütung nach Maßgabe des Leistungstyps I.4.5a von täglich 53,91 Euro bewilligt hat, es jedoch abgelehnt hat, einer darüber hinausgehenden Schuld des Klägers beizutreten. Gegen diese Ablehnung wendet sich der Kläger, der den Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrags mit dem Einrichtungsträger und folglich Leistungen innerhalb eines sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses geltend macht, zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG (stRspr zur Leistungserbringung im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis; vgl nur BSGE 102, 1 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, RdNr 10), beschränkt auf den Zeitraum vom 1.9.2009 bis zum 31.12.2010.

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Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor. Insbesondere fehlt es nicht an der notwendigen Beiladung des Jugendhilfeträgers (vgl § 75 Abs 2 1. Alt SGG - echte notwendige Beiladung des nach § 14 SGB IX im Innenverhältnis zuständigen Leistungsträgers). Leistungen der Jugendhilfe sind nach § 10 Abs 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - SGB VIII gegenüber Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen (bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, § 7 Abs 1 Nr 4 SGB VIII), die (auch) geistig oder körperlich behindert sind, nachrangig (vgl dazu BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 26; BVerwGE 142, 18, RdNr 31 mwN). So liegt der Fall hier. Der Kläger war nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im streitigen Zeitraum nicht nur seelisch, sondern jedenfalls auch körperlich behindert; denn er war nicht in der Lage zu sprechen (§ 1 Nr 6 Verordnung nach § 60 SGB XII <Eingliederungshilfe-VO> dazu auch unten).

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Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist der Beklagte für die Leistungen der Eingliederungshilfe, die dem Kläger in den Einrichtungen des Beigeladenen erbracht wurden, sachlich (§ 97 Abs 1 und Abs 2 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und iVm § 1 Abs 1, § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch <AGSGB XII> vom 1.7.2004 - GBl 469, 534) und örtlich (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII; vgl zur Nichtanwendbarkeit von § 98 Abs 2 auf teilstationäre Leistungen BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3) zuständig. Dabei kann offen bleiben, ob es für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit auf den Aufenthalt am Maßnahmeort oder am Wohnort ankommt, weil beide Orte im Landkreis des Beklagten liegen.

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In der Sache macht der Kläger einen Anspruch auf höhere Leistungen der Eingliederungshilfe geltend. Bei der wegen eines erhöhten Betreuungsaufwands (1:1-Betreuung) geltend gemachten Übernahme einer höheren Vergütung für die in der Einrichtung des Beigeladenen erbrachten Leistungen handelt es sich nicht um einen vom (unbedingten) Schuldbeitritt hinsichtlich des tagesstrukturierenden Angebots nach Leistungstyp I.4.5a abtrennbaren Streitgegenstand. Geltend gemacht wird nicht eine Vergütung für eine zusätzliche Leistung (zu einer solchen Konstellation BSG SozR 4-3500 § 53 Nr 4 RdNr 10), sondern eine höhere Vergütung für eine vertraglich geschuldete Leistung wegen des vom Durchschnitt nach oben abweichenden Betreuungsaufwands.

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Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme höherer Kosten für die Leistungen im FuB-Bereich in der Einrichtung des Beigeladenen kommt § 19 Abs 3 (in der Normfassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007, BGBl I 554) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII, § 54 Abs 1 Satz 1, § 55 Satz 1 SGB XII und § 55 Abs 1 und Abs 2 SGB IX (alle Normen idF des Gesetzes zur Eingliederung der Sozialhilfe in das SGB vom 27.12.2003, BGBl I 3022 - Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft <soziale Teilhabe> bzw Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten) in Betracht. Bei der Betreuung des Klägers im FuB-Bereich handelt es sich nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII, § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 33 SGB IX, vgl auch BVerwG, Beschluss vom 7.7.2006 - 5 B 18/06), auch wenn der Förderbereich räumlich an die WfbM angegliedert ist. Ein Förderbereich, der nach § 136 Abs 3 SGB IX einer WfbM unter ihrem sog "verlängerten Dach" räumlich und/oder organisatorisch angegliedert ist, ist nicht Teil der WfbM selbst (dazu BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17, RdNr 21 ff).

