BGH 8. Zivilsenat, Beschluss vom 21.05.2019, VIII ZB 66/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen VIII ZB 66/18 (BGH)

vom 21. Mai 2019 (Dienstag)


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Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 2.000 €

I.

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Die Kläger mieteten im Jahr 2011 eine Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses F.   straße   in Berlin. Im Erdgeschoss befand sich ein sogenannter Kiezladen namens "F.      ". Im Oktober 2015 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Mietverhältnis mit dem Betreiber des Kiezladens. Daraufhin hängten die Kläger und andere Mieter Transparente an der Außenfassade des Hauses auf, um sich mit den Belangen des Kiezladens zu solidarisieren. Die Kläger brachten das nachfolgend dargestellte, vier Meter breite und 1,50 Meter hohe Transparent mit Schnüren am straßenseitigen Balkon der von ihnen gemieteten Wohnung an:

Abbildung

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Im Juni 2016 erwarb die Beklagte - eine in Luxemburg ansässige Kapitalgesellschaft - die Immobilie. Die Beklagte erwirkte einen Räumungstitel gegen den Betreiber des Kiezladens. Nach der Räumung, die Ende Juni 2017 stattfand, forderte die Beklagte die Kläger mit Anwaltsschreiben vom 5. Juli 2017 auf, das Transparent zu entfernen. Daraufhin hängten die Kläger es ab.

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Sie begehren nunmehr, das Transparent erneut anbringen zu dürfen, und haben beantragt, die Beklagte zur Duldung der Befestigung des Transparents am Balkon der gemieteten Wohnung zu verurteilen. Das Amtsgericht hat der Klage stattgeben. Den Gebührenstreitwert hat es auf 500 € festgesetzt und zur Begründung das "Interesse der Kläger an der konkreten Handlung" angeführt.

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Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat die Beklagte fristgemäß Berufung eingelegt. Nach einem entsprechenden Hinweisbeschluss hat das Berufungsgericht die Berufung durch den angefochtenen Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) sei nicht erreicht. Unstreitig werde die Bausubstanz des Hauses nicht beschädigt. Zudem habe die Beklagte die Immobilie bereits mit Fassadenaufschriften sowie mit dem Transparent der Kläger erworben. Damit habe die Beklagte das Risiko übernommen, die Immobilie nicht ohne Weiteres oder nur mit einem geringeren Gewinn weiterveräußern zu können.

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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Berufungssumme sei nicht erreicht und die Berufung deshalb als unzulässig zu verwerfen, verletzt die Beklagte in ihrem - auch ausländischen juristischen Personen zustehenden (vgl. BVerfGE 129, 78, 92; BVerfG, NJW 2018, 2392, Rn. 27; [jeweils zu Art. 103 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG]) - Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Der angefochtene Verwerfungsbeschluss beruht auf Rechtsfehlern des Berufungsgerichts bei der Bemessung des Wertes des von der Beklagten geltend gemachten Beschwerdegegenstandes (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Das insoweit maßgebliche Interesse der Beklagten an der Abänderung des angefochtenen Urteils übersteigt entgegen der Annahme des Berufungsgerichts die Wertgrenze von 600 €.

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a) Die gemäß §§ 2, 3 ZPO im freien Ermessen des Berufungsgerichts liegende Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes kann vom Senat nur beschränkt darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt, die Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Senatsurteile vom 19. November 2014 - VIII ZR 79/14, NJW 2015, 873 Rn. 14; vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218 Rn. 9; Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2018 - VIII ZB 57/16, NZM 2018, 462 Rn. 16; vom 10. Januar 2017 - VIII ZR 98/16, NZM 2017, 358 Rn. 15; vom 17. Mai 2006 - VIII ZB 31/05, NJW 2006, 2639 Rn. 6; vom 9. Juni 2004 - VIII ZB 124/03, NJW 2004, 2904 unter II 2 b; jeweils mwN).

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b) Ein derartiger Fehler fällt dem Berufungsgericht indes zur Last, weil es bei der Bemessung der Beschwer der Beklagten in sachwidriger Weise darauf abgestellt hat, die Eigentumsstörung, deren Beseitigung die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel erstrebt, habe schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs bestanden.

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aa) Wird der Vermieter einer Wohnung verurteilt, die Anbringung eines Transparents, Plakats oder Banners durch den Mieter an der Fassade des Hauses zu dulden, richtet sich die Beschwer des Vermieters nach dem Wertverlust, den er durch die Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleidet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2006 - VIII ZB 31/05, aaO Rn. 8, 10 [zur Bemessung der Beschwer des Vermieters bei Abweisung seiner Klage auf Beseitigung einer Satellitenanlage]). Zwar wird im gegebenen Fall die Substanz des Hauses nicht beeinträchtigt. Jedoch hat das Berufungsgericht verkannt, dass durch das großflächige und auffällig an der straßenseitigen Fassade angebrachte Transparent eine schwerwiegende optische Beeinträchtigung bewirkt wird, die bereits für sich genommen mit einem Betrag deutlich über dem Beschwerdewert von 600 € zu bewerten ist. Zudem kann der Text des Transparents den Eindruck erwecken, der Grundstückseigentümer missachte Mieterinteressen; auch dies kann bei der Bemessung der durch die Eigentumsstörung verursachten Beschwer nicht unberücksichtigt bleiben.

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bb) Die Begründung des Berufungsgerichts, die Beschwer der Beklagten durch die erstinstanzliche Verurteilung zur Duldung des Transparents sei deshalb als gering zu bewerten, weil es schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs durch die Beklagte an der Fassade befestigt gewesen sei, ist bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar. Denn die Bemessung der Beschwer eines Rechtsmittelführers durch das angefochtene Urteil hat rein nach seinem Rechtsschutzziel zu erfolgen; materiell-rechtliche Gesichtspunkte haben insoweit außer Betracht zu bleiben.

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3. Danach durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden, denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 600 €. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Dr. Milger     

        

Dr. Hessel     

        

Dr. Fetzer

        

Dr. Bünger     

        

Kosziol