BSG 8. Senat, Beschluss vom 04.02.2019, B 8 SO 21/18 BH

Das Urteil unter dem Aktenzeichen B 8 SO 21/18 BH (BSG)

vom 4. Februar 2019 (Montag)


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Sozialgerichtliches Verfahren - Prozesskostenhilfe - hinreichende Erfolgsaussicht - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid - Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter - fehlende Anhörung der Beteiligten - Möglichkeit der Rückübertragung - Wiederaufnahmeverfahren - Unzulässigkeit der Berufung - Unterschreitung des Beschwerdewertes

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. September 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

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I. Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des vor dem Sozialgericht (SG) Berlin geführten Verfahrens (Az: S 50 SO 2315/14).

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Die Klägerin bezieht neben ihrer Rente laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherung) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und wandte sich im og Klageverfahren ursprünglich gegen die Anrechnung der Rentenerhöhung für Juli 2013 in Höhe von 16,41 Euro im Monat Juli 2013 mit der Begründung, die Rentenzahlung fließe ihr erst am Monatsende zu, während die - geringeren - Grundsicherungsleistungen zum Monatsbeginn gezahlt würden; dadurch entstehe eine Zahlungslücke. Der Beklagte hat während des gerichtlichen Verfahrens den geltend gemachten Betrag "aus prozessökonomischen Gründen" gezahlt, die Klägerin auf einer Entscheidung des Gerichts bestanden. Das SG Berlin hat die als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführte Klage abgewiesen (Urteil vom 31.8.2015); die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg zurückgewiesen (Beschluss vom 3.11.2015).

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Im Juni 2017 (Schreiben vom 16.6.2017) hat die Klägerin beim SG beantragt, das Urteil des SG vom 31.8.2015 für nichtig zu erklären. Die Entscheidung sei unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zustande gekommen und die falsche Rechtsauffassung des Richters habe dazu geführt, dass er nicht gesetzlicher Richter gewesen sei. Die Klage ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 30.11.2017; Urteil des LSG vom 20.9.2018). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, die Berufung, die das SG nicht zugelassen habe, sei unzulässig. Auch im Fall der Wiederaufnahme- bzw Restitutionsklage bestimme sich der Wert des Beschwerdegegenstands nach dem des ursprünglichen Klageverfahrens, hier also 16,41 Euro. Die nicht statthafte Berufung könne auch nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden.

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Die Klägerin beantragt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

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II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm § 114 Zivilprozessordnung <ZPO>). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Von diesen Zulassungsgründen kann nach Aktenlage unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin keiner mit Erfolg im Beschwerdeverfahren, verbunden auch mit einem möglichen Erfolg in der Hauptsache (vgl dazu nur BSG SozR 4-1500 § 73a Nr 2 mwN) geltend gemacht werden.

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Anhaltspunkte dafür, dass der Zulassungsgrund der Divergenz mit Erfolg gerügt werden könnte, bestehen nicht.

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Vor der Übertragung der Sache auf den Einzelrichter (§ 153 Abs 5 SGG) ist die Klägerin zwar nicht angehört worden, worin ein Verfahrensmangel (Verstoß gegen das rechtliche Gehör) liegen kann. Doch führt diese Gehörsverletzung - anders als in den Fällen des § 153 Abs 4 SGG (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 17; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13; BSG Urteil vom 8.11.2001 - B 11 AL 37/01 R; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B) oder § 158 Satz 2 SGG (BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 3; BSG Beschluss vom 2.7.2009 - B 14 AS 51/08 B - juris RdNr 11) - nicht zu einer fehlerhaften Besetzung der Richterbank und damit auch nicht zu einem absoluten Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO. Denn die Sache kann durch Beschluss des Senats auf den Senat zurückübertragen werden, wenn sich erst nach der Übertragung auf den Berichterstatter wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage erweist, dass die Sache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist oder grundsätzliche Bedeutung hat. Im vorliegenden Verfahren kann aber dahingestellt bleiben, ob eine solche wesentliche Änderung der Prozesslage eingetreten ist und die Sache daher an den Senat hätte zurückübertragen werden müssen (vgl dazu nur BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 16 RdNr 17 mwN). Denn die im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin hat eine entsprechende Rüge nicht erhoben, sodass ein insoweit unterstellter Gehörsverstoß geheilt wäre (BVerwGE 110, 40); außerdem wäre angesichts der Unzulässigkeit der Berufung (dazu gleich) ohnedies eine erfolgreiche Rüge wegen der fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgeschlossen.

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Schon kein Verfahrensmangel (Prozessurteil statt Sachurteil) ist darin zu sehen, dass das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat. Denn zutreffend ist es davon ausgegangen, dass für die Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung in einem Wiederaufnahmeverfahren im Rahmen des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG der Wert des ursprünglichen, im Verfahren S 50 SO 2315/14 streitgegenständlichen Begehrens zugrunde zu legen ist (so bereits zur Zulässigkeit im Fall einer Untätigkeitsklage BSG SozR 4-1500 § 144 Nr 7; zur Wiederaufnahme- und Restitutionsklage Wehrhahn in jurisPK-SGG, § 144 RdNr 29; vgl auch Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl 2018, Vorbemerkung vor §§ 578, 579 ZPO RdNr 7), hier also 16,41 Euro und damit weniger als die Mindestbeschwer von 750 Euro. Deshalb stellen sich insoweit auch keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung. Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung zu Wiederaufnahme- und Restitutionsklagen im Übrigen, die ein Rechtsanwalt im vorliegenden Verfahren mit Erfolg geltend machen kann, sind ebenfalls nicht erkennbar.

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Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).