BGH 5. Zivilsenat, Beschluss vom 23.05.2019, V ZB 196/17

Das Urteil unter dem Aktenzeichen V ZB 196/17 (BGH)

vom 23. Mai 2019 (Donnerstag)


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Kostenfestsetzungsverfahren: Erstattungsfähigkeit der durch die Einreichung einer Anwaltsbestellung nach Klagerücknahme entstandenen Kosten der beklagten Partei; Deckelung der Gebührenerhöhung im Fall der Vertretung mehrerer Personen in derselben Angelegenheit bei Vergütung nach Wertgebühren

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart - 19. Zivilkammer - vom 16. August 2017 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.033,40 €.

I.

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Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger reichte am 3. Juni 2016 bei dem Amtsgericht eine Beschlussanfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer ein. Mit am 8. Juli 2016 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz nahm er die Klage zurück. Nachdem am 9. Juli 2016 dem Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft die Klage nebst Terminsverfügung zugestellt worden war, bestellte sich mit Schriftsatz vom 11. Juli 2016, eingegangen bei dem Amtsgericht am 13. Juli 2016, für die Beklagten deren Prozessbevollmächtigte. Am 14. Juli 2016 wurde dem Verwalter der Klagerücknahmeschriftsatz zugestellt. Mit Beschluss vom 2. August 2016 wurden die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt.

2

Auf Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht (Rechtspfleger) die von dem Kläger an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.033,40 € nebst Zinsen festgesetzt. Hierin enthalten sind eine 0,8 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100, 3101 VV RVG und eine 2,0 Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG. Die von dem Kläger hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Beklagten.

II.

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Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die von dem Amtsgericht festgesetzten Kosten erstattungsfähig seien. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO seien die Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverteidigung erschienen. Das sei vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen sei. Dass die Beauftragung der Beklagtenvertreterin am 11. Juli 2016 und damit nach Eingang der Klagerücknahme bei Gericht erfolgt sei, stehe der Erstattungsfähigkeit der hierdurch entstandenen Kosten nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in dem Beschluss vom 25. Februar 2016 (III ZB 66/15, BGHZ 209, 120 Rn. 10) sei die Notwendigkeit der Kostenverursachung nicht rein objektiv zu bestimmen. Nur wenn die Beklagtenseite Kenntnis von der Rücknahme gehabt habe, sei die Beauftragung eines Anwalts für eine wirtschaftlich vernünftig denkende Partei objektiv nicht mehr erforderlich.

III.

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Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 575 ZPO) ist nicht begründet. Das Beschwerdegericht bejaht die Erstattungsfähigkeit der dem Beklagten zuerkannten 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100, 3101 VV RVG sowie der 2,0 Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG zu Recht.

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1. Die seitens der Prozessbevollmächtigten der Beklagten erbrachte anwaltliche Tätigkeit war trotz der zuvor erfolgten Klagerücknahme notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

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a) Nach der Rechtsprechung des XII. und des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn. 24; siehe auch bereits Beschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB 447/16, FamRZ 2017, 365 Rn. 22 zu § 80 FamFG; Beschluss vom 10. April 2018 - VI ZB 70/16, VersR 2018, 1469 Rn. 10), die der Senat für überzeugend hält, ist Maßstab für die Notwendigkeit von Kosten zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte. Abzustellen ist mithin auf die Sicht der Partei in der konkreten prozessualen Situation und dann zu beurteilen, ob ein objektiver Betrachter aus diesem Blickwinkel die Sachdienlichkeit bejahen würde. Die Notwendigkeit bestimmt sich daher aus der „verobjektivierten“ ex ante-Sicht der jeweiligen Prozesspartei und nicht nach einem rein objektiven Maßstab (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn. 24). Deshalb sind Kosten, die der Rechtsmittelgegner in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme des Rechtsmittels verursacht hat und als sachdienlich ansehen durfte, notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn. 25 ff.; Beschluss vom 10. April 2018 - VI ZB 70/16, VersR 2018, 1469 Rn. 10).

7

Aus der Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts anderes. Dieser hat nämlich auf eine entsprechende Anfrage des XII. Zivilsenats mitgeteilt, in der - von dem Beschwerdegericht als Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde genommenen - Entscheidung vom 25. Februar 2016 (III ZB 66/15, BGHZ 209, 120) nicht auf einen rein objektiven Maßstab abgestellt zu haben. Entscheidend sei, ob die konkrete Maßnahme aus der Perspektive einer vernünftigen und sparsamen Partei als objektiv geeignet erscheine (vgl. die Wiedergabe der Antwort des III. Zivilsenats in dem Beschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, NJW 2018, 1403 Rn. 30). Soweit der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bislang die Notwendigkeit von Kosten der Rechtsverteidigung im Sinne des § 91 ZPO nach einem rein objektiven Maßstab beurteilt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2006 - I ZB 39/06 - NJW-RR 2007, 1163 Rn. 17; Beschluss vom 5. Oktober 2017 - I ZB 112/16, FamRZ 2018, 620 Rn. 10), hält er daran, wie er auf Anfrage des Senats mitgeteilt hat, nicht mehr fest.

