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Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. März 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: bis 185.000 €
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte aus Produkthaftung auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung in Anspruch.
Am 26. Oktober 2006 wurde dem Kläger in der Albklinik M., deren Trägerin die Streithelferin ist, in der rechten Hüfte eine Oberflächenersatzprothese eingesetzt. Herstellerin der Prothese ist die Muttergesellschaft der Beklagten mit Sitz in der Schweiz. Die Beklagte ist Importeurin der Prothese.
Bereits am 15. Januar 2007 klagte der Kläger über Beschwerden. Seit dem Jahr 2008 ist er erwerbsunfähig. Nachdem im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2009 bei dem Kläger hohe Chrom- und Cobaltwerte im Blut festgestellt worden waren, wurde die Hüftprothese im L.-Krankenhaus in F. explantiert und durch eine zementierte Revisionsprothese ersetzt. Dabei wurden Granulome festgestellt, die auf eine Fremdkörperreaktion zurückzuführen sind. Die explantierte Hüftprothese ist jedenfalls seit dem Jahr 2011 nicht mehr auffindbar. Nach Fortbestehen der Beschwerden, Punktionen und einer weiteren Operation wurde am 27. Oktober 2015 die Prothese erneut explantiert und dem Kläger eine Schaft-Hüftendoprothese implantiert.
Der Kläger macht geltend, die im Jahr 2006 implantierte Hüftprothese sei produktfehlerhaft. Sie führe konstruktionsbedingt zu einem erhöhten Metallabrieb. Das sei für die Beklagte auch erkennbar gewesen. Zudem sei der Einlaufverschleiß in der Anfangsphase bei Prothesenköpfen mit großem Durchmesser deutlich erhöht, was bei den vor Produkteinführung durchgeführten Untersuchungen nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Die vor Produkteinführung durchgeführten Tests seien nicht ausreichend gewesen. Das Risiko erhöhten Metallabriebs habe sich beim Kläger verwirklicht.
Der Kläger hat zunächst ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Streitverkündete betrieben. Das Landgericht hat die sodann gegen die Beklagte erhobene Klage nach Beiziehung der Akten des selbständigen Beweisverfahrens und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. M. (Facharzt für Orthopädie und Chirurgische Orthopädie) und PD Dr.-Ing. K. (Ingenieur Forschungslabor für Biomechanik und Implantattechnologie), Anhörung des Klägers und Anhörung der Sachverständigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Produktfehlers (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG) unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG verneint.
1. Das Berufungsgericht hat - soweit hier erheblich - ausgeführt, dem Kläger stünden keine Ansprüche aus § 1 Abs. 1, § 8 ProdHaftG zu. Nach der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme weise die Oberflächenersatzprothese keinen Fehler auf. Dem Kläger sei der Beweis dafür, dass seine körperliche Integrität durch die implantierte Hüftprothese aufgrund eines Fabrikations-, Konstruktions- oder Instruktionsfehlers verletzt worden sei, nicht gelungen.
Die Prothese sei bereits vor Klageerhebung nicht mehr auffindbar gewesen und könne daher nicht mehr begutachtet werden. Ein Fabrikationsfehler könne daher nur daraus geschlossen werden, dass eine Verletzung der körperlichen Integrität des Klägers infolge der bei ihm implantierten Prothese eingetreten sei. Der Rückschluss vom Schadenseintritt setze voraus, dass andere Schadensursachen nicht in Betracht kämen. Das sei hier nicht der Fall. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei zwar davon auszugehen, dass beim Kläger von Oktober bis Dezember 2009 relativ hohe Metallionen-Konzentrationen vorgelegen hätten. Der Sachverständige habe aber ausgeführt, es lasse sich nicht ausschließen, dass die hohen Werte nur von einer Steilstellung kämen oder aufgrund der Belastung durch den Patienten erfolgt seien. Damit komme als Ursache für die Chrom- und Cobalt-Werte wie auch den metallischen Abrieb im Körper des Klägers auch eine andere Ursache als ein Fabrikationsfehler in Betracht.
