BGH 6. Zivilsenat, Beschluss vom 13.11.2018, VI ZR 71/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen VI ZR 71/18 (BGH)

vom 13. November 2018 (Dienstag)


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Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 2018 wird auf Kosten der Beklagten zu 1 zurückgewiesen.

Streitwert: bis 95.000 €

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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Sie zeigt nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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1. Zu dem von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist folgendes auszuführen:

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a) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt der Rechtssache entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu. Zwar ist der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung bereits mit der sich voraussichtlich in einem künftigen Revisionsverfahren ergebenden Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 267 Abs. 3 AEUV; im Folgenden auch: Gerichtshof) gegeben, wenn sich eine entscheidungserhebliche und der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts stellt (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2015 - 1 BvR 1320/14, juris Rn. 13).

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Das zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht auf. Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtslage im Hinblick auf die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO aF) in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. August 2014 - 2 BvR 2639/09, NVwZ 2015, 52 Rn. 35).

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a) Schon nach dem Wortlaut der Vorschriften der Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF und Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF ("kann auch verklagt werden") steht einer Entscheidung, die die internationale Zuständigkeit auf der Grundlage des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF bejaht, nicht entgegen, dass zuvor eine solche ergangen ist, die die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF verneint hat. Eine Auslegung über die ausdrücklich in der EuGVVO aF vorgesehenen Fälle hinaus liegt daher entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde schon nicht vor (vgl. zur strikten Auslegung der Zuständigkeitsregel des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - C-145/10, EuZW 2012, 182 Rn. 74 mwN). Das dem Wortlaut zu entnehmende Ergebnis wird durch den Sinn und Zweck der Vorschriften, ihre Systematik sowie die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt.

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b) Nach den Erwägungsgründen 11 und 12 der EuGVVO aF müssen die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Dabei ist der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF aufgrund der engen Verbindung zwischen der Streitigkeit und dem Gericht (EuGH, Urteil vom 19. April 2012 - C-523/10, EuZW 2012, 513 Rn. 18) und der Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF vorgesehen, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - C-145/10, EuZW 2012, 182 Rn. 77). Aus den unterschiedlichen Zwecken der Zuständigkeitsregeln ergibt sich, dass eine Entscheidung, die die internationale Zuständigkeit auf der Grundlage des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF verneint hat, nicht eine Entscheidung präkludieren kann, die die internationale Zuständigkeit nunmehr im Interesse der Vermeidung von Parallelverfahren und widersprechender Entscheidungen aufgrund des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF bejaht.

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c) Die Vorschrift des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF ist autonom unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen; eine nationale Vorschrift kann die Anwendung der Bestimmung nicht verhindern. Ein Kläger kann sich somit auch dann auf Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF berufen, wenn die Klage gegen den Ankerbeklagten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-103/05, EuZW 2006, 667 Rn. 27 ff.). Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde sich daher auf die - ohnehin allerdings nicht Prozessurteile betreffende - Rechtsprechung zu Gestaltungsrechten und ihrem Sinn und Zweck, insbesondere dem Schutz des Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2003 - VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 52 f.) beruft, stellt dies von vornherein keinen tauglichen Einwand gegen die Bejahung einer Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF dar.

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d) Die Vorentscheidungen sind Entscheidungen, mit denen ein deutsches Gericht seine Zuständigkeit verneint hat und als solche Entscheidungen im Sinne der EuGVVO aF (EuGH, Urteil vom 15. November 2012 - C-456/11, WM 2013, 73 Rn. 32). Sie werden gemäß Art. 33 Abs. 3 EuGVVO aF in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf, und müssen im Anerkennungsstaat grundsätzlich dieselben Wirkungen entfalten wie im Ursprungsstaat (EuGH, Urteil vom 15. November 2012, aaO Rn. 34). Sie dürfen nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden (EuGH, Urteil vom 15. November 2012, aaO Rn. 37; vgl. auch zu Art. 45 Abs. 2 EuGVVO aF EuGH, Urteil vom 26. September 2013 - C-157/12, NJW 2014, 203 Rn. 37). Das Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts verlangt dabei, dass der genaue Umfang der Beschränkung der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten auf Unionsebene festgelegt ist, und nicht von nationalen Vorschriften abhängt. Im Unionsrecht umfasst der Begriff der Rechtskraft nicht nur den Tenor der Entscheidung, sondern auch die Gründe, die den Tenor tragen und von ihm nicht zu trennen sind (EuGH, Urteil vom 15. November 2012, aaO Rn. 40 mwN).

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Nach diesen Maßstäben wären die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten bei Anerkennung der Vorentscheidungen nicht gehindert gewesen, in einem neuen Verfahren ihre Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF zu bejahen. Denn die Vorentscheidungen verhalten sich nur zu der fehlenden internationalen Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF. Eine Zuständigkeit aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ist in den Vorverfahren weder geltend gemacht noch geprüft worden. Es ist auch sonst weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass die Annahme einer Zuständigkeit auf dieser Grundlage eine richtlinienwidrige Überprüfung der Vorentscheidungen beinhalten würde. Insbesondere haben sich die Vorentscheidungen mit dem Vortrag der Beklagten, Art. 33.1 des Kundenvertrags enthalte eine Vertragsklausel, wonach die englischen Gerichte zuständig seien, ausdrücklich befasst, dies aber abgelehnt (Vorentscheidungen Seiten 10, bzw. 11; vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2012, aaO Rn. 38). Dahinstehen kann daher, ob die Gründe sich insoweit auch auf die hiesigen Kläger beziehen. Wenn aber die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats ihre Zuständigkeit aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF bejahen dürften, dann kann auch ein Gericht des Mitgliedstaates, in dem die Vorentscheidungen ergangen sind - hier die Bundesrepublik Deutschland -, an einer solchen Bejahung seiner Zuständigkeit nicht gehindert sein. Ein anderes Ergebnis würde dem Grundsatz widersprechen, dass eine Entscheidung im Anerkennungsstaat dieselben Wirkungen entfalten muss wie im Ursprungsstaat.

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e) Gegen die Annahme des Berufungsgerichts, angesichts der erfolgreichen Klage gegen den Beklagten zu 2 seien keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein missbräuchliches "forum shopping" gegeben (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-103/05, EuZW 2006, 667 Rn. 32), wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde nicht.

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2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2010 - II ZR 136/09, juris).

von Pentz     

      

Wellner     

      

Oehler

      

Roloff     

      

Klein