Datenquelle: www.rechtsprechung-im-internet.de (Direktlink)
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 23. November 2017 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner wegen einer Forderung in Höhe von 792,31 € nebst Vollstreckungskosten die Zwangsvollstreckung.
Der Schuldner erhält von der Drittschuldnerin zu 1 eine Altersrente und von der Drittschuldnerin zu 2 eine Unfallrente. Die Unfallrente beruht auf einem am 19. Dezember 1980 erlittenen Unfall des Schuldners, der mit Bescheid der F. -Kreisverwaltung der Sozialversicherung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: DDR) vom 8. Januar 1981 als Arbeitsunfall gemäß § 220 des Arbeitsgesetzbuchs der DDR anerkannt wurde. Durch Unfallrentenbescheid des F. -Kreisvorstands der Verwaltung der Sozialversicherung vom 7. Juli 1981 wurde dem Schuldner eine Unfallrente in Höhe von (zunächst) 100 Mark/DDR pro Monat bewilligt. Gegenwärtig wird sie in Höhe von 471,30 € pro Monat von der Drittschuldnerin zu 2 geleistet.
Am 23. September 2015 hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die Zusammenrechnung der beiden Renten angeordnet und der aus dem zusammengerechneten Betrag pfändbare Teil der Einkommensforderung des Schuldners gegen die Drittschuldnerinnen gepfändet und der Gläubigerin überwiesen wurde.
Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Schuldners sowie seine sofortige Beschwerde, mit denen er jeweils geltend gemacht hat, die Unfallrente sei unpfändbar, sind erfolglos geblieben.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Schuldner weiter gegen die Pfändung seines Anspruchs gegen die Drittschuldnerin zu 2.
II.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Für die Pfändbarkeit von Sozialleistungen sei grundsätzlich die Regelung des § 54 SGB I maßgebend. Sofern nicht die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1, 2 und 3 SGB I gegeben seien, seien laufende Geldleistungen als Sozialleistungen gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar.
Die gepfändete Unfallrente sei entgegen der Auffassung des Schuldners insbesondere nicht gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unpfändbar. Nach dieser Vorschrift seien Geldleistungen unpfändbar, die dafür bestimmt seien, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfalle eine aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach §§ 56 ff. SGB VII zu zahlende Verletztenrente nicht der Regelung des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I, weil sie Lohnersatzfunktion habe und nicht dem Ausgleich von Mehraufwand diene.
Dies gelte auch für eine im Gebiet der DDR wegen eines Arbeitsunfalls gemäß § 23 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 (im Folgenden: Rentenverordnung oder RentenVO) gewährte Rente. Maßgeblich für die Frage der Pfändbarkeit sei die rechtliche Qualifikation der Sozialleistung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts als letzter Tatsacheninstanz. Der Schuldner erhalte nach dem Bescheid des F. -Kreisvorstandes der Sozialversicherung seit dem 1. Mai 1981 eine Unfallrente nach § 23 RentenVO. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und den aus diesem Anlass erlassenen Rechtsvorschriften sei diese Unfallrente in die gesetzliche Unfallversicherung nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung und später des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch überführt worden. Nach § 215 Abs. 1 SGB VII gelte für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Vorschrift des § 1150 Abs. 2 und 3 RVO weiter. Gemäß § 1150 Abs. 2 RVO gälten Arbeitsunfälle, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten und nach den im Beitrittsgebiet geltenden Vorschriften anerkannt worden seien, als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buchs der Reichsversicherungsordnung. Dies bedeute, dass die vorgenannten Unfälle in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung übernommen und weiter entschädigt worden seien. Die Übernahme bedeute auch, dass für die vorgenannten Unfälle nicht mehr die Leistungen nach der Rentenverordnung gewährt worden seien, sondern nach § 1154 RVO eine Verletztenrente festzustellen gewesen sei. Hierfür spreche auch, dass nach den Bestimmungen des Einigungsvertrags die Rentenverordnung nur bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft gewesen sei.
