BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 23.01.2019, XII ZB 397/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen XII ZB 397/18 (BGH)

vom 23. Januar 2019 (Mittwoch)


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Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 24. Juli 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 €

I.

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Der 52jährige Betroffene leidet an einer bipolaren affektiven Störung mit psychotischer Symptomatik. Für ihn wurde am 4. Oktober 2004 eine Berufsbetreuung mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge, Vermögenssorge sowie Wohnungs- und Behördenangelegenheiten eingerichtet und mit weiterem Beschluss vom 16. September 2009 ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögensangelegenheiten angeordnet. Am 15. Juli 2010 wurde - unter Beibehaltung der Berufsbetreuung im Übrigen - die Ehefrau des Betroffenen zur Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge und Wohnungsangelegenheiten bestellt, am 17. September 2010 der Einwilligungsvorbehalt aufgehoben.

2

Nach Scheidung der Ehe des Betroffenen und seinem Wegzug in die Wohnung seiner Tochter wurden die bisherigen Betreuer entlassen und mit Beschluss vom 26. Mai 2014 ein Berufsbetreuer am neuen Wohnort des Betroffenen für den gesamten bisherigen Aufgabenkreis bestellt.

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Am 18. Juli 2015 erteilte der Betroffene seiner Tochter Generalvollmacht, woraufhin das Amtsgericht die Gesundheitssorge aus dem Aufgabenkreis der Berufsbetreuung mit Beschluss vom 24. Juli 2015 herausnahm.

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Mit Schreiben vom 23. Juli 2015 widerrief der Betroffene die erteilte Generalvollmacht und legte nachfolgend Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. Juli 2015 ein. Der Beschwerde half das Amtsgericht durch Beschluss vom 22. Dezember 2016 ab, indem es die Tochter des Betroffenen zur Betreuerin für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge und einen neuen Berufsbetreuer für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge sowie der Wohnungs- und Behördenangelegenheiten bestellte. Die hiergegen wiederum eingelegte Beschwerde des Betroffenen verwarf das Landgericht.

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Am 28. März 2016 teilte die Tochter des Betroffenen mit, dass sie sich wegen beruflicher und psychischer Belastung nicht mehr in der Lage sehe, den Betroffenen im Aufgabenbereich der Gesundheitssorge zu betreuen. Nach Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen im Rahmen der ohnehin anstehenden Verlängerungsentscheidung hob das Amtsgericht die Betreuung mit Beschluss vom 17. August 2016 wegen "Unbetreubarkeit" auf. Hiergegen legte der Betroffene Beschwerde ein, mit der er die Bestellung seiner geschiedenen Ehefrau als Betreuerin für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge und Vermögenssorge verfolgte. Der Beschwerde half das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. Oktober 2016 ab, indem es die geschiedene Ehefrau des Betroffenen zur Betreuerin für den genannten Aufgabenkreis zuzüglich der Behörden- und Wohnungsangelegenheiten bestellte. Hiergegen legten der Betroffene und seine zur Betreuerin bestellte geschiedene Ehefrau Beschwerde ein, mit der sie eine Erweiterung der Betreuung auf alle Angelegenheiten verfolgten. Das Landgericht verwarf die Beschwerde.

6

Mit Schreiben vom 23. Juni 2017 hat die geschiedene Ehefrau beantragt, für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge, Behörden- und Wohnungsangelegenheiten einen anderen Betreuer zu bestellen, weil sie nicht mehr in der Lage sei, den Betroffenen gewissenhaft in den vorgenannten Bereichen im gebotenen Umfang zu vertreten.

7

Das Amtsgericht hat daraufhin die Betreuung insgesamt aufgehoben. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

8

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

9

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung entfallen seien. Zwar sei der Betroffene weiterhin krankheitsbedingt nicht in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Gleichwohl sei ein Betreuungsbedarf aufgrund der konkreten gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen nicht mehr festzustellen. Denn trotz mehrfacher Nachfragen im Rahmen des Anhörungstermins sei der Betroffene nicht in der Lage gewesen, einen Betreuungsbedarf zu erklären; Gleiches gelte für die im Anhörungstermin anwesende Sachbearbeiterin der Betreuungsbehörde. Anstehende Veränderungen, die einer rechtlichen Regelung im Bereich der Wohnungsangelegenheiten bedürften, seien weder vom Betroffenen noch von der Betreuungsbehörde benannt worden. Im Gesundheitsbereich sei in den letzten Jahren offensichtlich keine rechtlich relevante Tätigkeit mehr für den Betroffenen, der sich in langjähriger kontinuierlicher psychiatrischer Behandlung befinde, notwendig gewesen. Auch im Bereich der Vermögenssorge sei ein Handlungsbedarf nicht zu erkennen, da der Betroffene alle notwendigen Schritte zur Erlangung von Sozialleistungen selbst ergreife. Zwar sei er nach Aktenlage überschuldet, jedoch stünden mangels pfändbaren Einkommens oder Vermögens keine Tätigkeiten in Form einer aktiven oder passiven Schuldenregulierung an.

