BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 13.02.2019, XII ZB 485/18

Das Urteil unter dem Aktenzeichen XII ZB 485/18 (BGH)

vom 13. Februar 2019 (Mittwoch)


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Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Neubrandenburg vom 18. September 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

I.

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Die im Jahre 1986 geborene Betroffene hatte ihrem Vater, dem Beteiligten zu 1, im Mai 2014 eine auf bestimmte Bereiche beschränkte Vorsorgevollmacht erteilt. Ab Juni 2017 war ihr Vater als ihr vorläufiger Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung und Vermögenssorge bestellt; für die Vermögenssorge war ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Diese vorläufige Betreuung wurde bis zum 30. April 2018 verlängert.

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Im Rahmen der Prüfung einer Betreuung über diesen Zeitpunkt hinaus hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben und die Betroffene zur Anhörung geladen. Nachdem die Betroffene weder bei der Sachverständigen noch vor Gericht erschienen war, hat das Amtsgericht das Betreuungsverfahren mit Beschluss vom 27. April 2018 eingestellt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Betroffenen und ihres Vaters sind ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Vater der Betroffenen weiterhin das Ziel, dass für die Betroffene ein Betreuer bestellt wird.

II.

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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

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1. Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 ist zulässig. Sie ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, obwohl vorliegend die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652 Rn. 8 mwN). Der Vater der Betroffenen, dessen Beschwerde zurückgewiesen worden ist, ist gemäß §§ 303 Abs. 2 Nr. 1, 59 Abs. 1 FamFG auch beschwerdeberechtigt (vgl. Senatsbeschluss vom 15. April 2015 - XII ZB 534/14 - FamRZ 2015, 1019 Rn. 4 mwN).

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Schließlich steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen, dass - wie die Rechtsbeschwerde mitteilt - inzwischen durch ein anderes Amtsgericht, in dessen Zuständigkeitsbereich die Betroffene untergebracht worden ist, eine bis zum 11. April 2019 befristete vorläufige Betreuung angeordnet und der Vater der Betroffenen zum vorläufigen Betreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und Aufenthaltsbestimmung für nervenärztliche Behandlung bestellt worden ist. Denn durch eine entsprechende, nach § 302 FamFG nur befristet gültige einstweilige Anordnung endet das auf Bestellung eines Betreuers gerichtete Hauptsacheverfahren nicht (vgl. auch § 56 Abs. 1 Satz 1 FamFG und Keidel/Budde FamFG 19. Aufl. § 300 Rn. 14). Daher liegt kein Fall der Erledigung im Sinne von § 62 FamFG vor, in dem das Antragsrecht und damit die Zulässigkeit des Rechtsmittels nur unter besonderen Voraussetzungen zu bejahen sind (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 16. Januar 2019 - XII ZB 429/18 - mwN, zur Veröffentlichung bestimmt).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

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a) Das Landgericht hat ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung vorlägen. Die Betroffene habe bislang nicht am Betreuungsverfahren mitgewirkt und sei auch jeglichen Gesprächsversuchen der Betreuungsbehörde ausgewichen. Den Darlegungen ihres Vaters sei zu entnehmen, dass die Betroffene der Bestellung eines Betreuers nicht positiv gegenüberstehe. Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht in der Lage sei, einen freien Willen zu äußern, seien nicht ersichtlich. Wenn nicht festgestellt werden könne, ob ein Betroffener zur freien Willensbestimmung in der Lage sei, müsse eine Betreuerbestellung aber unterbleiben.

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Die Einrichtung einer Betreuung sei auch im Hinblick auf die bestehende Vorsorgevollmacht derzeit nicht geboten. Zwar dränge sich ein Handlungsbedarf im Bereich der Gesundheitssorge auf, da bei der Betroffenen im Jahr 2016 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden sei. Die Einleitung einer fachärztlichen Behandlung sei dem Vater aber schon wegen der für den Bereich der Gesundheitssorge erteilten Vorsorgevollmacht möglich. Ein Handlungsbedarf bei der Vermögenssorge sei nicht in dem Maß ersichtlich, dass ohne eine entsprechende Verfahrensmitwirkung der Betroffenen die Anordnung einer entsprechenden Betreuung geboten sei. Eine Verschuldung der Betroffenen in Höhe von 5.000 € und eine möglicherweise bevorstehende Wohnungskündigung machten noch nicht die Einrichtung einer Betreuung erforderlich, zumal ihr Vater in Teilbereichen der Vermögenssorge bevollmächtigt sei. Zudem habe die zeitweise Einsetzung des Vaters als vorläufiger Betreuer nach seinen Schilderungen keine Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen eröffnet.