Nach alledem sei die dem Schuldner gewährte Rente nunmehr als Verletztenrente gemäß §§ 56 ff. SGB VII aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu qualifizieren, die gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar sei.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die streitbefangene Unfallrente eine laufende Geldleistung darstellt, die gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden kann. Die hiergegen gerichteten Beschwerdeangriffe gehen fehl.
a) Die Rechtsbeschwerde ist der Auffassung, die von der Pfändung betroffene Unfallrente des Schuldners sei nicht als eine nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbare Verletztenrente gemäß §§ 56 ff. SGB VII anzusehen, sondern vielmehr nach der Vorschrift des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unpfändbar. Die Unfallrente habe nach der Konzeption des Arbeits- und Sozialrechts der DDR keine Lohnersatzfunktion gehabt, sondern allein dem Ausgleich der Nachteile des eines im Umfang abstrakt bestimmten Körperschadens im Allgemeinen gedient. Die Überleitung in das System der gesetzlichen Unfallversicherung ändere an der Einordnung der Unfallrente als Geldleistung im Sinne von § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I nichts. Durch die Vorschriften des § 215 SGB VII sowie der § 1150 Abs. 2, § 1154 RVO habe lediglich eine Besitzstandswahrung bewirkt werden sollen. Die Natur der Sozialleistung und die Zweckbestimmung der Unfallrente nach § 23 RentenVO seien dadurch nicht geändert worden.
b) Hiermit kann die Rechtsbeschwerde nicht durchdringen.
aa) Es kann dahinstehen, welchem Zweck die gepfändete Unfallrente nach der Konzeption des Arbeitsgesetzbuchs und der Rentenverordnung der DDR ursprünglich diente. Denn hierauf kommt es nach der heute maßgeblichen Rechtslage nicht (mehr) an. Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es für die Beurteilung der Pfändbarkeit einer Forderung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung ankommt (vgl. MünchKommZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 766 Rn. 50 m.w.N.). Selbst wenn daher nach der Konzeption des damaligen § 23 RentenVO mit der danach gewährten Unfallrente seinerzeit ein unfallbedingter Mehraufwand ausgeglichen werden sollte, kann hieraus nach der heute geltenden Rechtslage nicht die Unpfändbarkeit gemäß § 850i Abs. 3 ZPO, § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I hergeleitet werden.
(1) Die Drittschuldnerin zu 2 zahlt dem Schuldner die streitgegenständliche Rente seit dem 1. Januar 1992 als Verletztenrente im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Unfallrente des Schuldners nach § 23 RentenVO aufgrund der Überleitungsvorschriften des § 215 Abs. 1 und Abs. 6 SGB VII und der § 1150 Abs. 2, § 1154 RVO seit dem 1. Januar 1992 als Verletztenrente gemäß § 581 RVO a.F. beziehungsweise nunmehr gemäß § 56 SGB VII geleistet wird.
Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach dem Wortlaut des § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO Unfälle, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle (vgl. § 7 Abs. 1 und § 8 SGB VII) im Sinne des Rechts der Unfallversicherung gelten, und dass nach § 1154 Abs. 1 RVO der der im Beitrittsgebiet festgestellten Rente zugrunde gelegte Grad des Körperschadens als Minderung der Erwerbsfähigkeit und mithin als der maßgebliche Bemessungsfaktor für § 581 RVO a.F. beziehungsweise § 56 SGB VII gilt.
(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist mit dem Außerkrafttreten der Rentenverordnung der DDR am 1. Januar 1992 (vgl. Art. 9 Abs. 2 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 6) die frühere Rechtsgrundlage für die Rentengewährung weggefallen. An ihre Stelle sind die Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Maßgabe getreten, dass eine Überprüfung der der früheren Rentenbestimmung zu Grunde liegenden Feststellungen aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgt (vgl. BT-Drucks. 12/405, S. 154, 156; Ricke in KassKomm SozVersR, 101. EL September 2018, SGB VII § 215 Rn. 4; Köhler in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: September 2017, § 2015 SGB VII Rn. 7; vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 17/14 Rn. 17 ff., BeckRS 2016, 68103).
Auf die Zielstellung der Rentengewährung in der DDR kommt es damit nicht mehr an. Durch das Rentenüberleitungsgesetz sind alle Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten und nach dem Sozialversicherungsrecht des Beitrittsgebiets versichert waren, in die gesetzliche Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland überführt worden, wobei hinzunehmen war, dass sich der vormalige Charakter der Versicherungsleistung hierbei möglicherweise verändert hat (vgl. BVerfGE 104, 126, juris Rn. 63).
bb) Ob die Verletztenrente pfändbar ist, bestimmt sich daher ausschließlich nach ihrer heutigen rechtlichen Einordnung. Die von der Drittschuldnerin zu 2 geleistete gesetzliche Unfallrente ist als Verletztenrente im Sinne der §§ 56 ff. SGB VII gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar. Der diesbezüglichen rechtlichen Bewertung durch den IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 20. Oktober 2016 - IX ZB 66/15 Rn. 8, NJW 2017, 959), gegen die als solche auch die Rechtsbeschwerde nichts erinnert, tritt der erkennende Senat bei.
III.
Die Entscheidung wegen der Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Pamp |
|
Kartzke |
|
Graßnack |
|
Sacher |
|
Borris |
|