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Der Kläger erfüllt zwar nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII. Er ist wesentlich behindert, denn bei ihm besteht eine tiefgreifende Entwicklungsstörung in Form eines frühkindlichen Autismus mit zwanghaften Verhaltensauffälligkeiten, Sprachlosigkeit, einer Tendenz zum Weglaufen und fehlendem Gefahrenbewusstsein, die ihn in erheblichem Umfang in seiner Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft einschränken (§ 2 Eingliederungshilfe-VO bei geistiger Behinderung bzw § 3 Eingliederungshilfe-VO bei seelischer Behinderung).

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Er hat aber keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Eingliederungshilfe für seine teilstationäre Unterbringung im FuB-Bereich der Einrichtung des Beigeladenen, da er selbst dem Beigeladenen allenfalls die vom Beklagten erbrachte Vergütung nach dem Leistungstyp I.4.5a des Landesrahmenvertrags (teilstationäre Leistungen für Behinderte mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung) schuldet. Nur diese gegenüber dem Leistungserbringer bestehende Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers ist der Bedarf, den der Sozialhilfeträger im Grundverhältnis - durch Vergütungsübernahme - decken muss (BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, RdNr 25; BSG vom 2.2.2010 - B 8 SO 20/08 R - juris RdNr 12; BGHZ 205, 260 juris RdNr 22). Der Anspruch des Leistungsberechtigten ist auf den Beitritt zu dieser privatrechtlichen Schuld gerichtet. Ein Anspruch auf Beitritt (grundlegend zum sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis BSGE 102, 1, 4 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, RdNr 15 ff) zu einer höheren Schuld besteht nach der ständigen Rspr des Senats nur für solche Kosten, die der Hilfebedürftige selbst der Einrichtung schuldet (grundlegend BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, RdNr 25; BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 20/08 R - juris RdNr 12, dem folgend BGHZ 205, 260, juris RdNr 24; BGHZ 209, 316, juris RdNr 16 = ZFSH/SGB 2016, 424). Ob und wenn ja, welche Entgeltvereinbarungen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen geschlossen wurden, bedarf keiner Entscheidung. Die noch nach § 93 Abs 2 BSHG abgeschlossene Vergütungsvereinbarung vom 24.9.2002 zwischen dem Beigeladenen und dem Landeswohlfahrtsverband Baden, dessen Funktionsnachfolger der Beklagte ist (vgl Senatsurteil vom 6.12.2018 - B 8 SO 9/18 R - RdNr 24), sieht eine beim Leistungstyp I.4.5a höhere Vergütung als die geleistete bzw eine Zusatzvergütung zB wegen einer erforderlichen 1:1-Betreuung nicht vor und enthält auch sonst keine Regelungen, die für besonders personalintensive Leistungen neben den vom Beklagten erbrachten Vergütungen weitere zusätzliche Vergütungen (Zuschläge) vorsehen. Es kann offen bleiben, ob zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen eine ausdrückliche oder stillschweigend abgeschlossene Vereinbarung eine über den Leistungstyp I.4.5a hinausgehende Vergütung vorsah, insbesondere, ob der Kläger auch bezüglich einer danach zu zahlenden Vergütung einen Rechtsbindungswillen hatte. Denn selbst wenn eine solche Vereinbarung geschlossen worden sein sollte, wäre sie unwirksam, weil Art, Inhalt und Umfang der Leistungen sowie die jeweiligen Entgelte den nach § 75 ff SGB XII getroffenen Vereinbarungen entsprechen müssen. Im Heimbereich sind Vereinbarungen, die zum Nachteil des Heimbewohners von den Verträgen nach § 75 ff SGB XII abweichen, unwirksam (vgl § 9 HeimG bzw § 15 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz <WBVG>, das das HeimG abgelöst hat, dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 6.12.2018 - B 8 SO 9/18 R - RdNr 14). Für den FuB-Bereich des Beigeladenen, für den das HeimG bzw das WBVG nicht gilt, ergibt sich dies aus § 32 SGB I, der wegen des Charakters der nach § 75 Abs 3 Satz 1 SGB XII zu schließenden Vereinbarungen als Normverträge unmittelbar gilt (Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 75 SGB XII, RdNr 53). Danach sind privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von den Vorschriften des SGB abweichen, nämlich wie hier außerhalb des Vertragssystems der §§ 75 ff SGB XII tatsächlich oder vermeintlich vereinbarte Zahlungspflichten des Hilfebedürftigen begründen, nichtig. Hierdurch wird sichergestellt, dass die nach den Sozialgesetzbüchern Begünstigten die gesetzlich vorgesehenen Sozialleistungen zu den jeweils gesetzlich geregelten Voraussetzungen erhalten. Diese Regelung geht auch einem Vergütungsanspruch in Anwendung des § 612 Abs 2 BGB vor.