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b) Das hält den Rügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Landgericht hat seiner gemäß § 26 FamFG bestehenden Amtsermittlungspflicht nicht genügt.

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aa) In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dabei muss dem erkennenden Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu der für eine Entscheidung notwendigen Erkenntnis zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschlüsse vom 24. Januar 2018 - XII ZB 292/17 - FamRZ 2018, 628 Rn. 8 und vom 29. Juni 2016 - XII ZB 603/15 - FamRZ 2016, 1663 Rn. 15 mwN).

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Eine persönliche Anhörung des Betroffenen ordnet § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG zwar nur vor der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an. Daraus folgt aber nicht, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung kommt, generell nicht bedarf. Die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG), sondern hat - wie sich auch aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt - vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist, eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu. Erscheint der Betroffene nicht zu einer vom Tatrichter im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht für erforderlich gehaltenen Anhörung, sind zunächst alle zwanglosen Möglichkeiten auszuschöpfen, den Betroffenen anhören zu können bzw. sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Zu diesen Möglichkeiten gehört - wie sich schon aus § 278 Abs. 1 Satz 3 FamFG ergibt - auch das Aufsuchen des Betroffenen, um ihn in seiner üblichen Umgebung anzuhören (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2016 - XII ZB 603/15 - FamRZ 2016, 1663 Rn. 16 f. mwN).

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Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ist das Gericht gemäß § 280 Abs. 1 FamFG nur dann verpflichtet, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenerstattung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter zu betreiben hat. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (Senatsbeschlüsse vom 24. Januar 2018 - XII ZB 292/17 - FamRZ 2018, 628 Rn. 9 und vom 29. Juni 2016 - XII ZB 603/15 - FamRZ 2016, 1663 Rn. 18 mwN).

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bb) Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, wird das landgerichtliche Verfahren diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Landgericht hat verkannt, dass - ausgehend von der ersichtlich auch von ihm angenommenen Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen gemäß § 1896 Abs. 1 BGB wegen einer psychischen Erkrankung - hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Betreuungsbedarfs nach § 1896 Abs. 2 BGB vorliegen und dass daher weitere Ermittlungen, wie die Anhörung und gegebenenfalls die Begutachtung der Betroffenen, auch zur Frage des freien Willens (§ 1896 Abs. 1a BGB) geboten sind.

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(1) Bei seiner Einschätzung, ein Betreuungsbedarf im Sinne des § 1896 Abs. 2 BGB sei wegen der bestehenden Vorsorgevollmacht nicht gegeben, hat das Landgericht wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen.

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Das gilt für den Bereich der Gesundheitssorge. Zwar ist der Vater der Betroffenen insoweit umfassend bevollmächtigt. Die Entscheidung über eine Unterbringung ist ihm jedoch ausdrücklich nicht übertragen. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht ausführt, hatte der Vater der Betroffenen mehrfach darauf hingewiesen, dass sie nicht gewillt sei, sich einer - insbesondere stationären - Behandlung der bei ihr im Jahre 2016 diagnostizierten paranoiden Schizophrenie zu unterziehen. Damit steht die Notwendigkeit einer Behandlung im Rahmen einer Unterbringung im Raum, so dass jedenfalls insoweit ein Betreuungsbedarf nicht verneint werden kann.