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Auch sei der Betroffene als "unbetreubar" einzustufen. Zwar habe die Berufsbetreuung in den ersten zehn Jahren erfolgreich geführt werden können, jedoch sei es nach dem Umzug des Betroffen keinem Berufsbetreuer und keiner familiär vertrauten Person mehr gelungen, die Betreuung in sachgerechte Bahnen zu lenken. Mit beiden seit 2014 eingesetzten, erfahrenen Berufsbetreuern habe eine Kooperationsbereitschaft des Betroffenen nicht hergestellt werden können. Den Personen aus dem familiären Umfeld des Betroffenen fehle es sowohl an der Eignung, die notwendigen rechtlichen Schritte für den Betroffenen zu ergreifen, als auch an der unabdingbaren Fähigkeit, sich in Ausübung der Betreuungstätigkeit gegenüber seinem manischen und fordernden Wesen hinreichend abzugrenzen.

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2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, beruhen sowohl die Verneinung eines konkreten Betreuungsbedarfs als auch die Annahme einer "Unbetreubarkeit" des Betroffenen durch das Landgericht nicht auf tragfähigen Feststellungen (§ 26 FamFG).

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a) Nach § 1908 d BGB ist die Betreuung aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Hierfür genügt es, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist. Bei seiner Prüfung, ob dies hinsichtlich der für den Betroffenen angeordneten Betreuung zu bejahen ist, geht das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich sein muss. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 12).

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b) Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Betroffene in erheblichem Umfang überschuldet. Daraus erwächst aus sich heraus der Bedarf einer Schuldenregulierung, gegebenenfalls im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Soweit der Betroffene zur Einleitung und Durchführung der notwendigen Entschuldungsmaßnahmen krankheitsbedingt nicht selbst in der Lage ist, bedarf es bereits deswegen der Betreuung (vgl. auch Senatsbeschluss vom 18. Juli 2018 - XII ZB 167/18 - FamRZ 2018, 1691 Rn. 17).

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Auch beruht die Annahme des Landgerichts, der Betroffene sei selbst in der Lage, alle notwendigen Schritte in Bezug auf seine Sozialleistungen zu veranlassen, nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde die Zahlung von Erwerbsminderungsrente auf Wunsch des Betroffenen eingestellt, da er sich selbst als erwerbsfähig ansah. Tatsächlich konnte er jedoch krankheitsbedingt keiner Berufstätigkeit nachgehen. Infolgedessen lebt der Betroffene inzwischen von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. Diese Leistungen sind ihm, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, nach dem Akteninhalt bereits einmal wegen fehlender Mitwirkung entzogenen worden. Danach liegt auch insoweit ein bestehender Betreuungsbedarf auf der Hand, zumal dafür nicht zwingend das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs erforderlich ist, sondern es genügt, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst wird (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 9).

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c) Zu Unrecht hat das Landgericht außerdem eine "Unbetreubarkeit" des Betroffenen angenommen.

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aa) Allerdings kann es, wie das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, an der Erforderlichkeit der Betreuung trotz bestehenden Handlungsbedarfs auch dann fehlen, wenn die Betreuung - aus welchem Grund auch immer - keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist. Daher kommt die Aufhebung einer Betreuung nach der Senatsrechtsprechung dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Davon kann im Einzelfall ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt (Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 13).

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Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten, zumal die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen sein kann. Gerade in diesem Fall kommt die Aufhebung einer Betreuung nur dann in Betracht, wenn es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung aufrechtzuerhalten. Besteht objektiv ein Betreuungsbedarf, ist daher bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte (Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 13 mwN).

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Es ist die Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen Betroffenenpersönlichkeiten durch den die Betreuung anordnenden Beschluss geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Deshalb muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl Bedacht darauf nehmen, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein Betreuerwechsel erforderlich, um eine Person zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet (Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 14 mwN).

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bb) Nach diesen Maßstäben fehlt es an ausreichenden Feststellungen für die Annahme einer Unbetreubarkeit des Betroffenen. Das Landgericht geht selbst davon aus, dass die Berufsbetreuung in den ersten zehn Jahren bis zum Umzug des Betroffenen im Jahr 2014 erfolgreich geführt worden ist. Zwar ist eine Kooperation des Betroffenen mit den beiden am neuen Wohnort bestellten Berufsbetreuern nicht gelungen. Es fehlt jedoch an konkreten Feststellungen dazu, dass selbst bei fortwährender Kooperationsverweigerung des Betroffenen keine Verbesserung seiner Situation erreicht werden kann, indem der Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nimmt.

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3. Wegen der aufgezeigten Fehler kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da noch Feststellungen über den Betreuungsbedarf zu treffen sind.

21

Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht außerdem Gelegenheit, ergänzende Feststellungen über den Betreuungsbedarf in den über die Vermögenssorge hinausgehenden Bereichen zu treffen.

22

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

Klinkhammer     

      

Nedden-Boeger

      

Guhling     

      

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