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b) Geht es - wie hier - um die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Beklagten, die nach der Rücknahme der Klage entstanden sind, kann nichts anderes gelten als in den Fällen einer Rechtsmittelrücknahme. Deshalb sind die einer beklagten Partei durch die Einreichung einer Anwaltsbestellung nach Klagerücknahme entstandenen Kosten erstattungsfähig, wenn sie sich bei der Einreichung in nicht vorwerfbarer Unkenntnis von der Rücknahme der Klage befunden hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - VI ZB 2/18, NJW-RR 2019, 381 Rn. 8).

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c) Hier kann den Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass sie die Rücknahme der Klage im Zeitpunkt der Kosten auslösenden Mandatierung ihrer Prozessbevollmächtigten nicht kannten. Der Rücknahmeschriftsatz ist dem Verwalter erst nach der Mandatierung zugestellt worden. Dass die Beklagten oder der Verwalter aufgrund sonstiger Umstände bereits vor der Mandatierung Kenntnis von der Rücknahme hatten oder hätten haben müssen, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt und wird auch in der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.

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2. Keinen Erfolg hat die Rechtsbeschwerde auch, soweit sie für den Fall der Annahme der Notwendigkeit der Kosten die Festsetzung einer Erhöhungsgebühr von 2,0 gemäß Nr. 1008 VV RVG rügt. Vertritt der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit mehrere Personen und berechnet sich seine Vergütung nach Wertgebühren, erfolgt die Deckelung der Erhöhung durch eine Begrenzung auf einen Gebührensatz von 2,0; dass die Erhöhung das Doppelte der Ausgangsgebühr übersteigt, ist unschädlich.

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a) Nach der genannten Vorschrift erhöht sich die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen sind, für jede weitere Person um 0,3, wobei mehrere Erhöhungen nach Nr. 1008 Abs. 3 VV RVG einen Gebührensatz von 2,0 nicht übersteigen dürfen. Diese Vorschrift gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt - wie hier - die übrigen Wohnungseigentümer im Beschlussanfechtungsverfahren nach § 46 WEG vertritt (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 39/11, NJW 2011, 3723 Rn. 4).

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b) Da die Prozessbevollmächtigte hier mehr als sieben Eigentümer vertreten hat, kann sie die nach dem Gesetz höchst mögliche Gebührenerhöhung von 2,0 Gebühren beanspruchen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus Nr. 1008 Abs. 3 VV RVG nicht, dass die Erhöhung das Doppelte der Ausgangsgebühr - hier beträgt die zu erstattende Gebühr gemäß Nr. 3100, 3101 VV RVG 0,8 - nicht übersteigen darf. Soweit es um Wertgebühren geht, erfolgt die Deckelung der für jede weitere von dem Rechtsanwalt vertretene Person anfallende Gebühr von 0,3 durch eine Begrenzung auf 2,0 Gebühren, wobei es keine Rolle spielt, wie hoch die bei einer Mehrfachvertretung zu erhöhende Verfahrens- oder Geschäftsgebühr ist. Nur bezogen auf Festgebühren und bei Betragsrahmengebühren dürfen die Erhöhungen das Doppelte der Festgebühr bzw. das Doppelte des Mindest- und Höchstbetrages der Rahmengebühren nicht übersteigen. Demgegenüber steht außer Streit, dass die Erhöhungsgebühr höher sein kann als das Doppelte der einfachen Verfahrensgebühr oder Geschäftsgebühr. So beläuft sich beispielsweise die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG bei acht und mehr Auftraggebern auf 3,3 (1,3 zuzüglich 2,0 Erhöhungsgebühr) und übersteigt damit das Doppelte der 1,3 Verfahrensgebühr (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., VV RVG Nr. 1008 Rn. 6). Vertritt ein Rechtsanwalt in einer Zwangsvollstreckungsangelegenheit acht oder mehr Mandanten, beträgt die 0,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3309 VV RVG mit der Erhöhung 2,3 Gebühren (0,3 zuzüglich 2,0 Erhöhungsgebühr), so dass auch insoweit das Doppelte der Verfahrensgebühr deutlich überschritten wird (vgl. BeckOK RVG/Hofmann, [1.12.2017], RVG VV 1008 Rn. 4.2). Für die hier in Rede stehende 0,8 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100, 3101 VV RVG gilt nichts anderes.

IV.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Stresemann     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Brückner

      

Göbel     

      

Haberkamp