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Nicht anders verhält es sich bei der Vermögenssorge. Insoweit umfasst die Vollmacht nur "Zahlungen und Wertgegenstände annehmen" und "Verbindlichkeiten eingehen", was keine umfassende Vermögenssorge darstellt. Die Betroffene hat bereits erhebliche Schulden aufgehäuft, wobei sie selbst diese in ihrer Beschwerdebegründung nicht mit den vom Landgericht genannten 5.000 €, sondern mit 20.000 € angegeben hatte. Ihr Vater hatte dem Gericht von dem seiner Meinung nach krankheitsbedingt unkontrollierten finanziellen Gebaren der Betroffenen berichtet sowie davon, dass ihr mangels Mietzahlungen die fristlose Kündigung der Wohnung drohe. Unter diesen Umständen wäre die bestehende Vorsorgevollmacht ersichtlich unzureichend, um die Angelegenheiten der Betroffenen in diesem Bereich zu besorgen. Vielmehr läge dann der Bedarf für eine Betreuung im Bereich der Vermögenssorge mit Anordnung eines entsprechenden Einwilligungsvorbehalts auf der Hand.

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Sofern es dem Vater der Betroffenen nicht gelungen sein sollte, als vorläufiger Betreuer mit eben diesen rechtlichen Kompetenzen eine Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen zu bewirken, würde dies allenfalls die Frage aufwerfen, wer die im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB geeignete Betreuerperson ist.

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(2) Das Landgericht ist ohne ausreichende Tatsachengrundlage zu der Einschätzung gelangt, das Fehlen eines freien Willens der Betroffenen (§ 1896 Abs. 1a BGB) könne nicht festgestellt werden.

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Zwar ist im Ausgangspunkt richtig, dass das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung durch den sachverständig beratenen Tatrichter (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 186/17 - FamRZ 2018, 205 Rn. 10 mwN) positiv festgestellt werden muss und daher dann, wenn trotz ausreichender Ermittlungen eine solche Feststellung nicht möglich ist, eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen nicht eingerichtet werden kann.

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An solchen Ermittlungen fehlt es hier jedoch. Das Amtsgericht hatte ursprünglich die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet, hiervon aber Abstand genommen, nachdem die Sachverständige mitgeteilt hatte, die Betroffene erscheine nicht zum Untersuchungstermin. Mit der Frage, ob daher im Beschwerdeverfahren eine Begutachtung der Betroffenen geboten und zu diesem Zweck ggf. ihre Vorführung zur Untersuchung nach § 283 FamFG veranlasst war (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 24. Januar 2018 - XII ZB 292/17 - FamRZ 2018, 628 Rn. 11), hat sich das Landgericht jedoch rechtsfehlerhaft nicht befasst und auch nicht berücksichtigt, dass die Betroffene nach dem Beschwerdevorbringen des Vaters die Sachverständige aufgesucht hatte, als das Amtsgericht den Gutachtensauftrag bereits zurückgezogen hatte. Dass mit Blick auf die in der Vergangenheit diagnostizierte psychische Krankheit der Betroffenen eine Betreuungsbedürftigkeit auch ohne sachverständige Begutachtung ausgeschlossen werden konnte, ist nicht ersichtlich.

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Hinzu kommt, dass auch die Annahme des Landgerichts, die Betreuung widerspreche dem Willen der Betroffenen, nicht überzeugt. Denn immerhin hatte die Betroffene - wenn auch durch einen von ihrem Vater beauftragten Rechtsanwalt - gegen die Einstellung des Betreuungsverfahrens Beschwerde eingelegt und damit dokumentiert, mit der Verfahrenseinstellung nicht einverstanden zu sein. Ihren entgegengesetzten Willen hat das Landgericht daraus geschlossen, dass sie dem im Beschwerdeverfahren angeordneten Anhörungstermin fernblieb und ihr Vater mitteilte, dies sei absichtlich erfolgt. Für die Annahme, eine Betreuung widerspreche dem Willen der Betroffenen, bieten diese Umstände aber keine belastbare Grundlage. Im Übrigen hätte es bei insoweit bestehenden Unklarheiten der Anhörung der Betroffenen bedurft. Diese hat das Landgericht zwar angeordnet, dann aber nicht nach § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG durchgesetzt. Auch darin liegt ein Verstoß gegen § 26 FamFG.

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c) Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zur Durchführung der erforderlichen Ermittlungen zurückzuverweisen.

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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

Klinkhammer     

      

Nedden-Boeger

      

Guhling     

      

Krüger