Ein Konstruktionsfehler sei angesichts der Ausführungen des Sachverständigen nicht feststellbar. Danach schneide die Kappenprothese im Revisionsregistervergleich mit anderen Produkten teilweise besser ab als andere. Man könne nicht sagen, dass sie "ein schlechtes Produkt wäre". Es sei nicht ersichtlich, dass die streitgegenständliche Prothese mit den berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Benutzers nicht zu vereinbaren seien. Überdies kämen auch andere Ursachen für die Beschwerden des Klägers in Betracht, sei es die Steilstellung der Hüftpfanne oder körperliche Besonderheiten beim Kläger. Insoweit sei eine erneute Tatsachenfeststellung durch ergänzende Befragung der Sachverständigen, insbesondere die Begutachtung anderer Prothesen der Serie, wie klägerseits beantragt, nicht geboten.
Auch ein Instruktionsfehler bestehe nicht. Der Sachverständige habe ausgeführt, in der Operationsanleitung sei nichts Fehlerhaftes zu sehen. Lediglich die Grenze, bis zu der der Inklinationswinkel durch den Operateur gewählt werden könne, sei nicht präzisiert. Es sei aber auch nicht ersichtlich, dass im Jahr 2006 bereits bekannt gewesen sei, dass eine steilere Stellung zu einem erhöhten Metallabrieb führen könne.
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger sei der Beweis dafür nicht gelungen, dass die streitgegenständliche Hüftprothese einen Konstruktions- oder Instruktionsfehler aufweise, beruht auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Die Bestimmung in Art. 103 Abs. 1 GG hat den Zweck, einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zu sichern (vgl. BVerfGE 119, 292, 296). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 86, 133, 144 ff.). Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2018 - VI ZR 370/17, NJW 2018, 3652 Rn. 8 mwN). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 86, 133, 144 ff.; BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14, NJW 2017, 3218 Rn. 47 mwN). Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen (vgl. BVerfGE 47, 182, 188 f.; 86, 133, 146; BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2018 - 2 BvR 2821/14, WM 2018, 706 Rn. 18; Senat, Beschluss vom 29. Mai 2018 - VI ZR 370/17, NJW 2018, 3652 Rn. 8). Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2018 - VI ZR 370/17, NJW 2018, 3652 Rn. 8 mwN).
b) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht im Kern den Vortrag des Klägers übergangen hat, vor der Produkteinführung hätten Tests zum Ausmaß des Metallabriebs nicht stattgefunden, dies sei angesichts der von Metallabrieb und Metallionen bereits vor der Zulassung der streitgegenständlichen Prothese bekannten Gefahren inakzeptabel und von dem Sachverständigen K. auch beanstandet worden. Der Sachverständige K. habe erklärt, ob eine Untersuchung zum Abrieb bei Steilstellung der Hüftpfanne schon vor dem Jahr 2006 vorzunehmen gewesen sei, könne er jetzt nicht sagen. Das müsse man nochmals überprüfen. Wenn sich ein Risiko gezeigt hätte, hätte man es in die Risikobewertung mit hineinnehmen und auch in der Operationsanweisung einen Hinweis aufnehmen müssen. Ob die Operationsanweisung als fehlerfrei oder fehlerhaft anzusehen sei, hätte erst nach Klärung dieser Fragen beantwortet werden können. Eine ergänzende Befragung der gerichtlichen Sachverständigen sei daher erforderlich.
Das Berufungsgericht führt zwar im Tatbestand auf, der Kläger habe in der Berufung geltend gemacht, nach der bisherigen Beweiswürdigung habe noch offen gestanden, ob eine Untersuchung zum Abrieb bei Steilstellung vor Inverkehrbringen des Produkts durchzuführen gewesen sei. In den Entscheidungsgründen geht es darauf aber (gar) nicht mehr ein, obwohl es sich um einen zentralen Vortrag des Klägers handelt.
c) Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens einen Konstruktions- oder Instruktionsfehler bejaht hätte (Senatsurteil vom 16. Juni 2009 - VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 15 ff., 23 ff. - Airbag). Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit dem weiteren Vortrag der Parteien und der Streithelferin im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auseinanderzusetzen.
von Pentz |
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