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Diese strikte Bindung der vertraglich geschuldeten Vergütung an die Vergütungsvereinbarung nach § 76 Abs 2 SGB XII ist systemgerecht. Wären von den Verträgen nach den §§ 75 ff SGB XII abweichende individuelle Zusatzvereinbarungen wirksam, würden sie das System der §§ 75 ff SGB XII unterlaufen, dem erkennbar (vgl nur § 77 Abs 1 Satz 2 SGB XII) der Gedanke zugrunde liegt, in einem Verhandlungsverfahren gleichberechtigter Vertragspartner vergleichbare Entgelte am Ort der Einrichtung für vergleichbare Leistungen zu gewährleisten. Auch die Rechte und Pflichten des Klägers im Verhältnis zur Einrichtung, insbesondere das von ihm zu leistende Entgelt, werden zwar in den Verträgen festgelegt, aber durch die Normverträge nach §§ 75 ff SGB XII ergänzt und insbesondere im Hinblick auf die Vergütung der zu erbringenden Leistungen begrenzt.

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Da die Maßnahmepauschale von Durchschnittswerten ausgeht (vgl insoweit § 76 Abs 2 Satz 3 SGB XII, wonach die Maßnahmepauschale nach Gruppen für Leistungsberechtigte mit vergleichbarem Bedarf kalkuliert werden kann), sind Abweichungen im tatsächlichen Bedarf nach oben und unten zudem systemimmanent, ohne dass darin bereits ein Verstoß gegen die Leistungsgerechtigkeit der Vergütung (§ 75 Abs 3 Satz 2 SGB XII; vgl dazu Jaritz/Eicher, jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 76 SGB XII RdNr 62 mwN) läge. Aus diesem Grund scheidet ein weiterer Leistungsanspruch des Klägers auch unter dem Gedanken des Systemversagens (vgl nur BSG SozR 4-3500 § 92a Nr 1 RdNr 39) aus. Die §§ 75 ff SGB XII gehen insoweit von einem "lernenden System" aus, das durch Verhandlungen und neue Vereinbarungen fortzuentwickeln ist und bei fehlender Einigkeit die Schiedsstelle angerufen werden kann. Es ist deshalb nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob in Vereinbarungen ausgehandelte Entgelte, die Verträgen mit den behinderten Menschen zugrunde zu legen sind, im Einzelfall auskömmlich sind.

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Anders als der Kläger und der Beigeladene meinen, ist für das gefundene Ergebnis ohne Belang, ob die Leistungsvereinbarungen den Maßstäben des § 76 Abs 1 Satz 1 SGB XII entsprechen. Danach sind die wesentlichen Leistungsmerkmale festzulegen, mindestens jedoch die betriebsnotwendigen Anlagen der jeweiligen Einrichtung, der von ihr zu betreuende Personenkreis, Art, Ziel und Qualität der Leistung, Qualifikation des Personals sowie die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung. Denn selbst wenn die verfahrensgegenständlichen Vereinbarungen diesen Maßstäben nicht genügten und in diesem Fall von der Unwirksamkeit der Vereinbarungen auszugehen wäre (vgl zur Nichtigkeit bei fehlender Vertragszuständigkeit BSG SozR 4-3500 § 77 Nr 3), könnte sich der Beigeladene, ohne sich dem Vorwurf der Treuwidrigkeit (§ 242 BGB) auszusetzen, gegenüber dem Kläger nicht auf eine fehlende Vereinbarung mit dem Beklagten berufen und die zu zahlende Vergütung dann nach seinem Belieben festsetzen (dazu auch Senatsurteil vom 6.12.2018 - B 8 SO 9/18 R - RdNr 44 ff). Der Beigeladene als Vertrags- und Verhandlungspartner ist bislang selbst davon ausgegangen, dass die von ihm vereinbarten Verträge den Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 76 SGB XII genügen, ansonsten hätte er solche nicht abgeschlossen, seinen Verträgen zugrunde gelegt und entsprechend abgerechnet. Selbst wenn man eine Treuwidrigkeit verneinen und von der Unwirksamkeit der Vereinbarungen ausgehen wollte, änderte dies am Ergebnis nichts. Der Beigeladene hätte dann nach § 75 Abs 4 Satz 3 SGB XII gegen den Kläger allenfalls einen Vergütungsanspruch in Höhe des Betrages, den der Träger der Sozialhilfe, also der Beklagte, am Ort der Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung für vergleichbare Leistungen nach den nach Absatz 3 abgeschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen erbringt (dazu auch Senatsurteil vom 6.12.2018 - B 8 SO 9/18 R - RdNr 45 f). Auch dann bleibt es deshalb bei einer Vergütung nach dem Leistungstyp I.4.5a (dazu gleich).

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Der Kläger gehört auch zur Zielgruppe des Leistungstyps I.4.5a ("erwachsene Menschen mit wesentlichen geistigen und körperlichen Behinderungen iS des § 53 SGB XII und der Eingliederungshilfe-VO, die wegen Art und/oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in einer WfbM beschäftigt werden können, mit unterschiedlichem Hilfebedarf und mit oder ohne zusätzlichem stationären Hilfebedarf"). Soweit die geistige Behinderung des Klägers in Frage gestellt wird, kommt es hierauf nicht an. Denn unabhängig davon, dass der Hilfebedarf sich nicht danach unterscheidet, ob ihm eine geistige oder eine seelische Behinderung zugrunde liegt, ist der Kläger jedenfalls auch körperlich und damit mehrfachbehindert. Denn nach den Feststellungen des LSG kann der Kläger nicht sprechen. Wie die Gehörlosigkeit oder die Blindheit zählt auch die Sprachlosigkeit zu den körperlichen Behinderungen (s schon oben, § 1 Nr 6 Eingliederungshilfe-VO). Für die Zuordnung zu einem Leistungstyp spielt es vorliegend auch keine Rolle, ob im konkreten Fall des Klägers ein besonders hoher Betreuungsbedarf besteht. Da die Maßnahmepauschale von Durchschnittswerten ausgeht (vgl insoweit § 76 Abs 2 Satz 3 SGB XII, wonach die Maßnahmepauschale nach Gruppen für Leistungsberechtigte mit vergleichbarem Bedarf kalkuliert werden kann), sind wie oben dargelegt Abweichungen im tatsächlichen Bedarf nach oben und unten für die Zuordnung eines Behinderten zum Leistungstyp I.4.5a ohne Bedeutung. Die Leistungen nach Leistungstyp I.4.5a sind nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) von dem Beigeladenen auch tatsächlich erbracht worden.

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Folgt man schließlich dem LSG und vertritt die Auffassung, dass es an einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen in Ermangelung eines Rechtsbindungswillens fehlt, käme allenfalls ein Schuldbeitritt zu einem Anspruch auf Aufwendungs- bzw Wertersatz nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA vgl dazu nur BSG SozR 4-3500 § 53 Nr 4 RdNr 20) oder der ungerechtfertigten Bereicherung in Betracht. Ob ein solcher Schuldbeitritt überhaupt mit den §§ 75 ff SGB XII in Einklang zu bringen wäre, kann offen bleiben. Denn jedenfalls kann ein solcher die vertragliche Schuld ersetzender Anspruch nicht über das hinausgehen, was gelten würde, wenn die Beteiligten einen wirksamen Vertrag geschlossen hätten, weil sonst das durch die Vertragsregelungen des SGB XII im Rahmen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses austarierte Verhältnis von Rechten und Pflichten unterlaufen würde. Auf die hilfsweise erhobene Verjährungseinrede kommt es nach alledem nicht an.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.